mehr
Vorteile ein Bündnis mit dem französischen König zu Arras [* 2] (1435). Paris [* 3] fiel gleichfalls von England ab (1436); immer mehr zeigte das kleine England sich unfähig, die große französische Monarchie zu behaupten, und überdies wurde es unter dem ganz schwachen und haltlosen Heinrich VI. durch Parteiungen zerrissen. Nachdem die Engländer von Stellung zu Stellung vertrieben worden waren, unterlag ihr letzter tüchtiger General in Frankreich, Talbot Graf Shrewsbury, mit seiner kleinen Schar einer großen französischen Übermacht bei Castillon Nun fiel auch die Hauptstadt Aquitaniens, Bordeaux, [* 4] in die Gewalt der Franzosen. Der große französische Befreiungskrieg war vollendet; nur Calais [* 5] und Guines ließ man den Engländern.
Das zunehmende Alter hatte auch Karl VII. eine größere Reife gebracht, und außerdem hatte er das Glück, treffliche Ratgeber zu finden. So hatte die französische Regierung unmittelbar nach der günstigen Wendung des Kampfes auch eine Umgestaltung der innern Organisation begonnen. Indem die Generalstände des Reichs zu Orléans [* 6] (1439) eine bleibende Kopfsteuer (taille) zum Unterhalt einer stehenden Armee bewilligten, wurde nicht allein die Sicherheit des Reichs nach innen und außen, sondern auch die Macht des Königtums bedeutend gesteigert.
Zur Verwaltung der vermehrten Einnahmen wurden die Rechnungskammer und der Steuergerichtshof errichtet (1443). Die letzten Lebensjahre Karls VII. wurden durch sein Zerwürfnis mit dem Dauphin Ludwig verbittert, welcher von den elenden Günstlingen, mit denen Karl sich zuletzt wieder umgeben hatte, derart angefeindet wurde, daß er zu Philipp dem Guten von Burgund entfloh. Dieser, der Herzog von der Bretagne und der Graf von Provence, alles Kapetinger, waren die einzigen großen Vasallen, die noch ihre Unabhängigkeit der Krone gegenüber behaupteten.
Begründung einer starken Königsmacht.
Nachdem Karl VII. gestorben war, kehrte Ludwig XI. (1461-83) aus Burgund zurück. Seine Absicht war, die aus dem königlichen Hause selbst hervorgegangene hohe Aristokratie zu vernichten und unumschränkt zu herrschen. Um seine Pläne ungestört durchzuführen, wählte er seine Werkzeuge [* 7] aus den nicht nur durch Geburt, sondern auch moralisch niedrig stehenden Menschen. Die Heftigkeit seiner Herrschgier verleitete ihn oft zu Fehlern; aber er verstand es, die schon abgerissenen Fäden mit unvergleichlicher Geschicklichkeit immer wieder anzuknüpfen und um so behutsamer weiter zu spinnen. Im Anfang seiner Regierung wußte er sich vom König von Aragonien die Pyrenäengrafschaften Cerdagne und Roussillon, von Burgund durch Rückkauf die Picardie zu verschaffen.
Indem er aber seine Feindschaft gegen alle Prinzen von Geblüt zu offen aussprach und die Rechte des Adels vielfach verminderte, brachte er sie alle wider sich auf. Des Königs eigner Bruder, der Herzog von Berri, trat an die Spitze der unzufriedenen Großen, die sich zum »Bündnis des öffentlichen Wohls« (Ligne du Bien public) gegen den König vereinigten (1465). Nach der unentschiedenen Schlacht bei Montlhéry mußte Ludwig im Frieden von St.-Maur alle Forderungen der Großen bewilligen und die Erfolge 300jähriger Thätigkeit der französischen Könige gefährden.
Eine neue Demütigung erfuhr Ludwig 1468 in Péronne durch den stolzen Herzog Karl den Kühnen von Burgund. Bald aber gelang es ihm, die bisherigen Verbündeten zu entzweien und ihnen mit Hilfe des gefügigen Parlaments den Gewinn zum großen Teil wieder zu entreißen. Eine Empörung des mächtigen Grafen von Armagnac gab dem König 1473 Veranlassung, dessen weite Länder im südlichen Frankreich für die Krone einzuziehen. Eine andre günstige Fügung war es, daß Karl der Kühne sein Augenmerk auf Deutschland [* 8] und die Schweizer richtete, welch letztere ihn zu wiederholten Malen und zuletzt bei Nancy [* 9] besiegten, wo der Herzog selbst fiel mit Hinterlassung einer noch unvermählten Tochter, Maria. So stürzte für immer das stolze Gebäude der burgundischen Macht zusammen, zum großen Nutzen für Ludwig XI., welcher, da Maria den Erzherzog Maximilian von Österreich [* 10] und nicht, wie Ludwig verlangt hatte, den Dauphin heiratete, sich sofort eines großen Teils der burgundischen Provinzen bemächtigte. Er zwang schließlich Maximilian zu dem Frieden von Arras (1482), welcher das Herzogtum Burgund, die Freigrafschaft, Artois und einige kleinere Herrschaften mit Frankreich vereinigte.
Indem es ihm endlich gelang, nach dem Tode des kinderlosen Königs René von Neapel [* 11] und Provence diese letztere Provinz mit den Nebenlandschaften Anjou und Maine für die Krone einzuziehen, hatte er für diese die wirklich natürlichen Grenzen [* 12] Frankreichs: die Alpen, [* 13] den Jura und die Pyrenäen, überall erreicht. Im Innern waren durch Glück, List und Gewalt mit Ausnahme der Bretagne alle großen Häuser Frankreichs vernichtet oder doch unterworfen. Des Königs Gerichtsbarkeit und Beamtenhierarchie erstreckten sich über das ganze Reich, dem sie Ordnung und Sicherheit, die Vorbedingungen materieller und geistiger Blüte, [* 14] verliehen. Ludwig XI., der endgültige Begründer der großen französischen Monarchie, starb
Während der zwei Jahrhunderte von der Thronbesteigung Philipps des Schönen bis zum Tod Ludwigs XI. hatte sich unter mannigfachen Schwankungen das Königtum immer mehr dem Absolutismus genähert, welcher den demselben dienenden Rechtsgelehrten nach römischem Vorbild als Ideal vorschwebte. Der französische Großadel hatte seine zeitweilige Überlegenheit immer nur zu selbstsüchtigen Zwecken, nie, wie der englische, zu dauernder und gesetzlicher Beschränkung der königlichen Macht zu gunsten der Unterthanen zu benutzen gewußt.
Auch die französische Kirche war auf allen Gebieten, die sich mit dem Staatsleben berührten, der Herrschaft des Königtums unterworfen worden. Beschränkt wurde das letztere nur durch zwei Institutionen: den durch die Finanznot veranlaßten und immer mehr sich ausdehnenden erblichen Verkauf der Richterstellen, welcher den Richterstand unabhängiger machte, und die von Philipp IV. zum erstenmal einberufenen Generalstände (États-Généraux) des Reichs, Abgeordnete der Geistlichkeit, des Adels und der Städte, deren Zusammentritt aber gänzlich vom Belieben des Königs abhing, und die zu wirklich bleibender Macht trotz wiederholter Versuche nicht zu gelangen vermochten.
In den gesamten Anschauungen des französischen Volkes war in diesen beiden Jahrhunderten ein völliger Umschwung vor sich gegangen. Die Ideale des Mittelalters: Rittertum, kirchliche Frömmigkeit, unbedingte Verehrung des überlieferten, waren erloschen, und noch war nichts festes und sicheres Neues an deren Stelle getreten. Nur die Gelehrsamkeit, von Italien [* 15] angeregt, auf die Antike gegründet, hatte im 15. Jahrh. auch in Frankreich glänzende Fortschritte gemacht; namentlich Karl V. war ein eifriger Gönner der Wissenschaft gewesen. Ludwig XI. nahm dann eine Anzahl griechischer Gelehrten an ¶
mehr
seinem Hof [* 17] auf, welche auch in Frankreich den Anstoß zu jener gewaltigen humanistischen Bewegung gaben, die zur Renaissance, zur Wiedergeburt der schönen Künste und wahrer Wissenschaftlichkeit, führte.
Ludwigs einziger Sohn, Karl VIII. (1483-98), stand bei seiner Thronbesteigung erst in seinem 14. Jahr, fand aber an seiner ältern Schwester, Anna von Beaujeu, eine treffliche Führerin. Die Opposition der übrigen Prinzen gegen ihre Herrschaft wußte sie ebensowohl zu unterdrücken wie den Versuch der Generalstände von 1484, eine Art parlamentarischer Regierung durchzuführen. Der Herzog Franz II. von der Bretagne wurde durch den trefflichen königlichen General La Trémoille bei St.-Aubin (1488) so entscheidend geschlagen, daß damit die alte Unabhängigkeit dieses Landes ihr Ende erreichte.
Die Erbin Franz' II., die junge Herzogin Anna, die verlobte Braut des römischen Königs Maximilian, wurde 1491 dem jungen Karl VIII. vermählt und so die Bretagne mit der Krone Frankreichs vereinigt. Damit war das letzte der großen Kronlehen der nationalen Einheit zum Opfer gefallen. Nach diesem bedeutenden Erfolg faßte Karl VIII. den Entschluß, die Ansprüche des Hauses Anjou, die er durch Besitznahme der Provence auf die Valois übergegangen meinte, auf Neapel und selbst Jerusalem [* 18] mit Waffengewalt geltend zu machen.
Deshalb erkaufte er den Frieden von England durch Entrichtung einer großen Geldsumme, von Spanien [* 19] durch Rückgabe von Roussillon und Cerdagne, von Maximilian durch Rückgabe von Artois und der Freigrafschaft im Vertrag zu Senlis (1493). Dann zog er an der Spitze einer großen Arme ^[richtig: Armee] im Herbst 1494 nach Italien und nahm Anfang 1495 das Königreich Neapel den Herrschern aus dem Haus Aragon ohne große Schwierigkeiten ab. Da indes Kaiser Maximilian, die Republik Venedig [* 20] und Ferdinand der Katholische von Spanien sich gegen ihn verbündeten, mußte er das eroberte Reich, wo die Franzosen sich gründlich verhaßt gemacht hatten, ebenso schnell wieder räumen. Nur mit Mühe erkämpfte er bei Fornuovo gegen das Heer seiner Feinde den freien Durchzug nach der Heimat. Indem er seinen Kummer über den Mißerfolg seines Unternehmens durch Ausschweifungen zu betäuben suchte, starb er schon erst 27 Jahre alt.
Rivalität mit dem Haus Habsburg.
Da mit Karl VIII. die direkte Linie der Valois ausstarb, folgte ihm aus der Seitenlinie Valois-Orléans Ludwig XII. (1498-1515), Urenkel Karls V., ein wohlmeinender, besonnener, thätiger und gerechter Monarch, der zumal die Lage der untern Klassen seines Volkes zu heben bedacht war, aber nur zu sehr unter dem Einfluß seiner Günstlinge stand. Durch die Ordonnanz von Blois (März 1499) dehnte er die Freiheiten der französischen Nationalkirche aus und machte den ärgsten Mißbräuchen in Verwaltung und Rechtspflege ein Ende.
Sein eigentliches Ziel war aber Italien, wo er, außer auf Neapel, auch auf Mailand [* 21] (hier durch seine Großmutter Valentine Visconti) Rechte besaß. Im Herbst 1499 nahm er zunächst Mailand ein, dessen Herzog Ludwig Moro er als Gefangenen nach Frankreich sandte. Über Neapel hatte er sich mit Ferdinand von Aragonien verständigt, und beide Könige hatten beschlossen, das Reich gemeinschaftlich zu erobern und zu teilen. Die Eroberung erfolgte 1501, aber schon 1503 wurden die Franzosen von den Spaniern aus Neapel vertrieben. In Oberitalien [* 22] gründete Papst Julius 1510 gegen Ludwig die Heilige Liga.
Zwar erfocht der französische Feldherr Gaston von Foix bei Ravenna über die Spanier einen glänzenden Sieg (1512); derselbe blieb aber ohne Resultat, da auch England und der Kaiser sich der Heiligen Liga anschlossen. Dem ganzen Europa [* 23] war Frankreich nicht gewachsen. Vielmehr eroberte Ferdinand 1512 das mit Frankreich verbündete kleine Königreich Navarra, von dem nur der vierte Teil, der nördlich von den Pyrenäen liegende, unabhängig blieb; Mailand aber wurde von den Schweizern durch die Schlacht bei Novara (1513) den Franzosen abgenommen.
Die Engländer und Deutschen drangen in die Picardie ein und besiegten unter Kaiser Maximilians persönlicher Führung die Franzosen bei Guinegate. Frankreichs Erschöpfung nötigte darauf Ludwig XII., mit dem Papst, England und Spanien Frieden zu schließen (1514). Wenige Monate darauf starb er, vom Volk auf das tiefste betrauert, für dessen Wohl er in der That ununterbrochen gesetzgeberisch thätig geblieben war. In der auswärtigen Politik hatte er freilich mit allen seinen Anstrengungen nichts erreicht.
Es folgte ihm aus der jüngern Linie der Orléans, Angoulême, Franz I. (1515-47), ausgerüstet mit den bestechendsten Gaben des Körpers und des Geistes, aber zugleich voll Eitelkeit, zügelloser Genußsucht und despotischer Herrschbegier. Zunächst stand er gänzlich unter der Leitung seiner klugen und ehrgeizigen Mutter Luise von Savoyen. Durch geschickte Verträge sicherte Franz sich die Neutralität der wichtigern Staaten; dann brach er in das Mailändische ein, wo er den Schweizern bei Marignano (September 1515) eine große Niederlage beibrachte und darauf das ganze Herzogtum in Besitz nahm. Um die eroberte Stellung in Italien nicht wieder zu verlieren und das Haus Habsburg nicht zu einer Frankreich erdrückenden Macht gelangen zu lassen, bewarb sich Franz in der Hoffnung, dadurch Karls V. Wahl zu vereiteln, 1519 um die deutsche Kaiserkrone. Er unterlag aber, und so begann 1521 zwischen den beiden Nebenbuhlern um die Vorherrschaft in Europa, und Österreich-Spanien, ein 250jähriger Kampf, indem Karl V. von Franz die Rückgabe von Burgund und Mailand forderte, dieser seine Ansprüche auf Neapel erneuerte.
Der erste Krieg (1521-26) verlief für Frankreich unglücklich. Der französische General Lautrec wurde im Mailändischen bei Bicocca geschlagen und zum Rückzug über die Alpen genötigt (1522). Der tüchtigste Feldherr Frankreichs, der Connetable von Bourbon, wurde durch die Intrigen der Königin-Mutter bewogen, zu Karl V. überzutreten. Franz I. versuchte das schon verlorne Mailand wiederzuerobern, indem er sich selbst an die Spitze einer Armee stellte, wurde aber bei Pavia von dem kaiserlichen General Prosper Colonna vollständig geschlagen und nach tapferm Kampf selbst gefangen genommen.
Nach Madrid [* 24] geführt, mußte er seine Freiheit durch den Frieden von Madrid erkaufen (1526), in welchem er dem Kaiser das Herzogtum Burgund sowie die Souveränität Frankreichs über Flandern und Artois abtrat und auf alle Ansprüche auf Neapel und Mailand verzichtete. Allein kaum war er wieder in Freiheit, als er die Herausgabe von Burgund verweigerte und mit dem über Karls drohende Übermacht erschreckten Papst Clemens VII. und Heinrich VIII. von England ein Bündnis schloß. Karl, durch diese Treulosigkeit auf das höchste gereizt, ließ zu, daß sein Heer unter Führung des Connetable von Bourbon, der dabei fiel, Rom [* 25] erstürmte und plünderte (1527). Eine französische Armee, die unter Lautrec in ¶