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zu einer Reihe der beliebtesten Opern sind wegen ihrer eleganten, witzigen Sprache, [* 2] ihrer leichten, gefälligen Form Meisterwerke ihrer Art. -
Das größte Interesse absorbierte der Roman. Die romantische Schule hatte den Boden für realistische Schilderungen und psychologische Analysen schon vorbereitet, und die nach Aufregungen und Zerstreuungen dürstende Gesellschaft that das Ihrige, um die Dichter zu immer neuen, immer pikantern Produktionen zu ermuntern. Alle Romangattungen wurden mit gleichem Eifer und Erfolg angebaut. Der historische Roman brachte als Fortsetzung das Meisterwerk romantischer Archäologie, V. Hugos »Notre Dame«, und die halb phantastischen Machwerke A. Dumas'; den psychologischen und Sittenroman schuf H. de Balzac (gest. 1850),
das glänzendste und vielseitigste Talent dieser Zeit, neben ihm Louis Reybaud (»Jérôme Paturôt«, 1843), L. Gozlan, Ponson du Terrail, Mérimée, J. ^[Jules] Janin, der paradoxe, skeptische Beyle (Stendhal) und der triviale, aber lustige P. de Kock (gest. 1871). E. Sue debütierte mit dem See- und Abenteuerroman, G. Sand mit dem Tendenzroman, und als der Saint-Simonismus die Köpfe zu erhitzen begann und die Gärung in den untern Klassen größere Dimensionen annahm, entstand der soziale Roman, dessen Hauptvertreter E. Sue (gest. 1857), G. Sand (gest. 1876), A. Dumas, Soulié u. a. sind.
Nur wenige, wie G. Sand und A. de Musset, schufen etwas Bleibendes; die sich überstürzende Hast der Produktion, die Spekulation auf den Sinnenreiz einer unersättlichen Menge, die Feuilletonmanier, die cynische Verachtung der Moral ließen ein Kunstwerk nicht zu stande kommen. Mehr Anspruch auf Beachtung haben diejenigen Romanschreiber, welche sich in der Schule Ch. Nodiers (gest. 1844), dessen kleine Novellen Muster eleganter und liebenswürdiger Erzählungskunst sind, bildeten, welche nicht grundsätzlich die Moral und die Einrichtungen der bürgerlichen Gesellschaft, besonders die Ehe, angriffen, und deren Helden und Heldinnen frei sind von der Krankheit des Jahrhunderts.
Dahingehören Ch. Bernard (gest. 1850), J. Sandeau, E. Souvestre (gest. 1854), die Dorfgeschichten von G. Sand u. a. Auf die Litteraturgeschichte übte die hohe Blüte [* 3] der historischen Forschungen den günstigsten Einfluß aus; es wurden wertvolle und bleibende Arbeiten zu Tage gefördert. Neben der Fortsetzung des großen nationalen Werkes der Benediktiner, der »Histoire littéraire de la France«, nimmt den ersten Platz ein Sainte-Beuves vortreffliche Geschichte des »Port-Royal« und seine feinen kritischen Aufsätze, die »Causeries du lundi«; dann die Werke von Saint-Marc Girardin (gest. 1873), de Sacy, Philarète Chasles (gest. 1873) u. a. In systematischer Weise wurde die Litteraturgeschichte bearbeitet von Ampère und Nisard; für die ältere Litteratur sind wichtig die Untersuchungen von Raynouard, Fauriel, Ampère und Ozanam.
II. Das zweite Kaiserreich und die Republik. Die Februarrevolution war keine litterarische Umwälzung, aber der Straßenlärm und die Politik verscheuchten die Poeten; nur eine originelle Gestalt ragt aus dem Tumult hervor, der Chansonnier P. Dupont (gest. 1871). Die rapide Verbreitung sozialistischer Ideen setzte alle, die etwas zu verlieren hatten, in Schrecken und bewog sie, für das zweite Kaiserreich zu stimmen. Mit diesem kamen die Konkordate, die den freien Gedanken in Fesseln schlugen, und eine strenge Zensur.
Widerstrebende Elemente mußten das Vaterland meiden; fast schien es, als wollte die Ära des ersten Napoleon zurückkehren. Nur wenige Schriftsteller schlossen sich der neuen Regierung an, an ihrer Spitze Sainte-Beuve und Mérimée; die meisten warfen sich der Politik in die Arme, beschäftigten sich mit Tagesfragen oder erstrebten einen Sitz in der Kammer. Die Sittenverderbnis nahm einen erschreckenden Umfang an;
die Achtung vor dem Kaiser sank, die giftigsten Pamphlete fanden große Verbreitung;
Kirche und Altar [* 4] wurden verhöhnt, das Familienleben lockerte sich;
die Ehrfurcht vor den Gesetzen schwand, man spottete über Patriotismus und spielte mit Prinzipien;
die Ideale schwanden vor der rastlosen Gier nach Genuß, und alles war käuflich, Lob, Macht und Tugend.
Die Litteratur war ein getreues Spiegelbild dieser Zustände; nur die Lyrik hielt sich ziemlich selbständig. Hier fehlte das führende Genie; V. Hugo lebte in der Verbannung, Lamartine schrieb Romane, A. de Musset war körperlich und geistig gebrochen. Der Einfluß der romantischen Schule war wie mit einem Mal dahin; man hatte sich von der Unwahrheit ihrer Schilderung des Menschen und der Leidenschaften und von dem Gegensatz überzeugt, in welchem ihre Anschauungen vom Mittelalter zu den Ergebnissen der exakten geschichtlichen Forschungen standen. Darum suchten auch die Romantiker, welche 1848 überdauert hatten, allmählich neue Wege einzuschlagen. An der Spitze derselben standen Th. Gautier (gest. 1872) und Th. de Banville, die Wort- und Verskünstler, die Meister der plastischen Poesie.
Ihnen schloß sich eine ganze Reihe jüngerer Männer an, welche die Form dem Inhalt, die Farbe dem Gefühl vorzogen, besonders P. de Belloy und Grammont, der geistreiche A. Houssaye, der Metromane A. Pommier, Blaze de Bury, Vacquerie, A. Sylvestre, Bouilhet, Murger. Aber die gefeilte Form, Reichtum und Reinheit der Sprache, sorgfältig durchgebildete Harmonie können nicht entschädigen für den Mangel an erhabenen Gedanken, an Moralität und echtem Gefühl, noch weniger den Widerwillen besiegen, den Baudelaires und Glatignys Schilderungen des Lasters und Schmutzes einflößen.
Die Teilnahme der bessern Republikaner hatte diese Poesie auch bald eingebüßt, nicht zum wenigsten durch die Schuld Victor Hugos, der aus seiner Verbannung immer wildere Phantasien (»La légende des siècles«, 1859; »Chansons des rues et des bois«, 1865) herübersandte und immer unverständlicher wurde. Fast gar nicht zu spüren ist der Einfluß A. de Mussets, den die jungen Dichter zu inkorrekt, zu dürftig und menschlich fanden, um so mehr aber der Lamartines, den schon V. de Laprade mit Glück nachgeahmt hatte, und unter dessen Auspizien man sich nun wieder dem Hellenentum zuwandte.
Man sprach wieder von griechischen Göttern und griechischer Kunst, und mythologische Anspielungen waren nicht, wie ehedem, verpönt; selbst Banville hatte hierin die romantischen Traditionen durchbrochen. Da es den Epigonen aber an Gedanken mangelte, warf man sich auf die Beschreibung; trefflich ausgeführte Schilderungen idyllischer Landschaftsbilder und der majestätischen Pracht fremder Zonen mußten Handlung und Leben ersetzen. Der Meister dieser Schule war Leconte de Lisle, die stärkste dichterische Individualität dieser Epoche; ihm folgten eine Anzahl jüngerer Talente, die sich in dem »Parnasse contemporain« eine Art Mittelpunkt schufen, und unter denen sich durch Begabung und selbständigere Haltung A. Lecaussade, A. Lemoyne, A. Theuriet, Fr. Coppée, A. Millieu, J. ^[Jean] Aicard u. a. hervorthaten, während auch hier ¶
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die Durchschnittstalente sich in kleinlicher Detailmalerei verloren, Phrasen drechselten ohne Gedanken und den Inhalt dem Reim opferten. Doch gibt es unter den Mitarbeitern am »Parnasse contemporain« auch einige, welche weder der Form noch dem Tone nach dieser Richtung angehören, und deren anspruchsloser und gefühlvoller Lyrik nichts fehlt als der Schwung der Begeisterung: J. ^[Joseph] Autran (gest. 1877), Sully Prudhomme, Mad. Ackermann, Mad. Colet (Luise Revoil, gest. 1876). Eine besondere Erwähnung verdienen die frischen Chansons von G. Nadaud, die zarten Elegien und Romanzen der Frau v. Girardin (Delphine Gay, gest. 1855), die eleganten Sonette J. ^[Joséphin] Soularys, die mythologischen Allegorien A. Lefèvres und das vortreffliche Epos »Mirèio« von Fr. Mistral, dem Haupte der neuprovençalischen Dichterschule.
Das romantische Drama verlor immer mehr an Interesse. Waren schon V. Hugo und A. Dumas ihres Erfolgs nicht mehr sicher, so gelang es ihren Nachahmern A. Vacquerie, P. Meurice, Französische Mallefille, V. Séjour, Französische Dugué, E. Plouvier noch weniger, ihr Publikum zu fesseln; das fehlende Talent sollte durch Kühnheit der Verwickelungen und Effekte ersetzt werden, und die Trivialitäten in Form und Inhalt wurden immer unausstehlicher. Nur vereinzelte Werke, wie »La conjuration d'Amboise« (1868) von Louis Bouilhet, erinnerten an die Blütezeit dieser Schule, und der rauschende Erfolg bei der Wiederaufnahme des »Hernani« vor dem Publikum der Alten und Neuen Welt (bei der Ausstellung von 1867) war einer der schönsten Triumphe des Romantizismus.
Solange Rachel Felix lebte (bis 1858),
bevorzugte ein Teil des gebildeten Publikums die Aufführungen der »École du bon sens«; Ponsards Tragödien, J. ^[Joseph] Autrans »Fille d'Eschyle« und Augiers »Gabrielle«, welche beide den akademischen Preis davontrugen, »Mlle. de la Seiglière« von J. ^[Jules] Sandeau, »Lady Tartuffe« von Frau v. Girardin u. a. beherrschten damals das Théâtre français, welches unter der geschickten Leitung A. Houssayes große Triumphe feierte. Aber auch dieser Stücke ward man überdrüssig, als in dem jüngern A. Dumas (Sohn) ein treuer Interpret der realistischen Neigungen seiner Zeit erstand.
Ihm fehlten die üppige Phantasie, die großartige Leichtigkeit des Schaffens, die seinen Vater auszeichneten; dafür war er ein Meister in der Darstellung des wirklichen Lebens. Er schilderte die Schwächen und Fehler der menschlichen Natur, die Geheimnisse des Familienlebens und studierte besonders die Schichten der Gesellschaft, wo unter der glänzenden Hülle des Lasters sich Not und Elend verbergen. Häufig erkennt man in seinen Dramen die bittere Satire und die moralisierende Tendenz, doch wird die Unmoralität meist zu nahe gestreift, und unter den ungeschickten Händen seiner Nachahmer verfallen seine immerhin ausgezeichneten Sittenstudien dem nackten Naturalismus. In allen seinen Stücken, von der »Dame aux camélias« (1852),
»Demimonde« (1856) bis zur »Étrangère«, »Princesse de Bagdad« (1881) und »Denise« (1885),
handelt es sich um die Lösung sozialer Fragen, um die Rehabilitierung der gefallenen Frau, um Ehebruch und Ehescheidung; ja, sein »Monsieur [* 6] Alphonse« bringt noch bedenklichere Sachen auf die Bühne. Je mehr sich aber die sittenlose Gesellschaft des zweiten Kaiserreichs für dergleichen Stücke interessierte, um so weniger konnten sich die Dichter diesem Einfluß entziehen; alle Formen der szenischen Darstellung wurden zu Zeit- und Sittenbildern, in denen die Dekorationen und Sinnenreize die Hauptanziehungspunkte bilden, und Drama und Komödie unterscheiden sich oft nur dadurch, daß jenes einen weinerlichen, moralisierenden Ton annimmt, diese ins Derbe und Possenhafte umschlägt.
Die berühmtesten Vertreter dieser realistischen Richtung sind neben A. Dumas (Sohn): Victorien Sardou, dessen »Nos intimes« (1861),
»Dora« (1877),
»Daniel Rochat« (1880),
»Théodora« (1885) über die meisten europäischen Bühnen gingen; E. Augier, welcher der »École du bon sens« bald untreu geworden war, mit »Les lionnes pauvres« (1858) und »Les Fourchambault« (1878); Th. Barrière mit »Les filles de marbre« (1853),
»Les faux bonshommes« (1856) u. a. Feiner und unanstößiger sind die besonders bei der Frauenwelt gut angeschriebenen Lustspiele und Vaudevilles von O. Feuillet, die lebendigen Schilderungen E. Paillerons (»Les faux ménages«, 1868),
das natürliche und poetische Charakterbild »Jean-Marie« (1871) von A. Theuriet, einzelne Stücke von G. Sand, von P. Meurice, J. ^[Jules] Sandeau u. a. Bei den Talenten zweiten und dritten Ranges, wie Labiche, Dennery, J. ^[Jules] Barbier, Gondinet, Meilhac, A. Thouroude, A. Bouvier, H. Berque, werden die Verwickelungen immer unwahrscheinlicher, die Situationen immer gewagter, die Erfindung immer exzentrischer; aber auch hier findet sich unter der Spreu hin und wieder eine gute Komödie.
Manche von diesen Autoren versuchten sich mit Glück in Melodramen (z. B. Dennery: »Les deux orphelines«, 1875), Feerien, komischen Opern etc., und wenn so thätige und geschickte Textfirmen wie Michel Carré und J. ^[Jules] Barbier oder Meilhac und Halévy so geniale und populäre Komponisten fanden wie J. ^[Jacques] Offenbach [* 7] und Ch. Lecocq, dann hatten sie beispiellose Erfolge zu verzeichnen. Für diese Art von Produktion hatten der Krieg von 1870 und die wüsten Szenen der Kommune kaum die Bedeutung einer Unterbrechung; dagegen scheint das Unglück des Vaterlandes für einen gewissen Teil der dramatischen Poesie nicht ohne läuternde Wirkung geblieben zu sein.
Wiederum wandte man sich, um der materialistischen Zeitströmung und dem unpoetischen Geist entgegenzutreten, zu dem Urquell aller wahren Poesie, zu den Griechen, zurück; man knüpfte an die Zeiten der Rachel, an den »Oedipe roi« von J. ^[Jules] Lacroix (1858) an, man übersetzte Sophokles und Äschylos (besonders Leconte de Lisle) und versuchte sich wieder in der Nachahmung Corneilles und Racines. Da sind vor allem Borniers »Fille de Roland« (1875) zu nennen und J. ^[Jules] Barbiers »Jeanne d'Arc« (1873), welche mit ungewöhnlicher Begeisterung aufgenommen wurden; aber auch andre junge Dichter, wie Ballande, Deroulède, Ch. Lomon, Du Clésieux, E. Delpit, Parodi u. a., bemühen sich nicht ohne Erfolg, Einfachheit und schlichte Reinheit auf die Bühne zurückzuführen.
Der Roman mußte ebenfalls der realistischen Zeitströmung folgen. Man wollte den Romantikern nicht mehr in das Reich der Erfindung, in fremde Länder und vergangene Zeiten folgen; der Roman sollte das wirkliche Leben illustrieren und seinen Schauplatz in Paris [* 8] suchen. Während der ältere Dumas in seiner phantastischen und flachen, aber drastischen und pikanten Manier noch alljährlich 50-60 Bände auf den Büchermarkt warf und die märchenhaften, oft wüsten Erfindungen seiner Nachtreter sowie die grellen Kulturgemälde E. Sues einen starken Absatz fanden, knüpfte die realistische Richtung an Balzac und Beyle an. Auch hier steht der jüngere Dumas mit an der Spitze. Treue Schilderung des wirklichen Lebens, scharfe Beobachtung des menschlichen Herzens bis in seine geheimsten ¶