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abzuschicken (Mitte April 1830). Aber die Kammern (selbst die modifizierte Pairskammer) zeigten sich nach ihrem Zusammentritt (März 1830) entschlossen, vor allem die konstitutionellen Rechte gegen das Kabinett Polignac in Schutz zu nehmen, und die Deputierten richteten in diesem Sinn eine Adresse an den König, welche mit 221 gegen 181 Stimmen angenommen wurde. Darauf wurden die Kammern unter dem stärksten Ausdruck des königlichen Unwillens vertagt, endlich (16. Mai) die Deputiertenkammer aufgelöst und die Minister, welche sich nicht zu einem eventuell nötig werdenden Staatsstreich verstehen wollten, entlassen. Dagegen schlossen sich alle verfassungstreuen Elemente aufs engste aneinander, nicht nur zu den bevorstehenden Wahlen, sondern auf alle Fälle. Obwohl der König selbst sich mit Ermahnungen und Drohungen in die Wahlbewegung mischte, ergaben die Neuwahlen Ende Juni doch eine große liberale Mehrheit. 202 von den 221 Deputierten der Adresse wurden wieder gewählt. Aber ermutigt durch die Eroberung der Stadt Algier (5. Juli), beschloß Karl X., den Willen der Nation mit Gewalt zu brechen. Sonntag, unterzeichnete er fünf Ordonnanzen, die 26. Juli im »Moniteur« erschienen und die Veröffentlichung jeder Druckschrift von der besondern Erlaubnis der Behörden abhängig machten, die Abgeordnetenkammer auflösten, das Wahlgesetz und die Rechte der Kammern willkürlich beschränkten und die Kammern auf Ende September einberiefen.
Nur einen Tag lang war der Eindruck dieser Maßregeln in Paris [* 2] der der Bestürzung; dann veröffentlichten die Journale einen von Thiers entworfenen Protest, die Volksmassen versammelten sich. Am 27. Juli nachmittags fielen die ersten Schüsse. 20,000 Mann Truppen und Gendarmen gelang es, die Menge noch einmal auseinander zu treiben. Aber in der Nacht vom 27. auf den 28. wußte sich das Volk zu bewaffnen und zu organisieren. Unter blutigem Kampf ward am Abend des 28. das Stadthaus von den Aufständischen behauptet. Am 29. morgens gingen zwei Linienregimenter zum Volk über, die Schweizer, welche das Louvre und die Tuilerien verteidigen sollten, räumten dieselben in panischem Schrecken; die Truppen mußten aus Paris entfernt werden. Um 2 Uhr [* 3] nachmittags war die Revolution in der ganzen Hauptstadt siegreich.
Inzwischen versammelten sich die in Paris anwesenden Deputierten bei dem liberalen Bankier Laffitte, bildeten eine Munizipalkommission und eine provisorische Regierung, stellten die Nationalgarde wieder her und wiesen alle Vergleichsvorschläge Karls X. zurück, den sie für abgesetzt erklärten. Während die niedere Bevölkerung [* 4] die Republik wünschte, ernannten auf den Vorschlag Laffittes die schnell zusammentretenden Kammern 30. Juli den Herzog Ludwig Philipp von Orléans, [* 5] der sich stets durch bürgerliche Sitten und liberale Gesinnung ausgezeichnet und den Hof [* 6] gemieden hatte, zum Generalleutnant des Königreichs.
Karl X. wollte zuerst widerstehen, dankte dann aber 2. Aug. zu gunsten seines Enkels, des Herzogs von Bordeaux, [* 7] als Heinrichs V. ab, und als er vernahm, daß man seine Anerbietungen nicht annähme, sondern Truppen wider ihn schicken wollte, entfloh er nach Cherbourg, [* 8] wo er unter Aufsicht von Kommissaren der provisorischen Regierung sich 16. Aug. auf dem amerikanischen Paketboot Great Britain nach England einschiffte. Damit war die Julirevolution abgeschlossen und das legitime Königtum, welches die verhaßten Zustände vor der Revolution wieder hatte herstellen wollen, von neuem gestürzt.
Die Julimonarchie.
Inzwischen hatte der Generalleutnant 3. Aug. die Kammern einberufen. Guizot arbeitete sogleich die Verfassung um, und in dieser neuen Gestalt wurde sie von beiden Kammern 6. und 7. Aug. angenommen. Die persönlichen Rechte waren mit bessern Garantien umgeben, die Macht der Kammern erweitert, das Königtum war in die bürgerliche Sphäre herabgerückt; doch blieb ein so hoher Wahlzensus in Geltung, daß nur etwa 200,000 Franzosen Wähler, nur etwa 24,000 wählbar wurden und die politische Gewalt allein in der Hand [* 9] des wohlhabenden Bürgerstandes (bourgeoisie) lag.
Unter diesen Bedingungen übertrugen beide Kammern die Krone dem Herzog von Orléans, der sie als Ludwig Philipp, König der Franzosen, annahm; die dreifarbige Fahne wurde wiederum anstatt der weißen das nationale Abzeichen. Die neue Regierung ward allerdings von Anfang an von den Legitimisten und den in ihren Erwartungen bitter getäuschten Republikanern auf das heftigste angefeindet. Aber solange Ludwig Philipp den Grundsätzen der freisinnigen konstitutionellen Monarchie treu blieb und die Führer der Liberalen, Laffitte (bis 1831) und Casimir Périer (bis 1832), als leitende Minister neben sich hatte, stand sein Thron [* 10] sicher und fest.
Selbst die vorsichtige Haltung des Königs, der sich das Vertrauen der Heiligen Allianz erwerben wollte, in der äußern Politik erschütterte ihn nicht. Auf die von der Linken geforderte abenteuerliche Unterstützung der Polen gegen Rußland ließ er sich nicht ein; doch sicherte er in Italien [* 11] den französischen Einfluß den österreichischen Interventionen gegenüber durch die Besetzung Anconas und unterstützte die Unabhängigkeitsbestrebungen Belgiens, indem er im Sommer 1831 durch den Marschall Gérard die holländische Armee aus Belgien [* 12] vertreiben und im Herbst 1832 die Citadelle von Antwerpen [* 13] durch ein französisches Heer zur Kapitulation zwingen ließ.
Nach dem frühzeitigen Tod Périers (Mai 1832) wurde nach einem Zwischenministerium Soult-Montalivet und nach Niederwerfung des legitimistischen Aufstandes der Herzogin von Berri in der Vendée und eines republikanischen Aufstandes in Paris im Oktober 1832 ein Koalitionsministerium, das Kabinett vom 11. Oktober, gebildet, dessen Scheinpräsidentschaft Napoleonische Marschälle, wie Soult, Gérard, Mortier, führten, dessen einflußreichste Mitglieder aber Guizot und Thiers waren, und das sich mit einigen Veränderungen sieben Jahre im Amt behauptete.
Dasselbe befolgte die Politik der rechten Mitte (juste-milieu), hatte aber mit immer größern Schwierigkeiten im Innern zu kämpfen. Scheinbar herrschte in Frankreich das streng konstitutionelle System; aber die Kammern waren nur die Vertretungen eines kleinen Teils der Nation, da selbst das neue Wahlgesetz noch an einem Steuerzensus von 200 Frank festhielt, der die Zahl der wahlfähigen Bürger auf weniger als ½ Mill. beschränkte und den kleinen Besitzer, den Handwerker, den Bauer ebenso wie den Arbeiter und den Proletarier von allen politischen Rechten ausschloß. Die Regierung beherrschte die Wahlen durch ihren Einfluß sowie durch direkte und indirekte Bestechung und schaffte sich in der Deputiertenkammer stets eine gefügige Majorität, während die vom König ernannten Pairs gänzlich abhängig waren. Daher wurde in den Kammern selten Opposition gemacht, höchstens die Personen einzelner Minister angefochten. Die schmähliche Gewinnsucht und Korruption der leitenden Kreise [* 14] wurde durch mehrere ¶
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skandalöse Vorfälle offenkundig. Auch der König verscherzte die öffentliche Achtung durch seine Habgier und die Beflissenheit, mit der er die Interessen seiner Familie wahrnahm; seine bürgerliche Einfachheit galt für Geiz, und man beschuldigte ihn offen gewinnsüchtiger Geldspekulationen. Die 1836 beantragte Rentenkonversion, welche die Staatsfinanzen erheblich entlastet hätte, wurde vom König und den hohen Finanzmännern aus Eigennutz hintertrieben.
Aber auf ihre legale Gewalt trotzend, nahm die Regierung auf kein Symptom der Unzufriedenheit Rücksicht. Den immer erneuten Attentaten und Aufstandsversuchen der republikanischen Partei gegenüber beschränkte die Kammer im März 1834 die Vereinsfreiheit bedeutend. Darauf brachen Mitte April zuerst in Lyon, [* 16] dann in Paris, St.-Etienne und an vielen andern Orten umfassende Arbeiteraufstände von sozialistischer Färbung aus, welche nur mit großer Mühe unterdrückt werden konnten. Die Aufregung, welche der Monstreprozeß gegen die 2600 Angeklagten dieser Aufstände vor der Pairskammer sowie das neue Attentat Fieschis erregten, benutzte das Ministerium, um in den bekannten Septembergesetzen eine Beschränkung der Preßfreiheit und der Geschwornengerichte herbeizuführen.
Nun ließ der König Thiers, der ihm besonders in der auswärtigen Politik durch sein Drängen zur Intervention gegen die Karlisten in Spanien [* 17] unbequem wurde, fallen und berief den streng konservativen, aber äußerst gewandten Molé an die Spitze des Ministeriums, das sonst aus doktrinär-konservativen Männern, wie Guizot, Duchâtel etc., zusammengesetzt war. Damals machte Prinz Ludwig Napoleon den verunglückten Versuch, das Militär in Straßburg [* 18] zu einem bonapartistischen Aufstand zu bewegen.
Die Kammer war indes keineswegs geneigt, dem Ministerium auf seinen reaktionären Bahnen zu folgen, und sowohl die dynastische Opposition unter Odilon Barrot als Thiers und seine Freunde legten dem Ministerium immer mehr Hindernisse in den Weg. Dennoch behauptete sich dasselbe infolge der Eifersucht der ehrgeizigen Parteiführer und befriedigte auch die Eitelkeit der Nation durch kriegerische Erfolge in Algerien, [* 19] die Anerkennung der Unabhängigkeit Belgiens auf der Londoner Konferenz und die Erzwingung reichlicher Entschädigung für das verletzte Eigentum französischer Staatsangehörigen in Haïti, [* 20] Mexiko [* 21] und Buenos Ayres. [* 22]
Als jedoch bei der Adreßdebatte in den zwei Kammern im Januar 1839 Molé nur eine geringe Majorität erhielt, schritt er zur Auflösung und reichte, da die Opposition sich bei den Neuwahlen verstärkte, seine Entlassung ein. Mehrere Monate kam kein neues Kabinett zu stande; endlich veranlaßte ein sozialistischer Aufstand in Paris (Mai 1839) die Bildung eines Koalitionsministeriums, an dessen Spitze der Marschall Soult stand. Auch dieses Kabinett konnte sich der entschieden liberalen Kammermehrheit gegenüber nicht halten; Thiers benutzte die schwankende Haltung desselben in der orientalischen Frage, um es heftig anzugreifen, und als es mit einem Vorschlag zur Dotierung des Herzogs von Nemours durchfiel, nahm es im Januar 1840 seine Entlassung.
Gegen die Neigung des Königs wurde nun Thiers Minister des Auswärtigen und Konseilpräsident. Thiers veranstaltete, seinen chauvinistischen Neigungen entsprechend, die Rückführung der Überreste Napoleons I. von St. Helena nach Paris und suchte in Europa [* 23] selbst eine kräftige Politik von französischem Standpunkt aus durchzuführen, welche auch die Billigung des französischen Volkes erhielt. Während im Innern ein neuer Aufstandsversuch Ludwig Napoleons in Boulogne mit leichter Mühe unterdrückt wurde, wollte Thiers den gegen die Pforte aufständischen Pascha Mehemed Ali von Ägypten [* 24] thätlich unterstützen.
Als deshalb Frankreich von dem Londoner Quadrupelvertrag vom zwischen Österreich, [* 25] Preußen, [* 26] Rußland und England, durch welchen das Schicksal Mehemed Alis entschieden wurde, ausgeschlossen blieb, wollte Thiers es auf einen Krieg ankommen lassen, mit dem er besonders Deutschland [* 27] bedrohte. Indes im entscheidenden Augenblick ließ ihn Ludwig Philipp, der weder sein kriegerisches Auftreten nach außen noch sein liberales nach innen billigte, im Stiche, indem er sich weigerte, von der Kammer Bewilligungen zu ernstlichen Kriegsrüstungen zu verlangen. Dieser Umstand veranlaßte das Ministerium Thiers, abzudanken, worauf wiederum Soult mit der Bildung eines dem König unbedingt ergebenen Kabinetts beauftragt wurde, in welchem Guizot, der Minister des Auswärtigen, den herrschenden Einfluß besaß.
Guizot, der 1846 auch nominell die Leitung des Ministeriums übernahm, fügte sich ganz den Wünschen des ängstlichen und egoistischen Königs. In der orientalischen Frage gab Frankreich seine kriegerische Politik auf und schloß sich, nachdem die Selbständigkeit seines Schützlings Ägypten mit gewissen Einschränkungen gerettet worden, den übrigen Mächten an. Um von den legitimen Dynastien als Ebenbürtiger anerkannt zu werden, verfolgte Ludwig Philipp in Italien und im Schweizer Sonderbundskrieg eine ganz reaktionäre Politik, ohne von Österreich und Rußland den gewünschten Dank zu erhalten.
Durch sein unredliches Verhalten gegen England in der Sache der spanischen Heiraten, durch welche er der Familie Orléans den spanischen Thron sichern wollte, verlor er die Sympathien der einzigen auswärtigen Macht, die der Julimonarchie stets Wohlwollen bewiesen hatte. Seine Dynastie endlich erlitt durch den tragischen Tod ihres populärsten Prinzen, des Thronfolgers Herzog von Orléans einen unwiederbringlichen Verlust. Im Innern verlor das System immer mehr an Achtung.
Die Agitation für die Erweiterung des Wahlrechts nahm von Jahr zu Jahr größere Dimensionen an und verbreitete sich über alle Schichten des Volkes. Nur die Kammern setzten ihr einen verblendeten Widerstand entgegen. Die wachsende Erregung machte sich in immer wiederholten Attentaten und Verschwörungen Luft. Während Arbeitseinstellungen und Mißwachs Not und Elend verbreiteten, während das Budget trotz des Friedens ein Defizit von mehr als 70 Millionen zeigte, enthüllten der Monstreprozeß Teste-Cubières, die Ermordung der Herzogin von Praslin und die unwiderlegten Anklagen Emile de Girardins gegen die Regierung die ungeheure und allgemeine Korruption der letztern und der hohen Finanzwelt in ungeahnter Weise. Die Kammern aber fanden kein Wort des Tadels oder des Urteils über diese Zustände. Der allgemeine Unwille gegen dieses Treiben einer privilegierten Kaste, des Geldadels, machte die gefährliche Koalition der republikanischen und der dynastischen Opposition um so enger und den Ruf nach einer Reform des Wahlrechts um so dringender.
Die Februarrevolution und die zweite Republik.
Zur Belebung der Agitation für diese Zwecke griff man zu einem schon 1840 beliebten Mittel, der Abhaltung öffentlicher Bankette oppositioneller Färbung in allen größern Städten. Das erste fand im Château Rouge in Paris statt und war von mehr ¶