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Freiheitsentziehung mit Beaufsichtigung der Beschäftigung und Lebensweise der Verurteilten. Die Vollstreckung erfolgt entweder in Festungen oder in andern dazu bestimmten Räumen.
4) Haft, für eine Zeitfrist von höchstens sechs Wochen und mindestens einem Tag, bestehend in einfacher Freiheitsentziehung. Die Bezeichnungen für diejenigen Anstalten, in denen die Gefängnisstrafe oder die Haft vollstreckt wird, sind in den einzelnen deutschen Ländern verschieden. Außer den für die Vollstreckung einer richterlich erkannten Strafe bestimmten Anstalten bestehen:
5) Untersuchungsgefängnisse und 6) Polizeiliche Korrektionsanstalten (vgl. Arbeitshäuser), in welchen auf Grund des § 362 gewisse Personen nach verbüßter Strafe durch die Landespolizeibehörde untergebracht werden können (Bettler, Landstreicher, Prostituierte). Verschiedene Strafarten, z. B. Gefängnis und Haft, können in verschiedenen Abteilungen und Räumlichkeiten eines und desselben Gebäudes vollstreckt werden. II. Mit Rücksicht auf die bürgerliche Stellung der Verurteilten.
Hiernach sind die Anstalten für militärische Personen (Arrest etc.) gesondert von denjenigen für nicht militärische Verbrecher. Das Strafgesetzbuch für das deutsche Heer enthält die nähern Bestimmungen. III. Mit Rücksicht auf das Geschlecht der Verurteilten. Weiber und Männer sind überall getrennt zu halten, wobei es der Verwaltung überlassen bleibt, entweder eigne Gefängnisse für Weiber zu bestimmen, oder für die räumliche Trennung der Geschlechter innerhalb eines und desselben Gebäudes Sorge zu tragen.
IV. Mit Rücksicht auf das Lebensalter der Verurteilten. Das Gesetz verbietet ausdrücklich die Gemeinschaft jugendlicher Personen im Alter unter 18 Jahren mit ältern Delinquenten und erlaubt außerdem, daß jugendliche Verbrecher, wenn sie wegen mangelnder Einsicht freigesprochen sind, durch den Richter einer Erziehungs- und Besserungsanstalt überwiesen werden dürfen, um dort nach dem Ermessen der vorgesetzten Verwaltungsbehörde, jedoch nicht über das vollendete 20. Lebensjahr hinaus, zu verbleiben.
Vorausgesetzt ist dabei, daß derartige Besserungsanstalten in der Hauptsache von Privaten oder von mildthätigen Vereinen unterhalten werden, was bis jetzt nur in sehr unzureichender Weise der Fall ist, so daß Deutschland [* 2] in dieser Hinsicht hinter andern Ländern (England, Holland, Belgien, [* 3] Frankreich, Schweiz [* 4] und Nordamerika) [* 5] weit zurücksteht. V. Der Hauptunterschied in der Gestaltung der in Deutschland gesetzlich vorgezeichneten Strafanstalten ergibt sich aus der Beschaffenheit des Systems, nach welchem die Freiheitsstrafe vollstreckt wird. Ehe eine Beschreibung der sogen. Haftsysteme gegeben werden kann, ist auf diejenigen Einrichtungen einzugehen, welche allen Strafanstalten gemeinsam sind.
Vorsorge für die Gefangenen.
Über den Grundgedanken, welcher in der Vollstreckung der Strafe leitend sein soll, hat das Strafgesetz sich nicht ausgesprochen. Nur das eine ist gewiß, daß jede Anstalt der Anforderung der Sicherheit so weit genügen muß, daß das Entweichen der Gefangenen durch bauliche Einrichtung und geeignete Überwachung wirksam verhindert wird. Abgesehen hiervon, bleibt es ungewiß, ob bei dem Vollzug der Freiheitsstrafen zu allererst dem Zweck der Abschreckung, der vergeltenden Gerechtigkeit oder der Sühne Genüge geschehen soll.
Der Persönlichkeit der leitenden Beamten ist in dieser Hinsicht alles überlassen. Ein Gesetz über die Einrichtung des Gefängniswesens fehlt in Deutschland, obwohl der Reichstag ein solches als notwendige Ergänzung der Strafrechtseinheit bezeichnet hat. Zwar ist ein Strafvollstreckungsgesetz von einer Sachverständigenkommission zu Berlin [* 6] infolge dieser Anregungen ausgearbeitet worden, der Entwurf ist jedoch bisher noch nicht an den Reichstag gelangt.
Einzelne Staaten, wie Baden, [* 7] Bayern [* 8] u. a., haben eigne Strafvollzugsgesetze, andre, wie Preußen, [* 9] haben alles den Verwaltungsbehörden überlassen, so daß hier außer dem Namen der Freiheitsstrafe schlechthin alles gesetzlich unbestimmt geblieben ist. Im großen und ganzen überwiegen jedoch in den deutschen Strafanstalten zwei Anschauungen: einmal, daß durch die Gerechtigkeit eine thunlichst gleiche Behandlung aller derselben Strafanstalt zugewiesenen Verbrecher gefordert wird, und sodann, daß die Rücksicht auf die Sicherheit der staatlichen Ordnung gebietet, neben der Empfindlichkeit des Strafübels auch dafür zu sorgen, daß der bestrafte Verbrecher gegen Rückfälligkeit durch bessernde Behandlung sittlich gekräftigt werde.
Das mindeste, was der Staat zu leisten hat, ist die Vorsorge, daß der Bestrafte nicht etwa moralisch verschlechtert werde. Daraus ergibt sich:
1) Vorsorge für die leibliche Gesundheit der Gefangenen durch richtige Auswahl der örtlichen Lage der Strafanstalt, durch Beschaffung guten Trinkwassers, der notwendigen Einrichtungen für Ventilation, Heizung, [* 10] körperliche Reinlichkeit, Bewegung im Freien, Krankenpflege etc. Die Technik des Gefängnisbaues hat zwar große Fortschritte gemacht; doch bestehen in Deutschland noch viele ältere, gesundheitsschädliche Gefängnisse. Die Statistik der Todesfälle und Erkrankungen weist erhebliche Verschiedenheiten in den einzelnen Anstalten auf.
2) Die Vorsorge für die Aufrechthaltung der äußern Ordnung und Disziplin in den Strafanstalten. Der Gefangene muß fühlen, daß er einer Zwangsgewalt unterworfen ist und sich einer in allen Einzelheiten bestimmten Hausordnung fügen muß. Zur Aufrechthaltung der Ordnung hat jede Strafanstalt auch die Befugnis zur disziplinaren Bestrafung Widersetzlicher und Ungehorsamer. Verwerflich ist nach der in Deutschland herrschend gewordenen Anschauung die beschimpfende Prügelstrafe, obwohl sich gelegentlich noch Verteidiger dafür finden und Zuchthausgefangene in einzelnen deutschen Staaten (Preußen, Hamburg [* 11] etc.) disziplinarisch der körperlichen Züchtigung unterliegen. Am häufigsten werden, je nach der Schwere des Falles, angewendet: Isolierung, Dunkelarrest, Hungerkost, Entziehung erlaubter Genüsse. Je geringer und seltener die Anwendung von Gewaltmitteln erforderlich wird, desto höher ist die Leistungsfähigkeit der Strafanstaltsdirektionen. Am weitesten ist man überall da gekommen, wo man die eigne bessere Einsicht der Gefangenen, ihr Ehrgefühl und die Aussicht auf Besserung ihrer Lage bei gutem Verhalten zur Grundlage der Gefängnisdisziplin genommen hat, womit die nötige Strenge sehr wohl vereinbart werden kann.
3) Die Vorsorge für Beschäftigung und Arbeit der Strafgefangenen. Bei kurz dauernden Freiheitsstrafen ist Beschäftigung der Gefangenen meistenteils unwirksam oder unthunlich. Bei längerer Haft aber ist sie geboten sowohl im Interesse der Sittlichkeit und Erziehung als auch aus verwaltungstechnischen und finanziellen Gründen. Hinsichtlich der Art der für Strafgefangene passenden Arbeitsleistungen kommen hauptsächlich in Betracht: Vorbildung, Gesundheit und Körperkraft der Gefangenen, voraussichtliche Nutzbarkeit des Erwerbszweigs nach der spätern Entlassung, Verwertbarkeit der ¶
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Produkte und finanzieller Vorteil für die Strafanstaltsverwaltung. Verwerflich ist die einseitige ökonomische Ausnutzung der Arbeitskräfte der Gefangenen und gleicherweise die Auffassung, welche die Arbeit dem Gefangenen als schwere Pein fühlbar machen und für den Abschreckungszweck ausnutzen will. Die hauptsächlichen Arten des Arbeitszwanges in den Strafanstalten sind: Rodungsarbeiten zu Urbarmachung von Ländereien (wie in den französischen Strafkolonien von Cayenne und Neukaledonien), [* 13] Erdbauarbeiten (Trockenlegung von Sümpfen, Ausgrabung von Kanälen, Hafenbauarbeiten, wie in den sogen. Bagnos der Italiener), Bergbauarbeiten (wie in den Metallgruben des Altai), ländliche Arbeit in Feldern und Wäldern, Hausarbeit, Handwerksarbeit, Kunstindustrie, Büreauarbeiten etc. In Deutschland ist überwiegend das niedere Handwerk, weil es leicht und rasch erlernt werden kann, zur Regel in den Strafanstalten geworden.
Doch findet sich auch in einzelnen größern Anstalten (z. B. zu Moabit und Bruchsal) Pflege der Kunstindustrie und gleicherweise ländliche Arbeit, welche das Gesetz an die Bedingung knüpft, daß Strafgefangene im Freien nur abgesondert von andern Arbeitern beschäftigt werden dürfen. Dieselbe Arbeit paßt nicht für alle; doch hat die ländliche Arbeit vor andern den Vorzug der größern Zuträglichkeit für die Gesundheit, weshalb sie für jugendliche Personen am geeignetsten ist. Da dieselbe jedoch nicht durch den ganzen Winter gleichmäßig und ununterbrochen durchgeführt werden kann, so muß zur Ergänzung derselben immer noch eine anderweitige Beschäftigung in Aussicht genommen werden.
Bei der Zuteilung zu bestimmten Arbeitszweigen ist auch auf die Neigung der Gefangenen selbst Rücksicht zu nehmen; sie können nicht zum Fleiß erzogen werden, wenn ihnen die Arbeit verleidet wird. Der Grundsatz, daß der Gefangene die Arbeit als sein eignes Interesse auffassen soll, kommt darin zum Ausdruck, daß dem Verurteilten ein Verdienstanteil (sogen. Pekulium) gewährt wird, welcher ihm teilweise bis zur Entlassung gutgeschrieben, teilweise zur freien Verfügung und zur Beschaffung kleinerer Genußmittel (besserer Beköstigung, Schnupftabak etc.) überlassen bleibt.
Die Einrichtung des Arbeitszwanges ist insofern verschieden, als zwei Systeme miteinander konkurrieren: dasjenige der eignen Unternehmung, nach welcher die Strafanstaltsverwaltung die Arbeitsprodukte selbst vertreibt und ihre Absetzung mit eigner Gefahr sucht (z. B. in Bruchsal), oder dasjenige der Arbeitsverdingung an größere Unternehmer, welche für die Benutzung der Arbeitskraft Gefangener der Strafanstaltsverwaltung eine bestimmte Vergütung bezahlen.
Keins dieser Systeme verdient vor dem andern unbedingt den Vorzug. Neuerdings hat man in Deutschland vielfach darüber geklagt, daß durch die wohlfeile Zuchthausarbeit eine unbillige Konkurrenz auf einzelnen Gebieten erwachse (Zigarren-, Goldleistenfabrikation etc.), und das Verlangen gestellt, daß der Staat nur für seine eignen Bedürfnisse in der Militärverwaltung arbeiten lassen solle. Doch hat eine 1878 vom deutschen Handelstag angestellte und von der preußischen Regierung unterstützte Untersuchung ergeben, daß die Bedeutung dieser Konkurrenz, wenn sie auch für einzelne Orte und Unternehmer schädlich wirkt, doch nicht die ihr anfänglich zugeschriebene große Bedeutung hat. 1885 zählte man in Preußen 26,900 Gefangene mit Arbeitszwang, nämlich Gefangene in Zuchthäusern und Gefängnissen, ferner Gefangene in geschärfter Haft und Korrigenden. Hiervon waren wirklich beschäftigt 21,294 Männer und 3609 Weiber, und zwar für den eignen Bedarf der Anstalten 5403 Männer und 831 Weiber, für eigne Rechnung derselben zum Verkauf 379 Männer, 360 Weiber, für Dritte gegen Lohn 15,512 Männer, 2774 Weiber. Der Arbeitsverdienst für Rechnung Dritter betrug 2,948,743 Mk., die Arbeitsprämien der Gefangenen (ein Sechstel des Arbeitsertrags) betrugen 489,795 Mk.
4) Die Vorsorge für religiöse, sittliche und geistige Bildung der Gefangenen. Der rechtlich-sittliche Charakter der Strafe kann nur denjenigen zum Bewußtsein gebracht werden, welche zur Einsicht in das von ihnen verübte Unrecht gelangt sind. Ein Teil der Verbrecher handelt aus vollkommen klarer, selbstbewußter Bosheit, alle Folgen der That im voraus erkennend; der bei weitem größere Teil aber fehlt aus sittlicher Schwäche, Irrtum, Stumpfheit, Unwissenheit, Unklarheit.
Die vergeltende Gerechtigkeit, welche das Schuldbewußtsein treffen will, verlangt daher ebensosehr wie die Rücksicht auf die Sicherheit der Rechtsordnung, daß dem Verbrecher sittliche Einflüsse zugänglich gemacht werden. Daher die Veranstaltungen der Seelsorge, des Schulunterrichts, der sich freilich in den weitaus meisten Fällen in dem Rahmen der Elementarschule bewegen muß, sowie die in neuester Zeit mit großem Nachdruck betonte Gründung von besondern Strafanstaltsbibliotheken.
Die Zweckbestimmung der Seelsorge ist teils aus den Grundsätzen der Strafrechtspflege, teils aus dem religiösen Bedürfnis der einzelnen Gefangenen zu entnehmen. Deswegen darf die Strafanstalt nicht für kirchliche Propaganda benutzt werden, ebensowenig sind dem einzelnen Gefangenen geistliche Amtshandlungen wider seinen Willen aufzudrängen. Übermäßiger Eifer der Geistlichkeit hat vielfach die Heuchelei in den Strafanstalten großgezogen, zumal wenn Geistliche in die Lage gebracht werden, Begnadigungsanträge zu befürworten.
Das übermäßige Vertrauen auf die Leistungsfähigkeit kirchlicher Amtsthätigkeit bewirkte, daß, zumal in katholischen Ländern, die Verwaltung der Strafanstalten geistlichen Kongregationen und Orden [* 14] übergeben wurde. Die protestantische Brüderschaft des Rauhen Hauses ward durch Friedrich Wilhelm IV. in die Verwaltung von Moabit berufen, obwohl die Mehrzahl der Sachverständigen nur mit Mißtrauen auf derartige Versuche blicken konnte und die in dieser Hinsicht angesammelten Erfahrungen gegen die Brauchbarkeit der Orden sprachen (vgl. v. Holtzendorff, Die Brüderschaft des Rauhen Hauses, ein protestantischer Orden im Staatsdienst, 1861).
5) Die passende Vorsorge für die Ernährung der Gefangenen. Hier gilt die Regel, daß Behaglichkeit, Luxus und Lebensgenuß auf Staatskosten bestraften Personen nicht gewährt werden dürfen. Anderseits muß der Gefangene so ernährt werden, daß er vor Krankheiten thunlichst bewahrt bleibt. Entziehung warmer Kost ist daher nur für kürzere Zeitfristen als Disziplinarstrafe zulässig. Im allgemeinen ist in der Mehrzahl der Strafanstalten die Beköstigung eine äußerst kärgliche und sogar unzulängliche, was Voit in wissenschaftlich-methodischer Untersuchung dargethan hat.
Die Vorsorge für Gesundheit, Körperpflege, Bildung, Arbeit und Ordnung der Gefangenen verlangt notwendig ein hinreichendes Gefängnispersonal und geschulte Kräfte zur Überwachung. In jedem größern Gefängnis sind daher erforderlich: ein das Ganze leitender Direktor, ein Gefängnisarzt, Geistlicher, ¶