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Frankreichs Blütezeit unter Ludwig XIV.
Abermals übernahm eine Fremde, die Königin-Mutter Anna von Österreich, [* 2] die Regierung, welche sie übrigens ihrem Günstling, dem italienischen Kardinal Giulio Mazarini (Mazarin), überließ. Mazarin führte im ganzen nur die großen Gedanken Richelieus weiter, erzielte aber durch Schlauheit und Zähigkeit noch mehr Erfolge als jener. Zunächst nahm das Parlament noch einmal die Opposition gegen das Königtum auf, indem es beanspruchte, den vom König erlassenen Gesetzen durch Verweigerung der Eintragung in seine Register die Gültigkeit vorenthalten zu können.
Als die Regentin zwei der widerspenstigen Parlamentsräte verhaften ließ, erfolgte ein allgemeiner Aufstand in Paris [* 3] (1648) gegen Mazarin (die sogen. Fronde), so daß der Hof [* 4] mit der Hauptstadt in förmlichen Kampf geriet, der erst 1649 beigelegt wurde. Inzwischen hatte der Westfälische Friede Frankreich das österreichische Elsaß und einen maßgebenden Einfluß in Deutschland [* 5] gebracht. Der Krieg gegen Spanien [* 6] wurde fortgesetzt, und der Prinz Ludwig von Condé eroberte die Provinz Roussillon und fast ganz Katalonien im Süden sowie das südliche Belgien [* 7] im Norden. [* 8]
Als aber Condé sich der Fronde anschloß, wurde er von Mazarin hinterlistig gefangen gesetzt. Diese Maßregel brachte einen allgemeinen Aufstand hervor, an dem sich diesmal außer dem Parlament und den Pariser Frondeurs noch die gesamte hohe Aristokratie unter Gaston von Orléans [* 9] beteiligte. Mazarin wagte diesem allgemeinen Sturm nicht zu widerstehen, ließ den Prinzen frei und zog sich nach Brühl bei Köln [* 10] zurück (1651). Indessen vertrugen sich die verschiedenen Elemente der Opposition nicht lange, und zumal Condés Hochmut brachte die Frondeurs so sehr gegen ihn auf, daß Mazarin 1652 die Rückkehr nach Frankreich wagte und nach der Flucht Condés im Februar 1653 triumphierend in Paris einzog. So war der letzte Empörungsversuch der alten feudalen Gewalten und der Demokratie gegen das Königtum völlig besiegt worden.
Sofort widmete Mazarin seine ganze Mühwaltung wieder dem äußern Krieg. Freilich hatte Spanien die Zeit der Fronde benutzt, um die Aufstände in Katalonien und Neapel [* 11] wieder zu unterdrücken, Belgien völlig zurückzuerobern. Aber indem Mazarin sich nun ungescheut mit dem revolutionären Machthaber Englands, Cromwell, verband, wurde im Frühjahr 1658 das spanische Heer von den alliierten Franzosen und Engländern unter dem genialen Marschall Turenne auf den Dünen bei Dünkirchen [* 12] vollständig geschlagen.
Spaniens Kraft [* 13] war damit endgültig gebrochen. Am schloß es mit Frankreich den sogen. Pyrenäischen Frieden, welcher Frankreich die Provinzen Artois und Roussillon sowie Teile von Flandern, Hennegau und Luxemburg brachte und die Vermählung der ältesten Tochter Philipps IV. von Spanien, Maria Theresia, mit Ludwig XIV. festsetzte, die in der That im folgenden Sommer (1660) stattfand und eine Aussicht auf die spanische Erbschaft eröffnete. In Deutschland war die französische Diplomatie bemüht, eine Anzahl deutscher Fürsten an Frankreich zu fesseln; im Sommer 1658 schloß Mazarin mit vier Kurfürsten und vielen Reichsfürsten zu Frankfurt [* 14] den ersten Rheinbund! Als im März 1661 Mazarin starb, hinterließ er seinem königlichen Mündel Ludwig XIV. das Reich mit erweiterten und wohlbefestigten Grenzen, [* 15] im Besitz ausgezeichneter und zahlreicher Armeen, geführt von den besten Feldherren Europas, mit geschickten und in der Schule der beiden Kardinäle gebildeten Ministern und einem auf solide Basis gegründeten Finanzwesen. Die beiden Zweige des Hauses Habsburg waren erniedrigt, Frankreich zum Schiedsrichter in den innern Händeln Deutschlands, [* 16] überhaupt zur präponderierenden Macht Europas geworden.
Ludwig XIV., nun 22 Jahre alt, erklärte nach dem Tod Mazarins, die Geschäfte selbst führen zu wollen. Zwar widmete der junge König nur in den ersten Jahren seine Zeit überwiegend den Staatsgeschäften und erwarb nicht in allen Zweigen derselben selbständige Kenntnisse. Aber im großen und ganzen gab er die Richtungen an, denn es erfüllte ihn ein hohes Gefühl von seiner Würde, das ihm selbst Pracht, Glanz, großartiges und würdevolles Benehmen auferlegte und das ihn von andern unbedingte Unterordnung und völlige Hingabe verlangen ließ. Im Bewußtsein von Frankreichs Macht wollte er nach außen und innen als der erste und mächtigste König der Christenheit auftreten.
Die vornehmste Herrschertugend aber bewährte er in der Auswahl seiner Minister, welche mit hingebendem Eifer, unermüdlicher Thätigkeit und teilweise mit genialer Schöpferkraft den Staat leiteten, ohne daß der König selbst die Zügel der Regierung je aus den Händen verlor. Colbert verwaltete die Finanzen, den Handel und die öffentlichen Arbeiten. Durch weise Maßregeln gab er der Industrie einen mächtigen Aufschwung, ermutigte zur Schiffahrt und Kolonisation und steigerte den Wohlstand des Volkes und die Einnahmen des Staats zu nie geahnter Höhe.
Diese ermöglichten die Aufstellung einer großen stehenden Heeresmacht, welche Louvois trefflich organisierte. Die französische Armee war nicht nur an Zahl die stärkste, sondern auch die am besten ausgerüstete und geschulte Armee in Europa. [* 17] Sie war ein außerordentlich wirksames Instrument in der Hand [* 18] der französischen Staatskunst, um die äußere Machtstellung des Reichs zu erhöhen. Die Leitung der auswärtigen Politik war Lionne übertragen, doch nahm an ihr der König selbst einen hervorragenden Anteil.
Die Erwerbung der spanischen Monarchie war das Ziel, welches Ludwig XIV. während seiner ganzen Regierung mit zäher Ausdauer verfolgte. Seine Erbrechte waren nicht unanfechtbar, aber sie gaben ihm einen Anhalt, [* 19] um Ansprüche zu erheben. Dies that er zuerst, als 1665 sein Schwiegervater Philipp IV. von Spanien gestorben war. Er beanspruchte einen Teil der spanischen Niederlande [* 20] und fiel, als derselbe ihm nicht gewährt wurde, in dem sogen. Devolutionskrieg unvermutet in Belgien ein (Mai 1667). Nur als England, Niederlande und Schweden, [* 21] zu der Tripelallianz vereint, deshalb Frankreich mit Krieg bedrohten, begnügte Ludwig sich in dem Aachener Frieden (Mai 1668) mit einer Reihe südbelgischer Festungen, welche die Offensivstellung Frankreichs nicht wenig verstärkten.
Ohne sein letztes Ziel aus den Augen zu verlieren, beschloß der König zunächst, die Niederlande, deren unerwarteter Widerstand seinen Zorn erregt hatte, zu vernichten. Nachdem er durch schlaue Verhandlungen ihnen alle Bundesgenossen abwendig gemacht, fiel er im April 1672 in ihr Gebiet ein und errang anfangs große Erfolge. Aber die völlige Eroberung des Landes vereitelte der junge Prinz Wilhelm III. von Oranien. Brandenburg, [* 22] Spanien, endlich der Kaiser, das Deutsche Reich [* 23] und Dänemark [* 24] kamen den Holländern zu Hilfe. Mit vieler Kraft und Entschlossenheit erwehrte sich Frankreich der großen europäischen Koalition, die sich so gegen dasselbe erhob, und erlangte endlich infolge der Uneinigkeit der Alliierten im Nimwegener Frieden (August 1678) die Franche-Comté und die wichtigsten ¶
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Grenzfestungen Belgiens (darunter Ypern, Cambrai, Valenciennes); die niederländische Republik mußte Ludwig allerdings in ihrem alten Bestand anerkennen. Sein Sieg über die verbündeten Gegner hatte aber seinen Übermut und seine Herrschsucht so gesteigert, daß er fremde Rechte rücksichtslos mit Füßen trat. Durch die Reunionskammern ließ er sich alle Gebietsteile zusprechen, die jemals zu den ihm im Westfälischen und im Nimwegener Frieden abgetretenen Provinzen gehört hatten, und besetzte sie. Straßburgs und Luxemburgs bemächtigte er sich mitten im Frieden und erlangte 1684 auch, daß ein Waffenstillstand ihm die Reunionen auf 20 Jahre sicherte. Keine auswärtige Macht schien im stande oder willens zu sein, seiner gewaltthätigen Politik entgegenzutreten und die erstrebte Weltherrschaft ihm streitig zu machen.
Nicht minder despotisch und eigenmächtig verfuhr der König im Innern. Nicht bloß in staatlicher, sondern auch in religiöser Beziehung sollte ein einheitliches Ganze bilden, in dem der Wille des Königs unumschränkt herrschte. Während er daher die Unabhängigkeit der gallikanischen Kirche gegenüber dem Papsttum verteidigte und darüber in einem französischen Nationalkonzil die berühmten vier Artikel von 1682 beschließen ließ, verfolgte er mit immer größerer Strenge die französischen Protestanten.
Nach vielen vorhergegangenen Bedrückungen, besonders auch der Bequartierung mit Soldaten (den »Dragonaden«),
erfolgte im Oktober 1685 die Aufhebung des Edikts von Nantes [* 26] und damit das Verbot des reformierten Gottesdienstes. Trotz der strengen darauf gesetzten Strafen wußten an 400,000 Reformierte nach den protestantischen Ländern zu entkommen, wo man die gebildeten und intelligenten Flüchtlinge gern aufnahm. Ganz willkürlich wurde die innere Verwaltung des Landes eingerichtet. Der Adel wurde ganz in einen Hof- und Militäradel verwandelt. Alles sollte von oben gelenkt und geleitet werden, in alles durften die Beamten sich mischen.
Individuelles Leben, provinziale und kommunale Unabhängigkeit wurden erstickt, die Selbständigkeit der höchsten Gerichtshöfe, der Parlamente, völlig gebrochen. Dieses übrigens trefflich organisierte System verlieh der Staatsregierung ungeheure und prompte Machtmittel, wie sie keine andre Regierung besaß; aber es machte die Franzosen politisch unmündig und reizte endlich durch die lastende Schwere seines Despotismus das ganze Volk gegen den Staat und das Königtum auf.
Aber auch im Ausland erregten Ludwigs Despotismus und Intoleranz und Frankreichs maßlose Einmischungssucht allgemeinen Haß und bewirkten die Bildung einer neuen Koalition fast aller europäischen Mächte, als Frankreich 1688 in England die Reaktionspolitik der Stuarts unterstützte, sich in die Kölner [* 27] Bischofswahl anmaßlich einmischte und ganz widerrechtlich einen Teil der Pfalz beanspruchte. Der Kaiser, der Papst, das Reich, Spanien, die Niederlande, Savoyen und nach dem Sturz Jakobs II. auch England verbanden sich gegen Frankreich, dessen Heerführer und Truppen sich zwar zu Lande der schwerfälligen Kriegführung der Verbündeten in allen Schlachten, [* 28] bei Fleurus (1690), Steenkerken (1692) und Neerwinden (1693) in den Niederlanden, bei Staffarda (1690) in Italien, [* 29] überlegen zeigten.
Doch wurde die französische Flotte von der englischen bei dem Vorgebirge La Hougue (1692) vernichtet, und es erlahmten vor allem die materiellen Kräfte Frankreichs allmählich im Ringen mit den übermächtigen Gegnern. Lionne, Colbert, Louvois, Luxembourg waren gestorben, ihre Nachfolger ihnen nicht gleich. Der französische Seehandel wurde fast vernichtet, die kolonisatorische Thätigkeit unterbrochen. So schloß Ludwig mit seinen Gegnern im November 1697 den Ryswyker Frieden, in welchem er das Herzogtum Lothringen sowie alle seit 1679 gemachten Reunionen wieder herausgab, mit Ausnahme von Straßburg. [* 30]
Der Verfall.
Der Ryswyker Friede bezeichnet den Wendepunkt, an welchem das universal-monarchische Streben Frankreichs zum Rückzug gezwungen ward. Noch immer behauptete es die erste Stelle in Europa; indes daran, sein Belieben unbedingt überall zur Geltung zu bringen, durfte es nicht mehr denken. Auch im Innern ward es ein andres. Unter dem Einfluß seiner zweiten Gemahlin, der Frau v. Maintenon, entsagte Ludwig seinen bisherigen Ausschweifungen und ergab sich vollständig der Frömmelei.
Nun wich er auch in kirchenpolitischer Beziehung eine beträchtliche Strecke zurück, indem er 1693 selbst die gallikanische Unabhängigkeit dem heiligen Stuhl auslieferte. Noch einmal setzte Ludwig die ganze Kraft seines Staats ein, als es sich darum handelte, die spanische Erbschaft, welche ein durch diplomatische Künste errungenes Testament des letzten habsburgischen Königs von Spanien, Karls II., der am starb, dem Haus Bourbon vermacht hatte, gegen Österreich und seine Alliierten zu behaupten.
Der spanische Erbfolgekrieg (1701-14, s. d.) nahm seit dem Sieg des Prinzen Eugen von Savoyen und Marlboroughs über die Franzosen und Bayern [* 31] bei Höchstädt [* 32] (1704) für Frankreich eine immer unglücklichere Wendung. Die Niederlagen der Franzosen bei Turin [* 33] und Ramillies (1706), bei Oudenaarde (1708) und bei Malplaquet (1709) vernichteten den Kern ihrer Streitkräfte u. führten den Verlust ganz Italiens, [* 34] Bayerns, Kölns, der spanischen Niederlande und fast aller nordfranzösischen Festungen herbei.
Ludwig XIV., völlig gedemütigt, war bereit, den Frieden mit den größten Opfern zu erkaufen; nur an der Forderung der Verbündeten, er solle seinen Enkel mit französischen Streitkräften aus Spanien vertreiben, scheiterten die Verhandlungen zu Geertruidenberg. Da wurde Ludwig aus äußerster Not errettet. In England gelangte ein konservatives, friedliebendes Ministerium zur Herrschaft, welches Marlborough vom Oberbefehl entfernte, Separatverhandlungen mit Frankreich begann und endlich die englischen Truppen von dem verbündeten Heer in den Niederlanden zurückzog.
Nun konnte Marschall Villars dem schwächern Heer Eugens bei Denain (Juli 1712) eine Schlappe beibringen; die ganze Lage war von Grund aus verändert. Trotz des Widerspruchs des Kaisers schlossen England, Holland, Preußen [* 35] und Savoyen den Utrechter Frieden mit Frankreich, welches einige nordamerikanische Kolonien an England abtrat und von der spanischen Erbschaft Neapel, Sardinien, [* 36] Mailand [* 37] und Belgien an Österreich, Sizilien [* 38] an Savoyen überließ; das eigentliche Spanien und dessen außereuropäische Kolonien verblieben dem Enkel Ludwigs, Philipp von Anjou.
Notgedrungen mußten der Kaiser zu Rastatt [* 39] und das Reich zu Baden [* 40] (1714) dem Utrechter Frieden beitreten, letzteres ohne irgend einen Gewinn. So ging Frankreich ohne nennenswerte materielle Einbuße, aber besiegt, gedemütigt, gänzlich erschöpft aus dem spanischen Erbfolgekrieg hervor. Die Staatsschuld war auf 2 Milliarden Livres gestiegen, das Defizit chronisch geworden. Die Herrschaft der Bourbonen in Spanien war für Frankreich selbst ein sehr zweifelhafter Gewinn. Auch die zahlreiche Familie Ludwigs XIV. ¶