auswählen und verhältnismäßig leichter mit dem
AuslandVerbindungen anknüpfen konnte. Aber auch in dieser Beziehung haben
die wesentlich veränderten technischen und wirtschaftlichen
Bedingungen, unter welchen der
Welthandel heute betrieben werden
muß, zur Beseitigung der Freihäfen und zum
Ersatz der vorteilhaften Seiten derselben durch ein großartig eingerichtetes
Entrepotsystem geführt. Statt das ganze Hafengebiet als Zollausschluß zu erklären, was den
Industriellen
und dem Kaufmannsstand des
Hinterlandes vielerlei Schwierigkeiten für den
Export bringt und den Bewohnern des Freihafens selbst
den
Verkehr mit dem übrigen Staatsgebiet unterbindet, erreicht man den ganzen Nutzen, ohne die Nachteile zu tragen, durch
die Errichtung großer
Niederlagen,
Lagerhäuser, Docks, welche entweder als
Entrepôts réels von seiten
des
Staats selbst als Zolllagerstätten verwaltet oder als
Entrepôts fictifs von
Privaten unter
Kontrolle der Zollverwaltung
gehalten werden, und in welchen die zollfreie Ein- und Ausfuhr, die verschiedenen mit dem
Zwischenhandel verbundenen
Manipulationen
des Verpackens,
Sortierens,
Raffinierens, Veredelns etc. bequem und rasch vollzogen werden und überdies
für den heute so wichtigen
Warenlombard mit den
Warrants,
Pfand- und
Lagerscheinen alle Erleichterungen geboten werden. So ist
man fast allgemein zu dem in
England schon im J. 1733 durchgebildeten
Entrepot- (Warehousing-)
System, welches nachher seine
eigentümlichen
Formen in
Holland und
Frankreich erhielt, übergegangen. In
Frankreich beginnt die Errichtung
der Freihäfen schon im 16. Jahrh.; die großen Privilegien der Freihäfen
Marseille,
[* 2]
Dünkirchen
[* 3] und
Bayonne, welche als Ȏtranger
effectif« erklärt wurden, stammen aus der Colbertschen Zeit (1669). Nach mannigfachen
Wandlungen erfolgte die endgültige
Beseitigung im J. 1817, indem das in ganz
Frankreich herrschende
Zoll- und Entrepotsystem mit einigen zu
gunsten
Marseilles stimulierten Ausnahmen eingeführt wurde.
Von den Engländern ist
Aden
[* 19] in
Arabien im J. 1850 zum Freihafen erklärt worden, aber auch zahlreiche andre britische
Häfen in
Asien
[* 20] sind thatsächlich Freihäfen, so:
Singapur,
[* 21]
Georgetown auf
Pinang,
Malakka und besonders das wichtige
Hongkong.
Im dänischen
Westindien
[* 22] ist St.
Thomas völliger Freihafen. Dazu wurden 1848 seitens der niederländischen
Regierung ferner Manado
und Kema an der Nordspitze von
Celebes erhoben; im wesentlichen können ebenso seit 1854 die molukkischen
Häfen
Amboina,
Banda,
Ternate und Kajelie als solche gelten. In
Honduras
[* 23] wurde im J. 1877
Omoa zum Freihafen erklärt. In gewissem
Sinn
endlich sind durch die
Generalakte der
Congokonferenz in
Berlin
[* 24] 1885 die Häfen der westafrikanischen
Küste in dem
Seegebiet,
welches sich am Atlantischen
Ozean von dem unter 2° 30' südl.
Br. belegenen Breitengrad bis zur Mündung
des
Loge erstreckt, als Freihäfen der Zukunft anzusehen.
(Handelsfreiheit, engl.
Free trade), im engern
Sinn und im
Gegensatz zum Zollschutz der durch
Schutzzölle nicht
beengte internationale
Handel. Das Schutzzollsystem will die heimische Gewerbthätigkeit gegen fremde
Konkurrenz dadurch stützen,
daß esAbgaben von die Landesgrenze passierenden
Waren erhebt. Das Freihandelssystem dagegen setzt sich
eine rein negative Aufgabe, welche mit der endgültigen Beseitigung vorhandener
Schutzzölle gelöst ist.
Einfuhrbeschränkungen und Einfuhrverbote, welche rein polizeilicher
Natur sind, insbesondere die Einschleppung von
Krankheiten
verhüten sollen, militärischen
Zwecken dienen etc., stehen mit demselben nicht gerade imWiderspruch.
In diesem
Sinn wandte sich
England dem Freihandel zu, als es 1860 die wenigen
Schutzzölle, welche damals noch bestanden, aufhob und
nur
Finanzzölle nebst einigen rein polizeilichen Einfuhrbeschränkungen beibehielt. Aber auch die Vereinfachung seines
Finanzzollsystems entsprach freihändlerischen, auf ungehinderte
Bewegung des
Verkehrs gerichteten Anforderungen.
Die Anhänger dieser Freihandelstheorie (Freihändler, engl.
Free-traders) erblicken in dem
Schutzzoll
eine nur unwirtschaftliche Aufwendungen veranlassende, den
Zwang zu billiger und guter
Produktion beseitigende einseitige
Begünstigung
eines Teils der
Bevölkerung
[* 25] auf
Kosten eines andern, während der Freihandel die
Konkurrenz verallgemeinere, die vorteilhafteste
Arbeitsteilung
ermögliche und damit nicht allein zur vollständigsten Auswertung und zur Mehrung der vorhandenen
Kräfte,
sondern auch zur sichern und regelmäßigen Versorgung des
Marktes führe.
Alle Beschränkungen des
Handels, auch solche, welche
zur
Vergeltung gegen eine uns nachteilige
Handelspolitik fremder
Länder, insbesondere in der Form der
Retorsionszölle (Vergeltungszölle),
verhängt werden, werden als nachteilig bezeichnet. Sperrt der
Fremde seine
Thür, so schädigen wir uns selbst,
wenn wir das
Gleiche thun und den Landesbewohnern verwehren, ihren
Bedarf so billig wie seither zu decken (vgl.
Zölle).
Der Freihandel im weitern
Sinn des
Wortes ist gleichbedeutend mit der
Freiheit des
Erwerbs wie überhaupt des wirtschaftlichen
Lebens,
allerdings unter der Voraussetzung, daß die zum
Schutz wohlerworbener
Rechte gebotenenSchranken nicht
überschritten werden; der Freihändler in diesem
Sinn verwirft alle durch
Gesetz und
Verwaltung geschaffenen künstlichen Beschränkungen
von
Erwerb und
Verkehr, wie Erschwerung der Niederlassung,
¶
mehr
Beschränkungen in der freien Wahl des Berufs und der beliebigen Verwertung von Arbeits- und Kapitalkräften durch Zunftverfassung,
Privilegien, Monopole, Konzessionswesen, Auflegung von Maximalsätzen (Taxen) für Warenpreise und Arbeitslöhne, Wuchergesetze,
Luxusverbote u. dgl. In ihrer extremen, aber in der
Wirklichkeit in solchem Umfang noch nie und nirgends praktisch gewordenen Ausgestaltung beruht diese Freihandelslehre
auf einer rein individualistischen Auffassung aller volkswirtschaftlichen Verhältnisse.
Nach dieser am konsequentesten von JohnPrince-Smith vertretenen Auffassung soll alles wirtschaftliche Getriebe
[* 27] aus freier individueller
Thätigkeit und aus der von freien Vereinigungen entspringen. Organ der Volkswirtschaft ist der Markt, auf welchem sich die
Interessen berühren und die Kräfte messen. Bei freier Konkurrenz werden die Kapitalien und Kräfte richtig
verteilt und am vollständigsten ausgewertet, die Preise immer eine angemessene, den Verhältnissen entsprechende Höhe, die
Gewinne ein gleiches Maß behaupten.
Die heutigen Freihandelsideen führen ihren Ursprung zurück auf das physiokratische System, dessen Forderungen als eine Reaktion
gegen die damaligen feudalistischen und polizeilichen Einschnürungen und Beschränkungen zu betrachten sind, und das im
Gegensatz zu den seitherigen künstlichen Gestaltungen der Volkswirtschaft die »natürliche Ordnung« von
Wirtschaft und Verkehr wiederhergestellt wissen wollte. Die Forderungen der Physiokraten wurden großenteils durch die französische Revolution
verwirklicht.
AndreStaaten folgten später unter dem Druck der Not, der sich mehr und mehr verbreitenden Idee des allgemein gleichen Staatsbürgertums
sowie der modernen Gestaltung von Verkehr und Technik wenigstens bis zu gewissen Grenzen
[* 29] auf der von Frankreich
vorgezeichneten Bahn. Die Freihandelsideen des physiokratischen Systems fanden einen hervorragenden Vertreter in AdamSmith (s. d.),
dessen Lehren
[* 30] in englischen, vorzüglich aber in deutschen Gelehrten- und Beamtenkreisen auf einen fruchtbaren Boden fielen.
An der KönigsbergerUniversität von Ch. J. ^[ChristianJakob] Kraus, dann von J. G. ^[JohannGottfried] Hoffmann
und K. H. Hagen
[* 31] vorgetragen, ferner von Rau, Roscher u. a. in ihren Hauptgrundzügen weiter verbreitet, schlugen diese Ideen im
deutschen Beamtentum kräftige Wurzeln. Dann fanden sie im Bürgertum, insbesondere in dem des deutschen Nordens, eine starke
Stütze.
In der Praxis machten sich die freihändlerischen Ideen immer dann geltend, wenn herrschende Gegenströmungen
zu bekämpfen, vorhandene Schranken zu beseitigen waren. Infolgedessen nahmen die freihändlerischen Bestrebungen, auch wo
sie nicht in extremer Ausbildung aufgetreten sind, einen vorzüglich negativen Charakter an. Die Notwendigkeit des Kampfes führte
naturgemäß zur Parteibildung mit Programmaufstellung. Eine solche Freihandelspartei bildete sich in
den 20er Jahren in England, nachdem
bereits 1820 Londoner Kaufleute eine entsprechende Petition bei dem Parlament eingereicht
hatten.
Das Programm dieser Partei wurde von Huskisson im Parlament verkündet. Eine echte Freihandelspartei, wenn auch anfangs
mit beschränktem Gebiet ihrer Wirksamkeit, war auch die Anti-cornlaw-league (s. d.), deren hervorragendere
Mitglieder, wie Cobden, Bright u. a., übrigens auch auf andern Gebieten und nach Auflösung jener Verbindung in freihändlerischem
Sinn wirkten. Nachdem unter dem Ansturm der Vertreter der hoch entwickelten Industrie und des Handels die Korngesetze gefallen
und 1849 der letzte Rest der Navigationsakte beseitigt worden war, führte 1860 der englisch-französische
Handelsvertrag zu einer vollständigen Aufhebung der noch bis dahin bestehen gebliebenen Schutzzölle. In Frankreich dagegen
haben sich von je nur vereinzelte Stimmen aus den Kreisen der Praktiker für Abschaffung aller Schutzzölle erhoben.
Der Übergang zu einer gemäßigtern Handelspolitik, welcher seit 1860 erfolgte, war das eigenste Werk von Napoleon III.,
dessen Maßregeln auf großen Widerstand stießen. Die von ihm abgeschlossenen Handelsverträge, zumal da die Klausel der Meistbegünstigung
in dieselben aufgenommen wurde, führten mehr und mehr zu Handelserleichterungen. Nach 1870 schlug die französische Handelspolitik
unter dem Druck der Finanzlage des Staats wieder eine von Thiers besonders begünstigte protektionistische Richtung ein, die
sich auch im Tarif vom sowie in den seither aufgestellten Konventionaltarifen behauptet hat.
Im NordenDeutschlands
[* 36] fand der Freihandel schon frühzeitig eine entschiedene Vertretung in den Hansestädten, dann in dem preußischen
Beamtentum. Eine weitere Stütze fanden die freihändlerischen Ideen in den Bestrebungen zur Bildung und Entwickelung des
Zollvereins, in welchem Preußen,
[* 37] das bereits einen liberalen Zolltarif aufgestellt hatte, an den Grundsätzen desselben
festzuhalten suchte. Als nun in den Jahren 1842-46 der Zolltarif mehr in protektionistischem Sinn umgebildet wurde, entstand
auch sofort auf Anregung von JohnPrince-Smith ein eigner Freihandelsverein, der eine lebhafte Thätigkeit entfaltete.