mehr
de Grandmaison (gest. 1834) hat sich ein gewisses Interesse zu bewahren gewußt. Im Drama machte sich die Erschöpfung ebenfalls bemerkbar; hier war nur das Schema geblieben, der konventionelle Stil und Zuschnitt; Begeisterung und Phantasie fehlten, und die Personen waren leere Abstraktionen, denen nur das Spiel des großen Talma einiges Leben einzuhauchen vermochte. Und doch fanden die Trauerspiele von Marie Joseph Chénier (gest. 1811), Legouvé (gest. 1812), dem gelehrten Raynouard (gest. 1836), A. Vincent Arnault (gest. 1834) und Lemercier (gest. 1840) großen Beifall, noch größern die Lustspiele von Collin d'Harleville (gest. 1806), Andrieux (gest. 1833), Picard (gest. 1828), Alex. Duval (gest. 1842) und Ch. Guillaume Etienne (gest. 1845) sowie die lustigen Possen und Vaudevilles von Desaugiers (gest. 1827), in denen doch etwas individuelles Leben pulsierte. Die Lyrik hatte unter der Ungunst der Verhältnisse am meisten zu leiden; neben den schon früher erwähnten Parny und Lebrun-Pindare zeichnete sich Charles H. Millevoye (gest. 1816) aus, der in einigen Elegien schon moderne Töne anschlägt; am selbständigsten ist Desaugiers (gest. 1827), der geistreiche Präsident des »Caveau«, dessen lustige Lieder von alt und jung gesungen wurden. Viel Fleiß wurde auf Übersetzungen verwandt; auch hier steht Delille obenan mit seinen »Géorgiques«, die allerdings schon 1772 erschienen waren, aber immer noch als Muster galten; geschätzt waren die Übertragungen des Ossian und des Hiob von Baour-Lormian (gest. 1854), der auch Tassos »Befreites Jerusalem« ins Französische übersetzte.
Als endlich mit dem Sturz des Kaiserreichs die Schranken gefallen waren, mit welchen dasselbe die geistige Entwickelung des Volkes zurückgehalten hatte, nahm die Litteratur einen mächtigen Aufschwung: überall sproßte neues Leben, die Gedanken entfalteten sich üppiger, und frischer und kühner äußerten sich die lange zurückgedrängten Gefühle. Delille war tot (seit 1813); Ducis, Millevoye, Fontanes standen am Ende ihrer Laufbahn; andre Chorführer der klassischen Dichtung, wie Lemercier, Alex. Soumet (gest. 1845), Pierre Lebrun (gest. 1873, »Cid d'Andalousie«), fühlten das Bedürfnis, der Zeitströmung Konzessionen zu machen, und erschreckten durch ihre kühnen Neuerungen bedächtigere Zunftgenossen. Die reinen und idealen Gedichte A. de Vignys (gest. 1863), die ihre Begeisterung aus der Bibel und dem tiefen Gefühl des eignen Herzens schöpften (besonders »Éloa«), gelten als Vorläufer der neuen Schule; ebenso die »Méditations« von Lamartine (1790-1869), in denen die aufgeregte Zeit ihre eignen Gedanken wiederfand. Diese Poesie bedurfte keines mythologischen Lexikons, keiner künstlichen Anregung; sie gehorchte der innern Stimme und verabscheute heidnische Gefühle und Bilder. Neben der biblischen Begeisterung ist es der Patriotismus, der die Herzen durchglüht: die elegischen »Messéniennes« von Delavigne (gest. 1843) und die politischen »Chansons« Bérangers (1780-1857), von denen einzelne den Schwung antiker Oden haben, waren in aller Munde. Die »Odes et ballades« von Victor Hugo (1802-84), welche trotz ihres romantischen Inhalts noch in streng klassischer Form geschrieben sind, verschafften dem Verfasser durch ihre christliche und monarchische Tendenz eine glänzende Stellung. Zuletzt machte man sich von Athen und Rom ganz los und wandte sich der Geschichte des eignen Landes und der hoch entwickelten Litteratur der germanischen Nachbarn zu. Die trefflichste Anleitung dazu fand die Jugend in den Vorträgen ausgezeichneter Lehrer, wie Guizot, Cousin, Villemain; Corneille, Racine, Boileau und Voltaire wurden beiseite gestellt, und man studierte, kommentierte und imitierte Shakespeare, Goethe, Schiller, Calderon, Byron und pries die Gotik. Mit der Sprache und Poesie der Troubadoure machten die Forschungen eines Raynouard bekannt, und Sainte-Beuve (gest. 1869) bewies in seiner »Poésie française au XVI. siècle« (1828), daß die Litteratur früherer Epochen an echt dichterischem Gehalt der des Zeitalters Ludwigs XIV. nicht nachstände. Der Mittelpunkt dieser litterarischen Bewegung, welche zu ihrem Haupttummelplatz zwei Journale, die »Muse française« (seit 1823) und den »Globe« (seit 1825), erwählt hatte, war Ch. Nodier, ihr anerkanntes Haupt Victor Hugo; um sie sammelte sich eine Schar begeisterter Anhänger (das sogen. Cénacle): Sainte-Beuve, Théophile Gautier, Petrus Borel, Emile und Antony Deschamps, Alfred de Musset u. a. Aber alle ihre Reformbestrebungen waren noch unsicherer und schüchterner Art. Erst als der Meister in seiner Vorrede zum »Cromwell« (1827) sein Programm veröffentlichte, gab es eine romantische Schule; erst da merkten die Anhänger des Klassizismus, daß es sich um einen Kampf auf Leben und Tod handle. Die Grundforderung V. Hugos war absolute Freiheit der Kunst; alle konventionellen Regeln und Gesetze wurden verworfen, nur aus der wirklichen Welt sollte der Künstler und Dichter schöpfen. Und wie sich hier Edles neben Gemeinem, Schönes neben Häßlichem, Erhabenes neben Groteskem findet, so sollte es auch der Poesie erlaubt sein, diese Gegensätze zur Anschauung zu bringen. Gerader, derber Ausdruck wurde gestattet, historische Treue gefordert; volkstümlich zu sein, galt für das beste Lob. Die strenge Scheidung der poetischen Gattungen wurde aufgehoben, das verhaßte Joch der rhythmischen Gesetze abgeworfen, die magere Rhetorik der Klassiker verpönt: kurz, gegen alles, was nach Regeln schmeckte, empörte man sich; überall galt Phantasie und Laune. V. Hugo hatte sein Manifest unter dem Eindruck von Vorstellungen Shakespearescher Dramen geschrieben, die von englischen Schauspielern 1827 in Paris aufgeführt wurden: auf dem Theater sollte auch der Kampf ausgefochten werden. Hier war der schwächste Punkt der klassischen Traditionen, welche ihre Anhänger zuletzt nicht anders mehr zu verteidigen wußten als durch das an den König gerichtete Ansinnen, die frechen Neuerungen mit Polizeigewalt zu unterdrücken; und als das letzte Bollwerk der klassischen Poesie, das Théâtre français, dem »Henri III« von A. Dumas (1829) und dem »Hernani« von V. Hugo (1830) den Zutritt verstatten mußte, war der Sieg des Romantizismus entschieden. Mit gleicher Heftigkeit wurde der Kampf von den Talenten zweiten und dritten Ranges geführt. Während Sainte-Beuve, Th. Gautier, die Gebrüder Deschamps, Guttinguer und Mérimée (gest. 1870) mit seinen spanischen und illyrischen Dichtungen unbedingt für die neuen Ideen eintraten, bewahrten andre in der Form wenigstens treu die klassischen Traditionen, so Guiraud und Baour-Lormian, Al. Soumet, Viennet (gest. 1868), der scharfe Gegner der Romantiker, und Andrieux, der ausgezeichnete Vertreter der alten Schule. Dagegen hielten sich die Damen Delphine de Girardin (gest. 1855) und ihre Mutter Sophie Gay (gest. 1852), Desbordes-Valmore (gest. 1859) und Amable Tastu (gest. 1885) mehr zum romantischen
mehr
Lager und veröffentlichten ihre leidenschaftlichen Verse in der »Muse française«. Ruhiger ging es auf der komischen Bühne zu: hier glänzten neben den in der vorigen Periode genannten Dichtern vornehmlich Scribe (gest. 1861), der von 1820 bis 1830 das Gymnasetheater mit einer Fülle von leichten, lustigen Stücken versorgte, und C. Delavigne (gest. 1843), der Verfasser der »École des vieillards«, eines der besten Lustspiele dieser Zeit.
Auch auf dem Gebiet des Romans hatte sich eine rege Thätigkeit entfaltet. Während bei einem großen Teil des Publikums in den ersten 20 Jahren des Jahrhunderts noch die im alten Geschmack, aber mit vollendeter Eleganz geschriebenen Romane der Gräfin de Genlis (gest. 1830), der Marquise de Souza (gest. 1836), der Damen Sophie Cottin (gest. 1807, »Élisabeth, ou les exilés de Sibérie«) und Sophie Gay (gest. 1852), die von de Jouy (gest. 1846), X. de Maistres (gest. 1852) u. a. im höchsten Ansehen standen, wirkten auch hier Frau v. Staël (mit »Delphine« und »Corinne«) und Chateaubriand (mit »Atala«, »René«, »Les Natchez«) für die neuen Ideen bahnbrechend. Namentlich ist »René« in dem sich das überschwengliche Gefühl des Werthertums mit Byronschem Weltschmerz zu der »maladie du siècle« verquickt findet, der Typus einer Reihe von Romanhelden geworden, welche von G. Sand und A. de Musset am poetischten dargestellt sind. Trotz ihrer fieberhaften Thätigkeit fand die eigentliche romantische Schule keine Zeit, Romane zu schreiben, obwohl ihr Herr und Meister in seinen Erstlingswerken: »Han d'Islande« (1822) und »Bug Jargal« (1825), schon gezeigt hatte, wie er mit der klassischen Tradition zu brechen gedachte. V. Hugo hatte offenbar eifrig Walter Scott gelesen, welcher seit seinem »Quentin Durward« (1823) in Frankreich in hohem Ansehen stand. An ihm bildete sich auch der historische Roman, dessen vorzüglichste Erzeugnisse in dieser Epoche d'Arlincourts »Solitaire« (1821), A. de Vignys »Cinq-Mars« (1826) und die beiden Romane Mérimées: »La Jacquerie« (1828) und »Chronique du règne du Charles IX« (1829), waren, und dessen Blüte mit der glänzenden Entwickelung der historischen Studien Hand in Hand ging.
Die Neuzeit.
I. Die Regierung Ludwig Philips. Die Julirevolution, welche die romantische Schule zur Herrschaft brachte, war auch zugleich das Signal zu ihrer Auflösung. Ein Teil ihrer Anhänger ging zur Politik über oder setzte sich in einträgliche Ämter, die andern litten unter den Konsequenzen ihrer Prinzipien und ihrer Kampfesweise und verfielen immer mehr der Übertreibung und dem Lächerlichen; der »Globe« wurde sozialistisch und ging endlich ganz ein. Die kühnen Neuerungen in Sprache und poetischer Technik, welche zum Teil nur in der Hitze des Kampfes ihre Entschuldigung finden, wurden bald zum kindischen Spiel mit der Form; die Betonung des Natürlichen gefiel sich in trockner psychologischer Analyse und verzerrte sich zum nackten Realismus. Die ideale Kunst wurde zur plastischen; poetische Begeisterung glaubte man ersetzen zu können durch mühseligen Fleiß, genaue Beobachtung und glückliche Wortwahl. Der Stil wird breit, schwülstig, unsorgfältig; unendliche Romane, mehrbändige Novellen, zum Sterben langweilige Dramen entstehen in Menge. Der materiellen Zeitrichtung gemäß strebt alles nach Reichtum und Genuß, und in diesem Taumel erschöpfen sich Geist und Produktionskraft in wenigen Jahren; gewissenhaft und sorgfältig ist nur die Litteraturgeschichte. In der Lyrik sind V. Hugo und Lamartine, ehe sie sich der Politik ergaben, noch immer die Koryphäen, jener mit den »Feuilles d'automne« und »Voix intérieures«, dieser mit »Jocelyn« und »Chûte d'un ange«. A. de Vigny, Th. Gautier, Sainte-Beuve und andre Jünger der Romantik legen zu viel Gewicht auf Äußerlichkeiten, auf die künstliche Form, während die Nachahmer Lamartines, V. de Laprade, Saintine (gest. 1865), Brizeux (gest. 1858), Autran (gest. 1877), J. ^[Jean] Reboul (gest. 1864), durch graziöse und tief empfundene Gedichte bezaubern. Den geraden Gegensatz zu Lamartine bildet A. de Musset (1810-57); bei ihm handelt es sich nie um eingebildete Lust oder Schmerz; alles ist wahr und erlebt, wenn auch meist zu leidenschaftlich und wüst. Besondere Erwähnung verdienen die geistsprudelnden, beißenden Iamben A. Barbiers (gest. 1882) und E. Quinets (gest. 1875) bizarres Gedicht »Ahasvérus«. -
Die dramatische Poesie hatte am meisten unter den Übertreibungen der romantischen Prinzipien zu leiden. Zwar entfaltete sich eine reiche Thätigkeit auf diesem Gebiet, V. Hugo, A. Dumas (1803-70), das größte dramatische Talent dieser Renaissance, A. de Vigny fanden ein begeistertes Publikum und zahlreiche Nachahmer; aber das wilde Spiel der Phantasie, das Behagen am Grotesken, Gräßlichen überstiegen nach und nach jedes Maß; die historischen Personen nahmen so unwahrscheinliche Dimensionen, die Verwickelungen einen so rätselhaften Charakter an, daß das Interesse des Publikums bald ganz erlahmte und besonnenere Anhänger, wie Sainte-Beuve, ihre Mißbilligung nicht zurückhielten. Am eifrigsten predigte der Kritiker G. Planche (gest. 1857) gegen die Korruption des romantischen Dramas, und als in der Rachel Felix eine vorzügliche Darstellerin klassischer Rollen gleichsam über Nacht (aus einem Feuilleton J. ^[Jules] Janins) erstanden war, sah man das französische Publikum sich wieder für Corneille, Racine und die klassischen Tragödien (»Lucrèce«, »Charlotte Corday«) eines Ponsard (gest. 1867) begeistern, während V. Hugos »Burgraves« (1843) vor leeren Bänken in Szene gingen. Zu diesem Erfolg der neuklassischen Richtung, welche man die »École du bon sens« nannte, wirkten auch die Dramen von Delphine de Girardin und C. Delavigne (gest. 1843) mit, obwohl beide den romantischen Theorien in wichtigen Punkten sich fügten. Der geringe poetische Wert dieser Stücke und die hohle Phrasenmacherei machten jedoch einen dauernden Erfolg unmöglich; auch die Rachel gab bald ihre Exklusivität auf und fiel zuletzt dem Allerweltskünstler Scribe anheim; zudem lenkten die Februarrevolution und die Errichtung des zweiten Kaiserreichs das Interesse des Publikums in ganz andre Bahnen. Das Lustspiel, welches keine litterarischen Streitigkeiten kannte, hat viel nachhaltigere Erfolge errungen. Hier beherrschte Scribe (gest. 1861), nachdem er 1830 das Vaudeville mit der Prosakomödie vertauscht hatte, die Bühne unumschränkt. Auch A. Dumas fand viel Beifall; höher aber als beide stehen Mérimée (»Théâtre de Clara Gazul«) und besonders A. de Musset, dessen geistreiche Salonkomödien ihren Platz immer behaupten werden. Eine Menge jüngerer Talente erwarben sich in der dramatischen Fabrik Scribes Routine und einen Namen, hauptsächlich: Duveyrier (gest. 1865), Bayard, Saintine. Keinen Rivalen hatte Scribe auf dem Gebiet der Oper; seine von Boieldieu, Auber, Meyerbeer, Halévy, Adam, Verdi etc. komponierten Librettos