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et François I« zeigt sich zum letztenmal die naive Einfalt der ältern Geschichtschreiber. Eigentliche Memoiren verfaßten Montluc (gest. 1577),
Sully (gest. 1641) und Duplessis-Mornay (gest. 1623); der bekannte Hugenotte d'Aubigné (gest. 1630) verfaßte eine »Histoire universelle«, ein gedankenreiches Werk. Der wichtigste französische Geschichtschreiber des 16. Jahrh. ist Jacq. Aug. de Thou (1553-1617), gewöhnlich Thuanus genannt, welcher die Begebenheiten seiner Zeit mit seltenem Verstand, echtem Forschungsgeist und großer Wahrheitsliebe in lateinischer Sprache [* 2] zusammenstellte. Im 17. Jahrh. wurde die gelehrte Geschichtsforschung gepflegt, sowohl die Kritik der Geschichte von Tillemont (gest. 1698), Pagi (gest. 1669) und Beaufort (gest. 1795) als die Sammlung von Quellenmaterial von Duchesne (gest. 1640), Baluze (gest. 1718), Bouquet (gest. 1754), die Chronologie durch Petau (gest. 1652) und die Urkundenlehre oder Diplomatik durch Mabillon (gest. 1707) und andre Benediktiner und das Glossar von Ducange (gest. 1688). Auch erschienen einige Geschichtswerke und viele wertvolle Memoiren. Als einziges nationales Geschichtswerk des 17. Jahrh. ist aber nur die Geschichte Frankreichs von Mezeray (gest. 1683) zu nennen, das gründlich und freimütig das Leben und die Zustände der Nation schilderte.
Alle diese Historiker überragt jedoch Bossuet (gest. 1704), der in seinem »Discours sur l'histoire universelle« die moderne philosophische Behandlung der Geschichte, allerdings in streng biblischem Sinn, begründete. Er war der Vorläufer einer neuen, mit Voltaire (1694-1778) und Montesquieu (1689-1755) beginnenden Epoche der Geschichtschreibung, des philosophischen Pragmatismus. Die Werke dieser Richtung, meist durch formvollendete Sprache und geistvolle Darstellung ausgezeichnet, verfolgten nach den Vorbildern, die Montesquieu und Voltaire aufgestellt hatten, das Ziel, durch Kritik des Bestehenden und Vergleich mit dem Altertum oder durch den Maßstab [* 3] der Vernunft und Erfahrung bessernd zu wirken.
Diese philosophische Richtung überdauerte auch die Stürme der Revolution und fand im 19. Jahrh. ihren Hauptvertreter in Guizot (gest. 1874), dem sich Michelet (gest. 1874), Sismondi (gest. 1842), Jules Simon, Laboulaye, Taine u. a. anschlossen. Besonders aber kam der politische Standpunkt bei den Geschichtswerken zum Ausdruck, und mehrere ihrer Verfasser hatten weniger die Erforschung und Darstellung der Wahrheit als die Verteidigung und Verherrlichung ihrer politischen Grundsätze im Auge. [* 4] In diesem Sinn wirkten die durch fesselnde Darstellung und Sachkenntnis ausgezeichneten Werke von Mignet (»Histoire de la Révolution française«) und Thiers (»Histoire du Consulat et de l'Empire«) für die konstitutionellen Ideen und die nationale Größe. Gewissenhafter und objektiver sind Tocquevilles (gest. 1859) Schriften.
Vom republikanischen Standpunkt aus schilderte H. Martin die Geschichte Frankreichs; Louis Blancs Geschichtswerke sind entschieden radikal. Gegen den Napoleonkultus traten Lanfrey und Jung auf, legitimistisch sind Saint-Priest und Michaud. Daneben ward die Geschichtschreibung nicht vernachlässigt, welche ohne Tendenz die Ereignisse, Charaktere und Zustände mit sorgfältiger Erforschung des Materials anschaulich schildern will. Glänzende Vertreter dieser Richtung sind die Brüder Augustin Thierry (gest. 1856) und Amédée Thierry (gest. 1873), ferner Barante (gest. 1866), Capefigue (gest. 1872), Lacretelle, Salvandy u. a. Hatten einige dieser Historiker es mehr auf anmutige Unterhaltung als auf gründliche Belehrung abgesehen und die zuverlässige Forschung über der schönen Form vernachlässigt, so brach sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrh. unter dem Einfluß der deutschen Historiographie auch in Frankreich das Streben nach sorgfältiger Sammlung und eindringlicher Kritik des Materials und wahrheitsgetreuer Darstellung Bahn.
Mit der Geschichte des Auslandes beschäftigten sich allerdings die Franzosen weniger; nur das Altertum und das Mittelalter fanden bei ihnen tüchtige Bearbeiter. Dagegen wurden alle Perioden der französischen Geschichte gründlich durchforscht, viele Urkundensammlungen, Chroniken und Memoiren herausgegeben, wobei der französischen Geschichtsforschung der Reichtum und die vortreffliche Ordnung der Archive zu statten kamen, und eine Reihe von Werken geschaffen, die, was Gründlichkeit der Forschung, geistvolle Auffassung und schöne Darstellung anbelangt, den höchsten Ansprüchen genügen können.
Vertreter dieser Schule sind besonders Duruy, Geffroy, Sainte-Aulaire, Bazin, Duvergier de Hauranne, Nettement, Delord, Broglie, Sorel, Rousset u. a. Die Memoiren, besonders aus der Zeit der Revolution und der Napoleonischen Zeit, sind außerordentlich zahlreich, aber nur teilweise von geschichtlichem, wenige von künstlerischem Werte, teilweise auch Bearbeitungen oder gar Fälschungen; ihnen schließen sich die Biographien an, welche ebenfalls von verschiedenem Werte sind.
Übrige Wissenschaften.
Die Staatswissenschaft bildete sich seit dem 16. Jahrh. nicht ohne Übertreibungen und Verirrungen aus. Die philosophische Idee vom Staat wurde durch das Studium der Alten entwickelt, und die kirchlichen und politischen Revolutionen des 16. und 17. Jahrh. erweckten eine Menge neuer Ideen. Den ersten Versuch einer wissenschaftlichen Darstellung der idealen Staatslehre machte Jean Bodin (gest. 1596), der in seiner Schrift »De la république« die Monarchie weit über alle andern Regierungsformen stellte. Etienne de la Boëtie (gest. 1561) bekannte sich zu kühnen Grundsätzen altertümlicher Freiheit, und in demselben Geist verfaßte Hubert Languet (gest. 1581) seine berühmte Schrift »Vindiciae contra tyrannos«.
Unter der Regierung Ludwigs XV. trat der Widerspruch gegen die mangelhaften Staatsformen nicht mehr in Ergüssen bittern Unmuts oder witzigen Spottes, wie unter den frühern Königen, sondern in ernster wissenschaftlicher Gestalt zu Tage. Britische Ideen gewannen überwiegenden Einfluß und lenkten den Willen auf ein festes Ziel. Voltaire, Rousseau, Montesquieu, Mably, Raynal und die Encyklopädisten überhaupt gaben dem Geiste der Nation eine durchaus neue und bestimmte Richtung, und ihr Einfluß ist bis auf die neueste Zeit wirksam geblieben. Aus der großen Zahl politischer Schriftsteller, welche die Revolution hervorbrachte, mögen hier nur Sieyès, Condorcet, Cabanis, Mirabeau, Valuny, Degérando, Benj. Constant, Madame de Staël, Talleyrand, Chateaubriand, Courier, aus neuerer Zeit Guizot, Kératry, Villèle, Dupin, Cas. Périer, Odilon Barrot, Thiers etc. genannt sein. -
Die Nationalökonomie fand bereits zur Zeit der Physiokraten oder der vom Leibarzt Ludwigs XV., Fr. Quesnay (s. d.), gegründeten ökonomistischen Schule, welche den Ackerbau als die einzige Quelle [* 5] des Volkswohlstandes betrachtete, eine sehr rege wissenschaftliche Behandlung. Später verschafften sich A. Smiths Lehren, [* 6] wie in andern Ländern, so ¶
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auch in Frankreich raschen Eingang, indem sie von einigen Volkswirten vollständig adoptiert, von andern selbständig modifiziert wurden. Insbesondere hat J. B. ^[Jean-Baptiste] Say (gest. 1832) dieselben in seinem Hauptwerk: »Traité de l'économie politique« (1803), in übersichtlicher und klarer Weise und mit großer Sorgfalt in der Begriffsbestimmung entwickelt. Vorzüglich hat man in Frankreich, dem klassischen Lande des Sozialismus, schon frühzeitig der Arbeiterfrage eine eingehende und lohnende Aufmerksamkeit zugewandt, so Villermé in seiner Schrift über die physische und moralische Lage der Arbeiter (1834), ebenso Dupin, ferner Dunoyer (gest. 1862) in seinem gediegenen Werk »De la liberté du travail« (1845). Wohl der bekannteste französische Volkswirt ist Fr. Bastiat (gest. 1850), welcher in einer zwar durch glänzende Diktion ausgezeichneten, aber allzu optimistischen Weise die Freihandelsdoktrin verfochten und die sozialistischen Bestrebungen bekämpft hat. Der frühere Saint-Simonist M. Chevalier lieferte tüchtige Arbeiten aus dem Gebiet des Verkehrswesens, L. Wolowski über die von ihm verteidigte Doppelwährung, de Parieu und Leroy-Beaulieu über die Besteuerung, H. Baudrillart, der Geschichtschreiber des Luxus, über die Beziehungen der Volkswirtschaftslehre zur Moral etc. -
Die ersten bedeutenden Namen in der Geschichte der Rechtswissenschaft gehören dem 16. Jahrh. an, wie Bude (Budäus), Cujas (Cujacius), Brisson u. a., welche sich bemühten, das römische und kanonische Recht von den abgeschmackten Glossen der frühern Jahrhunderte zu reinigen. Von der Zeit Ludwigs XIV. bis zur Revolution fand dann die Rechtswissenschaft keine sonderliche Pflege; man beschränkte sich fast ausschließlich auf das Praktische und sorgte durch sogen. Repertorien für die Bequemlichkeit der Juristen, die philosophische Behandlung des Faches andern überlassend. Unter den Systematikern dieser Periode ist nur Pothier (gest. 1772) auszuzeichnen.
Endlich durch die Gesetzbücher Napoleons I. erhielt die Jurisprudenz auch einen wissenschaftlichen Schwung, indem man anfing, sowohl die historische als die politische Seite des Rechts mit Gründlichkeit zu behandeln. Die historische Richtung fand ihren Mittelpunkt in der »Revue historique de droit« (1855 ff.), welche auch die Verbindung mit der ausländischen Rechtswissenschaft zu fördern bestrebt war. Von deutschen Ideen angeregt, entstand eine eklektische rechtsphilosophische Schule, welche durch Lerminier (gest. 1857) am eigentümlichsten vertreten ward.
Die Anfänge der gerichtlichen und parlamentarischen Beredsamkeit entwickelten sich im 16. Jahrh. einerseits unter dem Einfluß der Parteileidenschaften, anderseits unter dem einer unselbständigen Nachahmung der Alten, welche sich des gesamten geistigen Lebens der Zeit bemächtigt hatte. Als bedeutendste Redner jener Epoche sind P. Duchâtel (gest. 1552), Achille de Harlay (gest. 1616) und namentlich Guillaume du Vair (gest. 1621) zu nennen. Durch den Despotismus sodann auf das Gebiet der Privatinteressen beschränkt, machte die Beredsamkeit im folgenden Jahrhundert nur mäßige Fortschritte; bloß Patru (gest. 1693) und Pélisson (gest. 1693) wegen seiner Verteidigung Fouquets verdienen rühmende Erwähnung. Im philosophischen Zeitalter zeichneten sich die Reden von Lenormand und Cochin (gest. 1747) durch Klarheit der Beweisführung aus, namentlich aber lieferte H. Fr. d'Aguesseau (gest. 1751) Musterstücke von bleibendem Wert.
Nachdem endlich die Revolution von 1789 die eigentliche Tribüne geschaffen und die Gerichtssäle auch dem Volk geöffnet hatte, entwickelte sich die Beredsamkeit, durch die Leidenschaften und Bedürfnisse des Augenblicks beherrscht, zu einer Macht, welche thätig und oft entscheidend in die Geschicke Frankreichs eingriff. Unter den Rednern jener Epoche glänzen neben Mirabeau (gest. 1791), dem König der Rednerbühne, besonders Sieyès, der Abbé Grégoire, die Royalisten Maury und v. Cazalès; ferner der Girondist Vergniaud, Guadet und Gensonné, der gewaltige Danton, Robespierre und Saint-Just.
Unter dem Druck der Napoleonischen Herrschaft verstummten die oratorischen Talente oder sanken zu knechtischen Schmeichlern herab; erst nach der Restauration blühte die Staatsberedsamkeit wieder in verjüngter Kraft [* 8] auf, und besonders war es die liberale Partei, welche sich des Wortes als einer scharfen Waffe bediente. Zu den bedeutendsten Rednern der Restauration gehörten Benj. Constant, der General Foy, Lafitte, de Serre und Royer-Collard, Maurel uud ^[richtig: und] d'Argenson, während sich Guizot, Thiers, Berryer, Odilon Barrot, Garnier-Pagès, Victor Hugo und Lamartine besonders nach der Julirevolution hervorthaten. Aus der spätern Zeit sind neben Thiers namentlich Jules Favre, Dufaure, Rouher, Ollivier und Gambetta zu nennen, während die gerichtliche Beredsamkeit an den Brüdern Dupin, Marie, Crémieux, Hennequin, dem jüngern Berryer, Mérilhou, J. ^[Jules] Favre, Lachaud u. a. treffliche Pfleger fand.
Die lange Zeit sehr vernachlässigte allgemeine Geographie ward zuerst von Maltebrun (gest. 1826) gründlicher bearbeitet; doch leiden noch jetzt die französisch-geographischen Lehrbücher sowie die Reisebeschreibungen zum Teil an beispielloser Ungenauigkeit und Oberflächlichkeit. Eine rühmliche Ausnahme machen das »Dictionnaire géographique universelle« (1825),
woran auch Deutsche, [* 9] wie A. v. Humboldt und Klaproth, gearbeitet haben, sowie in der neuern Zeit die gediegenen Arbeiten von Vivien de Saint-Martin (»Histoire de la géographie«, 1873; »Dictionnaire de géographie universelle«, 1875 ff., u. a.),
von Lelewel (»Géographie du moyen-âge« 1852) und El. Reclus (»Géographie universelle«, 1876 ff.; »La terre«, 1867, u. a.).
Von einer Wissenschaft der Philologie (und zwar zunächst der klassischen) kann erst seit dem 16. Jahrh. die Rede sein, wo Männer wie Guillaume Budé, Scaliger, die beiden Etienne (Stephanus), Muretus, Turnebus, die beiden Pithöus, Isaac de Casaubon für diesen Zweig der Gelehrsamkeit erfolgreich thätig waren. Unter der absolutistischen Regierung Ludwigs XIV. und besonders seit der Unterdrückung der Protestanten verlor sich in einem gewissen Grade die philologische Regsamkeit; doch hat auch diese Periode noch Namen wie Vigerus, Salmasius, Palmerius, Guyet, Valesius, Tanegui Lefèbre und seine gelehrte Tochter Anna (Madame Dacier), Dufresne, Andr. Dacier, Larue, J. ^[Jean] Hardouin u. a. aufzuweisen.
Der Jesuit Fr. Pomey erläuterte die Mythologie; Petavius erwarb sich um die Chronologie Verdienst. Als die bedeutendsten Philologen des 18. und 19. Jahrh. sind zu nennen: Nic. Fréret, der die Chronologie weiter förderte, Jos. Pellerin, der die Numismatik bearbeitete, d'Anville, der für die alte Geographie wirkte, Montfaucon und Caylus, welche die Kunst des Altertums erläuterten, Charl. de Brosses, Villoison und Larcher, die für griechische Litteratur thätig waren, endlich aus neuester Zeit die in Frankreich wirkenden Deutschen Brunck, Oberlin, B. Hase, [* 10] Dübner, ferner J. J. ^[Jean Jacques] Barthélemy, Sainte-Croix, Millin-Volney, Clavier, Boissonnade, Courier, A. Letronne u. a. ¶