mehr
entwürdigendes Bemühen, andern (insbesondere Mächtigern) »zu Gefallen zu leben«, um sich bei diesen einzuschmeicheln, eine Tugend.
entwürdigendes Bemühen, andern (insbesondere Mächtigern) »zu Gefallen zu leben«, um sich bei diesen einzuschmeicheln, eine Tugend.
die acceptierten Wechsel, welche insbesondere zur Wechselreiterei benutzt werden.
s. Grundgefällsteuer.
Im Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich erscheint die Befreiung von Gefangenen einmal unter den Vergehen des Widerstandes gegen die Staatsgewalt und dann als Verbrechen im Amt. Letzteres verübt der Beamte, welcher einen Gefangenen, dessen Beaufsichtigung oder Bewachung ihm anvertraut ist, vorsätzlich entweichen läßt oder dessen Befreiung vorsätzlich bewirkt oder befördert; die Beförderung oder Erleichterung durch Fahrlässigkeit wird dagegen nur als Vergehen bestraft (§ 347). Als Widerstand gegen die Staatsgewalt ist es mit Strafe bedroht, wenn jemand einen Gefangenen aus der Gefangenanstalt oder aus der Gewalt der bewaffneten Macht vorsätzlich befreit oder ihm zur Selbstbefreiung vorsätzlich behilflich ist, oder wenn jemand (Nichtbeamter) vorsätzlich oder fahrlässig einen Gefangenen, mit dessen Beaufsichtigung oder Begleitung er beauftragt ist, entweichen läßt oder dessen Befreiung befördert (§ 120, 121). Die Selbstbefreiung eines Gefangenen wird strafrechtlich nicht geahndet. Rotten sich aber Gefangene zu einem gemeinsamen Ausbruch zusammen, so tritt die Strafe der Meuterei (s. d.) ein. Für diejenigen Personen, welche dem Militärstrafgesetzbuch unterworfen sind, ist die Selbstbefreiung aus der Gefangenschaft unter allen Umständen strafbar.
Vgl. Deutsches Militärstrafgesetzbuch, § 79 f.
eines Menschen, d. h. die vorübergehende oder dauernde Entziehung der persönlichen Freiheit, kann nur dann als gerechtfertigt erscheinen, wenn der Gefangene das Recht auf die persönliche Freiheit irgendwie verwirkt und der ihn gefangen Haltende hierzu ein Recht hat. Eine derartige Befugnis kann auf verschiedene Weise, sei es in einer amtlichen Stellung, sei es in einem Züchtigungsrecht, sei es durch die Fürsorge für einen Geisteskranken oder durch die Ergreifung und vorläufige Festnahme eines Verbrechers, begründet sein.
Fehlt es an einer solchen Befugnis, so erscheint die Gefangenhaltung als ein widerrechtlicher Eingriff in die persönliche Freiheit und, wofern sie sich nicht etwa als das Verübungsmittel eines anderweiten Verbrechens darstellt, schon an und für sich als strafbares Vergehen. Das deutsche Reichsstrafgesetzbuch (§ 239) straft denjenigen, welcher vorsätzlich und widerrechtlich einen Menschen einsperrt oder auf andre Weise des Gebrauchs der persönlichen Freiheit beraubt, mit Gefängnis bis zu fünf Jahren.
Hat aber die Freiheitsentziehung über eine Woche gedauert, oder ward dadurch eine schwere Körperverletzung des der Freiheit Beraubten verursacht, so tritt Zuchthausstrafe bis zu zehn Jahren und bei mildernden Umständen Gefängnisstrafe nicht unter einem Monat ein. Besonders strafbar erscheint es, wenn die widerrechtliche Gefangenhaltung von einem Beamten ausgeht. Es soll dann die Bestrafung zwar nach Maßgabe des § 239 erfolgen, aber mindestens eine Gefängnisstrafe von drei Monaten eintreten (§ 341). Auch kann in letzterm Fall neben der Gefängnisstrafe auf Verlust der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter auf die Dauer von einem bis zu fünf Jahren erkannt werden.
s. Gefängniswesen.
im weitesten Sinn s. v. w. Freiheitsstrafe (s. d.); im engern und eigentlichen Sinn im Strafensystem des deutschen Strafgesetzbuchs eine minder schwere Art der Freiheitsstrafe von an und für sich nicht entehrendem Charakter. Die Gefängnisstrafe, welche leichter als die Zuchthausstrafe und schwerer als die Festungshaft und die einfache Haft ist, wenn auch die Dauer der Festungshaft zumeist eine längere sein wird, kann in einem Minimum von einem Tag und in einem Maximum von fünf Jahren erkannt werden.
Acht Monate Zuchthaus werden einer einjährigen Gefängnisstrafe und acht Monate Gefängnisstrafe einer einjährigen Festungshaft gleich erachtet. Die Gefängnisstrafe unterscheidet sich von der Zuchthausstrafe hauptsächlich durch die Art und Weise der Beschäftigung. Letztere ist bei der Zuchthausstrafe eine zwangsweise, auch können die Zuchthaussträflinge zu Arbeiten außerhalb der Anstalt verwendet werden. Die Zuchthaussträflinge müssen, die Gefängnissträflinge können beschäftigt werden und zudem nur auf eine ihren Fähigkeiten und Verhältnissen angemessene Weise und außerhalb der Anstalt nur mit ihrer Zustimmung.
Auf Verlangen sind die zu Gefängnisstrafe Verurteilten in der angegebenen Weise zu beschäftigen. Die Gefängnisstrafe kann ganz oder teilweise in Einzelhaft vollzogen werden. Ein zu längerer Gefängnisstrafe Verurteilter kann, nachdem er drei Vierteile der Strafe, mindestens aber ein Jahr verbüßt und sich während dieser Zeit gut geführt hat, mit seiner Zustimmung durch die Justizaufsichtsbehörde auf Widerruf vorläufig entlassen werden (sogen. Beurlaubungssystem). Von Militärpersonen wird die Gefängnisstrafe nach dem deutschen Militärstrafgesetzbuch bis zur Dauer von sechs Wochen seitens der Offiziere, Ärzte und obern Militärbeamten in den für den geschärften Stubenarrest, seitens der Mannschaften vom Feldwebel abwärts in den für gelinden Arrest bestimmten Lokalen und nach Maßgabe dieser Strafarten verbüßt.
Beschäftigung der Gefangenen zu militärischen Zwecken und unter militärischer Aufsicht kann bei den Militärpersonen vom Feldwebel abwärts jederzeit eintreten und muß auf Verlangen bei Offizieren wie Mannschaft erfolgen. Gefängnis von mehr als sechs Wochen wird in den Festungsgefängnissen ähnlich dem frühern Festungsarrest, resp. der Festungsstrafe verbüßt, für die Beschäftigung der Gefangenen gilt das oben Gesagte. Unteroffiziere, die ihre Uniform wie bei der Truppe behalten, und untere Militärbeamte, die auch Zivilkleidung tragen können, werden von den Gemeinen stets gesondert gehalten und zu bloßen Handleistungen nur mit ihrem Einverständnis und nur in geschlossenen Räumen verwendet.
Die Erlöse eigner Beschäftigung außer der dienstlich angeordneten verbleiben den Gefangenen und werden bis nach verbüßter Strafe für sie verwaltet. Bei Strafen bis zu sechs Wochen Dauer behalten Militärs ihren Gehalt unverkürzt. Bei Gefängnisstrafe von mehr als fünfjähriger Dauer kann auch auf Entfernung aus dem Heer oder der Marine erkannt werden, womit die Strafvollstreckung an die bürgerlichen Behörden übergeht.
Vgl. Deutsches Strafgesetzbuch, § 16, 21 ff.; Militärstrafgesetzbuch, § 16 ff.; Preußisches Reglement vom über den Vollzug der Untersuchungshaft, Gefängnis- und Haftstrafen.
s. Gefängniswesen.
der Inbegriff aller auf die Freiheitsentziehung bezüglichen staatlichen Anstalten und Einrichtungen. Die Hauptgestaltungen desselben ergeben sich daher in Gemäßheit der Gründe, aus welchen von Staats wegen die Freiheit eines Menschen aufgehoben werden kann. Die wichtigsten unter diesen Gründen sind:
1) Die Verhinderung des Feindes an der fernern Teilnahme am Krieg, so daß man auch
diejenigen Veranstaltungen, welche zur Festhaltung von Kriegsgefangenen getroffen werden, im weitesten Sinn zu den Gefängnisanstalten rechnen kann. Obwohl ursprünglich der Name eines Gefangenen gerade aus der Thatsache der kriegerischen Gewalt entnommen ist, so denkt man bei der Seltenheit der Kriege gegenwärtig nicht mehr an diese gelegentliche und vorübergehende Zweckbestimmung; wohl aber waren noch im Mittelalter, zusammenhängend mit dem Fehdewesen, weitaus die meisten Burgkerker und Burgverliese als Gefängnisse gegen den entwaffneten Feind eingerichtet.
2) Zum Zweck des Zwanges gegen widerwillige oder unvermögende Schuldner dienten die Schuldgefängnisse. Dieselben haben jedoch überall, wo die persönliche Schuldhaft als Exekutionsmittel beseitigt worden ist (Frankreich 1867, Deutschland 1868, bez. 1871, Österreich 1868, England 1869, Belgien 1871), ihre Bedeutung eingebüßt.
3) Zum Zweck der vorläufigen Haftnahme verdächtiger Personen dienen die nur für vorübergehende Einsperrung bestimmten sogen. Polizeigefängnisse oder Arresthäuser.
4) Zum Zweck der Sicherstellung des Strafverfahrens gegen den Angeschuldigten, Verdächtigen oder Angeklagten dienen die Untersuchungsgefängnisse, welche regelmäßig als ein Zubehör der Kriminalgerichte erscheinen. Da nach dem Grundzweck des Kriminalverfahrens die persönliche Freiheit nicht verurteilter Personen nur für kürzere Zeit, und soweit dies unumgänglich nötig ist, beschränkt werden darf, sind die Untersuchungsgefängnisse gleichfalls nicht für längern Verbleib der Inhaftierten eingerichtet.
Als Grundsatz gilt, daß Untersuchungsgefangene niemals mit Strafgefangenen in denselben Räumen verwahrt werden sollen, und daß ihre Freiheit nur so weit einzuschränken ist, als dieses der Zweck der Voruntersuchung notwendig macht. So darf ihnen z. B. Selbstbeköstigung und Lektüre nicht entzogen, der Gefangene darf ohne Not nicht gefesselt werden, es ist ihm der Verkehr mit seinem Verteidiger zu gestatten etc. Die Untersuchungshaft kann in Deutschland vom Richter bei Erkennung der Freiheitsstrafe ganz oder teilweise in Anrechnung gebracht werden.
5) Zum Zweck der Bestrafung rechtskräftig verurteilter Personen dienen die Strafgefängnisse oder Strafanstalten.
Weitaus die größte Zahl der Gefängnisse sind heute Strafgefängnisse. Sie sind verhältnismäßig modernen Ursprungs und stehen im geschichtlichen Zusammenhang mit dem Aufkommen der Freiheitsstrafe als des seitdem Ende des vorigen Jahrhunderts üblich gewordenen Hauptstrafmittels. Dem Altertum waren zwar Untersuchung- und Schuldgefängnisse, keineswegs aber Strafgefängnisanstalten bekannt, welche mit den heutigen Einrichtungen irgendwie verglichen werden könnten.
Bis in das 16. Jahrh. hinein findet sich überall nur eine gelegentliche Erwähnung von Freiheits- und Gefängnisstrafen außerhalb der dem römischen Recht bereits bekannten Zwangsarbeits- und Verbannungsstrafe. Für geringe Verstöße gegen die gesetzliche Ordnung blieb nichts übrig als die Anwendung von Geldbußen oder körperlicher Züchtigung. Doch paßte die erstere nicht für Zahlungsunfähige, letztere blieb erfahrungsmäßig meist wirkungslos.
Schon aus dem Mittelalter war eine Klasse von Missethätern auf die nachfolgenden Jahrhunderte vererbt worden: fahrende Leute als Bettler, Landstreicher, Gauner. Gerade gegen diese Klasse war man eines bessern Schutzes bedürftig. So entstanden mit Erstarkung der Polizeigewalt seit dem Ende des 16. Jahrh. die Zuchthäuser oder Besserungsanstalten. In Deutschland ließ, da von Reichs wegen nichts geschehen konnte, die Landeshoheit sich die Einrichtung der Zuchthäuser angelegen sein.
Lübeck (1613) und Hamburg (1618) scheinen zuerst das in Amsterdam gegebene Beispiel (1595) nachgeahmt zu haben. Von den Hansestädten aus verbreiteten sich die Zuchthäuser über Mittel- und Süddeutschland, nachdem der Dreißigjährige Krieg die Zahl der Landstreicher gewaltig vermehrt hatte. Neben den Zuchthäusern, welche nur auf die minder schweren, polizeilich zu behandelnden Gesetzwidrigkeiten Anwendung finden sollten, bildeten sich allmählich, aus der Nachahmung der südländischen Galeerenstrafe hervorgegangen und auf bauliche Zwecke berechnet, die Ketten- und Karrenstrafe und dann die Festungsstrafe.
In der Mitte des vorigen Jahrhunderts waren Strafanstalten unter mannigfachen Bezeichnungen bereits über Europa verbreitet. Über ihren überaus mangelhaften Zustand berichtete die Schrift des Engländers Howard: »Über den Zustand der Gefängnisse in England und Wales, mit einleitenden Bemerkungen und einem Bericht von einigen fremden Gefängnissen« (1777; deutsch von Köster, 1780), welche durch ihre herzergreifende Schilderung des jammervollen Gefängnislebens großes Aufsehen erregte und auch zur Reform des Gefängniswesens Anlaß gab.
Seit dieser Zeit ist die Bedeutung des Gefängniswesens dadurch gewachsen, daß gänzlich veränderte Begriffe von der Aufgabe der Strafrechtspflege in der Gesetzgebung zur Geltung gelangten, zahlreiche früher üblich gewesene Strafmittel abgeschafft wurden, insbesondere aber die Todesstrafe entweder gänzlich aufhörte, oder doch auf eine geringere Zahl von Missethaten Anwendung fand. Die Freiheitsstrafen sind gegenwärtig überall zur Hauptstrafe des Kriminalrechts geworden. Außerdem lernte man seit Howard begreifen, daß eine fehlerhafte Einrichtung der Gefängnisse gleichsam eine Selbstbestrafung der Gesellschaft zur Folge hat. Die Verwaltung der Strafanstalten wurde vereinfacht, die Zahl der verschiedenen Freiheitsstrafarten vermindert und die Gefängnisse den heutigen Gesellschaftszuständen mehr angepaßt.
Vor 1870 bestanden in Deutschland vier Hauptgattungen von Strafanstalten:
1) Zuchthäuser, die aus polizeilichen Besserungsanstalten nach und nach zu Strafhäusern für die schwersten Verbrecher umgewandelt worden waren;
2) Arbeitshäuser zur Vollstreckung der in einzelnen deutschen Staaten ehemals gesetzlich verordneten Arbeitshausstrafen;
3) Festungshaft und 4) Gefängnisse im engern Sinn. Die gegenwärtige Einrichtung des Gefängniswesens ist folgende. Die Anstalten, in denen Freiheitsstrafen vollzogen werden, unterscheiden sich: Mit Rücksicht auf die gesetzliche Abstufung der Freiheitsstrafen. Das deutsche Reichsstrafgesetzbuch unterscheidet:
1) Zuchthausstrafe, welche teils lebenslänglich, teils zeitig (mindestens 1 Jahr, höchstens 15) erkannt werden kann. Mit gewissen Ehrenfolgen (z. B. Unfähigkeit zum Heerdienst) verbunden, fordert die Zuchthausstrafe notwendig den Arbeitszwang; die Verurteilten werden zu den in der Strafanstalt eingeführten Arbeiten innerhalb wie außerhalb derselben angehalten.
2) Gefängnisstrafe, welche, von Ausnahmen abgesehen, für den Zeitraum von 1 Tag bis zu 5 Jahren erkannt werden kann. Die Verurteilten können nach dem Ermessen der vollstreckenden Behörde (außerhalb der Anstalt jedoch nur mit ihrer Zustimmung) und müssen auf ihr Verlangen auf eine ihren Fähigkeiten entsprechende Weise beschäftigt werden.
3) Festungshaft (lebenslänglich oder zeitig, von 1 Tag bis zu 15 Jahren), bestehend in
Freiheitsentziehung mit Beaufsichtigung der Beschäftigung und Lebensweise der Verurteilten. Die Vollstreckung erfolgt entweder in Festungen oder in andern dazu bestimmten Räumen.
4) Haft, für eine Zeitfrist von höchstens sechs Wochen und mindestens einem Tag, bestehend in einfacher Freiheitsentziehung. Die Bezeichnungen für diejenigen Anstalten, in denen die Gefängnisstrafe oder die Haft vollstreckt wird, sind in den einzelnen deutschen Ländern verschieden. Außer den für die Vollstreckung einer richterlich erkannten Strafe bestimmten Anstalten bestehen:
5) Untersuchungsgefängnisse und 6) Polizeiliche Korrektionsanstalten (vgl. Arbeitshäuser), in welchen auf Grund des § 362 gewisse Personen nach verbüßter Strafe durch die Landespolizeibehörde untergebracht werden können (Bettler, Landstreicher, Prostituierte). Verschiedene Strafarten, z. B. Gefängnis und Haft, können in verschiedenen Abteilungen und Räumlichkeiten eines und desselben Gebäudes vollstreckt werden. II. Mit Rücksicht auf die bürgerliche Stellung der Verurteilten.
Hiernach sind die Anstalten für militärische Personen (Arrest etc.) gesondert von denjenigen für nicht militärische Verbrecher. Das Strafgesetzbuch für das deutsche Heer enthält die nähern Bestimmungen. III. Mit Rücksicht auf das Geschlecht der Verurteilten. Weiber und Männer sind überall getrennt zu halten, wobei es der Verwaltung überlassen bleibt, entweder eigne Gefängnisse für Weiber zu bestimmen, oder für die räumliche Trennung der Geschlechter innerhalb eines und desselben Gebäudes Sorge zu tragen.
IV. Mit Rücksicht auf das Lebensalter der Verurteilten. Das Gesetz verbietet ausdrücklich die Gemeinschaft jugendlicher Personen im Alter unter 18 Jahren mit ältern Delinquenten und erlaubt außerdem, daß jugendliche Verbrecher, wenn sie wegen mangelnder Einsicht freigesprochen sind, durch den Richter einer Erziehungs- und Besserungsanstalt überwiesen werden dürfen, um dort nach dem Ermessen der vorgesetzten Verwaltungsbehörde, jedoch nicht über das vollendete 20. Lebensjahr hinaus, zu verbleiben.
Vorausgesetzt ist dabei, daß derartige Besserungsanstalten in der Hauptsache von Privaten oder von mildthätigen Vereinen unterhalten werden, was bis jetzt nur in sehr unzureichender Weise der Fall ist, so daß Deutschland in dieser Hinsicht hinter andern Ländern (England, Holland, Belgien, Frankreich, Schweiz und Nordamerika) weit zurücksteht. V. Der Hauptunterschied in der Gestaltung der in Deutschland gesetzlich vorgezeichneten Strafanstalten ergibt sich aus der Beschaffenheit des Systems, nach welchem die Freiheitsstrafe vollstreckt wird. Ehe eine Beschreibung der sogen. Haftsysteme gegeben werden kann, ist auf diejenigen Einrichtungen einzugehen, welche allen Strafanstalten gemeinsam sind.
Über den Grundgedanken, welcher in der Vollstreckung der Strafe leitend sein soll, hat das Strafgesetz sich nicht ausgesprochen. Nur das eine ist gewiß, daß jede Anstalt der Anforderung der Sicherheit so weit genügen muß, daß das Entweichen der Gefangenen durch bauliche Einrichtung und geeignete Überwachung wirksam verhindert wird. Abgesehen hiervon, bleibt es ungewiß, ob bei dem Vollzug der Freiheitsstrafen zu allererst dem Zweck der Abschreckung, der vergeltenden Gerechtigkeit oder der Sühne Genüge geschehen soll.
Der Persönlichkeit der leitenden Beamten ist in dieser Hinsicht alles überlassen. Ein Gesetz über die Einrichtung des Gefängniswesens fehlt in Deutschland, obwohl der Reichstag ein solches als notwendige Ergänzung der Strafrechtseinheit bezeichnet hat. Zwar ist ein Strafvollstreckungsgesetz von einer Sachverständigenkommission zu Berlin infolge dieser Anregungen ausgearbeitet worden, der Entwurf ist jedoch bisher noch nicht an den Reichstag gelangt.
Einzelne Staaten, wie Baden, Bayern u. a., haben eigne Strafvollzugsgesetze, andre, wie Preußen, haben alles den Verwaltungsbehörden überlassen, so daß hier außer dem Namen der Freiheitsstrafe schlechthin alles gesetzlich unbestimmt geblieben ist. Im großen und ganzen überwiegen jedoch in den deutschen Strafanstalten zwei Anschauungen: einmal, daß durch die Gerechtigkeit eine thunlichst gleiche Behandlung aller derselben Strafanstalt zugewiesenen Verbrecher gefordert wird, und sodann, daß die Rücksicht auf die Sicherheit der staatlichen Ordnung gebietet, neben der Empfindlichkeit des Strafübels auch dafür zu sorgen, daß der bestrafte Verbrecher gegen Rückfälligkeit durch bessernde Behandlung sittlich gekräftigt werde.
Das mindeste, was der Staat zu leisten hat, ist die Vorsorge, daß der Bestrafte nicht etwa moralisch verschlechtert werde. Daraus ergibt sich:
1) Vorsorge für die leibliche Gesundheit der Gefangenen durch richtige Auswahl der örtlichen Lage der Strafanstalt, durch Beschaffung guten Trinkwassers, der notwendigen Einrichtungen für Ventilation, Heizung, körperliche Reinlichkeit, Bewegung im Freien, Krankenpflege etc. Die Technik des Gefängnisbaues hat zwar große Fortschritte gemacht; doch bestehen in Deutschland noch viele ältere, gesundheitsschädliche Gefängnisse. Die Statistik der Todesfälle und Erkrankungen weist erhebliche Verschiedenheiten in den einzelnen Anstalten auf.
2) Die Vorsorge für die Aufrechthaltung der äußern Ordnung und Disziplin in den Strafanstalten. Der Gefangene muß fühlen, daß er einer Zwangsgewalt unterworfen ist und sich einer in allen Einzelheiten bestimmten Hausordnung fügen muß. Zur Aufrechthaltung der Ordnung hat jede Strafanstalt auch die Befugnis zur disziplinaren Bestrafung Widersetzlicher und Ungehorsamer. Verwerflich ist nach der in Deutschland herrschend gewordenen Anschauung die beschimpfende Prügelstrafe, obwohl sich gelegentlich noch Verteidiger dafür finden und Zuchthausgefangene in einzelnen deutschen Staaten (Preußen, Hamburg etc.) disziplinarisch der körperlichen Züchtigung unterliegen. Am häufigsten werden, je nach der Schwere des Falles, angewendet: Isolierung, Dunkelarrest, Hungerkost, Entziehung erlaubter Genüsse. Je geringer und seltener die Anwendung von Gewaltmitteln erforderlich wird, desto höher ist die Leistungsfähigkeit der Strafanstaltsdirektionen. Am weitesten ist man überall da gekommen, wo man die eigne bessere Einsicht der Gefangenen, ihr Ehrgefühl und die Aussicht auf Besserung ihrer Lage bei gutem Verhalten zur Grundlage der Gefängnisdisziplin genommen hat, womit die nötige Strenge sehr wohl vereinbart werden kann.
3) Die Vorsorge für Beschäftigung und Arbeit der Strafgefangenen. Bei kurz dauernden Freiheitsstrafen ist Beschäftigung der Gefangenen meistenteils unwirksam oder unthunlich. Bei längerer Haft aber ist sie geboten sowohl im Interesse der Sittlichkeit und Erziehung als auch aus verwaltungstechnischen und finanziellen Gründen. Hinsichtlich der Art der für Strafgefangene passenden Arbeitsleistungen kommen hauptsächlich in Betracht: Vorbildung, Gesundheit und Körperkraft der Gefangenen, voraussichtliche Nutzbarkeit des Erwerbszweigs nach der spätern Entlassung, Verwertbarkeit der
Produkte und finanzieller Vorteil für die Strafanstaltsverwaltung. Verwerflich ist die einseitige ökonomische Ausnutzung der Arbeitskräfte der Gefangenen und gleicherweise die Auffassung, welche die Arbeit dem Gefangenen als schwere Pein fühlbar machen und für den Abschreckungszweck ausnutzen will. Die hauptsächlichen Arten des Arbeitszwanges in den Strafanstalten sind: Rodungsarbeiten zu Urbarmachung von Ländereien (wie in den französischen Strafkolonien von Cayenne und Neukaledonien), Erdbauarbeiten (Trockenlegung von Sümpfen, Ausgrabung von Kanälen, Hafenbauarbeiten, wie in den sogen. Bagnos der Italiener), Bergbauarbeiten (wie in den Metallgruben des Altai), ländliche Arbeit in Feldern und Wäldern, Hausarbeit, Handwerksarbeit, Kunstindustrie, Büreauarbeiten etc. In Deutschland ist überwiegend das niedere Handwerk, weil es leicht und rasch erlernt werden kann, zur Regel in den Strafanstalten geworden.
Doch findet sich auch in einzelnen größern Anstalten (z. B. zu Moabit und Bruchsal) Pflege der Kunstindustrie und gleicherweise ländliche Arbeit, welche das Gesetz an die Bedingung knüpft, daß Strafgefangene im Freien nur abgesondert von andern Arbeitern beschäftigt werden dürfen. Dieselbe Arbeit paßt nicht für alle; doch hat die ländliche Arbeit vor andern den Vorzug der größern Zuträglichkeit für die Gesundheit, weshalb sie für jugendliche Personen am geeignetsten ist. Da dieselbe jedoch nicht durch den ganzen Winter gleichmäßig und ununterbrochen durchgeführt werden kann, so muß zur Ergänzung derselben immer noch eine anderweitige Beschäftigung in Aussicht genommen werden.
Bei der Zuteilung zu bestimmten Arbeitszweigen ist auch auf die Neigung der Gefangenen selbst Rücksicht zu nehmen; sie können nicht zum Fleiß erzogen werden, wenn ihnen die Arbeit verleidet wird. Der Grundsatz, daß der Gefangene die Arbeit als sein eignes Interesse auffassen soll, kommt darin zum Ausdruck, daß dem Verurteilten ein Verdienstanteil (sogen. Pekulium) gewährt wird, welcher ihm teilweise bis zur Entlassung gutgeschrieben, teilweise zur freien Verfügung und zur Beschaffung kleinerer Genußmittel (besserer Beköstigung, Schnupftabak etc.) überlassen bleibt.
Die Einrichtung des Arbeitszwanges ist insofern verschieden, als zwei Systeme miteinander konkurrieren: dasjenige der eignen Unternehmung, nach welcher die Strafanstaltsverwaltung die Arbeitsprodukte selbst vertreibt und ihre Absetzung mit eigner Gefahr sucht (z. B. in Bruchsal), oder dasjenige der Arbeitsverdingung an größere Unternehmer, welche für die Benutzung der Arbeitskraft Gefangener der Strafanstaltsverwaltung eine bestimmte Vergütung bezahlen.
Keins dieser Systeme verdient vor dem andern unbedingt den Vorzug. Neuerdings hat man in Deutschland vielfach darüber geklagt, daß durch die wohlfeile Zuchthausarbeit eine unbillige Konkurrenz auf einzelnen Gebieten erwachse (Zigarren-, Goldleistenfabrikation etc.), und das Verlangen gestellt, daß der Staat nur für seine eignen Bedürfnisse in der Militärverwaltung arbeiten lassen solle. Doch hat eine 1878 vom deutschen Handelstag angestellte und von der preußischen Regierung unterstützte Untersuchung ergeben, daß die Bedeutung dieser Konkurrenz, wenn sie auch für einzelne Orte und Unternehmer schädlich wirkt, doch nicht die ihr anfänglich zugeschriebene große Bedeutung hat. 1885 zählte man in Preußen 26,900 Gefangene mit Arbeitszwang, nämlich Gefangene in Zuchthäusern und Gefängnissen, ferner Gefangene in geschärfter Haft und Korrigenden. Hiervon waren wirklich beschäftigt 21,294 Männer und 3609 Weiber, und zwar für den eignen Bedarf der Anstalten 5403 Männer und 831 Weiber, für eigne Rechnung derselben zum Verkauf 379 Männer, 360 Weiber, für Dritte gegen Lohn 15,512 Männer, 2774 Weiber. Der Arbeitsverdienst für Rechnung Dritter betrug 2,948,743 Mk., die Arbeitsprämien der Gefangenen (ein Sechstel des Arbeitsertrags) betrugen 489,795 Mk.
4) Die Vorsorge für religiöse, sittliche und geistige Bildung der Gefangenen. Der rechtlich-sittliche Charakter der Strafe kann nur denjenigen zum Bewußtsein gebracht werden, welche zur Einsicht in das von ihnen verübte Unrecht gelangt sind. Ein Teil der Verbrecher handelt aus vollkommen klarer, selbstbewußter Bosheit, alle Folgen der That im voraus erkennend; der bei weitem größere Teil aber fehlt aus sittlicher Schwäche, Irrtum, Stumpfheit, Unwissenheit, Unklarheit.
Die vergeltende Gerechtigkeit, welche das Schuldbewußtsein treffen will, verlangt daher ebensosehr wie die Rücksicht auf die Sicherheit der Rechtsordnung, daß dem Verbrecher sittliche Einflüsse zugänglich gemacht werden. Daher die Veranstaltungen der Seelsorge, des Schulunterrichts, der sich freilich in den weitaus meisten Fällen in dem Rahmen der Elementarschule bewegen muß, sowie die in neuester Zeit mit großem Nachdruck betonte Gründung von besondern Strafanstaltsbibliotheken.
Die Zweckbestimmung der Seelsorge ist teils aus den Grundsätzen der Strafrechtspflege, teils aus dem religiösen Bedürfnis der einzelnen Gefangenen zu entnehmen. Deswegen darf die Strafanstalt nicht für kirchliche Propaganda benutzt werden, ebensowenig sind dem einzelnen Gefangenen geistliche Amtshandlungen wider seinen Willen aufzudrängen. Übermäßiger Eifer der Geistlichkeit hat vielfach die Heuchelei in den Strafanstalten großgezogen, zumal wenn Geistliche in die Lage gebracht werden, Begnadigungsanträge zu befürworten.
Das übermäßige Vertrauen auf die Leistungsfähigkeit kirchlicher Amtsthätigkeit bewirkte, daß, zumal in katholischen Ländern, die Verwaltung der Strafanstalten geistlichen Kongregationen und Orden übergeben wurde. Die protestantische Brüderschaft des Rauhen Hauses ward durch Friedrich Wilhelm IV. in die Verwaltung von Moabit berufen, obwohl die Mehrzahl der Sachverständigen nur mit Mißtrauen auf derartige Versuche blicken konnte und die in dieser Hinsicht angesammelten Erfahrungen gegen die Brauchbarkeit der Orden sprachen (vgl. v. Holtzendorff, Die Brüderschaft des Rauhen Hauses, ein protestantischer Orden im Staatsdienst, 1861).
5) Die passende Vorsorge für die Ernährung der Gefangenen. Hier gilt die Regel, daß Behaglichkeit, Luxus und Lebensgenuß auf Staatskosten bestraften Personen nicht gewährt werden dürfen. Anderseits muß der Gefangene so ernährt werden, daß er vor Krankheiten thunlichst bewahrt bleibt. Entziehung warmer Kost ist daher nur für kürzere Zeitfristen als Disziplinarstrafe zulässig. Im allgemeinen ist in der Mehrzahl der Strafanstalten die Beköstigung eine äußerst kärgliche und sogar unzulängliche, was Voit in wissenschaftlich-methodischer Untersuchung dargethan hat.
Die Vorsorge für Gesundheit, Körperpflege, Bildung, Arbeit und Ordnung der Gefangenen verlangt notwendig ein hinreichendes Gefängnispersonal und geschulte Kräfte zur Überwachung. In jedem größern Gefängnis sind daher erforderlich: ein das Ganze leitender Direktor, ein Gefängnisarzt, Geistlicher,
Schullehrer, Betriebsinspektor und eine im Verhältnis zur Zahl der Verurteilten ausreichende Mannschaft von Wärtern, abgesehen von den für den äußern Sicherheitsdienst bestimmten Militärwachen. Ein tüchtiges Gefängnispersonal zu finden, ist ungemein schwer. Die Befähigung zum Gefängnisdienst läßt sich erst durch Erprobung feststellen, daher alle Merkzeichen äußerer Art, wie etwa Stand, Kirchlichkeit der Gesinnung, militärische Vorbildung, ziemlich wertlos sind.
Von Bedeutung ist, daß in neuester Zeit die Notwendigkeit planmäßiger Schulung der Gefängnisbeamten deutlicher erkannt wird als ehemals. In Schweden und Italien sind durch Almquist und Beltrani Fachschulen gegründet worden. Der Schweizer Guillaume trat dafür nachdrücklich ein. Demnach erscheint es als ein Krebsschade der amerikanischen Gefängnisse, daß das Aufsichtspersonal je nach dem Stande der Parteiherrschaft in kürzern Zeiträumen gewechselt wird.
Selbstverständlich muß die Geschäftsordnung des Strafanstaltsdienstes ihren Abschluß finden in der Verantwortlichkeit der Beamten und in ausreichenden Maßregeln der Aufsicht. Besonders hat sich die Bestellung verantwortlicher Generalinspektoren als eigne und einheitliche Zentralstelle für die Gefängnisverwaltung bewährt, weil ein unermeßliches Erfahrungsmaterial zu seiner Beherrschung eine besondere Kraft fordert und ein ununterbrochener persönlicher Verkehr mit den Gefängnisdirektoren an Stelle des rein aktenmäßigen Geschäftsganges erforderlich ist. Schweden, Dänemark, Italien, England, Holland etc. besitzen eine derartige Amtsstelle, die in Deutschland zum Schaden des Gefängniswesens bis jetzt fehlt.
Der wichtigste Streitpunkt in der Einrichtung des Gefängniswesens betrifft das Haftsystem, welches der Vollstreckung der Freiheitsstrafen zu Grunde gelegt werden soll. Bei der Untersuchung über die Zweckmäßigkeit der Haftsysteme fragt es sich erstlich, wie sich die äußern Anstalten zu den Prinzipien des Strafrechts (Abschreckung und Besserung) verhalten, und zweitens, welche Wirkungen die Freiheitsstrafen in der Person des Verurteilten nach dessen Entlassung aufweisen.
Schon vor Howard war die Wahrnehmung gemacht worden, daß eine mangelhafte Gestaltung des Gefängniswesens nicht nur mit Ungerechtigkeiten gegen den Verbrecher, sondern auch mit schweren Benachteiligungen der öffentlichen Ordnung im unmittelbaren ursachlichen Zusammenhang stehe. Man bemerkte, daß zur Herstellung eines guten Gefängniswesens dreierlei erfordert werde: eine klare Erkenntnis der Grundsätze, welche die Strafvollziehung beherrschen, eine darauf beruhende Thätigkeit persönlicher Kräfte der Strafanstaltsbeamten und eine bestimmte Methode der Behandlung, welche durch die äußern und technischen Formen der Gefängnisbauten zu unterstützen ist.
Das Strafurteil des Richters enthält immer nur eine allgemeine Bestimmung, während die Strafe selbst je nach der Art ihrer Ausführung eine sehr verschiedene sein kann. Somit gelangt man zur Frage: wie und in welcher Weise die Freiheitsstrafen vollstreckt werden sollen. Negativ steht dabei fest, daß die Entscheidung darüber weder dem Belieben des Strafrichters noch auch dem Gutdünken der Gefängnisdirektoren überlassen bleiben darf. Schwieriger als die Feststellung der Negative ist aber die Entscheidung der Fragen: welches System das beste sei; ob überhaupt ein einziges System allen Freiheitsstrafen zu Grunde gelegt werden könne, oder ob mehrere Systeme nebeneinander anzuwenden seien. Zu Howards Zeiten begnügte man sich damit, alle Verbrecher ohne Unterschied in gewissen Räumlichkeiten zusammenzusperren. Die Erkenntnis der damit verbundenen Übelstände war die Grundlage der seitdem begonnenen und noch gegenwärtig nicht zum Abschluß gekommenen Gefängnisreformbestrebungen. Der Reihe nach sind folgende Haftsysteme aufgestellt und angewendet worden:
1) Das Gemeinschafts- oder Associationssystem, welches die schreienden Übelstände der zu gegenseitiger Verschlechterung führenden Sträflingsgemeinschaft dadurch zu heben sucht, daß es auf Grund äußerlicher Merkmale gleichartige Gruppen der Gefangenen bildet, denen bestimmte Behandlungsweisen angepaßt werden sollen. Die hauptsächlichsten Merkmale der Klassifikation waren, abgesehen von Geschlecht und Alter: Zeitdauer der Verurteilung, Art des Verbrechens, Rückfälligkeit und Zahl der Vorbestrafungen, Bildung, körperliche Leistungsfähigkeit für die Zwecke der Strafanstaltsarbeit, Gesundheitszustand etc. War auch die Klassifikation als ein Fortschritt zu betrachten, so erkannte man doch bald, daß solche Unterscheidungen bis ins Endlose vervielfältigt werden können, und dann, daß es keine sichern Kennzeichen für den moralischen Zustand derer gibt, welche in eine Strafanstalt eingeliefert werden. Nicht wenige Anstalten in Europa und Amerika gehören noch diesem unhaltbaren System der klassifizierten Gemeinschaft an, bei welchem auch zur Nachtzeit die Gefangenen ungetrennt bleiben.
2) Das Isolier- oder Zellensystem, nach seinem ersten Entstehungsgebiet auch früher das pennsylvanische genannt. Seine Negative ist: völlige Aufhebung jeder Gemeinschaft unter Gefangenen, daher Trennung der Gefangenen bei Tag und bei Nacht, vermittelt durch einen Zellenbau. Kein Gefangener darf den andern sehen, daher der Gebrauch der sogen. Schildmützen oder Masken, wenn sich die Gefangenen zum Gottesdienst, zur Schule oder zu Spaziergängen ins Freie begeben.
Durch bauliche Vorrichtungen eigner Art ist die Trennung auch in der Kirche, im Schulzimmer und in den sogen. Spazierhöfchen durchgeführt. Als moderne Baumuster (vielfach nach panoptischem Plan) sind in dieser Hinsicht zu nennen: Bruchsal, Moabit, Löwen, Nürnberg. Als sogen. modifizierte Einzelhaft erscheint dies System da, wo die Trennung lediglich durch die Zelle vermittelt wird, dagegen Gemeinschaft während des Gottesdienstes, der Schule und des Spazierengehens, folglich auch ein Erkennen der Gefangenen unter sich zugelassen wird.
Die positive Seite der Einzelhaft ist: Einwirkung auf das Gemüt durch Einsamkeit, Umstimmung des Gefangenen im ungestörten Umgang mit dem Beamtenpersonal, zumal dem Geistlichen, Zugänglichkeit für bessernde Einwirkungen, ein größeres Maß von Freiheit in der Benutzung der Zeit, gesteigertes Bedürfnis der Beschäftigung, Lektüre u. a. Zuerst in der »Bußanstalt« (Penitentiary, daher »Pönitenziaranstalten, Pönitenziarwesen«) von Philadelphia (1791) angewendet, verbreitete sich das Einzelhaftsystem insbesondere nach der Julirevolution über Europa. Seine eifrigsten Fürsprecher waren in Deutschland: Julius, Mittermaier, Füeßlin, Varrentrapp, Röder, Schück, Wichern. Es gibt gegenwärtig keinen Staat in Europa, in welchem nicht von einzelnen Zellen für Zwecke der Strafrechtspflege Gebrauch gemacht würde, ebensowenig aber einen Staat, der alle Gefangenen ohne Ausnahme der Zellenhaft unterwerfen könnte. Der Anwendbarkeit des Isoliersystems ist nämlich eine natürliche Schranke
gesetzt in den körperlichen, mit Isolierung unverträglichen Eigenschaften gewisser Personen (Jugendlicher, Kränklicher, Altersschwacher, Schwachsinniger, Nervös-Reizbarer). Weiterhin aber bleibt die Frage: ob Isolierung, wo sie an sich möglich, auch überall in zeitlicher Unbeschränktheit nützlich sei. In dieser Hinsicht gehen die Gesetzgebungen der europäischen Staaten weit auseinander. Vorzugsweise geeignet halten einige die Einzelhaft für schwere Verbrecher, andre für Untersuchungsgefangene und kurze Straffristen. Am weitesten ging Belgien, welches ganz allgemein für alle Strafarten von der Einzelhaft (s. d.) Gebrauch macht und nur die eine Grenze zieht, daß sie nicht über zehn Jahre hinauszugehen braucht.
3) Das Schweigsystem oder (nach seinem Entstehungsort im Staat New York) das Auburnsche System, seit 1823: Trennung der Gefangenen zur Nachtzeit in besondern Schlafzellen, womit der geschlechtlichen Unzucht begegnet werden soll;
gemeinsame Arbeit bei Tag unter dem disziplinarischen Gesetz absoluten Schweigens;
also eine Vermittelung zwischen der alten Gemeinschaftshaft und der Isolierung.
Leitender Gedanke war: Isolierung mindestens bis zur Grenze der disziplinaren Notwendigkeit, Belebung des Wetteifers in der gemeinsamen Arbeit, Gewöhnung an strenge Disziplin inmitten der Verführung zu wechselseitigen Mitteilungen. Auch das Schweigsystem fand eifrige Verfechter in Europa. Einzelne Anstalten, wie St. Gallen, leisteten Gutes; im ganzen fand aber das Auburnsche System trotz seiner größern finanziellen Vorteile wenig Gunst, weil absolutes Schweigen, an sich unnatürlich in der Gemeinschaft, fortdauernd die Anwendung von Disziplinarstrafen herausfordert und dennoch nicht mit Erfolg erzwungen werden kann. In Deutschland repräsentiert das Zuchthaus von Halle dies System in baulicher Hinsicht.
4) Das Markensystem des englischen Kapitäns Maconochie, welcher davon auf der Südseeinsel Norfolk Island in der Weise Gebrauch machte, daß er an Stelle der richterlichen Strafdauer eine Anzahl von Arbeitspensen setzte, deren jedes der Durchschnittsleistung eines Tagewerks entsprach, die Ziffer dieser Arbeitspensen in Marken abverdienen ließ und damit ermöglichte, daß durch ein ungewöhnliches Maß von Fleiß und Anstrengung die Marken zahlreicher verdient werden konnten mit dem Erfolg einer demnach vom Sträfling selbst herbeigeführten Abkürzung der Strafdauer. Obwohl dies System sich nicht verallgemeinerte, hat es doch die große Bedeutung, daß die effektive Strafdauer mit bedingt ist durch das Verhalten des Sträflings während der Strafzeit und diesem ein aktives Motiv der Besserung entgegengebracht wird.
5) Das irische oder progressive System, welches seit 1853 von Crofton in Irland eingeführt worden ist und seitdem sich langsam über andre Staaten verbreitet hat. In ihm sind die vorzugsweise wirksamen Elemente der Einzelhaft mit den Grundgedanken des Markensystems zu einer innern Einheit verbunden worden. Neben dem Markensystem hatte sich in Australien zuerst die Praxis herausgebildet, deportierte Sträflinge wegen guten Verhaltens vor Ablauf der richterlich zuerkannten Strafdauer auf Widerruf zu entlassen (conditional discharge).
Die mit einem sogen. Urlaubsschein (ticket of leave) von der Behörde versehenen Sträflinge konnten, wenn sie die Urlaubsperiode hindurch ihr gutes Verhalten fortsetzten, endgültig begnadigt werden; im Fall schlechten Betragens stand ihnen formlose Wiederverhaftung und Verbüßung des Strafrestes in Aussicht. Auch diese späterhin auf die englischen Zuchthäuser (convict prisons) übertragene Einrichtung benutzte Crofton für seinen Plan. Außerdem ging er von der Ansicht aus, daß Sträflinge in allmählichen Übergängen der Freiheit wieder entgegenzuführen seien und zu diesem Zweck eine besondere »Zwischenanstalt« zwischen dem vollen Strafzwang und zwischen der Freiheit eingeschoben werden solle.
Das irische System zerfällt in seiner Anwendung auf lange dauernde Strafen (das gegenwärtig in England zulässige Minimum der penal servitude beträgt fünf Jahre) in vier Stadien: a) das Einzelhaftstadium von regelmäßig neun Monaten, welches indessen durch gutes Verhalten bis auf acht abgekürzt werden kann und vorzugsweise dazu dient, den Gefangenen seelisch zu erforschen und kennen zu lernen, zur Arbeit geneigt zu machen und durch Unterricht zur Einsicht und Umkehr zu bestimmen; b) das Gemeinschaftshaftstadium mit progressiver, durch Markenverteilung gekennzeichneter Klassifikation, wonach jeder Gefangene, in einer untern Klasse beginnend, nach einer gewissen, durch gutes Verhalten wiederum abzukürzenden Zeitfrist in höhere Klassen aufrückt, um dort größere Vorteile, entsprechend seinem Fortschreiten, zugebilligt zu erhalten, oder anderseits, um im Fall schlechten Verhaltens auf eine niedere Stufe zurückversetzt zu werden; c) das Stadium der Zwischenanstalt, welches dem Sträfling ein größeres Maß von Freiheit einräumt, die äußern Merkzeichen der Gefangenschaft (Sträflingskleidung) beseitigt und mit disziplinarischer Bestrafung unverträglich ist, dergestalt, daß jede Ordnungswidrigkeit Zurückversetzung in das zweite Stadium zur Folge haben würde; in der Zwischenanstalt wird dem Gefangenen auf Grund seines vorangegangenen Betragens Vertrauen geschenkt, damit er seinerseits Selbstvertrauen zu seinen Kräften gewinne, wenn er den Kampf mit den Versuchungen des Lebens zu bestehen hat; d) das Stadium der bedingungsweisen, widerruflichen Freilassung, während dessen sich der »Beurlaubte« unter einer wohlwollenden, ihm zum Lebenserwerb behilflichen Polizeiaufsicht befindet. - Das irische System ward trotz seiner günstigen Ergebnisse von verschiedenen Seiten her lebhaft angegriffen, zumeist von den Anhängern des strengen Einzelhaftsystems, welche eine Gemeinschaft unter Gefangenen unter keinen Bedingungen zulassen wollten und daher in Croftons Einrichtungen nur eine Wiederbelebung der alten verfehlten Klassifikationen erblickten, außerdem aber auch von solchen, welche nur an den Äußerlichkeiten der Durchführung Anstoß nahmen.
Die Haupteigentümlichkeiten des irischen Systems liegen aber darin: Es ist progressiv in der Entwickelung der Gefangenschaft von größerer Härte und Strenge zu größerer Milde in Gemäßheit des vom Sträfling beobachteten Verhaltens. Es ist aktiv in seinem Prinzip gegenüber der Passivität der übrigen Systeme, welche die Persönlichkeit zum leidenden Objekt einer Zwangsbehandlung ohne hinreichende Gelegenheit zur Selbstbethätigung herabsetzen. Es ist graduiert, d. h. abgestuft, zum Unterschied von allen frühern Systemen, welche in monotoner Aufeinanderfolge von Tagen, Wochen, Monaten und Jahren die Gefangenschaft ermüdend und entschlußlähmend wirken lassen. Als Zufälligkeiten kommen dabei die äußern Umstände der in Irland angenommenen Ausführungsweise in Betracht. Das progressive System kann in einer einzigen großen Strafanstalt vollstreckt werden, wenn diese zum Teil für Einzelhaft, zum
andern Teil für klassifizierte Gemeinschaftshaft und schließlich auch für ländliche Arbeit ausreichende Gelegenheit darbietet. Ebenso kann der Grundgedanke Croftons auch auf kürzere Freiheitsstrafen mit einer einfachen Haftform, sei es der Einzelhaft, sei es der Gemeinschaftshaft, übertragen werden.
Eine Nachbildung des irischen Systems unternahm zuerst der oldenburgische Strafanstaltsdirektor Hoyer in Vechta. Seitdem Mittermaier, obwohl ein Anhänger der Einzelhaft, die Vorzüge des irischen Systems zuerst in Deutschland hervorgehoben und v. Holtzendorff 1859 eine umfassende Darstellung desselben gegeben hatte, ward die Aufmerksamkeit in sämtlichen europäischen Ländern auf Croftons Reformwerk hingelenkt. Überall hatte das irische System einen hartnäckigen Kampf gegen die Anhänger des Einzelhaftsystems zu bestehen.
Das Schlußergebnis dieses Streits ist auch im gegenwärtigen Augenblick noch nicht abzusehen. Als im J. 1872, von dem Nordamerikaner Wines angeregt und fast von sämtlichen Staaten Europas und Amerikas beschickt, der internationale Gefängniskongreß in London zusammentrat, zeigte sich jedoch, daß mit alleiniger Ausnahme Belgiens kein Staat seinen Entschluß erklärte, die Einzelhaft für Freiheitsstrafen von längster Zeitdauer anzuwenden. Von den in London anwesenden Fachkennern sprachen sich die Engländer und Amerikaner in der Mehrzahl, die Schweizer und Italiener, die anwesenden Vertreter der österreichischen, schwedischen und dänischen Regierung zu gunsten der im irischen System ausgeprägten Prinzipien aus, während die Stimmen unter den anwesenden Deutschen und Holländern geteilt waren. Das gleiche Verhältnis stellte sich auf dem zweiten internationalen in Stockholm 1878 abgehaltenen Gefängniskongreß heraus.
Die Frage, ob Einzelhaft oder ob Gemeinschaftshaft, ist durchaus relativer Natur, ja nach Lage des Falles ist bald die eine, bald die andre am Platz. Hiernach kommt es darauf an, eine zweckmäßige Abgrenzung zwischen beiden Systemen ausfindig zu machen. Hierbei kann aber, da auch das Gefängniswesen auf sozialen und nationalen Grundlagen ruhen muß, eine allgemein gültige Grenze für alle Völker nicht gezogen werden. Der Südländer verhält sich zu einer ihm zwangsweise auferlegten Einsamkeit ganz anders als der Nordländer.
Innerhalb eines und desselben Volkes sind Unterschiede des Geschlechts, der Lebensweise, des Berufs und der Bildung nicht wegzuleugnen. Demnach ist auch die Frage, ob Einzelhaft härter oder milder empfunden werde als Gemeinschaftshaft, gar nicht in allgemeiner Weise zu beantworten. Der gebildete oder der von Schamgefühl lebhaft ergriffene Delinquent wird Einzelhaft der Gemeinschaft mit abgefeimten Verbrechern vorziehen, der ungebildete, träge, unselbständige Mensch in der Gegenwart andrer Verbrecher Trost und Beruhigung finden, während er in der Einzelhaft leicht in den Zustand der Abstumpfung oder nervösen Reizbarkeit verfällt.
Einverständnis besteht darin, daß für alle kurzzeitigen Strafen Einzelhaft als Regel angenommen werden sollte, weil die bessernden Wirkungen der religiös-sittlichen Bildung und der Strafarbeit nur bei längerer Dauer zur Geltung kommen können, daher der Gesichtspunkt, eine verderbliche Gemeinschaft abzuschneiden, entschieden vorwiegt. Überwiegend ist außerdem die Ansicht, daß zu lange fortgesetzte Einzelhaft die anfangs günstigen Wirkungen der Isolierung aufhebt und häufig in das Gegenteil verkehrt.
Zwar ist es unrichtig, daß trotz passender Auswahl der der Einzelhaft zu unterwerfenden Personen und trotz des Vorhandenseins eines tüchtig geschulten Beamtenpersonals die Isolierung ungewöhnlich große Ziffern des Selbstmordes und der Geisteskrankheit ergebe. Aber die Erfahrung lehrt vielfach, daß Gefangene in längerer Isolierung ihre geistige und moralische Spannkraft einbüßen und auch körperlich zurückgehen. Die Thatsache, daß Einsamkeit leichter Reue wirkt als die Umgebung von Sträflingsgenossen, darf nicht unbenutzt bleiben; aber sie ist auch nicht zu überschätzen.
Für ein gutes Gefängnissystem kommt es daher nicht darauf an, die Maximalgrenze zu finden, bis zu welcher ohne groben Nachteil die Mehrzahl der Gefangenen isoliert bleiben kann, sondern vielmehr die Minimalzeit zu ermitteln, innerhalb welcher eine tüchtige Gefängnisverwaltung in den Stand gesetzt wird, die Individualität jedes Bestraften hinreichend kennen zu lernen, mit der natürlichen gesellschaftlichen Thatsache des menschlichen, auch bei dem Gefangenen nicht auszurottenden Gemeinschaftstriebes eine individualisierende Behandlung zu vereinigen und die anfangs Isolierten auf die Bahn einer im Verkehr mit andern fortschreitenden Entwickelung vorzubereiten. Anscheinend unverbesserliche und moralisch gefährliche Individuen müssen dann freilich auf die Dauer von dem Verkehr mit ihresgleichen fern gehalten werden. Was sonst die durchschnittlich wünschenswerte Dauer der Einzelhaft anbelangt, so ist man bisher in Irland mit einem Zeitraum von neun oder acht Monaten ausgekommen; es ist möglich, daß in andern Ländern eine längere oder auch noch kürzere Frist wünschenswert erscheint.
Auch das beste System wird seinen Zweck verfehlen, wenn der reuevolle Delinquent nach seiner Entlassung deswegen arbeitslos umherirren muß, weil er durch allgemeines Mißtrauen der Arbeitgeber zurückgestoßen wird. Schon in den Strafanstalten muß daher der Beweis geliefert werden, daß man bis zu einem gewissen Maß dem Gefangenen bereits vor seiner Entlassung Vertrauen schenken konnte. Daß jemand, innerhalb der Zellenwände abgesperrt, tadellos sich betrug, wird als Grundlage einer für ihn günstigen Vermutung niemals ausreichend befunden werden.
Croftons Zwischenanstalten haben die große Bedeutung, die gesellschaftlichen Vorurteile gegen entlassene Verbrecher auf ein billiges Maß zurückzuführen. In gleicher Richtung wirkt auch die bedingte Entlassung. Schließlich bedarf aber trotzdem jede Gefängnisverwaltung der Unterstützung seitens freiwilliger Hilfskräfte zur endgültigen Erfüllung ihrer Aufgabe. Aus diesem Grund muß man darauf Bedacht nehmen, die Bildung von Schutz- und Hilfsvereinen (Gefängnisvereinen) für Entlassene anzuregen.
Nach Erduldung langjähriger Strafhaft gleicht der Delinquent einem Genesenden, der durch langes Daniederliegen im Bette die Übung seiner Kräfte verloren hat und noch der Schonung bedarf. In Deutschland blieb das Vereinswesen auf dem Gebiet der Sträflingspflege weit zurück hinter dem in England, Amerika und der Schweiz erreichten Stande. Dennoch bestehen einige Vereine, die sehr Ersprießliches wirken, z. B. die Rheinisch-Westfälische Gefängnisgesellschaft und einige Lokalvereine in Baden und Württemberg. Meistenteils aber blieb die Vereinsbildung auf größere Städte (Berlin, München u. a.) beschränkt. Das meiste, was bisher geschah, wurzelt in dem kirchlichen Boden der innern Mission.
Das Deutsche Reich hat sich bisher für die Anwendung eines bestimmten Haftsystems noch nicht entschlossen. Es steht in dem Belieben der einzelnen Staaten, den Strafvollzug bis auf weiteres in
Gemäßheit ihrer eignen Gesetze zu ordnen oder sogar (wie in Preußen) der Verwaltung freien Spielraum zu lassen, Strafen von gleicher Dauer in Einzelhaft oder in Gemeinschaft zu vollstrecken. In Holland bestimmte das Gesetz, daß ein Jahr Einzelhaft gleichzurechnen sei einer zweijährigen Gemeinschaftshaft, und auch in andern Staaten hat die Verbüßung einer Strafe in Einzelhaft im Vergleich zur Gemeinschaftshaft eine Abkürzung der Strafdauer zur Folge. Der Grundgedanke, daß Einzelhaft durchschnittlich schwerer zu ertragen ist als Gemeinschaftshaft, hat auch darin seinen Ausdruck gefunden, daß in Deutschland die Isolierung gegen den Willen der Gefangenen nicht über drei Jahre hinaus ausgedehnt werden soll.
Neben der Anwendung der Einzelhaft stellt das Reichsstrafgesetz die ihr durchaus entgegenstehende Arbeit der Gefangenen im Freien gleichfalls dem Belieben der Strafanstaltsverwaltungen anheim. Auch ist die bedingte Freilassung bei den ein Jahr übersteigenden Strafzeiten zugelassen. Somit enthält das deutsche Strafgesetzbuch sämtliche Bestandteile, aus denen in organischer Verbindung sich das progressive System herstellen lassen würde. Zu den Vorzügen dieses Systems gehört auch die verhältnismäßig größere Billigkeit.
Wenn auch die Kostenfrage nicht allein den Ausschlag geben soll, so ist man bei beschränkten Mitteln doch genötigt, auf dieselbe Rücksicht zu nehmen. Insbesondere aber wird man unter sonst gleichen Umständen sich für das billigste System zu entscheiden haben. Bis jetzt hat sich zwar die Einzelhaft leistungsfähiger erwiesen als die alte Gemeinschaftshaft, keineswegs aber hat sie sich besser bewährt als das irische System; sogar das Auburnsche System hat in einzelnen kleinen Anstalten (in St. Jakob bei St. Gallen) achtungswerte Ergebnisse geliefert.
Der Vergleich auf der Basis der Rückfälligkeitsstatistik ist für die verschiedenen Haftsysteme noch ein sehr unsicherer. Es gibt kein Haftsystem, welches alle Verbrecher zu bessern vermag. Auch unter den günstigsten Verhältnissen wird ein Prozentsatz Unverbesserlicher übrigbleiben. Zu festern Ergebnissen wird die Gefängniswissenschaft erst dann gelangen, wenn sie auf statistischer Grundlage die Rückfälligkeitszahlen einer und derselben Verbrecherklasse vergleicht und diejenigen Verbrechergattungen ausscheidet, welche vorwiegend als das Produkt des von Zufälligkeiten und besondern Gelegenheiten beherrschten Verbrecherwillens erscheinen. Während andre Länder, wie Frankreich, England, Belgien, Holland und Italien, in bestimmten Zeitfristen statistische Ausweise über ihr Gefängniswesen veröffentlichen, fehlt es bis jetzt in Deutschland leider an einer planmäßig angelegten Straf- und Gefängnisstatistik.
Litteratur: Julius, Vorlesungen über die Gefängniskunde (Berl. 1828);
Mittermaier, Die Gefängnisverbesserung (Erlang. 1858);
v. Holtzendorff, Das irische Gefängniswesen, insbesondere die Zwischenanstalten (Leipz. 1859);
van der Brugghen, Études sur le système pénitentiaire irlandais (Berl. 1864);
Füeßlin, Die Grundbedingungen der Gefängnisreform im Sinne der Einzelhaft (Leipz. 1865);
Derselbe, Die Einzelhaft (Heidelb. 1855);
v. Valentini, Das Verbrechertum im preußischen Staat (Leipz. 1869);
Bruun, Die Vollziehung der Strafarbeit (a. d. Dän. von Elvers, Heidelb. 1870);
Bähr, Die Gefängnisse in hygieinischer Beziehung (Berl. 1871);
Beltrani-Scalia, Sul governo e sulla riforma delle carceri (Turin 1867);
Dalcke und Genzmer, Handbuch der Strafvollstreckung und Gefängnisverwaltung in Preußen (Berl. 1881);
Starke, Das belgische Gefängniswesen (das. 1877);
Wines, State of prisons etc. in the civilized world (Cambridge i. Massach. 1880);
»Handbuch des Gefängniswesens in Einzelbeiträgen« (hrsg. von Holtzendorff und v. Jagemann, Hamb. 1886 ff.);
»Blätter für Gefängniskunde« (hrsg. von Ekert, Heidelb., seit 1864);
»Vereinshefte des Nordwestdeutschen Verbandes für Gefängniswesen« (Oldenb. 1878);
»Allgemeine deutsche Strafrechtszeitung« (Leipz. 1861-73) und die Verhandlungen der internationalen Kongresse für Gefängniswesen, seit 1872; »Rivista delle discipline carcerarie« (hrsg. von Beltrani-Scalia, Turin u. Rom, seit 1871);
»Bulletin de la Société générale des prisons« (Par., seit 1877).