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bei a sich verzweigend; h die auf und durch den Algenfaden wachsenden Hyphen). Auch Gonidien, die mit Algengattungen aus der Abteilung der Konfervaceen, Koleochäten, Rivularieen und Scytonemaceen übereinstimmen, sind nachgewiesen. Schon ältere Botaniker hielten daher gewisse Algen, [* 2] wie die an Baumrinden etc. häufig auftretenden Cystococcus, Pleurococcus, Chroolepus, desgleichen Nostoc, für nichts weiter als frei gewordene und selbständig vegetierende Flechtengonidien.
Nachdem durch Famintzin, Baranetzky, Bornet u. a. der direkte Nachweis geliefert war, daß die grünen Gonidien mehrerer Flechten, [* 3] wenn sie aus dem Thallus befreit sind, auf feuchter Unterlage wie Algen fortleben und dabei sogar gleich diesen Schwärmsporen erzeugen, trat Schwendener mit der jetzt allgemein angenommenen Theorie auf, nach welcher die Flechten keine selbständigen Pflanzen, sondern Algen sind, auf denen Pilze [* 4] schmarotzen. Diese Theorie wird durch zahlreiche Thatsachen und direkte Kulturversuche bewiesen.
Die Hyphen des Flechtenthallus und die mit ihnen anatomisch und genetisch zusammenhängenden Apothecien und Spermogonien sind ausschließlich nur bei Pilzen vorkommende Organe. Die Gonidien sind als die einzigen chlorophyllhaltigen Zellen der Flechten wirklich die Ernährungsorgane für die Hyphen, Apothecien etc. Sie liegen auch meist frei, gleichsam als fremde Bestandteile zwischen den Hyphen, und wo man sie mit solchen im Zusammenhang gefunden [* 1] (Fig. 12, h g), läßt sich nachweisen, daß die Verwachsung nachträglich zu stande gekommen ist.
Grüne Pflanzen (hier Algen), wenn sie von parasitischen Pilzen befallen werden, erleiden ganz allgemein wesentliche Modifikationen ihres Wachstums und ihrer Gestalt, so daß auch die so eigentümlichen Gestalten des Flechtenthallus sich erklären lassen. Schlagend bewiesen wird die Doppelnatur der Flechten durch Kulturversuche. Rees sah nach Aussaat der Sporen einer Collema, d. h. einer Flechte mit nostocartigen Gonidien, auf reinen Nostoc aus letzterm eine Collema sich entwickeln, indem die aus den Sporen hervorgehenden Hyphen in dem Nostoc sich ausbreiteten, vermehrten und mit ihm als Flechte sich weiter entwickelten.
Stahl erzog fruktifizierende Exemplare von Endocarpon pusillum Hedw. auf feuchten Lehmplatten, auf welche die Sporen nebst den Gonidien der Algengattung Pleurococcus ausgesäet worden waren; nach 4-6 Wochen traten in den jungen Flechtenlagern die ersten Spermogonien, bald darauf die ersten Perithecienanlagen auf, in welchen die Sporen aber erst nach 4-5 Monaten reiften. Demselben Forscher gelang es auch, auf denselben Gonidien von Endocarpon die Sporen einer andern Flechtengattung, des Thelidium minutulum Körb. zur Entwickelung zu bringen. Damit bewies er, daß die Gonidien und die sie umspinnenden Pilzfäden nicht in genetischem Zusammenhang stehen. Hiernach müssen die Flechten als parasitische Pyreno- und Diskomyceten diesen Abteilungen der Pilzklasse unmittelbar angeschlossen werden.
Als wesentliche chemische Bestandteile treten bei den Flechten auf: das Lichenin oder die Flechtenstärke, aus welcher ihre Hyphen bestehen, eigentümliche Flechtensäuren, welche oft schöne farbige Verbindungen geben, und Chromogene, aus denen gewisse benutzbare Farbstoffe dargestellt werden.
[Einteilung.]
Man kennt etwa 1400 Arten Flechten, die in 70-80 Gattungen verteilt sind; Acharius erhob die Flechten zu einer besondern Klasse und stellte das erste System derselben auf. Von den verschiedenen neuern Systemen, in denen bald die Beschaffenheit des Thallus, bald der Bau der Apothecien als erstes Einteilungsmoment angenommen wird, ist das von Fries aufgestellte am meisten berücksichtigt worden. Das von den meisten Lichenologen benutzte System ist folgendes:
I. Flechten mit heteromerem, selten homöomerem, nicht gallertartigem Thallus (Heteromerici):
A. Gymnocarpi, mit offenen, scheibenförmigen Apothecien, deren Fruchtscheibe, wenigstens im ausgebildeten Zustand, ausgebreitet ist, mit den Gruppen:
a) mit krustenförmigem Thallus:
1) Graphideae (Gattungen: Graphis Adans., Opegrapha Humb., Arthronia Ach.);
2) Calycieae (Gattungen: Calycium Pers., Coniocybe Ach.);
3) Baeomyceae (Gattung: Baeomyces Pers);
4) Lecideae (Gattungen: Biatora Fr., Lecidea Ach.);
5) Lecanoreae (Gattungen: Lecanora Ach., Ochrolechia Mass., Placodium Hill.);
6) Umbilicarieae (Gattung: Umhilicaria Hoffm.);
b) mit laubartigem Thallus:
7) Parmeliaceae (Gattungen: Sticta Schreb., Parmelia Ach., Physcia Schreb.);
8) Peltideaceae (Gattung: Peltigera Willd.);
c) mit strauchartigem Thallus:
9) Ramalineae (Gattungen: Anaptychia Körb., Cetraria Ach., Evernia Ach., Ramalina Ach.);
10) Usneaceae (Gattungen: Cornicularia Ach., Bryopogon Lk., Usnea Dill.);
11) Roccelleae (Gattung: Roccella);
12) Cladoniaceae (Gattungen: Stereocaulon Schreb., Cladonia [* 5] Hoff.).
B. Angiocarpi, mit geschlossenen, an der Spitze mit einer Mündung versehenen, dem Thallus eingesenkte Behälter darstellenden Apothecien, mit den Gruppen:
a) mit krustenförmigem Thallus:
13) Pertusarieae (Gattung: Pertusaria DC.);
14) Verrucariae (Gattungen: Verrucaria Wig., Arthopyrenia Mass.).
15) Dacampieae (Gattung: Dacampia Mass.);
b) mit laubartigem Thallus:
16) Endocarpeae (Gattung: Endocarpon Hedw.);
c) mit strauchartigem Thallus:
17) Sphaerophoreae (Gattung: Sphaerophorus Pers.).
II. Flechten mit homöomerem, gallertartigem Thallus (Homoeomerici), die ebenfalls wieder in Angiocarpi und Gymnocarpi zerfallen und nach dem strauchartigen, laub oder krustenförmigen Thallus in die Familien der Lichinaceae, Obryzeae, Porocypheae, Psorotichieae, Omphalarieae, Collemaceae, Leptogieae und Leothecieae geteilt werden.
III. Byssusflechten (Byssacei), die von Hyphen überzogene Fadenalgen darstellen und die Gattungen Coenogonium Ehrbg., Ephebe Fr., Thermutis Fr. u. a. umfassen.
[Verbreitung.]
Die Flechten sind über die ganze Erde, vorzugsweise aber in den kalten und gemäßigten Zonen verbreitet; sowohl gegen die Pole hin als in den höhern Gebirgsregionen bis zur Grenze des ewigen Schnees finden sich noch zahlreiche Arten, die hier die letzten Spuren organischen Lebens darstellen. Sie lieben fast alle einen freien, dem Wetter [* 6] und den Stürmen ausgesetzten Standort und kommen an den dürrsten Stellen fort; denn während langer Trockenheit erstarren sie vollständig, aber nach jedem Regen beleben sie sich von neuem.
Manche wachsen auf nackter Erde, viele an der Rinde von Baumstämmen, an gezimmertem Holz, [* 7] an Zäunen, auf Dächern, und eine sehr große Anzahl überzieht nacktes Gestein. Einige Flechten wachsen auf jedem Substrat, wohin sie der Zufall führte; die meisten aber lassen sich nach ihrem Vorkommen als Stein-, Erd- und Baumflechten unterscheiden, und viele Steinflechten sind sogar an bestimmte Gesteinsarten, wie an Urgebirge, Kalkgebirge etc., gebunden. Die an Baumstämmen lebenden sind nicht eigentliche Schmarotzer, denn sie sitzen nur an den äußern abgestorbenen Rindenteilen und kommen auch an andrer Unterlage vor; trotzdem schaden starke Flechtenüberzüge den Bäumen (s. Baumkrätze). Die steinbewohnenden Flechten bilden den ersten Anflug an den nackten Gesteinsflächen und bereiten hier den ¶
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Boden für die nachfolgende größere Vegetation, zunächst für Moose [* 9] und kleinere Kräuter, vor. Dieser Lebensweise sind die Flechten fähig, weil sie ihre Nahrung vorzugsweise aus der Luft beziehen, indem sie vermöge ihres Chlorophyllgehalts aus Kohlensäure und Wasser sich ernähren können und aus der Unterlage nur die anorganischen Bestandteile aufzunehmen brauchen, die sich in ihrer Asche vorfinden.
Einen Nutzen gewähren die Flechten besonders im hohen Norden [* 10] durch ihren Gehalt an Flechtenstärke (Lichenin) als Nahrungsmittel [* 11] für Tiere und Menschen; auch wurden sie früher mehr als jetzt als Arzneimittel verwendet, während man jetzt die Flechtenstärke in Zucker [* 12] umzuwandeln sucht und durch Gärung Spiritus [* 13] daraus bereitet. Andre Flechten dienen zur Darstellung von Farbstoffen.
Vgl. G. Flechten W. Meyer, Entwickelung, Metamorphose und Fortpflanzung der Flechten (Götting. 1825);
L. R. Tulasne, Mémoire pour servir à l'histoire organographique et physiologique des Lichens (in den »Annales des sciences naturelles«, 3. Serie, Bd. 17);
De Bary, Morphologie und Physiologie der Pilze, und Myxomyceten [* 14] (2. Aufl., Leipz. 1884);
E. M. Fries, Lichenographia europaea reformata (Lund 1831);
Körber, Systema Lichenum Germaniae (Bresl. 1855), mit der Ergänzung: Parerga lichenologica (das. 1859-65);
Nylander, Synopsis methodica Lichenum (Par. 1858-60);
Kummer, Führer in der Flechtenkunde (2. Aufl., Berl. 1883);
Th. M. Fries, Lichenographia scandinavica (Upsala [* 15] 1871 bis 1874);
Schwendener, Untersuchungen über den Flechtenthallus (in Nägelis »Beiträgen zur wissenschaftlichen Botanik«);
Rees, Über die Entstehung der Flechte Collema glaucescens (Berl. 1871);
Stahl, Beiträge zur Entwickelungsgeschichte [* 16] der Flechten (Leipz. 1877);
Krempelhuber, Geschichte und Litteratur der Lichenologie (Münch. 1867-72, 3 Bde.).