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Romanen Sitten und Gebräuche des öffentlichen und privaten Lebens, Wissen und Glauben seiner Personen getreulichst seiner eignen Zeit nachzubilden. Zu diesen drei großen Sagenkreisen kommen nun noch diejenigen Epen hinzu, die jener Einteilung widerstreben, z. B. solche, die ihren nordischen und dänischen Charakter festhalten, wie das Lied »Havelock le Danois« (hrsg. von Michel, 1833);
die Sagen biblischer und orientalischer Herkunft (vgl. G. Paris, [* 2] Les contes orientaux, 1875): »Judas Machabée« und »Baarlaam et Josaphat«, ferner »Heraclius« von Gautier von Arras [* 3] (hrsg. von Maßmann, Quedlinb. 1842);
diejenigen spanischen und maurischen Ursprungs: »Cléomadès« (hrsg. von Hasselt, Brüssel [* 4] 1865, 2 Bde.),
»Floire et Blanceflor« (von I. ^[Immanuel] Bekker, Berl. 1844, und E. Duméril, Par. 1856);
eine Anzahl Abenteuerromane unbestimmten Charakters und der »Cycle de la Croisade« (auch »Chevalier au cygne« genannt),
ein Cyklus von fünf Gedichten, welche sich an die Person Gottfrieds von Bouillon anschließen (wozu im 14. Jahrh. noch »Baudouin de Sebourg« hinzugedichtet wurde), als deren Verfasser Jean Renaut, Richard der Pilger und Graindor von Douai genannt werden.
So war in der Mitte des 13. Jahrh. eine mächtige, blühende Litteratur erwachsen; die Verweltlichung der Stoffe hatte dieselben der Geistlichkeit entzogen und den Laien überantwortet. Trouvères und Jongleure, welche sich mit der Zeit zu Zünften zusammengefunden hatten, und zwischen denen damals fast nur noch der Unterschied der Begabung anerkannt wurde, Ménestrels oder Ménétriers, wie die Jongleure seit dem 13. Jahrh. hießen, verbreiteten dieselben von Hof [* 5] zu Hof, von Burg zu Burg, weit über Frankreichs Grenzen [* 6] hinaus und ergänzten die zivilisatorische Mission der Kreuzzüge. Ganz Europa [* 7] nahm teil an dieser Geistesblüte; besonders die deutsche Litteratur hat Anregung und Muster fast durchweg den französischen Epen entnommen.
Ein merklicher Umschwung war in den Anschauungen und Sitten der damaligen Zeit vor sich gegangen, hauptsächlich unter dem Einfluß der Ritter- und Zauberwelt des bretonischen Sagenkreises. Für den Ritter der Chansons de geste, dem mit seinem germanischen Erbteil ungefüger Tapferkeit und wildem, trotzigem Mut eine gute Portion Roheit anhaftete, erschien der edle, liebenswürdige Artusritter als das Ideal aller Ritterlichkeit, und Waffenruhm und Minnesold galten bald allein als Zweck des Daseins.
Aber Einseitigkeit und Übertreibung ließen die Schattenseiten ungebührlich hervortreten: der Frauendienst wurde zur unverhüllten Sittenleichtfertigkeit, zur seichten Liebelei, die Freude am Waffenruhm zur unersättlichen Sucht nach Abenteuern. Der durch die Kreuzzüge eröffnete Blick in die farbenglühende orientalische Welt, deren Märchen mit Begierde gelesen wurden, regte den Sinn mächtig auf, und seitdem es einem französischen Prinzen gelungen war, auf der Orientfahrt einen Kaiserthron zu erobern (1204), galt der erhitzten Phantasie nichts mehr für unmöglich.
Die Dichter überboten sich in Erfindungen unerhörter Thaten und fabelhafter Abenteuer, und so entstanden die Abenteuerromane, in denen die Äußerlichkeit und Zwecklosigkeit der Thaten mit der übermäßigen Wortfülle und Weitschweifigkeit der Darstellung Hand [* 8] in Hand geht. Noch bediente man sich des kurzen achtsilbigen Verses mit Reimpaaren, den die Artusromane eingeführt hatten, oder der endlosen Tirade mit Assonanzen, und der glatte, eintönige Fluß dieser Verse ist nicht der letzte Grund für den Phrasenschwall und die Frivolität der Gedichte. Mit der abnehmenden Inspiration und der sich erschöpfenden Phantasie aber nimmt die Prosa (im 14. Jahrh.) allmählich überhand. Die interessantesten Abenteuerromane sind: »Parthenopeus de Blois« von Denys Pyramus (hrsg. von Crapelet, Par. 1834) und der »Roman de la violette« oder »Gerard de Nevers« von Gilbert de Montreuil (hrsg. von Michel, das. 1834);
andre finden sich bei Crapelet, »Monuments de l'ancienne littérature française« (1816-30, 13 Bde.).
Eine Verbindung von Sage und Geschichte bieten die Reimchroniken, die nicht selten ganz episch gehalten sind; hierher gehören: der »Roman de Rou« und der »Roman de Brut« (um 1155) von Robert de Wace, die »Histoire des ducs de Normandie« von Beneoit de Sainte-More, die »Histoire des rois anglo-saxons« von Geoffroy Gaimar (um 1146),
der »Guillaume d'Engleterre« von Chrestien de Troies, die »Chronique rimée«, eine Geschichte Frankreichs und Flanderns, von Philippe Mouskes u. a. Sogar die trefflichen Memoiren des Marschalls der Champagne, Villehardouin (gest. 1213), und diejenigen Joinvilles (gest. 1319) sind von dem episch-ritterlichen Geist ihrer Zeit durchweht.
Auch die älteste lyrische Poesie hatte vorzugsweise epischen Charakter und beschränkte sich, solange sie fast ausschließlich in den Händen der Geistlichen lag, auf kirchliche und heroische Stoffe, welche in der Form der alten Kantilenen (von der heiligen Eulalia etc.) verfasst und gesungen wurden. Das Aufblühen der Volkspoesie, welche sicherlich mehr lyrischen Charakter hatte, war erst möglich, als die romanische Sprache [* 9] zur litterarischen Geltung gelangte und die Dichtkunst anfing, von weltlichen Dichtern gepflegt zu werden.
Während sich in den Lais (s. d.) und Pastourellen leichtere Verse und lebhaftere Rhythmen finden, hat die bevorzugte Gattung des 12. Jahrh., die Romanze, noch ganz epische Formen und beweist ihren volkstümlichen Charakter durch ihren engen Zusammenhang mit der epischen Poesie und das fast durchgängige Fehlen der Autornamen. Einen gewaltigen Umschwung bewirkten die Kreuzzüge. Indem sie die Völker einander näherten und den Austausch von Gedanken und Gefühlen beförderten, machten sie die Nordfranzosen mit der glänzenden Lyrik der Troubadoure bekannt; seit der Mitte des 12. Jahrh. werden auf den Schlössern Flanderns, Burgunds und der Champagne provençalische Lieder gesungen und nachgeahmt, und von dieser Zeit datiert in Nordfrankreich eine Kunstlyrik oder höfische Poesie.
Doch erst nach dem dritten Kreuzzug gewinnt dieselbe allgemeine Verbreitung; die Volkslyrik wird zurückgedrängt, die Romanzen verschwinden, die Pastourellen werden künstlicher, die Lais machen sich von der epischen Poesie los. Vornehmlich aber wird die Chanson d'amour kultiviert, und alle provençalischen Kunstformen: Jeu-parti, Descort, Serventoir oder Sirvente, Salut etc., erscheinen von jetzt an in der französischen Litteratur. Die Formen werden reicher und komplizierter, bewahren aber noch ihre ganze Freiheit, da strenge Gesetze erst mit dem 14. Jahrh. geschaffen und beobachtet werden. Auch im Norden [* 10] wurde die Poesie eine Lieblingsbeschäftigung hoher Herren: Könige und Prinzen, namentlich Thibaut IV. von Navarra, dichteten mit ihrem Hofadel um die Wette und machten dadurch die Poesie zu einer höfischen, ritterlichen Kunst. Die Zahl dieser Hofsänger wuchs demgemäß bedeutend an. Der 23. Band [* 11] der großen »Histoire littéraire de la France« erwähnt über 200 Dichter; ¶
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am gefeiertsten waren Gaces Brulez, Colin Muset, Raoul (Renaut) de Coucy, Adam de la Halle, Jean Bodel, Perrin d'Angecourt, Quesne de Bethune, Guiot de Provins u. a. Muster der ältern mehr volkstümlichen Lyrik finden sich bei P. Paris, »Romancero« (Par. 1833);
Wackernagel, »Altfranzösische Lieder und Leiche« (Basel [* 13] 1846);
E. Mätzner, »Altfranzösische Lieder« (Berl. 1853);
Bartsch, »Romanzen und Pastourellen« (Leipz. 1870).
Vgl. auch A. Scheler, Trouvères belges du XII. au XIV. siècle (Brüssel 1876).
In scharfem Gegensatz zu der höfischen Lyrik steht die volkstümliche satirische Dichtung, die in ihren Schwänken und komischen Anekdoten (fabliaux, contes) ein anschauliches Bild des damaligen Sittenzustandes bietet. Seit dem 13. Jahrh. in Aufnahme gekommen, überziehen die Fabliaux in buntester Mannigfaltigkeit die Thorheiten und Lächerlichkeiten des bürgerlichen Lebens mit ihrem derben Spott, vornehmlich das unerschöpfliche Thema der Ehe behandelnd; nur selten und mit Vorsicht werden Adel und Geistlichkeit angegriffen. In manchen Erzählungen steht der frivole, oft geradezu unzüchtige Ton, der den Fabliaux eigen ist, in eigentümlichem Gegensatz zu der frommen Tendenz, so in den heiligen Geschichten (contes dévots), die wegen ihrer gedrängten Behandlung und des kurzen Verses zu den Fabliaux gerechnet werden müssen.
Satirischer Art sind auch die Dits, Débats, Disputes oder Disputoirons, Batallies, Legs oder Testaments, Parodies, Resveries, Fatrasies etc.; einige von diesen wagen sich sogar auf das Gebiet der Politik, worin der Einfluß der provençalischen Sirventes nicht zu verkennen ist. Die dialogische Form einzelner Gedichte (débats, disputes etc.) entwickelt oft dramatische Lebendigkeit und bildet das natürliche Mittelglied bei dem Übergang der satirischen Poesie in die dramatische, der sich im 15. Jahrh. vollzieht. Noch sind als satirische Formen die »Bibles« zu erwähnen, umfangreiche Sittenspiegel, von denen die »Bible« von Guiot de Provins (Ende des 12. Jahrh.) und die »Bible au seigneur de Berze« (ca. 1210) am berühmtesten waren. Der gefürchtetste Satiriker des 13. Jahrh. ist Rutebeuf; seine Verse richten sich besonders gegen die hohe Geistlichkeit und sprudeln von übermütiger, zügelloser Laune. Eine Reihe andrer Dichter findet sich besprochen bei V. Le Clerc, [* 14] Histoire littéraire de la France, Bd. 23. S. Fabliau, wo auch die Sammlungen von diesen Dichtungen angeführt sind.
Zu der satirischen Poesie müssen noch zwei Gedichte gezählt werden, welche große Berühmtheit erlangt haben und Geist und Charakter dieser Periode aufs treueste zur Anschauung bringen: der »Roman de Renart« und der »Roman de la Rose«. Die Fabel vom Fuchs [* 15] und vom Wolf ist lateinischen Ursprungs (Äsop) und schon frühzeitig in den Klöstern mit Vorliebe gepflegt worden; die ältesten Bearbeitungen, die beiden lateinischen Gedichte: »Isemgrimus« und »Reinhardus«, datieren aus der Mitte des 12. Jahrh. Auf Grund der Überlieferung oder durch Neudichtung entstanden nun gegen Ende des 12. Jahrh. 32 verschiedene Branchen, in denen einzelne Abenteuer des Fuchses besungen werden, und deren Autoren, außer Pierre de Saint-Cloud und Richard de Lison, nicht genannt sind.
Schon in diesen Gedichten macht sich neben dem altepischen ein allegorisch-satirisches Element bemerklich, das in den Bearbeitungen des folgenden Jahrhunderts (»Renart le contrefait« u. a.), welche durch Kompilationen und abenteuerliche Erfindungen, breite Redseligkeit und das Auskramen unverdauter Gelehrsamkeit zu einem unnatürlichen Umfang (62,000 Verse) anschwellen, die Hauptsache bildet. Die vollständigste Ausgabe ist die von Méon (Par. 1826, 4 Bde.); Ergänzungen bietet Chabaille (das. 1835).
Vgl. Jonckbloet, Étude sur le Roman de Renart (Haag [* 16] 1863).
Schon früh hatte sich die Allegorie in die Litteratur hineingedrängt; die pedantische Gelehrsamkeit der lateinischen Klosterpoesie sowie die künstelnde Tändelei der Troubadoure hatten sich ihrer mit Vorliebe bedient; zur Vollendung aber gelangte sie erst im »Roman de la Rose«, von Guillaume de Lorris (ca. 1240) begonnen und von Jehan de Meung, genannt Clopinel, um 1300 vollendet. Während der erste Teil (4000 Verse), der trotz des einförmigen Gegenstandes und der unpoetischen Form durch die Grazie und Lebendigkeit des Stils interessieren könnte, mehr der lehrhaften Dichtung angehört, wendet sich der zweite Teil (18,000 Verse) ganz zur Satire und bietet zugleich ein umfassendes Bild des damaligen Wissens. Gerade dieser encyklopädischen Eigenschaft wegen war das Gedicht jahrhundertelang ein Lieblingsbuch der Franzosen; aber schon früh haben die Trivialitäten und Pedanterien sowie der Wust unreifen Wissens ihre gebührende Kritik gefunden. Die beste Ausgabe ist von Fr. Michel (Par. 1864, 2 Bde.).
Eng mit der satirischen Dichtung verwandt ist die didaktische; sie hat mit ihr die Entwickelung aus der Predigt gemeinsam und bleibt ebenfalls ausschließlich geistlichen und bürgerlichen Dichtern überlassen. Neben rein belehrenden Schriften, wie Kalendern (computs), z. B. dem »Liber de creaturis« von Philippe de Thaun (ca. 1119),
zoologischen Werken (»Bestiaires«, z. B. von Philippe de Thaun, von Wilhelm von der Normandie, »Volucraires« etc.),
kosmographischen (»Dits des planètes«, »Vers du monde« u. a.),
Jagdbüchern (»Dels Auzels cassadors«, »La chace dou cerf«) u. a., stehen die moralisierenden Gedichte, Heiligenbiographien, Übersetzungen klassischer Werke (»Disticha Catonis«, ca. 1145, Aristoteles, Boethius),
Anstandslehren (»Castoiements, doctrinaux, enseignements«),
die mehr homiletischen Schriften des Reclus du Moliens (»Miserere« und »Roman de charité«, 13. Jahrh.),
das lange Gedicht »Moralités des philosophes« und viele andre, welche gar keinen poetischen Wert haben. Hierher gehören auch die moralisierende Tierfabel und die mit ihr eng verbundene Menschenfabel, orientalischen oder klassischen Ursprungs. Unter den zahlreichen Sammlungen (»Ysopets« nach Äsop) ist diejenige der Marie de France (13. Jahrh.) die berühmteste.
Vgl. Robert, Fables inédites des XII., XIII., XIV. siècles (Par. 1825, 2 Bde.).
Der »Roman des sept sages de Rome« oder »Dolopathos« ist eine Sammlung von Märchen orientalischer Herkunft. Bald wurde alles mögliche in Verse gebracht, medizinische, juristische, grammatische Stoffe; man reimte das Alphabet, die Münzen [* 17] und Straßen von Paris. Auch encyklopädische Werke erhalten eine poetische Form, wie die »Bible de sapience« von Herman von Valenciennes (13. Jahrh.) und die umfangreiche »Image du monde« von Gautier von Metz [* 18] (ca. 1245).
Die dramatische Poesie entwickelte sich ebenfalls aus dem religiösen Kultus, indem in die Liturgien an hohen Festen und in die Recitationen von Heiligengeschichten nach und nach Dialog und Handlung eingefügt wurden;
bis zum Ende des 11. Jahrh. herrschte die lateinische Sprache ausschließlich. Um diese Zeit jedoch machten sich Neuerungen bemerklich;
episodenartig werden Erzählungen und gereimte ¶