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von Rolands und seiner Gefährten Heldenkampf den Kern bildet. Statt der Assonanz tritt nun der Reim ein, und der Alexandriner (zuerst in »Voyage de Charlemagne« bei Koschwitz, s. oben) ersetzt häufig den zehnsilbigen Vers. Das letzte Stadium beginnt mit der Mitte des 13. Jahrh., wo die Begeisterung für Kreuzzüge und frommes Rittertum geschwunden war. Die schaffende Kraft [* 2] ist erloschen, die vorhandenen Stoffe werden ergänzt, kompiliert und klassifiziert; die Gedichte schwellen unnatürlich an, manche zählen über 20,000 Verse; es finden sich schon alternierende Reime.
Dem Stoff nach teilt man die Chansons de geste in drei Kreise [* 3] ein, welche ihren Mittelpunkt in dem König, Doo(li)n von Mainz [* 4] und Garin von Montglane haben; den beiden ersten Gruppen, in denen die großen Rebellen des Nordens besungen werden, stehen in der dritten die Königstreuen des Südens gegenüber. Einzelne kleinere Gruppen lassen sich hier nicht unterbringen, so der ganze »Roman des Loherains«, in welchem französische und deutsche Geschlechter sich in blutiger Fehde bekämpfen;
»Raoul de Cambrai« (hrsg. von Le [* 5] Glay, Par. 1840);
»Girartz de Rossilho«, die einzige Chanson de geste, welche dem Süden angehört (hrsg. von Michel, das. 1856);
»Amis et Amiles« (hrsg. von Hofmann, Erlang. 1852) u. a. Verfasser sind nur zu zwölf Gedichten bekannt, darunter Raimbert de Paris [* 6] (»Ogier le Danois«),
Jehan de Flagy (»Garin le Loherain«),
beide aus dem 12. Jahrh., Adenet le Roi (»Berte aus grans piés«, »Beuve de Comarchis«, »Enfances Ogier«, »Cléomadès«) aus dem 13. Jahrh. etc. Seit 1858 erscheint unter dem Titel: »Les anciens poètes de la France« eine vollständige Sammlung der altepischen Dichtungen Frankreichs von Guessard, welche allein für den fränkischen Sagenkreis auf 40 Bände berechnet ist.
Vgl. L. Gautier, Les épopées françaises (Par. 1865-68);
G. Paris, Histoire poétique de Charlemagne (das. 1866);
R. Foß, Zur Karlssage (Berl. 1869);
die Bibliographie bei Nyrop, »Den oldfranske Heldtedigtning« (Kopenh. 1883).
Der zweite große Sagenkreis ist der bretonische und umschließt die Sagen von König Artus und seiner Tafelrunde und vom Gral. Dieser wird fast nur von Normannen und Anglonormannen kultiviert und ist hervorgegangen aus den Lais der bretonischen Harfner, welche den Jongleuren entsprechen und neben ihnen auftreten. Die Sagen, Legenden und Lieder, die sich um die märchenhaft ausgeschmückte historische Persönlichkeit des Königs Artus bildeten, wurden von dem aremoricanischen Mönch Nennius 857 in seiner Chronik gesammelt und diese wieder von Gottfried von Monmouth (ca. 1150) zur Grundlage seiner »Historia Britonum« gemacht; ebenderselbe hatte etwas früher in lateinischen Versen die Prophezeiungen des Zauberers Merlin besungen, des Repräsentanten des keltischen Druidentums.
Dazu kam die Legende vom ritterlichen Keltenapostel Joseph von Arimathia, dem Bringer des heiligen Grals, welche, ebenfalls um 1150, von zwei Seiten einer Bearbeitung unterzogen wurde: von Gautier von Map, dem Vertrauten Heinrichs II. von England, welcher einen vor dem 12. Jahrh. entstandenen »Liber gradalis« ins Französische übersetzte und erweiterte, und von Robert de Borron, welcher die Sagen seiner lothringischen Heimat, wo Joseph von Arimathia anfangs begraben lag, in einem kurzen, trocknen Gedicht erzählte.
In den folgenden Jahren entstanden zahlreiche Prosabearbeitungen dieser Stoffe, in welche auch orientalische Sagen verwebt wurden, wie die vom heiligen Barlaam, von den sieben Weisen von Rom [* 7] etc. Auf diese Weise hatten sich fünf Zweige dieses Cyklus herausgebildet: die Sagen vom heiligen Gral, von Merlin, von Lancelot vom See, von der Aufsuchung des Grals und von Tristan. Anfangs fanden dieselben jedoch nur geringe Verbreitung in Frankreich, teils wegen ihrer Länge, teils wegen der Abneigung der Jongleure gegen die fremden, prosaischen Stoffe.
Erst als die meisten derselben in der feinen poetischen Bearbeitung von Chrestien de Troies vorlagen (zwischen 1170 und 1190), drangen sie ins Volk und wurden in kurzer Zeit so beliebt, daß sie nicht nur den Chansons de geste gleich geachtet wurden, sondern auch einen merklichen Einfluß auf Sitten und Denkungsart der damaligen Zeit ausübten. Auch andre Dichter beschäftigten sich mit der poetischen Gestaltung dieser Sagen; besonders die Lancelotsage hat eine eingehende Bearbeitung erfahren. Chrestiens großer Roman »Tristan« ist (ebenso wie »Le chevalier à l'épée«) gänzlich verloren gegangen; Gottfried von Straßburg, der diese Sage am vollständigsten und poetischten behandelt hat, nennt als seine Quelle [* 8] einen sonst unbekannten Thomas aus der Bretagne.
Vgl. »Les romans de la Table Ronde« von P. Paris (1868, 5 Bde.) und von de la Villemarqué (3. Aufl. 1860).
Der dritte große Sagenkreis ist der antike. Schon früh hatte sich die gelehrte Sage in die Epen eingeschlichen: die Volkslieder hatten von jeher neben der Heldensage antike Stoffe besungen, die Lais der bretonischen Harfner wußten von Odysseus, Ödipus, Theseus etc., und in Chrestiens Gedichten sind Anspielungen darauf nicht selten. Seit dem 12. Jahrh. aber machte man große Gedichte über diese Stoffe, sei es nun, daß gelehrte Trouvères einen Stoff haben wollten, den das fahrende Volk der Jongleure sich nicht so leicht aneignen könnte, sei es auch, daß die Wißbegierde des Publikums nach neuen Liedern verlangte. Am beliebtesten war die Sage von der Zerstörung Trojas und von Alexander d. Gr., meist schon nach byzantinisch-orientalischen Traditionen; die bekanntesten Epen sind: »Le roman de la destruction de Troies« vom anglonormännischen Trouvère Beneoit de Sainte-More (er dichtete zwischen 1180 und 1190; vgl. über ihn Joly, Par. 1870-71, 2 Bde., und Fischer, Paderb. 1883),
»Le roman d'Énéas« (wohl auch von Beneoit),
Gedichte über den Argonautenzug, über Theben, J. Cäsar etc., besonders aber »Li romans d'Alixandre« von Lambert li Cors und Alexandre de Bernay (auch de Paris genannt),
vor 1188 gedichtet (hrsg. von Michelant, Stuttg. 1846),
in welchem die schon länger bekannte zwölfsilbige, zweiteilige Langzeile mit solcher Meisterschaft behandelt war, daß sie »Alexandriner« genannt wurde. Zu erwähnen ist, daß der Roman von Alexander noch fast ein Dutzend verschiedener Bearbeitungen erfuhr, von denen allerdings keine jener ersten zu vergleichen ist (vgl. Alexandersage).
Wenn einige dieser Stoffe direkt aus den alten Autoren übersetzt worden sind, andre einer freiern Gestaltung unterzogen wurden, so gab es wiederum Romane, zu denen das Altertum nichts als die Namen herlieh. Ebensowenig aber widerstrebt es dem ungeschichtlichen Sinn jener Zeiten, daß Trojaner und Makedonier die ritterlichen und galanten Allüren der Helden der Tafelrunde annehmen, die wunderbarsten Abenteuer mit Riesen und Zauberern zu bestehen haben, ja in direkte Berührung mit Artus und seinen Genossen gebracht werden, und niemals nimmt der Dichter Anstand, in seinen ¶
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Romanen Sitten und Gebräuche des öffentlichen und privaten Lebens, Wissen und Glauben seiner Personen getreulichst seiner eignen Zeit nachzubilden. Zu diesen drei großen Sagenkreisen kommen nun noch diejenigen Epen hinzu, die jener Einteilung widerstreben, z. B. solche, die ihren nordischen und dänischen Charakter festhalten, wie das Lied »Havelock le Danois« (hrsg. von Michel, 1833);
die Sagen biblischer und orientalischer Herkunft (vgl. G. Paris, Les contes orientaux, 1875): »Judas Machabée« und »Baarlaam et Josaphat«, ferner »Heraclius« von Gautier von Arras [* 10] (hrsg. von Maßmann, Quedlinb. 1842);
diejenigen spanischen und maurischen Ursprungs: »Cléomadès« (hrsg. von Hasselt, Brüssel [* 11] 1865, 2 Bde.),
»Floire et Blanceflor« (von I. ^[Immanuel] Bekker, Berl. 1844, und E. Duméril, Par. 1856);
eine Anzahl Abenteuerromane unbestimmten Charakters und der »Cycle de la Croisade« (auch »Chevalier au cygne« genannt),
ein Cyklus von fünf Gedichten, welche sich an die Person Gottfrieds von Bouillon anschließen (wozu im 14. Jahrh. noch »Baudouin de Sebourg« hinzugedichtet wurde), als deren Verfasser Jean Renaut, Richard der Pilger und Graindor von Douai genannt werden.
So war in der Mitte des 13. Jahrh. eine mächtige, blühende Litteratur erwachsen; die Verweltlichung der Stoffe hatte dieselben der Geistlichkeit entzogen und den Laien überantwortet. Trouvères und Jongleure, welche sich mit der Zeit zu Zünften zusammengefunden hatten, und zwischen denen damals fast nur noch der Unterschied der Begabung anerkannt wurde, Ménestrels oder Ménétriers, wie die Jongleure seit dem 13. Jahrh. hießen, verbreiteten dieselben von Hof [* 12] zu Hof, von Burg zu Burg, weit über Frankreichs Grenzen [* 13] hinaus und ergänzten die zivilisatorische Mission der Kreuzzüge. Ganz Europa [* 14] nahm teil an dieser Geistesblüte; besonders die deutsche Litteratur hat Anregung und Muster fast durchweg den französischen Epen entnommen.
Ein merklicher Umschwung war in den Anschauungen und Sitten der damaligen Zeit vor sich gegangen, hauptsächlich unter dem Einfluß der Ritter- und Zauberwelt des bretonischen Sagenkreises. Für den Ritter der Chansons de geste, dem mit seinem germanischen Erbteil ungefüger Tapferkeit und wildem, trotzigem Mut eine gute Portion Roheit anhaftete, erschien der edle, liebenswürdige Artusritter als das Ideal aller Ritterlichkeit, und Waffenruhm und Minnesold galten bald allein als Zweck des Daseins.
Aber Einseitigkeit und Übertreibung ließen die Schattenseiten ungebührlich hervortreten: der Frauendienst wurde zur unverhüllten Sittenleichtfertigkeit, zur seichten Liebelei, die Freude am Waffenruhm zur unersättlichen Sucht nach Abenteuern. Der durch die Kreuzzüge eröffnete Blick in die farbenglühende orientalische Welt, deren Märchen mit Begierde gelesen wurden, regte den Sinn mächtig auf, und seitdem es einem französischen Prinzen gelungen war, auf der Orientfahrt einen Kaiserthron zu erobern (1204), galt der erhitzten Phantasie nichts mehr für unmöglich.
Die Dichter überboten sich in Erfindungen unerhörter Thaten und fabelhafter Abenteuer, und so entstanden die Abenteuerromane, in denen die Äußerlichkeit und Zwecklosigkeit der Thaten mit der übermäßigen Wortfülle und Weitschweifigkeit der Darstellung Hand [* 15] in Hand geht. Noch bediente man sich des kurzen achtsilbigen Verses mit Reimpaaren, den die Artusromane eingeführt hatten, oder der endlosen Tirade mit Assonanzen, und der glatte, eintönige Fluß dieser Verse ist nicht der letzte Grund für den Phrasenschwall und die Frivolität der Gedichte. Mit der abnehmenden Inspiration und der sich erschöpfenden Phantasie aber nimmt die Prosa (im 14. Jahrh.) allmählich überhand. Die interessantesten Abenteuerromane sind: »Parthenopeus de Blois« von Denys Pyramus (hrsg. von Crapelet, Par. 1834) und der »Roman de la violette« oder »Gerard de Nevers« von Gilbert de Montreuil (hrsg. von Michel, das. 1834);
andre finden sich bei Crapelet, »Monuments de l'ancienne littérature française« (1816-30, 13 Bde.).
Eine Verbindung von Sage und Geschichte bieten die Reimchroniken, die nicht selten ganz episch gehalten sind; hierher gehören: der »Roman de Rou« und der »Roman de Brut« (um 1155) von Robert de Wace, die »Histoire des ducs de Normandie« von Beneoit de Sainte-More, die »Histoire des rois anglo-saxons« von Geoffroy Gaimar (um 1146),
der »Guillaume d'Engleterre« von Chrestien de Troies, die »Chronique rimée«, eine Geschichte Frankreichs und Flanderns, von Philippe Mouskes u. a. Sogar die trefflichen Memoiren des Marschalls der Champagne, Villehardouin (gest. 1213), und diejenigen Joinvilles (gest. 1319) sind von dem episch-ritterlichen Geist ihrer Zeit durchweht.
Auch die älteste lyrische Poesie hatte vorzugsweise epischen Charakter und beschränkte sich, solange sie fast ausschließlich in den Händen der Geistlichen lag, auf kirchliche und heroische Stoffe, welche in der Form der alten Kantilenen (von der heiligen Eulalia etc.) verfasst und gesungen wurden. Das Aufblühen der Volkspoesie, welche sicherlich mehr lyrischen Charakter hatte, war erst möglich, als die romanische Sprache [* 16] zur litterarischen Geltung gelangte und die Dichtkunst anfing, von weltlichen Dichtern gepflegt zu werden.
Während sich in den Lais (s. d.) und Pastourellen leichtere Verse und lebhaftere Rhythmen finden, hat die bevorzugte Gattung des 12. Jahrh., die Romanze, noch ganz epische Formen und beweist ihren volkstümlichen Charakter durch ihren engen Zusammenhang mit der epischen Poesie und das fast durchgängige Fehlen der Autornamen. Einen gewaltigen Umschwung bewirkten die Kreuzzüge. Indem sie die Völker einander näherten und den Austausch von Gedanken und Gefühlen beförderten, machten sie die Nordfranzosen mit der glänzenden Lyrik der Troubadoure bekannt; seit der Mitte des 12. Jahrh. werden auf den Schlössern Flanderns, Burgunds und der Champagne provençalische Lieder gesungen und nachgeahmt, und von dieser Zeit datiert in Nordfrankreich eine Kunstlyrik oder höfische Poesie.
Doch erst nach dem dritten Kreuzzug gewinnt dieselbe allgemeine Verbreitung; die Volkslyrik wird zurückgedrängt, die Romanzen verschwinden, die Pastourellen werden künstlicher, die Lais machen sich von der epischen Poesie los. Vornehmlich aber wird die Chanson d'amour kultiviert, und alle provençalischen Kunstformen: Jeu-parti, Descort, Serventoir oder Sirvente, Salut etc., erscheinen von jetzt an in der französischen Litteratur. Die Formen werden reicher und komplizierter, bewahren aber noch ihre ganze Freiheit, da strenge Gesetze erst mit dem 14. Jahrh. geschaffen und beobachtet werden. Auch im Norden [* 17] wurde die Poesie eine Lieblingsbeschäftigung hoher Herren: Könige und Prinzen, namentlich Thibaut IV. von Navarra, dichteten mit ihrem Hofadel um die Wette und machten dadurch die Poesie zu einer höfischen, ritterlichen Kunst. Die Zahl dieser Hofsänger wuchs demgemäß bedeutend an. Der 23. Band [* 18] der großen »Histoire littéraire de la France« erwähnt über 200 Dichter; ¶