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eine Koalition gegen das neue, wie man hoffte, auch bei den andern Völkern verhaßte Deutsche Reich, besonders auf die Hilfe Rußlands. Decazes, welcher 1873-77 die auswärtige Politik Frankreichs leitete, war unablässig bemüht, eine solche günstige Konstellation vorzubereiten. Die Friedensliebe des deutschen Kaisers und Volkes, die Wachsamkeit und Umsicht Bismarcks vereitelten freilich alle französischen Pläne und Hoffnungen, und nach Decazes' Rücktritt trat eine Wendung in der auswärtigen Politik ein.
Indem man sich den Revanchekrieg für die Zukunft vorbehielt, beschloß man die Wahrung der französischen Interessen auf andern Gebieten, namentlich im Orient und im Mittelmeer, nicht zu versäumen. Der auswärtige Minister Waddington vertrat selbst Frankreich 1878 auf dem Berliner Kongreß und sicherte sich hier die Zustimmung Englands und Bismarcks zu dem Plan, Tunis in den französischen Machtbereich zu ziehen. Auch in Ägypten wahrte die Regierung Frankreich neben England einen maßgebenden Einfluß bei der Kontrolle der Finanzen.
Einer aktiven Politik standen nun freilich manche Bedenken entgegen. Viele Franzosen wollten sich nicht in auswärtige Unternehmungen einlassen, welche Bismarck benutzen könne, um über das wehrlose Frankreich herzufallen oder andre Mächte gegen dasselbe zu hetzen. Erst als die Italiener in Tunis sich mehr und mehr festsetzten, beschloß Ferry 1881, zu handeln. Räubereien, welche der Tunis unterthänige Stamm der Krumir an der Grenze von Algerien verübt haben sollte, gaben den erwünschten Vorwand, den Einmarsch französischer Truppen in Tunis zu befehlen.
Diese nötigten dem Bei einen Vertrag auf, der Tunis unter die französische Schutzherrschaft stellte. Allerdings erforderte der Widerstand der Bevölkerung eine Verstärkung der Truppenmacht und einen Feldzug in das Innere, indes vor Ende des Jahrs war das Land unterworfen, und die Organisation desselben wurde sofort begonnen, worüber ein neuer Vertrag mit dem Bei abgeschlossen ward (s. Tunis). Gambetta glaubte jetzt (Januar 1882) den Augenblick gekommen, durch eine kräftige Aktion in Gemeinschaft mit England in Ägypten, wo der Aufstand Arabi Paschas ausgebrochen war (s. Ägypten), eine enge und feste Allianz mit diesem Reich anzuknüpfen und hierdurch sowie durch Verbindung mit den russischen Panslawisten Frankreich einen Rückhalt zu verschaffen, der ihm den ersehnten Revanchekrieg ermögliche.
Indes die Weigerung des englischen Kabinetts, schon jetzt zu einer bewaffneten Intervention in Ägypten zu schreiten, vereitelte seine Pläne, und da gleichzeitig die Kammer sich den von ihm beantragten Verfassungsänderungen, namentlich der von neuem vorgelegten Listenabstimmung, widersetzte, ja bei deren Ablehnung mit 305 gegen 119 Stimmen ihre Abneigung gegen eine persönliche Diktatur, wie Gambetta sie erstrebte, offen kundgab, so nahm Gambetta, der gefeierte Volkstribun, schon seine Entlassung.
Das neue Ministerium Freycinet beschloß die Verfassungsrevision zu vertagen, dagegen eine Dezentralisation der Verwaltung vorzunehmen und die Ordnung der Finanzen herzustellen, welche durch das allzu große Vertrauen der Republikaner auf die unerschöpflichen Hilfsquellen des Staats, infolgedessen man die Ausgaben übermäßig gesteigert und neue Anleihen aufgenommen hatte, gefährdet worden war. Indes von alledem vermochte das Ministerium nichts zu stande zu bringen (nur die Annahme des Schulzwangsgesetzes im Senat erreichte es), denn es wurde schon im Juli wieder gestürzt.
Während die Monarchisten und Radikalen dasselbe prinzipiell und offen bekämpften, spannen die Gambettisten aus Neid und Eifersucht allerlei Ränke gegen Freycinet. Nachdem sie in innern Fragen eine Mehrheit gegen ihn zu bilden vergeblich versucht hatten, bewirkten sie 29. Juli, daß der von Freycinet verlangte Kredit zur Beschützung des Suezkanals verweigert wurde, obwohl Gambetta kurz vorher Freycinet seine Zurückhaltung in der ägyptischen Politik vorgeworfen und eine energische Aktion gefordert hatte. Die Folge war, daß das Ministerium Freycinet zurücktrat, ohne daß sofort ein neues gebildet werden konnte, und daß inzwischen England sich allein der Gewalt in Ägypten bemächtigte und Frankreich aus der Finanzkontrolle verdrängte. Duclerc, der am 7. Aug. das Präsidium des neuen Kabinetts übernahm, vermochte das nicht zu hindern. Seine Regierung dauerte übrigens nicht lange. Der Tod Gambettas rief einige Demonstrationen der monarchistischen Prätendenten hervor.
Die Linke verlangte sogleich die Ausweisung aller Mitglieder der Familien, die früher in Frankreich geherrscht hatten. Da das Ministerium Duclerc nicht darauf eingehen wollte, nahm es seine Entlassung, und in der darauf eintretenden Verwirrung kam nur ein provisorisches Kabinett unter Fallières zu stande. Auch dieses vermochte nicht, Senat und Kammer zu übereinstimmenden Beschlüssen über ein Prätendentengesetz zu bewegen, und machte 21. Febr. einem Ministerium Ferry Platz.
Ferry beschwichtigte die Aufregung über die Prätendenten dadurch, daß er alle Prinzen des Hauses Orléans durch Dekret des Präsidenten ihrer militärischen Stellen entsetzte, und wurde von der Kammer wenig angefochten, weil die republikanische Mittelpartei doch einsah, daß der fortwährende Ministerwechsel nicht bloß die Autorität der Regierung, sondern den Bestand der Republik selbst gefährden könne. So wurde denn die Konversion der 5proz. Rente in eine 4½proz. zu stande gebracht und die Gerichtsreform dadurch erledigt, daß dem Justizminister Vollmacht erteilt wurde, die Zahl der Richter um 614 Stellen zu vermindern und dem entsprechend 614 der Regierung mißliebige Richter durch Pensionierung zu beseitigen. Da Ferry sich bis 1885 behauptete, so konnte er auch noch die Annahme des Ehescheidungsgesetzes bewirken.
Den Radikalen machte er das Zugeständnis, daß er eine Verfassungsrevision beantragte, welche die Senatswahlen anders regelte und das Verhältnis der Gewalten zu einander bestimmter festsetzte; dieselbe wurde nach langen leidenschaftlichen Verhandlungen vom Kongreß im August 1884 genehmigt. Die Finanzen bereiteten wegen des Daniederliegens der Geschäfte und des Rückganges der Staatseinnahmen Schwierigkeiten, und die Budgetverhandlungen zogen sich 1884 so lange hin, daß das Budget nicht rechtzeitig festgestellt wurde. Dennoch kam das herrschende System nicht in Gefahr, da die monarchistischen Parteien durch den Tod des Grafen Chambord, das kleinliche, feige Verhalten der Orléans und die Desorganisation der Bonapartisten zur Ohnmacht verurteilt waren und die Anarchisten, die Nachfolger der Kommunarden von 1871, nur in Paris und Lyon Bedeutung hatten. Daß Ferry schließlich doch zu Falle kam, hatte seinen Grund in der Kolonialpolitik.
Nachdem Tunis gewonnen war, richtete Frankreich seine Blicke auf seine übrigen Kolonien in den fremden Erdteilen. Nachdem 1880 Tahiti und 1881 die Mangarewainseln in der Südsee annektiert worden waren, schritt
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die Regierung dazu, durch den Bau einer Eisenbahn in Senegambien und durch die Brazzasche Expedition im Congogebiet dem französischen Handel neue Gebiete in Westafrika zu erschließen, ferner Madagaskar (s. d.) ganz der Herrschaft Frankreichs zu unterwerfen. Von besonderer Wichtigkeit war der Beschluß, die Besitzungen in Ostasien durch die Erwerbung Tongkings (s. d.) zu erweitern und die Bildung eines großen hinterindischen Reichs vorzubereiten. Indes verwickelte Challemel-Lacour, der zuerst unter Ferry die auswärtigen Angelegenheiten leitete, durch Ablehnung des Bouréeschen Vertrags, welcher eine friedliche Verständigung mit China über Hinterindien ermöglicht hätte, in einen förmlichen Krieg zunächst mit den chinesischen Söldnerbanden in Tongking, dann mit China selbst. 1884 brachte Ferry einen neuen Vertrag mit China in Tiéntsin zu stande, nach welchem letzteres Tongking zu räumen und Anam der Schutzherrschaft Frankreichs zu überlassen versprach.
Die Voreiligkeit eines Kommandeurs bei der Besetzung Langsons führte aber zu einem blutigen Zusammenstoß mit den chinesischen Truppen bei Baclé der die öffentliche Meinung in in die höchste Aufregung versetzte. Mit Zustimmung der Kammern schritt die französische Regierung nach der Ablehnung ihrer übermäßigen Entschädigungsforderung (250 Mill.) zu Repressalien gegen China und ließ das Arsenal und die Schiffe im Hafen von Futschou zerstören sowie das nördliche Formosa besetzen.
Die Eroberung Tongkings wurde, allerdings mit Aufbietung bedeutender Streitkräfte, fast vollendet. Um einen großen Teil des Heers in Asien verwenden zu können, mußte Frankreich sich in Europa einen Rückhalt verschaffen. Das Bündnis mit England war durch dessen rücksichtsloses Verhalten in der ägyptischen Frage für immer zerrissen. Ferry trug daher kein Bedenken, sich mit den mitteleuropäischen Mächten über die Streitfragen der europäischen Politik zu verständigen und sogar zum Deutschen Reich ein gutes Verhältnis herzustellen.
Die deutsche Regierung war so gemäßigt, ja großmütig, daß sie, der wiederholten Herausforderungen der französischen Revanchepartei, besonders der Insulten, mit welchen der Pariser Pöbel 1883 aus Haß gegen Deutschland Alfons XII. von Spanien beleidigte, nicht achtend, in der ägyptischen Frage mit Frankreich Hand in Hand ging und eine Vereinigung der Kontinentalmächte gegen England bewirkte, welche Frankreich sehr zu statten kam. In chauvinistischen Kreisen wurde diese Annäherung an Deutschland ebenso beklagt wie die Schwächung der Revanchearmee durch die nach Tongking gesandten Truppen, und es bedurfte nur eines übrigens nicht bedeutenden Mißgeschicks der französischen Armee vor Langson (März 1885), um eine leidenschaftliche Aufwallung gegen das Ministerium Ferry, dem mit einemmal alle Verantwortung aufgebürdet wurde, in der Kammer hervorzurufen, durch die Ferry 30. März gestürzt wurde. Die Hast, mit der dies geschah, war um so weniger gerechtfertigt, als Ferry bereits den Frieden mit China angebahnt hatte. Die Präliminarien desselben wurden 4. April abgeschlossen und verpflichteten China zur Räumung Tongkings und zum Verzicht auf die Oberhoheit über Anam, wogegen Frankreich jeden Anspruch auf Kriegskostenentschädigung aufgab. Der definitive Friede ward 9. Juni Tiëntsin unterzeichnet.
Dem neuen Ministerium Brisson, das 6. April die Geschäfte übernommen hatte, wurde hierdurch die Fortsetzung der bisherigen Kolonialpolitik bedeutend erleichtert; denn es konnte dem Land eine erhebliche Verminderung der in Ostasien verwendeten Streitkräfte und demgemäß auch der Kosten in Aussicht stellen, und in Rücksicht hierauf bewilligten die Kammern auch einen Kredit von 150 Mill. zur Deckung der bisherigen Ausgaben. Vor allem aber widmete sich Brisson den innern Angelegenheiten.
Das bisherige Wahlsystem, nach welchem die Deputierten nach Arrondissements gewählt wurden, hatte nach seiner Meinung den Nachteil, daß die Abgeordneten im Interesse ihrer Wahlkreise sich zu viel in die Verwaltung einmischten, daß ferner die Zersplitterung der Republikaner in mehrere Fraktionen dadurch befördert wurde, während das Wohl des Landes eine ständige, zuverlässige Majorität gemäßigter Republikaner oder Opportunisten erforderte. Diese glaubte die Regierung am besten durch Einführung des Listenskrutiniums (s. oben), nach welchem die Deputierten departementsweise gewählt werden, erreichen zu können, und die Kammern schlossen sich dieser Ansicht an, indem sie den von dem Ministerium vorgelegten Gesetzentwurf, der für die Zukunft die Listenwahl vorschrieb, annahmen.
Hierauf ward die Session der Kammern 6. Aug. geschlossen und der Termin der Neuwahlen für die Deputiertenkammer auf den 4. Okt. festgesetzt. Man rechnete sicher auf eine erhebliche Verstärkung der ministeriellen Mehrheit. Da aber der Friede mit China die Schwierigkeiten in Hinterindien nicht beseitigte, vielmehr in Anam ein Aufstand ausbrach, zahllose Christen ermordet wurden und der französische General Courcy nur mit Mühe Hue behauptete; da ferner der bedenkliche Stand der Finanzen durch fortgesetzte Steigerung der Ausgaben bei Verminderung der Einnahmen und die trübe Geschäftslage dem Volk immer deutlicher zum Bewußtsein kamen; so ergaben die Wahlen vom 4. Okt. das für die Opportunisten niederschmetternde Resultat, daß 177 konservative und nur 127 republikanische Deputierte gewählt wurden, 270 Wahlen unentschieden blieben.
Durch die verzweifelten Anstrengungen der Republikaner bei den Stichwahlen (18. Okt.) wurde nun zwar bewirkt, daß nur noch 26 Konservative, dagegen 246 Republikaner gewählt wurden, obwohl die erstern bei beiden Wahlen zusammengerechnet 3½ Mill., die Republikaner nur 4½ Mill. Stimmen bekamen. Die Republikaner hatten zwar noch die Mehrheit, aber nicht mehr die Opportunisten, da 105 Radikale gewählt waren. Die Lage der Regierung hatte sich also verschlechtert. Dies zeigte sich in der neuen Session der Kammer, welche 10. Nov. begann, sofort bei der Entscheidung über die für Tongking und Madagaskar wieder nötig gewordenen Kredite. Obwohl die republikanische Mehrheit die Wahlen von 22 Konservativen wegen klerikaler Wahlumtriebe für nichtig erklärt hatte, obwohl ferner noch in letzter Stunde ein günstiger Friedensvertrag mit Madagaskar (s. d.) zu stande gebracht worden, wurden die Kredite 24. Dez. nach langen Verhandlungen nur mit einer Mehrheit von vier Stimmen bewilligt.
Brisson wartete daher nur ab, bis Grévy 28. Dez. für eine neue Periode von sieben Jahren zum Präsidenten der Republik gewählt worden war, um seine Entlassung einzureichen. Nun bildete Freycinet aus den verschiedenen Gruppen der Linken ein neues Ministerium, das anfangs wenigstens die Unterstützung aller Republikaner fand. Dasselbe setzte sich besonders die Organisation der Schutzherrschaften in den Kolonien und die Herstellung des Gleichgewichts im Budget zum Ziel. Denn die Einnahmen blieben beständig hinter dem Voranschlag zurück, und die außerordentlichen Ausgaben verminderten sich trotz aller Versprechungen
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nicht. Um das Budget für 1887 ins Gleichgewicht zu bringen und die außerordentlichen Kredite in den ordentlichen Etat aufnehmen zu können, mußte im März 1886 eine Anleihe von 900 Mill. gemacht werden.
Die Lage des neuen Ministeriums war besonders deshalb schwierig, weil die ehemalige Gambettistische oder opportunistische Partei nicht mehr über die Mehrheit in der Kammer verfügte und die Regierung daher auf die Unterstützung der Radikalen unter Clémenceau angewiesen war. Denn die monarchistische Rechte, durch die Vernichtung eines Teils ihrer Wahlen und die Berufung radikaler Deputierten in das Ministerium gereizt, nahm von Anfang an eine schroff oppositionelle Haltung an, so daß ein Zusammengehen mit den gemäßigten Republikanern gänzlich ausgeschlossen war und das Ministerium auf keine Zustimmung auch in sachlichen Fragen bei den Konservativen rechnen konnte.
Die Hilfe der Radikalen mußte aber Freycinet mit immer neuen Zugeständnissen erkaufen, denen er sich trotz der gewandtesten und schmiegsamsten Politik nicht entziehen konnte. Von einer selbständigen und erfolgreichen Thätigkeit der Regierung konnte unter diesen Umständen nicht die Rede sein, und die Session der Kammern 1886 blieb daher im wesentlichen unfruchtbar. Die Budgetberatung wurde nicht zu Ende gebracht, für die Beseitigung des Fehlbetrags, der für 1887 auf 75 Mill. berechnet wurde, keine Vorsorge getroffen.
Außer einigen unbedeutenden Gesetzen kam besonders eins zu stande, welches den Parteizwist nur verschärfte, nämlich das Gesetz über die Ausweisung der Prinzen. Bisher hatte die Regierung sich dieser von den Radikalen schon wiederholt geforderten Ausnahmemaßregel widersetzt, weil weder die allzu sparsamen Orléans noch die durch Familienzwist gespaltenen Napoleoniden der Republik gefährlich schienen und, wenn eine solche Gefahr seit den letzten Wahlen vorhanden war, dieselbe durch die Ausweisung nicht vermindert wurde.
Ein geringfügiger Anlaß (ein Empfang, welchen der Graf von Paris bei Gelegenheit der Vermählung seiner Tochter mit dem Kronprinzen von Portugal abhielt) wurde nun von den Radikalen benutzt, um die Ausweisung dringender zu verlangen. Freycinet mußte sich fügen und ließ 27. Mai Kammer einen Entwurf vorlegen, der die Regierung ermächtigte, den Mitgliedern der frühern französischen Herrscherfamilien den Aufenthalt in Frankreich zu verbieten. Doch wurde der Entwurf in der Kammer dahin verändert, daß den Prätendenten und ihren nächstberechtigten Erben das französische Gebiet durch das Gesetz selbst untersagt, die Ermächtigung zum Verbot auf die übrigen Prinzen beschränkt und diese von allen öffentlichen Ämtern ausgeschlossen wurden.
Auch der Senat gab 22. Juni mit 34 Stimmen Mehrheit seine Zustimmung, worauf der Graf von Paris nebst seinem Sohn, dem Herzog von Orléans, und die Prinzen Jérôme und Victor Napoléon ausgewiesen wurden. Der Graf von Paris erließ vor seiner Abreise ein in herausforderndem Ton abgefaßtes siegesbewußtes Manifest. Der Kriegsminister, General Boulanger, strich darauf alle Prinzen aus der Armeeliste, und als die Herzöge von Aumale und Chartres dagegen entschiedenen Einspruch erhoben, wurden sie ebenfalls ausgewiesen.
Boulanger, der durch die Protektion Clémenceaus in das Ministerium gekommen war, trat bei jeder Gelegenheit als der eigentliche Herr in Frankreich auf. Er begrüßte die Arbeiter, welche in Décazeville die Arbeit eingestellt und, von Sozialisten aufgehetzt, argen Unfug angerichtet hatten, als die Brüder der Soldaten, nötigte den Kammern ein Spionengesetz auf und zeigte sich bei jeder Gelegenheit ebenso radikal wie chauvinistisch. Die Folge war, daß die Beziehungen zu Deutschland wieder gespannter, die zu den andern Mächten darum aber nicht besser wurden. Daß mehrere angesehene Diplomaten wegen der radikalen Politik des Ministeriums den Abschied nahmen, trug auch zur Isolierung Frankreichs bei. Als die französische Regierung im Frühjahr 1886 für Griechenland (s. d., S. 718) eintrat, blieb sie ganz allein und mußte es geschehen lassen, daß die übrigen Großmächte ihren Willen durchsetzten und die griechische Regierung zur Abrüstung zwangen.
Alle Annäherungsversuche an Rußland blieben erfolglos, und das Verhältnis zu England wurde sogar ein sehr kühles, da England in Ägypten sich immer mehr festsetzte, dagegen die Besetzung der Neuen Hebriden durch Frankreich nicht dulden wollte. Die Ergebnisse des neuen Kabinetts waren daher nicht günstig zu nennen, doch beschloß Freycinet, der sich dessen wohl bewußt war, vor dem Zusammentritt der Kammern im Oktober 1886 keine entscheidenden Schritte zu thun.
Litteratur.
[I. Geschichtsquellen.]
Die wichtigsten Sammlungen der Geschichtsquellen für die französische Geschichte sind des Pithöus »Annalium et historiae Francorum ab anno 708-990 scriptores coaetanei« (Par. 1588, Frankf. 1594);
»Historiae Francorum ab anno 900-1285 scriptores veteres« (Par. 1596);
Frehers »Corpus francicae historiae veteris et sincerae« (Hannov. 1613);
Duchesnes »Historiae Normannorum scriptores antiqui« (Par. 1619) und »Historiae Francorum scriptores coaetanei« (das. 1636-49, 5 Bde.);
ferner namentlich Bouquets »Rerum gallicarum et francicarum scriptores« (das. 1738-1865, Bd. 1-22),
deren Inhalt zum größten Teil in Guizots »Collection des mémoires relatifs à l'histoire de France« (1823 ff., 31 Bde.) französisch übersetzt wurde;
Buchons »Collection des chroniques nationales françaises, écrites en langue vulgaire du XIII. au XVI. siècle« (1824-29, 47 Bde.);
Petitots »Collection complète des mémoires relatifs à l'histoire de France depuis Philippe-Auguste jusqu'au commencement du XVII. siècle« (1819-26, 52 Bde.),
deren Fortsetzung Petitots und Montmerques »Collection des mémoires relatifs à l'histoire de France depuis l'avénement de Henri IV jusqu'à la paix de Paris« (1820-29, 79 Bde.) bildet;
Michauds und Poujoulats »Collection des mémoires pour servir à l'histoire de France depuis le XIII. siècle« (1833-39, 32 Bde.);
Lebers »Collection des meilleurs dissertations, mémoires, notices et piéces curieuses relatives à l'histoire de France« (1826 ff., 18 Bde.);
die »Gallia christiana« (3. Aufl. 1715-87, 13 Bde.) der Benediktiner;
das von de Laurière begonnene, später von Secousse, Villevault, Labreguigny und Pastoret fortgesetzte »Recueil de Louvre« (1723-28, 18 Bde.);
das von Jourdan begonnene, von Isambert, Decrusy und Jaillardier fortgesetzte »Recueil général des lois depuis 418 jusqu'en 1789« (1820-1831) und endlich die großartige »Collection des documents inédits sur l'histoire de France«.
[II. Allgemeine Geschichtswerke.]
Unter den Bearbeitern der allgemeinen Geschichte Frankreichs sind seit Bernard Girard, Seigneur du Haillan (»Histoire générale des rois de France«, 1576, 2 Bde.),
hervorzuheben: Anquetil, Histoire de France, bis zum Tod Ludwigs XVI. (1805, 14 Bde.; zuletzt 1876-79, 11 Bde.);
Simonde de Sismondi,
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Histoire des Français (1832-44, 31 Bde.),
wovon er selbst im »Précis« (1839, 2 Bde.) einen übersichtlichen Auszug lieferte;
Monteil, Histoire des Français des divers états (4. Aufl. 1853, 5 Bde.);
Thierry, Lettres sur l'histoire de France (1827, 2 Bde.; zuletzt 1882);
Michelet, Histoire de France (1833-74, 17 Bde.), nebst dem »Précis de l'histoire de France« (4. Aufl. 1841);
Lavallée, Histoire des Français (1838-41; 20. Aufl. 1880, 6 Bde.);
Martin, Histoire de France (4. Aufl. 1856-60, 17 Bde.);
Guizot, L'histoire de France, racontée à mes petits enfants (1872-74, 3 Bde.).
Von deutschen Arbeiten sind von Wert: Heinrich, Geschichte von Frankreich (Leipz. 1802-1804, 3 Bde.), und E. A. Schmidt, Geschichte von Frankreich (Hamb. u. Gotha 1839-49, Bd. 1-4), mit der Fortsetzung von Wachsmuth (s. unten). Speziellere Werke über französische Geschichte sind unter andern: Guizot, Histoire de la civilisation en France (7. Aufl., Par. 1859, 4 Bde.);
Picot, Histoire des États généraux en France (1872, 4 Bde.);
Flassan, Histoire générale de la diplomatie française (1806, 6 Bde.; 1811, 7 Bde.);
Warnkönig u. Stein, Französische Staats- und Rechtsgeschichte (Basel 1846-48, 3 Bde.);
Guilbert, Histoire des villes de France (1844-49, 6 Bde.);
Giguet, Histoire militaire de la France (1849, 2 Bde.);
Paquier, Histoire de l'unité politique et territoriale de la France (1879-83, 3 Bde.);
Dussieux, L'armée en France.
Histoire et organisation (1884, 3 Bde.);
Rambaud, Histoire de la civilisation française (1885, 2 Bde.);
Derselbe, La France coloniale (1886);
Chéruel, Histoire de l'administration monarchique en France depuis Philippe-Auguste jusqu'à Louis XIV (1855, 2 Bde.);
Derselbe, Dictionnaire historique des institutions, mœurs et coutumes de la France (6. Aufl. 1885).
[III. Werke über einzelne Perioden.]
Von historischen Arbeiten über einzelne Epochen der französischen Geschichte sind besonders hervorzuheben über das fränkische Zeitalter: Thierry, Récits des temps mérovingiens (neue Ausg. 1882, 2 Bde.);
von den Karolingern bis zur Reformation: Warnkönig und Gerard, Histoire des Carolingiens (Brüssel 1864, 2 Bde.);
Fustel de Coulange, Histoire des institutions politiques de l'ancienne France (2. Aufl. 1877);
Michaud, Histoire des croisades (neue Ausg. 1874, 4 Bde.; deutsch, Quedlinb. 1827-32, 7 Bde.);
Boutaric, Saint-Louis et Alfonse de Poitiers (1871);
Derselbe, La France sous Philippe le Bel (1861);
Cherrier, Histoire de Charles VIII (2. Aufl. 1870);
Barante, Histoire des ducs de Bourgogne de la maison de Valois, 1364-1477 (8. Aufl. 1858, 8 Bde.).
Von der Reformation bis zur Revolution: Herrmann, Frankreichs Religions- u. Bürgerkriege im 16. Jahrhundert (Leipz. 1828);
Lacretelle, Histoire de France pendant les guerres de religion (1814-16, 4 Bde.; deutsch, Leipz. 1815-16, 2 Bde.);
Ranke, Französische Geschichte, vorzüglich im 16. und 17. Jahrhundert (3. Aufl., Stuttg. 1877, 6 Bde.);
Mignet, Rivalité entre François I et Charles-Quint (1875, 2 Bde.);
Derselbe, Histoire de la Ligue et du règne de Henri IV (1829, 5 Bde.);
Poirson, Histoire du règne de Henri IV (3. Aufl. 1866, 4 Bde.);
Bazin, Histoire de France sous Louis XIII (neue Ausg. 1846, 4 Bde.);
Chéruel, Histoire de France sous le ministère de Mazarin (1882);
Sainte-Aulaire, Histoire de la Fronde (neue Ausg. 1860, 2 Bde.);
Rousset, Histoire de Louvois (6. Aufl. 1879, 4 Bde.);
Lacretelle, Histoire de France pendant le XVIII. siècle (1819 bis 1826, 14 Bde.);
Lemontey, Histoire de la Régence (1832, 2 Bde.);
Aubertin, L'esprit public au XVIII. siècle (2. Aufl. 1873);
Tocqueville, Histoire philosophique du règne de Louis XV (2. Aufl. 1847, 2 Bde.);
Jobez, La France sous Louis XV (1864-73, 6 Bde.);
Droz, Histoire du règne de Louis XVI (2. Aufl. 1858, 3 Bde.).
Die Revolution und das Kaiserreich haben unzählige, zum Teil sehr umfassende Werke hervorgerufen;
als die historisch bedeutendsten dürften außer Buchez und Roux' »Histoire parlementaire de la Révolution française« (1833-38, 40 Bde.) als Materialiensammlung noch zu nennen sein: Mignet, Histoire de la Révolution française jusqu'en 1814 (13. Aufl. 1880; deutsch, Leipz. 1865);
Thiers, Histoire de la Révolution française (15. Aufl. 1881, 6 Bde.; deutsch, Leipz. 1846-49, 2 Bde.);
Blanc, Histoire de la Révolution française (zuletzt 1878, 10 Bde.; deutsch, Leipz. 1847-52, Bd. 1-3);
Michelet, Histoire de la Révolution française (zuletzt 1880, 6 Bde.);
Wachsmuth, Geschichte Frankreichs im Revolutionszeitalter (Hamb. 1840-44, 4 Bde.);
Dahlmann, Geschichte der französischen Revolution (3. Aufl., Berl. 1864);
Granier de Cassagnac, Histoire des causes de la Révolution française (2. Aufl. 1856, 3 Bde.);
E. Arnd, Geschichte der französischen Revolution von 1789-99 (Braunschw. 1851-52, 6 Bde.);
v. Sybel, Geschichte der französischen Revolutionszeit (4. Aufl., Düsseld. 1877, 5 Bde);
Taine, Origines de la France contemporaine (1877-82, 4 Bde.);
Lamartine, Histoire des Girondins (neue Ausg. 1870, 6 Bde.; deutsch, Stuttg. 1847-48, 8 Bde.);
Barante, Histoire de la Convention nationale (1851-53, 6 Bde.);
Ternaux, Histoire de la Terreur (1862-1869, 7 Bde.);
Granier de Cassagnac, Histoire du Directoire (1851-63, 3 Bde.);
A. Schmidt, Tableaux de la Révolution française (Leipz. 1867-70, 3 Bde.);
Bignon, Histoire de France depuis le 18 brumaire jusqu'à la paix de Tilsit (1827-38, 7 Bde.; fortgesetzt bis 1812, 1838, 4 Bde.; deutsch, Leipz. 1831-1840, 12 Bde.);
Thiers, Histoire du Consulat et de l'Empire (1845-69, 21 Bde.; mehrfach deutsch).
Von der Restauration bis zur Julirevolution: Lacretelle, Histoire de France depuis la Restauration (1829, 4 Bde.);
Capefigue, Histoire de la Restauration (3. Aufl. 1842, 4 Bde.);
Lamartine, Histoire de la Restauration (neue Ausg. 1869, 8 Bde.; deutsch, Stuttg. 1853);
de Vaulabelle, Histoire des deux Restaurations (8. Aufl. 1873, 10 Bde.);
Viel-Castel, Histoire de la Restauration (1860-77, 20 Bde.);
Daudet, Histoire de la Restauration (1882);
von der Thronbesteigung Ludwig Philipps bis auf die neueste Zeit: Capefigue, L'Europe depuis l'avénement de Louis-Philippé (2. Aufl. 1847, 10 Bde.);
Louis Blanc, Histoire des dix ans 1830-1840 (12. Aufl. 1877, 5 Bde.; deutsch, Leipz. 1847);
Regnault, Histoire de huit ans 1840-48 (3. Aufl. 1872, 3 Bde.);
Nouvion, Histoire du règne de Louis-Philippe (1858-61, 4 Bde.);
Hillebrand, Geschichte des Julikönigtums (Gotha 1881);
Thureau-Dangin, Histoire de la monarchie de juillet (1885-87, 4 Bde.);
Lamartine, Histoire de la Révolution de 1848 (2. Aufl. 1849; deutsch, Leipz. 1849, 2 Bde.);
Regnault, Histoire du gouvernement provisoire (1850);
Delvau, Histoire de la Révolution de février (1850, 2 Bde.);
Garnier-Pagès, Histoire de la Révolution de 1848 (1861-72,
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10 Bde.); Pierre, Histoire de la république de 1848 (1873);
Derselbe, Histoire de la révolution de 1848 (1878);
Duvergier de Hauranne, Histoire du gouvernement parlementaire en France 1814-48 (1862-72, 10 Bde.; 2. Aufl. 1869 ff.);
Delord, Histoire du second Empire (1869-75, 6 Bde.; deutsch, Berl. 1870 ff.);
Gottschall, Paris unter dem zweiten Kaiserreich (Leipz. 1871, 2 Bde.);
J. ^[Jules] Favre, Gouvernement de la défense nationale (1871-75, 3 Bde.);
Valfrey, Histoire de la diplomatie du gouvernement de la défense nationale (1872, 2 Bde.);
Derselbe, Histoire du traité de Francfort et de la libération du territoire français (1874-75, 2 Bde.);
Sorel, Histoire de la guerre franco-allemande (1875), und die bei dem Artikel »Deutsch-französischer Krieg« verzeichneten Werke.