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Sachsen [* 2] waren somit die einzigen von den Franken noch unabhängigen Stämme in Deutschland. [* 3]
Nach Chlotars Tod war das Reich zwischen seinen vier Söhnen, Guntram (561-593), Charibert I. (561-567), Sigibert I. (561-575) und Chilperich I. (561-584), aufs neue geteilt worden, von denen Charibert schon nach sechs Jahren sein Erbe den Brüdern hinterließ. Seitdem begann sich die fränkische Monarchie in drei große Hauptmassen zu sondern: Austrasien (das Ostland), das Reich Sigiberts mit der Hauptstadt Reims [* 4] und einer überwiegend germanischen Bevölkerung, [* 5] Neustrien (das Land der Neufranken), das Reich Chilperichs mit der Hauptstadt Soissons, und Burg und, das Reich des Guntram mit der Hauptstadt Orléans, [* 6] beide letztere mit vorwiegend romanischen Einwohnern. An Paris, [* 7] der Hauptstadt Chariberts, hatten nach dessen Tod alle drei Brüder Anteil; Aquitanien und die Provence, d. h. die den Goten entrissenen Länder, gehörten zunächst keinem der drei großen Reichsteile an; sie blieben besondere Gebiete, an denen gewöhnlich mehrere Könige zugleich Anteil hatten.
Die innern Wirren, welche die nächsten Jahrzehnte der fränkischen Geschichte erfüllen, bieten eins der abschreckendsten Bilder der gesamten Weltgeschichte: das und insbesondere sein Königshaus erscheinen in die furchtbarste moralische Zerrüttung versunken, an der die rohe, zügellose Kraft [* 8] der germanischen Eroberer und die entnervte Weichlichkeit der unterworfenen Römer [* 9] gleiche Schuld tragen. Blutige Gewaltthat, hinterlistige Tücke, wilde Grausamkeit und schamlose Sinnlichkeit bilden den düstern Hintergrund, von dem die entsetzlichen Gestalten der beiden berüchtigten Weiber Brunhilde (s. d.) und Fredegunde (s. d.) sich abheben, die in jener Zeit den fränkischen Thron [* 10] entehrt haben. Erst als Fredegunde 597 gestorben, Brunhilde 613 unter barbarischen Foltern hingerichtet worden war und in demselben Jahr Chlotar II. (584-628), der Sohn Chilperichs I., sich der alleinigen Herrschaft über das ganze Reich bemächtigt hatte, nahmen die greuelvollen Bürgerkriege ein Ende.
Aus denselben ging das Reich der Franken zwar nicht mit erweiterten, aber doch mit ungeschmälerten Grenzen [* 11] hervor. Im Innern aber erhob sich während derselben immer mächtiger eine hoch stehende, einflußreiche Aristokratie, welche, durch vornehme Geburt, großen Reichtum und den Besitz hoher Staats- und Hofämter ausgezeichnet, auf die Regierungsgeschäfte eine durch keine Gesetze und Vorschriften bestimmt geregelte, aber darum nur um so merklichere Einwirkung auszuüben begann. Zu den wichtigsten Beamten gehörten die Inhaber der vier großen Hofämter: der Seneschall, der Marschall, der Schatzmeister oder Kämmerer und der Schenk;
als juristischer Berater des Königs im Hofgericht, dessen Kompetenzen immer ausgedehnter geworden waren, fungierte der Pfalzgraf;
von großem Einfluß auf die Regierungsgeschäfte war auch der Referendarius, d. h. der Vorsteher der Kanzlei und Siegelbewahrer, der in Rat und Gericht Stimme hatte.
In den Provinzen gab es Grafen und (für mehrere Grafschaftsbezirke) Herzöge oder, wie sie in Burgund und der Provence hießen, Patricii, Beamte, die zugleich mit richterlichen, administrativen, finanziellen und militärischen Befugnissen ausgestattet waren; außerdem noch die Domestici oder Verwalter der königlichen Domänen; auch die Bischöfe, obwohl in strenger Unterordnung unter den Staat und seine Gewalten, waren auf den Reichsversammlungen und im Rate der Könige von nicht zu unterschätzendem Einfluß.
Vor allem aber war es Ein Amt, das sich aus unscheinbaren Anfängen allmählich zur höchsten Bedeutung im Staat entwickelte, und dessen Träger [* 12] mehr und mehr die Summe aller politischen Befugnisse in ihren Händen zu vereinigen begannen. In den ältesten Zeiten war der Inhaber dieses Amtes, der Majordomus (Hausmeier, maire du palais), lediglich der Aufseher über die königliche Dienerschaft oder der Verwalter kleinerer königlicher Gutsbezirke gewesen. Er übte indes schon am Ende der zuletzt behandelten Periode den besondern Königsschutz aus, in den sich einzelne Personen oder kirchliche Institute zu begeben pflegten; ihm war (aller Wahrscheinlichkeit nach) die Erziehung der jungen Leute anvertraut, welche sich für den Dienst des Königs und die hohen Ämter am Hofe vorbereiteten; er nahm eine Vertrauensstellung am Hof [* 13] ein, die ihm immer mehr staatliche Befugnisse verschaffte, unter andern auch, wenn auch noch nicht im 6. Jahrh., das besonders wichtige Recht der Regentschaft während der Minderjährigkeit der Könige sowie die Aufsicht und Verwaltung des Kronguts, die Erhebung der königlichen Einkünfte und die Vergebung von Krongut an Laien und Geistliche.
Anfangs ein Vertreter der recht eigentlich königlichen Interessen, trat der Majordomus (in jedem der drei Teilreiche gab es einen solchen Beamten) später an die Spitze der Aristokratie im Kampf gegen das Königtum, wie denn z. B. Brunhilde durch eine solche Vereinigung des Hausmeiers mit der Aristokratie gestürzt worden ist; zuletzt gelang es ihm, die Großen und die Könige gleichmäßig seiner Herrschaft zu unterwerfen. Dieser letzte Schritt geschah in der zweiten Hälfte des 7. Jahrh.
Bereits unter dem Sohn Chlotars II., Dagobert I. (622-638), der anfangs nur in Austrasien, seit dem Tode des Vaters 628 in der ganzen Monarchie, mit Ausnahme Aquitaniens, das Charibert II. erhielt, regierte und die Residenz nach Paris verlegte, trat das Haus hervor, welches das Amt des Majordomats zur höchsten Macht gebracht hat. Arnulf, Bischof von Metz [* 14] (gest. 627), und Pippin der ältere (Pippin von Landen), Majordomus von Austrasien, sind die Ahnherren dieses karolingischen Hauses, das rein germanischer Herkunft und dessen Wiege das Gebiet zwischen Maas, Mosel, Rhein, Roer und Amblève war, in welchem es auch später noch reichbegütert erscheint.
Arnulfs Sohn Ansegisel oder Adalgisel, der mit einer Tochter des ältern Pippin vermählt war, wurde 632, als Dagobert sich genötigt sah, auf Andringen der Großen Austrasiens diesem Land eine besondere Regierung zu geben, und seinen unmündigen Sohn Sigibert III. (632-656) zum König von Austrasien erhob, Vormund des letztern und schützte als solcher die Ostgrenze des Reichs mit Kraft und Energie gegen die Slawen, welche dieselbe schon seit längerer Zeit beunruhigten.
Pippin selbst war an Dagoberts Hof geblieben und kehrte erst 638, als nach dem Tode des Vaters in Neustrien und Burgund Chlodwig II. (638-656) folgte, nach Austrasien zurück, starb aber schon 639. In Austrasien erlangte nun sein Sohn Grimoald das Majordomat und versuchte 656 nach dem Tod Sigiberts III. sogar das Haus der Merowinger zu stürzen und die Krone an sein eignes Geschlecht zu bringen. Dieser Versuch scheiterte jedoch an dem Widerstand des Adels; Grimoald büßte mit dem Tod, und Chlodwigs II. Sohn Chlotar III. (656-670) beherrschte nun eine Zeitlang durch seinen Majordomus Ebroin die wieder vereinigten drei Teilreiche, sah sich aber 660 genötigt, den Austrasiern in der Person seines Bruders Childerich II. (660-673) ¶
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wieder einen eignen König zu geben. Letzterer erhielt 670 auch die Herrschaft über Neustrien und Burgund, wurde aber 673 wegen der drückenden und allgemein verhaßten Herrschaft seines Majordomus Wulfoald meuchlings ermordet, und nun brach eine allgemeine Anarchie und Verwirrung in den drei Reichen aus. Die Könige traten während derselben schon völlig in den Hintergrund, und die Majordomus entschieden die politischen Angelegenheiten. Während als solcher Ebroin in Neustrien und Burgund seine hervorragende Stellung durch Anwendung der rücksichtslosesten Mittel zu behaupten wußte, erhob sich in Austrasien Pippin der Mittlere (Pippin von Heristall), Sohn Ansegisels, Enkel Pippins des ältern und Arnulfs von Metz.
Dieser besiegte 687 in der Schlacht bei Testri unweit St.-Quentin Berthar, den zweiten Nachfolger Ebroins im Majordomat von Neustrien und Burgund, und ward nach Berthars Ermordung (688) als alleiniger Majordomus des gesamten fränkischen Reichs anerkannt. Den somit erneuerten Gedanken der Reichseinheit vertrat Pippin auch gegenüber den partikularistischen Gewalten, welche sich unter den Wirren der letzten Jahrzehnte in den einzelnen Teilen der Monarchie, insbesondere in den deutschen Gebieten, gebildet hatten, auf das kräftigste. Er bezwang 689 den Friesenfürsten Ratbod und zwang ihn zur Abtretung Westfrieslands; er unterwarf 709-712 die Alemannen, welche seit längerer Zeit dem Reich entfremdet waren; auch das Christentum faßte unter ihm bei den Bayern [* 16] festen Fuß, wo der heil. Rupert zu dem Bistum Salzburg [* 17] den Grund legte, während St. Kilian in Ostfranken am Main, St. Willibrord in Friesland als Missionäre thätig waren.
Als Pippin 714 starb, übernahm seine Gemahlin Plektrudis für ihren Enkel Theudoald, den schon der Vater mit der Majordomuswürde bekleidet hatte, und für den König Dagobert III., welcher 711 seinem Vater Childebert III. gefolgt war, die vormundschaftliche Regierung, indem sie Karl Martell, den Sohn Pippins von der Alpaida, gefangen hielt. Gegen sie erhoben sich die Großen Neustriens, welche die Gelegenheit benutzten, wieder einen eignen Majordomus aufzustellen; Karl Martell aber entkam seiner Haft und trat in Austrasien an die Spitze einer großen Partei. Er erfocht bei Vincy 12. März 717 einen entscheidenden Sieg über die Neustrier, die er bis Paris verfolgte, nötigte Plektrudis zur Unterwerfung, erhob Chlotar IV. auf den Thron, schloß aber nach dessen Tod 719 mit dem König Chilperich II. von Neustrien einen Frieden, durch welchen er letztern als König des gesamten Reichs anerkannte.
Schon im folgenden Jahr bedrohte die fränkischen Grenzen der gefährlichste Feind, die Araber, welche nach der Unterwerfung Spaniens 720 die Pyrenäen überschritten und trotz wiederholter Niederlagen ihre Einfälle immer wieder erneuerten, bis Karls glänzender Sieg bei Tours [* 18] 732 die abendländisch-christliche Zivilisation vor der drohenden Vernichtung bewahrte. Auch die Kämpfe des Vaters gegen die noch einmal abgefallenen Alemannen nahm Karl auf; er bezwang sie sowohl als die Bayern, Friesen und die Aquitanier; er eröffnete die Kriege gegen die Sachsen, und in Deutschland begann unter seinem Schutz Bonifacius (s. d. 2) das großartige Werk der Organisation der christlichen Kirche unter Anerkennung des Primats von Rom. [* 19] Die Stellung Karls, der als der Schöpfer der karolingischen Monarchie angesehen werden kann, war in seinen letzten Jahren so stark, daß er, als 737 Theuderich IV., der Nachfolger Chilperichs II., gestorben war, es wagen konnte, den Königsthron ganz unbesetzt zu lassen. Nachdem er das Reich unter seine beiden Söhne, Karlmann und Pippin den jüngern (Pippin den Kleinen, 741-768), geteilt hatte, starb Karl Martell 21. Okt. 741 zu Kiersy.
Die beiden Brüder schlugen gemeinschaftlich eine Empörung ihres Stiefbruders Grifo und einen Aufstand in Bayern nieder und hoben das Herzogtum in Alemannien ganz auf, worauf Karlmann 747 ins Kloster ging und seinem Bruder allein die Regierung überließ. Pippin, durch persönliche Tüchtigkeit vor allen im Volk ausgezeichnet, durfte nun den letzten Schritt zu dem Ziel wagen, zu welchem ihm seine Vorfahren den Weg gebahnt hatten. Mit Zustimmung des Papstes, welcher die Erhebung des Pippinschen Stammes auf den Thron der Franken jetzt um so mehr begünstigen mußte, als er der Unterstützung desselben gegen die Langobarden bedurfte, ward Pippin 751 im November zu Soissons zum König erhoben, während Childerich III., der letzte Merowinger, den die Brüder 743 auf den Thron gesetzt hatten, des sein Geschlecht auszeichnenden Schmuckes, des ungeschornen Haupthaars, beraubt und in ein Kloster geschickt wurde.
Die Mitwirkung der Kirche bei dieser Revolution fand auch in der Salbung des neuen Königs, die bis dahin den Franken unbekannt war, ihren Ausdruck. Aus Dankbarkeit kam Pippin 754 und 755 dem päpstlichen Stuhl gegen die Langobarden zu Hilfe, suchte jedoch alsdann dieselben, um nicht an ihnen einen neuen Feind zu haben, dadurch wieder zu versöhnen, daß er seine Söhne mit Töchtern des Königs Desiderius vermählte. Die Ansprüche des griechischen Kaisers auf das den Langobarden entrissene Exarchat wies er durch Abtretung desselben an die Kirche zurück.
Noch waren die Grenzen des Reichs, besonders im Osten, nicht gehörig gesichert, als Pippin (768) starb. Noch bei seinen Lebzeiten hatte er das Reich unter seine beiden Söhne so geteilt, daß Karl außer Austrasien auch Aquitanien und Karlmann alles übrige Land bekommen sollte. Dennoch verhinderte nur Karlmanns früher Tod (771) blutige Händel zwischen den Brüdern. Die unmündigen Kinder Karlmanns wurden von Karl ohne Schwertstreich aus ihren Besitzungen vertrieben, und ihr Großvater Desiderius führte durch den Versuch, ihre Rechte auf den fränkischen Thron geltend zu machen, den Sturz seines Reichs herbei (774).
Karl d. Gr. (768-814) erhob das Frankenreich zum Weltreich, welches die germanischen Stämme des Kontinents zu einer Monarchie zusammenschmolz und die abendländische Christenheit unter einem Oberhaupt vereinigte. Er unterwarf in langem blutigen Ringen die Sachsen seiner Herrschaft und dem Christentum, ordnete durch Auflösung des Herzogtums Bayern diesen Stamm seinem Reiche gänzlich unter, kämpfte mit gleichem Erfolg gegen die Dänen, Avaren und Araber und dehnte die Grenzen seines Reichs bis zum Ebro, zur Eider, zur Raab [* 20] und zum Tiber aus.
Indem er sich darauf 25. Dez. 799 in Rom vom Papst Leo III. die römische Kaiserkrone aufsetzen ließ, brachte er den universalen christlichen Charakter seiner Herrschaft zum Ausdruck und überlieferte die Idee des römischen Weltreichs den spätern Jahrhunderten. Gleichzeitig verlieh er diesem Reich eine genial angelegte Verfassung, welche dem König eine Reichsversammlung zur Seite stellte und in den Grafen und Bischöfen ein Beamtentum schuf, das die monarchische Gewalt in allen Teilen des großen vielgliederigen Reichs zur Geltung brachte. Er hob Handel und ¶