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übernahm, fand er sich den schwierigsten Aufgaben gegenüber: mit Preußen [* 2] wollte Polen ihn nur unter den drückendsten Bedingungen belehnen, die klevischen Lande waren seit Jahren Schauplätze der Kämpfe zwischen Spaniern und Holländern und zumeist im Besitz der letztern, die Mark war gänzlich verwüstet und zu einem großen Teil von dem seit dem Prager Frieden feindlichen Schweden [* 3] besetzt, während die kurfürstlichen Truppen geradezu den Gehorsam verweigerten und schlimmer als Feinde hausten.
Durch Klugheit und Energie überwand der junge Fürst alle diese Schwierigkeiten. Er erlangte 1641 die Belehnung mit Preußen, schloß mit Schweden einen Waffenstillstand, entließ die verwilderte Soldateska, bildete sich ein kleines, aber zuverlässiges Heer, mit dem er Frieden und Ordnung in den Marken aufrecht erhielt, und erwirkte für seine westlichen Lande wenigstens die Neutralität. Eifrig betrieb er nun das Zustandekommen des Westfälischen Friedens; er brachte demselben ein großes Opfer, indem er auf Vorpommern und die Mündungen der Oder zu gunsten Schwedens und damit auf seine auf rasche Entwickelung des Seehandels gerichteten Pläne verzichtete; von der pommerschen Erbschaft erhielt er bloß Hinterpommern sowie zur Entschädigung die Bistümer Halberstadt, [* 4] Minden, [* 5] Kammin und die Anwartschaft auf Magdeburg. [* 6]
Auch war die Ausdehnung [* 7] der Religionsfreiheit auf das reformierte Bekenntnis wesentlich dem Einfluß des Kurfürsten zu danken. Seine Bemühungen, in den nun folgenden Friedensjahren die Grundlagen eines geordneten Staatswesens zu legen, ein stehendes Heer zu errichten, die Finanzen zu regeln, die Privilegien der Stände zu beschränken, die Schäden des Kriegs zu heilen, Handel und Verkehr zu heben etc., wurden bereits 1655 durch den Ausbruch des schwedisch-polnischen Kriegs unterbrochen, in den der Kurfürst wider Willen verwickelt wurde.
Zwischen den kriegführenden Mächten eine selbständige Stellung zu behaupten, gelang ihm nur durch die größte Umsicht und kühne Wendungen in seiner Politik. Nachdem er an Schwedens Seite den Sieg bei Warschau [* 8] (28.-30. Juli 1656) mit erfochten und von Karl X. Gustav die Anerkennung der Souveränität Preußens [* 9] erlangt hatte, schloß er 1657, während der Schwedenkönig sich gegen Dänemark [* 10] wendete, mit Polen unter Vermittelung des Königs Leopold von Ungarn, [* 11] der des Kurfürsten Stimme für seine Kaiserwahl nötig hatte, den Vertrag von Wehlau welcher ihm die Souveränität Preußens sicherte. Er nahm nun an der großen Koalition gegen Schweden und an dem Krieg in Schleswig [* 12] und Dänemark erfolgreichen Anteil, und der Friede von Oliva verschaffte Brandenburg [* 13] allein von allen kriegführenden Staaten einen Gewinn in der Bestätigung der Unabhängigkeit Preußens von Polen.
Zwölf Jahre äußerer Ruhe waren dem Kurfürsten nun gegönnt, um das 1655 unterbrochene Werk fortzuführen. Zunächst galt es, die Rechte und Privilegien der Stände in den einzelnen Landschaften mit dem allgemeinen Staatsinteresse, welches eine einheitliche, geregelte Finanzwirtschaft und unbedingte Anerkennung und im Notfall militärische Aufrechthaltung der landesherrlichen Autorität verlangte, in Einklang zu bringen. Am leichtesten fügten sich die Stände der Mark und der benachbarten Länder, Schwierigkeiten dagegen bereiteten die von Kleve und Preußen, wo die Selbständigkeitsbestrebungen an den benachbarten Republiken der Niederlande [* 14] und Polens einen wirksamen Rückhalt suchten und fanden.
Heftig entbrannte namentlich der Kampf in Preußen, wo die Stände, als strenge Lutheraner auch im konfessionellen Gegensatz zum reformierten Kurfürsten, demselben namentlich die Anerkennung seiner Souveränität verweigerten und die Polen zum Schutz ihrer Privilegien aufriefen. Erst als die Maßlosigkeiten einiger Mitglieder, wie des Königsberger Schöppenmeisters Johannes Roth und der beiden Kalckstein, die Einheit der ständischen Opposition lockerten, gelang es dem Kurfürsten, der an der Spitze einer ansehnlichen Truppenmacht in Königsberg [* 15] erschien, 1663 die Huldigung der Stände zu erhalten; Roth war verhaftet worden und starb nach 16jähriger Gefangenschaft; der General Kalckstein war gestorben, sein Sohn, der Oberst, flüchtete nach Polen, wurde von da mit Gewalt nach Preußen zurückgeschafft und 1672 wegen Hochverrats hingerichtet.
Durch die Einführung einer Mahl-, Schlacht- und Brausteuer in allen Provinzen gewann der Kurfürst nun die Mittel, um ein stehendes Heer zu unterhalten, das, aus den Regimentskadres gebildet, im Fall eines Kriegs durch Werbungen leicht auf 20,000 Mann gebracht werden konnte. Nach Möglichkeit suchte er den Wohlstand zu fördern durch Hebung [* 16] des Ackerbaues, Urbarmachung von Wüstungen, Begünstigung der Einwanderung, Befreiung der Gewerbe und des Verkehrs von allerlei Schranken, wobei er freilich mit der Trägheit und Engherzigkeit der damaligen Zeit viel zu kämpfen hatte und auf viele Maßregeln verzichten mußte, weil die Unterthanen zu energischen Widerstand leisteten.
Zwischen den verschiedenen Konfessionen [* 17] suchte er Frieden und Eintracht zu stiften und verbot den lutherischen Geistlichen das Gezänk auf den Kanzeln gegen die Reformierten. Am meisten lag ihm die Entwickelung eines lebhaften Binnen- und Seehandels am Herzen: der Bau des Müllroser Kanals, die Einrichtung einer Post, die Gründung einer Marine, die Anlegung von überseeischen Kolonien, die Errichtung einer afrikanischen Handelskompanie sollten diesem Zweck dienen.
Indes die Mittel des Kurfürsten waren zu beschränkt, die Armut des Landes zu groß und der Unternehmungsgeist der Geschäftsleute zu gering, als daß die Erfolge auch nur entfernt den großartigen Ideen des Kurfürsten entsprochen hätten, ebenso wie auch desselben wissenschaftliche und künstlerische Projekte nur zum geringsten Teil verwirklicht werden konnten. Dagegen legte er den Grund zu einem thätigen, intelligenten Beamtenstand und zu einem tapfern, ergebenen Offizierkorps, den beiden Hauptstützen des preußischen Staatsorganismus; im erstern zeichneten sich die beiden Freiherren v. Schwerin, [* 18] die beiden Jena, [* 19] Hoverbeck, Krockow, Meinders, Fuchs [* 20] u. a. aus, im letztern Graf Waldeck, [* 21] Sparr, Derfflinger, Fürst Anhalt, [* 22] Schöning.
Trotz dieser rastlosen Thätigkeit im Innern verfolgte der Kurfürst mit eifrigster Teilnahme alle politischen Ereignisse im Osten und Westen Europas, und der Besitz seiner rheinischen Lande sowie sein allgemeines Interesse an der Unabhängigkeit Deutschlands [* 23] und Europas und der Erhaltung der evangelischen Religion zogen ihn in die Verwickelungen hinein, welche der Ehrgeiz Ludwigs XIV. und dessen Streben nach dem Erwerb der spanischen Niederlande hervorriefen. Als dieser 1672 die Republik der Niederlande mit Übermacht überfiel, um diesen protestantischen Freistaat zu vernichten, zögerte der Kurfürst nicht, dem bedrohten Nachbarstaat zu Hilfe zu kommen, da er erkannte, daß von der Erhaltung dieses Bollwerkes auch die der deutschen Unabhängigkeit und der Religionsfreiheit abhänge. Um den Beistand wirksam zu ¶
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machen, zog er den Kaiser mit in das Bündnis; da dieser sich indes in einem geheimen Vortrag mit Frankreich zur Neutralität verpflichtet hatte, so vereitelten die kaiserlichen Feldherren Montecuccoli und Bournonville in dem mit dem brandenburgischen Heer gemeinsam unternommenen Feldzug am Rhein und in Westfalen [* 25] (1672-73) jeden feindlichen Zusammenstoß mit dem französischen Befehlshaber Turenne und verschafften diesem dadurch die Möglichkeit, tief in Westfalen einzudringen, so daß sich der Kurfürst genötigt sah, um seine westlichen Lande vor gänzlichem Ruin zu retten, vom Bündnis abzufallen und den übrigens günstigen Separatfrieden zu Vossem abzuschließen, ohne den Niederlanden mehr als eine indirekte Hilfe geleistet zu haben. Am schloß er sich allerdings von neuem der inzwischen sehr verstärkten Koalition gegen Frankreich an, aber auch der wieder in Gemeinschaft mit Bournonville unternommene Feldzug gegen Turenne im Winter 1674 auf 1675 endete statt mit Siegen [* 26] und Eroberungen infolge der Uneinigkeit der Verbündeten mit dem kläglichen Rückzug aus dem Elsaß.
Durch den von Frankreich veranlaßten Einfall der Schweden in die Marken zum Schutz seiner Lande vom Rhein abberufen, stellte der Kurfürst durch den Überfall bei Rathenow [* 27] und den Sieg bei Fehrbellin [* 28] (28. Juni) den brandenburgischen Waffenruhm im strahlendsten Glanz wieder her, eroberte 1675-78 nach und nach sämtliche Festungen Vorpommerns, namentlich nach hartnäckigem Widerstand durch eine schwierige Belagerung das stark befestigte Stettin, [* 29] und trieb in einem anstrengenden Winterfeldzug 1678-79 die in Preußen eingefallenen Schweden nach Livland [* 30] zurück, mußte aber den Preis dieser Anstrengungen und Opfer (ohne durch Hilfsgelder unterstützt zu werden, brachte er sein Heer zeitweise auf 40,000 Mann), das seit 1648 kaum verschmerzte Vorpommern, im Frieden von St.-Germain wieder herausgeben, da ihn seine Verbündeten, die Niederlande und der eifersüchtige kaiserliche Hof, [* 31] im Stiche ließen und er mit Dänemark allein dem übermächtigen Frankreich gegenüberstand.
Entrüstet über das Betragen seiner Verbündeten und jeden Widerstand gegen Ludwig XIV. für nutzlos haltend, schloß er sich nun eng an Frankreich an, verpflichtete sich sogar in einem geheimen Vertrag vom Ludwig XIV. bei einer neuen Kaiserwahl seine Stimme zu geben, und lehnte trotz der Reunionen und andrer Gewaltthätigkeiten Ludwigs jede Beteiligung an einer Koalition gegen den neuen Verbündeten hartnäckig ab. Im Gegenteil trat er gegen Spanien, [* 32] das ihm die Zahlung der schuldigen Subsidien verweigerte, feindselig auf, indem er seine Flotte auf spanische Schiffe, [* 33] wiewohl ohne großen Erfolg, Jagd machen ließ, geriet mit den Holländern ebenfalls über nicht gezahlte Hilfsgelder und über die in Guinea angelegten Kolonien in heftige Streitigkeiten und erhob an den Kaiser den Anspruch auf Entschädigung für seine Erbrechte auf Schlesien. [* 34]
Doch als 1685 die großen Gefahren, die der evangelischen Religion drohten, offenbar wurden, in England ein katholischer König, Jakob II., den Thron [* 35] bestieg, Ludwig XIV. durch die Aufhebung des Edikts von Nantes [* 36] die Protestanten in seinem Reich unterdrücken wollte, vergaß der Kurfürst seine gerechten Beschwerden und schloß mit den Generalstaaten und dem Kaiser ein neues Bündnis, indem er gegen Abtretung des kleinen Schwiebuser Kreises auf seine schlesischen Erbansprüche verzichtete und sogar ein Hilfskorps von 8000 Mann gegen die Türken schickte.
Durch das Potsdamer Edikt vom lud er die aus Frankreich flüchtenden Protestanten zur Ansiedelung in seinen Staaten ein, und mehr als 15,000 folgten seinem Ruf und vergalten die gastliche Aufnahme mit der Begründung nützlicher Industriezweige, namentlich in Berlin. [* 37] Den Ausbruch des neuen Kriegs mit Frankreich erlebte der Kurfürst nicht mehr. Er starb nach schwerem Todeskampf, aber im vollen Bewußtsein dessen, was er geleistet und was seinem Nachfolger zu thun noch übrigblieb, an der Brustwassersucht, die sich aus der Gicht entwickelt hatte, an welcher der Kurfürst seit langem gelitten.
Friedrich W. war bis in das Greisenalter eine stattliche Erscheinung: eine schöne Gestalt von würdiger Haltung, ein imposanter Kopf mit wallendem Haar, [* 38] später langlockiger Perücke, [* 39] einer Adlernase, strahlenden, geistvollen Augen. Sein Temperament war lebhaft und leicht erregbar bis zum Jähzorn, sein Benehmen liebenswürdig und wohlwollend gegen seine Umgebung, würdevoll gegen Fremde. Im Krieg lebte er einfach und teilte mit seinen Soldaten alle Mühen und Entbehrungen, im Frieden liebte er Pracht und Feierlichkeiten. Er war zweimal vermählt, 1646-67 mit Luise Henriette, Prinzessin von Oranien, von der ihn nur ein Sohn, der Kurprinz Friedrich, überlebte, seit 1668 mit der verwitweten Herzogin Dorothea von Lüneburg, [* 40] gebornen Prinzessin von Holstein-Glücksburg, die ihm sieben Kinder gebar.
Der Wunsch des Kurfürsten, auch seine vier Söhne zweiter Ehe, Philipp (1669-1711), Karl (1672-95), Albrecht (1673-1731) und Christian (1677-1734), mit fürstlichem Besitz auszustatten, um den Bestand seiner Dynastie und die davon abhängige Erhaltung des neugegründeten Staats zu sichern, erweckte das Mißtrauen des Kurprinzen gegen die Stiefmutter, welche der letztere beschuldigte, in eigennützigem Interesse diesen Plan veranlaßt zu haben; über das Testament des Kurfürsten, welches hierüber Bestimmungen traf, entstanden häßliche Zwistigkeiten in der kurfürstlichen Familie, welche die letzten Jahre Friedrich Wilhelms verbitterten.
Auch sonst mußte er sich überzeugen, daß viele seiner Maßregeln keinen Erfolg gehabt, daß namentlich die kriegerische Politik seit 1672 viele Früchte seiner friedlichen Thätigkeit wieder zerstört hatte. Trotzdem ist das Ergebnis seiner langen, vielbewegten Regierung ein bedeutendes zu nennen, wenn man die Lage seiner Staaten 1640 mit der auswärtigen Stellung und der innern Organisation Brandenburgs 1688 vergleicht. Sein Reiterstandbild, ein Meisterwerk Schlüters, befindet sich auf der Langen Brücke [* 41] zu Berlin.
Vgl. Pufendorf, De rebus gestis Friderici Wilhelmi (Berl. 1695);
L. v. Orlich, Geschichte des preußischen Staats im 17. Jahrhundert (das. 1838-39, 3 Bde.);
Derselbe, Friedrich W., der Große Kurfürst (das. 1836);
Förster, Geschichte Friedrich Wilhelms, des Großen Kurfürsten (4. Aufl., das. 1855);
Pierson, Der Große Kurfürst (das. 1873);
Kaehler, Der Große Kurfürst (das. 1875);
J. G. ^[Johann Gustav] Droysen, Geschichte der preußischen Politik, Teil 3: »Der Staat des Großen Kurfürsten« (2. Aufl., Leipz. 1870-72);
H. Peter, Der Krieg des Großen Kurfürsten gegen Frankreich 1672-75 (Halle [* 42] 1870);
Moritz Meyer, Die Handwerkerpolitik des Großen Kurfürsten und König Friedrichs I. (Minden 1884);
»Urkunden und Aktenstücke zur Geschichte des Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg« (Berl. 1864 ff., 10 Bde.);
ferner Volksschriften von Hiltl (Leipz. 1880), Stein (Halle 1885) u. a.
12) Friedrich III., Sohn des vorigen, erster König von Preußen, s. unten bei Preußen 49). ¶