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Röstmethoden, soweit sie sich überhaupt bewährt haben, finden sich vorwiegend angewendet in großen Flachsspinnereien; die Flachsproduzenten bedienen sich lieber der ebenfalls sehr zweckmäßigen Wasserröste. Zur Röste bringt man bald den grünen, frisch gezogenen und abgeriffelten, bald den vorher vollständig lufttrocken gemachten Flachs. Das erstere Verfahren (Grünröste) ist vielfach in Rußland, Deutschland, [* 2] auch in Belgien [* 3] und Holland üblich, liefert aber niemals eine solche Flachsqualität wie das zweite Verfahren, bei welchem man den Flachs nicht einmal in demselben Jahr, in welchem er gebaut wurde, zur Röste bringt, sondern erst im kommenden Jahr. Durch dieses Liegenlassen gewinnt die Faser wesentlich an Festigkeit [* 4] und Griff und wird nicht selten die Röste sogar unterbrochen und nach einiger Zeit, nachdem der Flachs abermals fest eingelagert war, vollendet. Diese Doppelröste findet in Belgien vorzüglich ihre Anwendung bei den feinsten und wertvollsten Flachsen. - Um die Flachsfaser aus dem gerösteten Stengel [* 5] zu gewinnen, wird derselbe vielfach in Dörrgruben, Dörrkammern oder Öfen, [* 6] selbst in Backöfen gedörrt.
Steigt auch bei vorsichtiger Handhabung die Erwärmung der Flachsstengel beim Dörren nicht über 50° C., so verliert doch die Faser hierdurch mehr oder weniger an Milde und Griff, daher auch das Dörren nur da angewendet wird, wo es unbedingt notwendig ist, d. h. bei Tauflachs, der sich sonst weniger leicht und vollkommen brechen läßt. Vorteilhafter dörrt man den in der Sonnenwärme, wiewohl das darauf folgende Brechen nicht so gut und leicht vor sich geht wie nach dem Dörren im Dörrofen.
Durch das Brechen soll der holzige Kern des Flachsstengels in kleine Stückchen gebrochen werden. Dieser Arbeit geht ein sorgfältiges Sortieren des Flachses je nach Farbe und Röstgrad voraus. Zum Brechen dient meist noch die ein- oder auch zweizungige hölzerne, in manchen Gegenden eiserne Handbreche, welche die Faser aber stark beschädigt und die Ausbeute an spinnbarer Faser verringert. In Belgien wird daher der geröstete Flachs mit dem hölzernen, auf seiner untern, arbeitenden Seite gekerbten Botthammer bearbeitet.
Durch das Aufschlagen mit diesem Hammer, [* 7] der mit einem langen, krummen Stiel versehen ist, auf den auf der Tenne ausgebreiteten Flachs wird der Stengel geknickt, ohne daß die Faser zu sehr gedehnt und dadurch zerrissen wird. Zu gleichem Zweck dienen in Deutschland vielfach auch die glatten hölzernen Bleuel, Bauel oder Bocker sowie die Plauel- oder Pockmühlen. Dabei werden die Flachsstengel unter hölzernen Stampfen zerquetscht, was jedoch nur bei stärkerm und gröberm Flachs zweckmäßig ist, da bei dem feinern die Schäben (Annen, Achenen, Agen), d. h. die holzigen Teile des Stengels, zu sehr in den Bast [* 8] hineingeschlagen werden.
Leichter, rascher und vollkommener arbeiten die Brech- oder Knickmaschinen, bei denen der Flachsstengel zwischen verschieden tief und stark gekerbten hölzernen oder eisernen Walzen hindurchgeschoben wird. Eine vorzügliche Brechmaschine, dem Prinzip einer gut konstruierten Handbreche nahestehend, ist die von Kaselowsky, welche sich auch rasch in Norddeutschland verbreitete. Sie liefert den Bast viel reiner von den Schäben als die Knickmaschinen, ohne die Faser so sehr zu dehnen und zu reißen wie die Handbreche. Auch die Maschinen von Möller und Collyer (amerikanisches System) sind sehr beliebt.
Die vollständige Entfernung der holzigen Teilchen von der Flachsfaser wird durch das Schwingen erreicht. Dazu dient entweder nur das einfache Schwingmesser, mit welchem der mit der linken Hand [* 9] festgehaltene, frei herabhängende Flachs wiederholt gestrichen, d. h. geschabt, wird (wie in Schlesien), [* 10] oder der Flachs erhält ein Widerlager durch den Schwingstock, wobei ihn der Arbeiter mit dem hölzernen Schwingbeil oder Messer [* 11] unter beständigem Drehen des Flachsbundes streicht und schabt (wie in Belgien und Holland).
Bei letzterer Art des Schwingens wird mehr und reinerer Flachs erhalten als beim Freischwingen; die Leistung ist jedoch gering und verlangt sehr große Übung des Arbeiters. Das Handschwingen wird daher vielfach ersetzt durch die Maschinenarbeit. Dazu dienen entweder Schwingmaschinen nach dem System der belgischen Handschwinge, bei welchen 4, 6, 8 und mehr Schabmesser mit ihrem Stiel auf einer Achse angebracht sind, die an dem verstellbaren Auflage- oder Schwingstock, über welchen der Flachs von dem Arbeiter gehalten wird, mit verschiedener Schnelligkeit vorüberstreichen.
Wie bei dem Handschwingen der Belgier verschieden feine und Scharfe Schwingbeile benutzt, so werden auch bei den Schwingmaschinen verschieden starke und scharfe Messer eingesetzt, je nachdem man vor- oder feinschwingen will. Bei dem sogen. Friedländer System befinden sich die Schabapparate am äußersten Ende der auf einer eisernen Achse aufgeschraubten Träger [* 12] und bildet der Schwingstock, auf welchem der Flachs aufgelegt wird, einen federnden Mantel, der verstellbar ist.
Jeder der vier Schabapparate besteht aus einem glatten, mit seiner Breitseite arbeitenden Schabmessér, hinter welchem ein
siebenzinkiger Rechen und dann
wieder ein glattes Schabmesser folgt.
Letzteres sowie das geteilte
Messer stehen im rechten
Winkel
[* 13] zu dem Auflageeinschnitt im
Mantel, während das erstgenannte
Schabmesser parallel mit diesem
Einschnitt
gestellt ist. Beide
Systeme erscheinen vielfach modifiziert in der Anwendung, doch wird den belgischen oder irischen
Schwingmaschinen
der Vorzug eingeräumt.
Bei der Bearbeitung des besten belgischen Flachses kommt keine Maschine [* 14] in Anwendung, derselbe wird nur mit der Hand geschwungen. Statt des Schwingens wird der in manchen Gegenden Deutschlands [* 15] geschabt oder geribbt, oder man verbindet das Ribben mit dem Schwingen des Flachses. Bei diesem Ribben bearbeitet und schabt man den auf einem Leder aufliegenden Flachs mit drei verschieden scharfen Eisenklingen so lange, bis alle Schäben entfernt sind. Diese Arbeit ist sehr zeitraubend und verlangt viele Übung, wenn nicht sehr viel Werg erhalten werden soll; das Ribben des Flachses hat daher auch keine allgemeine Verbreitung gefunden.
Da das Spinnrad mehr und mehr durch die Spinnmaschinen [* 16] ersetzt wird, so bietet der Schwungflachs in den meisten Fällen das fertige Handelsprodukt, und zu diesem Ende wird er auf verschiedene Weise aufgemacht. In Belgien werden sogen. Puppen gebildet; das Kopfende derselben bearbeitet man mittels einer groben Hechel und Drahtbürste äußerlich und bindet darauf mit einigen Fasern die etwas eingeschlagenen Zopfenden zusammen. Je drei solcher Puppen haben ein Gewicht von ½ kg und werden ebenfalls wieder zusammen eingebunden. In Deutschland (Hannover) [* 17] werden die Risten oder Knocken der Länge nach nebeneinander gelegt und schichtenweise sich kreuzend so lose übereinander gepackt, daß die Enden einer jeden derselben zu sehen sind, ohne daß das Netz, welches aus Bindfaden gefertigt ist, geöffnet zu werden braucht. Nach dem Aufmachen verpackt man in Holland die Flachsbündel in Säcken, und in diesen bleibt der in einem dunkeln, nicht ¶
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allzu trocknen Raum liegen, woselbst er in drei Schichten aufeinander gelegt wird. Der Flachs gewinnt so ungemein an Milde und Griff. Auch das Werg, welches beim Hecheln gewonnen wird, gewinnt wesentlich, wenn es bis zum Verspinnen, in starke leinene Tücher fest eingeschlagen, an einem kühlen und trocknen Ort aufbewahrt wird.
Zum direkten Verspinnen kann
der Schwungflachs nicht benutzt werden, der Bast ist noch mehr oder weniger bandartig vereinigt,
und es ist daher vorerst die einzelne Faser darzustellen, wozu die Hechel dient. Dieselbe ist eine Anwendung von Zinken nach
der Fläche, wie der Kamm nach der Linie. Die Zinken oder Zähne
[* 19] der Hechel sind von Stahl, rund oder vierkantig,
am besten rautenförmig, laufen in eine gerade, glatte, schlanke und scharfe Spitze aus und haben gleiche Länge (7,5 cm). Sie
werden genau senkrecht auf ein rundes oder viereckiges Brett und zwar reihenweise so befestigt, daß jeder einzelne Zahn gerade
eine Lücke der vor und hinter ihm laufenden Reihe deckt.
Die Entfernung der Zähne wird verschieden groß gegeben, und man beginnt die Arbeit mit der größten und weitständigsten Hechel (Abzugshechel) und schließt sie mit der feinsten Ausmachehechel. Während durch die Hechelzähne die einzelnen Fasern getrennt und die längern von den kürzern geschieden werden, behandelt man den Flachs auch zu wiederholten Malen mit einer Bürste aus Schweinsborsten, wodurch alle noch anhaftenden feinen Holzteilchen von der Faser getrennt werden, der Staub entfernt wird und viele gröbere Fasern in feinere Härchen gespalten werden, infolgedessen der Flachs einen seidenartigen Glanz, vorzügliche Feinheit und Weichheit erhält und in seinem Ansehen und Wert wesentlich gewinnt. Da bei forciertem Hecheln die langen Fasern reißen und viel Werg geben, bei gelinder Behandlung aber unrein bleiben, so wird das Handhecheln entweder ganz ersetzt durch Anwendung von Hechelmaschinen, oder es wird nur die unvollkommene Arbeit des Handhechelns durch die nachfolgende Maschinenarbeit vervollständigt.
Eine der vielfach gebrauchten Hechelmaschinen ist die von Rowan, die, wie alle andern, eine äußerst komplizierte Konstruktion besitzt. Bei dieser letzten Bearbeitung des Flachses werden, wie beim Schwingen und Brechen, neben dem Hauptprodukt noch verschiedene Abfälle erhalten, die meist in verknoteten und verworrenen Faserstückchen, Werg (Wereg, Hede), bestehen. Je nachdem das Werg beim Vor- oder Nachschwingen, beim Grob- oder Feinhecheln erhalten wird, läßt es auch nach der Hand eine verschiedene Verwendung zu. So ist das Vorschwingwerg zum Verspinnen ungeeignet, während Feinschwing- und Grobhechelwerg zum Verspinnen für Nummer 22 und Feinhechelwerg für Nummer 24 geeignet ist.
Eigenschaften der Flachsfaser. Handelssorten.
Die vollkommen ausgehechelte Flachsfaser zeigt eine Länge von 0,2-1,4 m; guter und rein ausgearbeiteter Flachs soll Fasern von weniger als 0,3 m Länge nicht zahlreich aufweisen. Je länger die Faser ist bei gleicher Feinheit, um so wertvoller ist sie; jedoch wird ihre Länge nicht durch ihre Feinheit bedingt. Die Breite [* 20] oder Feinheit der Faser schwankt von 0,045-0,620 mm, je nachdem durch das Röstverfahren die Zerlegung des Bastes in kleine Bastbündelchen mehr oder weniger vollkommen erfolgt war.
Eine vollkommene Isolierung der Bastzellen trifft man selbst bei dem feinsten belgischen Flachs selten. Die Farbe der Faser wird vorzüglich beeinflußt von der Aufarbeitungsmethode. Der beste Flachs zeigt sich lichtblond, während die Tauröste graue und eine unvollständige Röste grünliche Fasern liefert. Aus der Schlammröste erhält man die stahlgrauen Fasern. Erscheint der Flachs stark gelb gefärbt, so enthält er noch viele außen anhaftende Parenchymzellen oder auch Oberhautreste.
Der beste Flachs zeigt einen schönen Seidenglanz. Lufttrocken enthält die Flachsfaser 5,70-7,22 Proz. Wasser, jedoch steigt, in einen mit Wasserdampf gesättigten Raum gebracht, ihr Wassergehalt auf 13,9-23,36 Proz. Der Aschengehalt der völlig getrockneten Faser schwankt von 1,18-5,93 Proz. Die Asche der Faser enthält nach E. Wolf vorwiegend Kalk (mehr als 50 Proz.). Das spezifische Gewicht der Faser beträgt 1,5. Die Bastzellen, aus welchen ausgezeichneter Hechelflachs nur besteht, zeigen eine sehr regelmäßige, cylindrische, nach den Enden kegelförmige Gestalt mit konisch-spitzen oder stumpfen Enden. Der Innenraum der Zellen ist sehr klein und erscheint nur als eine dunkle Linie.
Im Handel erscheint meist geschwungener Flachs, welcher immer mehr den früher viel im Handel vorkommenden Hechelflachs verdrängt. Die Fasern müssen stark, zart und fein anzufühlen sein, keine Knoten und schwachen Stellen besitzen, auf ihrer ganzen Länge wie feine Fäden herabhängen, ohne aneinander zu kleben, und besonders ohne gespalten oder wellig zu sein. Den größten Flachshandel treiben Rußland und die preußischen Ostseeprovinzen, doch erscheinen auch große Quantitäten aus Belgien, Holland und Irland im Handel.
Die russischen Flachse kommen hauptsächlich auf die Markte Riga, [* 21] St. Petersburg [* 22] und Archangel sowie Königsberg [* 23] und Danzig. [* 24] Sie erscheinen in sechs Hauptsorten (Kron-, Wrack-, Dreiband-, Livländer, Dreibandwrackflachs und Flachshede), welche von beeideten »Wrackern« sortiert und signalisiert werden. Jede Sorte hat ihre Unterklasse mit entsprechender Signatur. Im allgemeinen sind die russischen Flachse zwar lang, gehören aber nicht zu den feinsten. Letztere werden in erster Linie geliefert von Irland, dessen Flachse außerordentlich fein, zart und doch mittelfest sind und eine lichtblonde Farbe haben.
Die belgischen Flachse sind ziemlich oder ganz so fein wie die irischen, bedeutend länger als jene und blond oder stahlgrau gefärbt. Italien [* 25] liefert ungemein glänzende, Ägypten [* 26] dagegen ungemein lange Flachse, die ziemlich grob, matt graugelb, ins Rötliche spielend sind. Die französischen und holländischen Flachse gehören zum Teil zu den besten, während die böhmischen, schlesischen, Kärntener und Tiroler zwar stark sind, aber sonst geringern Wert haben.
Geschichtliches. Produktion.
Die Flachskultur reicht über die Anfänge der geschichtlichen Zeit hinaus, denn in den Pfahlbauten [* 27] am Oberrhein und in den angrenzenden Distrikten wurden vielfach Überreste der Flachskultur und -Manufaktur vorgefunden. Mit Beginn der Kulturgeschichte findet man den Flachs angebaut in den fruchtbaren Ebenen des Nildelta und in den Flußthälern Vorderasiens, und bei den Ägyptern sowie bei den Phönikern und Juden wurden Kleider, Zelte, Segel etc. aus Flachs angefertigt.
Nach Herodot trugen die Babylonier leinene Kittel, und nach Strabon war die babylonische Stadt Borsippa der Sitz bedeutender Leinenindustrie. Von Asien [* 28] wurde die Flachskultur nach Griechenland [* 29] eingeführt. Homer erwähnt mehrfach den und nach Herodot galt die Leinwandkleidung als üppige, weibische, der Prunksucht dienende Tracht. Im römischen Reich wurde nach Livius schon im 5. Jahrh. v. Chr. der Flachs zur Darstellung von Kleidungsstücken verwendet, und im 4. Jahrh. erschienen die Samniter in weißen leinenen Tuniken. Nach Cicero stammte ¶