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Bemühungen Colberts. Derselbe zog zahlreiche Manufakturisten ins Land, welche in Frankreich die Weberei [* 2] feiner Tücher in Schwung brachten. Auch andre Industriezweige hoben sich in jener Zeit rasch. Dieser Aufschwung wurde jedoch durch die Kriege mit England und die Zurücknahme des Edikts von Nantes, [* 3] infolge welcher Maßregel sich eine Menge geschickter Arbeiter nach den Niederlanden, Deutschland [* 4] und England wandte, wieder gestört. Auch die Politik Ludwigs XIV. und die Zeit der Revolution und des Kaiserreichs waren der weitern Entwickelung nicht günstig.
Erst seit dem Sturz Napoleons I. begann wieder eine Zeit ruhigerer Entwickelung, und das laufende Jahrhundert war es denn auch, in welchem die französische Industrie ungeheure Fortschritte machte. Die Zahl der Dampfmaschinen [* 5] hat sich beispielsweise von 14,620 mit 341,068 Pferdekräften im J. 1855 auf 40,022 mit 1,085,410 Pferdekräften im J. 1875 vermehrt. Für das Jahr 1875 wurde der Produktionswert der französischen Industrie mit jährlich nahezu 13 Milliarden Frank veranschlagt, wovon auf die Textil- und Bekleidungsindustrie 4820, auf die Nahrungsmittelindustrie 2927, auf die Baugewerke 1680, auf die Metallurgie 865, auf die chemische Industrie 750 Mill. Fr. kamen. Im Vergleich zu andern Staaten behauptet Frankreich seinen traditionellen Vorrang in den Artikeln des Geschmacks, des Kunstgewerbes und den feinen Luxusartikeln; es steht aber ferner in einer großen Zahl andrer Produkte sowie auch in der metallurgischen und Maschinenindustrie neben England und Deutschland ebenbürtig da. Auch in Frankreich ist es allerdings hauptsächlich die Großindustrie, welche den bedeutendsten Aufschwung genommen hat und die kleingewerbliche Erzeugung mehr und mehr zurückdrängt.
Immerhin aber sind es noch einige hervorragende Industriezweige, wie die Erzeugung von feinen Seidenwaren und Bändern, Spitzen, Uhren [* 6] und andern Luxusartikeln, welche vorwiegend das Gebiet des kleingewerblichen Betriebes bilden. Was die Gewerbeverfassung betrifft, so wurde im J. 1791 die Gewerbefreiheit in Frankreich eingeführt und das Zunftwesen aufgehoben. Bedingung der Ausübung eines Gewerbes ist die jährliche Lösung eines Gewerbepatents. Die Staatsgewalt übt einen Einfluß auf die Industrie insofern aus, als das Verhältnis der Gewerbtreibenden zu den Hilfsarbeitern, die Beschäftigung in den Fabriken, die Anlage und der Betrieb der gefährlichen und gesundheitswidrigen Gewerbe geregelt sind.
Förderungsmittel sind: die Gewerbekammern (chambres consultatives des arts et manufactures), im ganzen 78;
die Gesellschaft zur Aufmunterung der nationalen Industrie zu Paris; [* 7]
das Konservatorium der Künste und Gewerbe in Paris;
die Syndikatskammern in verschiedenen Städten.
Die Zentralverwaltung liegt im Handelsministerium, welchem der Conseil supérieur du commerce et de l'industrie zur Seite steht. Zur Austragung von Streitigkeiten aus dem Arbeitsverhältnis bestehen die Conseils de prudhommes. Die Zahl der bei der Industrie (nebst Bergwerken und Steinbrüchen) beschäftigten Arbeiter betrug 1881: 9,324,107, wovon auf Bergwerke und Steinbrüche 1,131,000, auf Fabriken 2,100,500 und auf die kleine Industrie 6,093,400 Personen entfielen. Die Zahl der Unternehmer beträgt insgesamt 1,100,000, die der Beamten 2,500,000. Die hauptsächlichsten Zentren der Industrie sind Paris, Lyon [* 8] und Lille. [* 9]
Was die einzelnen Zweige der Industrie und ihre Vertretung in Frankreich anbelangt, so sind auf dem Gebiet der Metallverarbeitung die großen Stahl- und Schienenwerke, die Blech- und Drahtwerke und Eisengießereien hervorzuheben, welche insbesondere in den Departements Loire, Saône-et-Loire, Nord, Pas de Calais, Meurthe-et-Moselle ihren Sitz haben. Die Eisenwarenindustrie liefert Messerschmiedewaren (Nogent, Langres, Thiers, Châtellerault, dann Paris für feinste Waren), Feilen (Paris, Arnay le Duc, Portillon), Nadeln [* 10] (Vaise bei Lyon, Pont à Mousson, Aigle), Stahlschreibfedern (Boulogne), Blechwaren (Audincourt, Beaucourt), Lampen [* 11] (rühmlichst bekannte Exportindustrie zu Paris), Schlosserwaren (Beaucourt), feuerfeste Schränke (Paris) u. a. Sehr gut entwickelt ist auch die Industrie in Kupferwaren (in Paris und den Departements Ardennen und Eure) und Blei. [* 12]
Die Industrie in edlen Metallen behauptet in Hinsicht auf die Mannigfaltigkeit und geschmackvolle Ausführung der Erzeugnisse in Frankreich den ersten Rang. Paris insbesondere beherrscht mit seinen Gold-, Silber- und Juwelenarbeiten, echten und unechten Bijouterieartikeln den Weltmarkt. Der Export in diesen Artikeln hatte 1884 einen Wert von 746 Mill. Fr. Auch die Industrie in Metalllegierungen, wie Messing, namentlich aber Bronzewaren, hat in Frankreich, letztere zunächst in Paris, den höchsten Stand erreicht.
Während in der Maschinenindustrie Frankreich bis vor wenigen Dezennien ganz von England abhängig war, sind gegenwärtig die französischen Leistungen auf diesem Gebiet der englischen Konkurrenz ebenbürtig geworden. Die Hauptsitze dieser Fabrikation sind Paris (namentlich auch für Nähmaschinen), [* 13] Lille, St.-Etienne, Lyon, Rouen [* 14] etc. Die Industrie in Transportmitteln liefert insbesondere Wagen von leichter, gefälliger Bauart und Luxuswagen von feiner Ausstattung. Wissenschaftliche und chirurgische Instrumente werden in vorzüglicher Qualität zu Paris, Marseille, [* 15] Rouen etc. hergestellt. In der Erzeugung musikalischer Instrumente steht in erster Linie; Klaviere liefern Paris und Marseille, Blasinstrumente Paris und Lyon, Geigen Paris, Lille und Mirecourt. Weltberühmt ist auch die Uhrenfabrikation von Paris (namentlich Pendeluhren), Besançon [* 16] (vornehmlich Taschenuhren) u. a. O.
In der Thon- und Glaswarenindustrie leistet Frankreich Ausgezeichnetes; es steht obenan in der Erzeugung dekorierten Porzellans (Nationalmanufaktur zu Sèvres und 322 Privatetablissements, namentlich in Paris, Obervienne, Loiret, Cher, Gironde), produziert viel Steingut, Fayence [* 17] und Majolikawaren (zu Paris, Beauvais, Choisy le Roi, Gien etc.) und liefert in seinen 164 Glasfabriken (namentlich in den Departements Seine, Nord, Meurthe-et-Moselle) Flaschen, Fensterglas, Hohlglas, farbige Glastafeln, Gußspiegel (St.-Gobain und die davon abhängigen Etablissements) und Glasbijouterien (insbesondere künstliche Edelsteine [* 18] und Perlen).
Auf hohem Standpunkt befindet sich weiter die Möbelindustrie, besonders in Paris und Bordeaux, [* 19] ferner die gleichfalls in Paris konzentrierte Erzeugung von Drechsler- und Schnitzwaren, darunter von Fächern, Kämmen und andern dergleichen Artikeln von geschmackvoller, zierlicher Form, die Erzeugung von Kinderspielwaren (in diesem Artikel allein fand 1884 ein Export von 55,6 Mill. Fr. statt), die Verfertigung von Flechtwaren, namentlich Korbgeflechten (zu Paris, Grenoble, [* 20] Lyon und Vervins), von Kautschuk- und Guttaperchawaren, insbesondere Gummischuhen (zu Paris, Rouen und Langlée). In den Artikeln der Lederindustrie, namentlich Ziegen- und Handschuhleder (Annonay, Chambéry und Paris), farbigem und ¶
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lackiertem Leder (Paris, St.-Denis, Lyon, Pont Audemer), in feinem Oberleder, dann in den verschiedenen Lederwaren ist Frankreich für den Welthandel tonangebend und treibt unter allen europäischen Staaten den größten Export (1884 einschließlich Handschuhe, für deren Herstellung Paris und Grenoble die Hauptsitze sind, und Schuhwaren für 242,4 Mill. Fr.).
Von der höchsten Bedeutung unter den französischen Industriekategorien ist die Textilindustrie, welche allein 615,000 Fabrikarbeiter beschäftigt und einen jährlichen Erzeugungswert von etwa 5 Milliarden Frank aufzuweisen hat. Von ihren einzelnen Zweigen ist vor allen die Seidenindustrie hervorzuheben, in welcher Frankreich unübertroffen dasteht. Die Produktion an roher Seide, [* 22] welche im Durchschnitt 470,000 kg erreicht, bedarf einer Ergänzung durch Import von Kokons, roher und filierter Seide (1884 Mehreinfuhr im Wert von 113,4 Mill. Fr.). Die Seidenspinnerei, mit 242,605 Spindeln, ist vorzüglich in den Departements Isère, Ain, Drôme, Aube, Rhône und Oise konzentriert.
Den ersten Rang nimmt aber in der Fabrikation seidener Gewebe [* 23] wegen des Geschmacks, der vollendeten technischen Ausführung und des Wertes dieser Produktion ein. Von den 63,055 Handstühlen stehen die meisten im Departement Rhône, die mechanische Weberei (14,000 Stühle) erstreckt sich auch auf die Departements Loire (namentlich in Bändern), Isère u. a. Der Wert der Ausfuhr von Seidengeweben belief sich 1884 auf 236,8 Mill. Fr. (Einfuhr 42,6). Die Schafwollmanufaktur ist seit langer Zeit einer der wichtigsten Industriezweige.
Die einheimische Wollproduktion (40 Mill. kg) reicht bei weitem nicht zur Deckung des Bedarfs aus, welcher noch bedeutende Zufuhren (1884: 174,5 Mill. kg, meist aus den La Plata-Staaten und Australien) [* 24] erfordert. Die Zahl der Spindeln beträgt (1881) 3,067,459. Hauptzentren der Spinnerei, welche durch die Feinheit der Garne, speziell durch die Glätte und Mannigfaltigkeit ihrer gezwirnten und gazierten Kammgarne, ausgezeichnet ist, sind die nördlichen Departements (Nord, Marne, Ardennes, Aisne, Somme, Eure und Niederseine).
Bei der Schafwoll- und der gemischten Weberei sind 76,000 Kraft- und 55,787 Handstühle im Betrieb. In Tuch und sonstigen Streichgarngeweben haben Sedan, [* 25] Elbeuf und Louviers einen Weltruf; die Kammgarnweberei und Weberei in gemischten Stoffen (Damenkleider u. dgl.) wird am schwunghaftesten in Roubaix, Tourcoing, Cateau, Lille, Reims [* 26] und Rouen, die Verfertiguug ^[richtig: Verfertigung] von Shawls in Paris, Lyon und Nîmes, die Fabrikation von Teppichen in Paris, Beauvais und Aubusson, die Erzeugung von Borten, Tressen u. dgl. im Departement Loire betrieben.
Die Ausfuhr in Schafwollgeweben hatte 1884 einen Wert von 334,3 Mill. Fr. Die Baumwollindustrie hat, seit sie 1773 zuerst in Amiens [* 27] eingeführt wurde, großartige Dimensionen angenommen. Sie zählt 4,8 Mill. Spindeln, welche insbesondere im Departement Niederseine um die Stadt Rouen, Nord um Lille, ferner in den Departements der Vogesen, Eure und Obersaône konzentriert sind. Der Baumwollbezug belief sich 1884 auf 139 Mill. kg, großenteils von Nordamerika, [* 28] dann von Ostindien. [* 29]
Bei der Baumwollweberei, welche gleichfalls in Rouen, dann in den Vogesen (Senones), Meurthe-et-Moselle, Aisne (St.-Quentin) etc. ihre Hauptsitze hat, sind 73,590 mechanische und 39,710 Handstühle im Gang. [* 30] Einer der ältesten Zweige der gewerblichen Thätigkeit ist die Leinenindustrie, an welche sich die verwandte Hanf- und Jutemanufaktur angeschlossen hat. Bei der Spinnerei sind 672,823 Spindeln, vorwiegendem Departement Nord, bei der Weberei 17,619 Kraft- und 28,892 Handstühle, für Leinwand vornehmlich im Departement Nord (Lille, Cambrai, Valenciennes etc.), für Hanfgewebe in Angers und Dünkirchen, [* 31] für Jutegewebe gleichfalls im nördlichen Frankreich thätig.
Die mit der Erzeugung von Garnen und Geweben in Verbindung stehende Färberei und Druckerei ist in Frankreich ebenfalls sehr entwickelt. Die Hauptsitze für die Stoffdruckerei sind die Normandie, die Vogesenthäler und Paris, für die Seidenfärberei Lyon, für die Baumwoll- und Schafwollfärberei Paris, Rouen, Roubaix, Reims etc. Noch sind als Zweige der Textilindustrie zu erwähnen: die Spitzenerzeugung, welche in den Departements Orne (Alençon), Calvados (Bayeux und Caen), Nord (Bailleul, Lille, Valenciennes), Oise (Chantilly), Vogesen (Mirecourt), Pas de Calais (Arras [* 32] und Calais) [* 33] etc. zahlreiche weibliche Arbeitskräfte beschäftigt und einen Weltruf besitzt;
die Weiß- und Buntstickerei (Paris und Lyon);
die Wirkwarenerzeugung, insbesondere in Seide, aber auch in Baum- und Schafwolle.
Tonangebend ist Frankreich auch in der Erzeugung von Kleidungsstücken, Wäsche, Putzartikeln, künstlichen Blumen und Schmuckfedern, mit welchen Artikeln Paris, man kann sagen, die ganze Welt versorgt (Export 1884: 174 Mill. Fr.). Auch die Erzeugung von Hüten aus Seide, Filz und andern Stoffen ist von großer Bedeutung.
Ein wichtiger Industriezweig ist ferner die Papierfabrikation; [* 34] 1882 bestanden in Frankreich 527 Papierfabriken mit einem Produktionswert von 120,6 Mill. Fr. Hierher gehört auch die Erzeugung von Buntpapier (Paris), Tapeten (Paris, Lyon, Marseille), Spielkarten, Buchbinder-, Kartonagen- und Papiermaché-Artikeln. Von den Zweigen der Nahrungs- und Genußmittelindustrie ist vor allen die Zuckerfabrikation zu erwähnen. 1882 standen 510 Rübenzuckerfabriken mit einer Produktion von gegen 5 Mill. metr. Ztr. und 34 Zuckerraffinerien mit einer Produktion von 3,3 Mill. metr. Ztr. im Betrieb.
Andre hierher gehörige, in in hervorragendem Maß vertretene Produktionszweige sind die Schokoladebereitung, die Erzeugung von Konditorwaren (Paris) konservierten und kandierten Früchten, getrockneten und komprimierten Gemüsen. Eine spezifisch französische Industrie ist die Schaumweinerzeugung, welche in den Departements der ehemaligen Landschaft Champagne ihre Heimat hat. Neben der Weinkultur beginnt mehr und mehr die Bierbrauerei [* 35] in Frankreich, namentlich in Paris und den nördlichen Departements, Verbreitung zu finden. 1882 standen 3215 Brauereien mit einer Produktion von 8,5 Mill. hl im Betrieb.
Branntwein wird namentlich aus Rüben und Wein, neuerdings auch aus Kartoffeln und mehligen Substanzen in bedeutender Menge bereitet. Die gesamte Alkoholproduktion Frankreichs betrug 1883 über 2 Mill. hl, die meist im Land verbraucht wurden, da die Ausfuhr (265,000 hl) die Einfuhr nur um 109,000 hl überstieg. Treffliche Liköre liefern Paris, Bordeaux und Lyon, Essig die Städte Orléans, [* 36] Montpellier [* 37] etc. Die Tabaksfabrikation wird als Staatsmonopol in 19 großen Manufakturen betrieben. Die chemische Industrie unterhält teilweise groß eingerichtete Etablissements in Paris und Umgebung, Lyon (namentlich für Phosphorfabrikation), im Norddepartement, in Chauny (Aisne), Corbehem (Pas de Calais), Alais (Gard), Varangèville (große Sodafabrik), Montpellier und Marseille (für Weinstein und Weinsteinsäure). Die ¶