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konstitutionelle Leben von neuem. Nachdem der Landtag und die Regierung zu einer neuen Landtagsordnung ihre Zustimmung gegeben hatten, wurde dieselbe 3. (15.) April 1869 bestätigt. Laut derselben soll wenigstens alle fünf Jahre der Landtag zusammenkommen. Derselbe besteht aus vier Ständen: Adel, Geistlichkeit, Bürger und Bauern. Die Einführung neuer Gesetze und neuer Steuern kann nur mit Genehmigung des Landtags erfolgen. Der Kaiser-Großfürst hat allein das Recht, dem Landtag Gesetzentwürfe vorzulegen; der Landtag kann aber bei der Regierung um neue Gesetze und Verordnungen petitionieren. Werden die Petitionen von der Regierung genehmigt, so wird der Entwurf dem nächsten Landtag vorgelegt. In ökonomischen Angelegenheiten hat die Regierung das Recht, allein Gesetze zu erlassen.
Für die Verwaltung des Landes setzte Kaiser Alexander I. 25. Okt. ein Komitee für die finnischen Angelegenheiten zu St. Petersburg [* 2] nieder, das aus drei Mitgliedern bestand und in Verbindung mit dem Staatssekretär für Finnland den Vortrag beim Kaiser hatte. Kaiser Nikolaus löste dieses Komitee auf und behielt nur den Staatssekretär bei; indessen wurde das Komitee 1857 wieder eingerichtet. Der Staatssekretär, seit 1834 Ministerstaatssekretär für Finnland genannt, ist Chef der kaiserlichen Kanzlei für Finnland. Ihm ist der Generalgouverneur untergeordnet, der an der Spitze der Polizei und des Heers steht und im kaiserlichen Senat für Finnland den Vorsitz führt. Jedes Gouvernement (Län) wird durch einen Gouverneur (bis 1837 Landeshauptmann) verwaltet. Finnland zerfällt in 51. Vogteien, welche wiederum in 240 Länsmansdistrikte geteilt sind, die gewöhnlich dem Umfang des Kirchspiels entsprechen.
Als höchstes Landeskollegium setzte Kaiser Alexander I 16. (28.) Aug. 1809 ein Regierungskonseil in Abo ein, anfangs aus 14, gegenwärtig aus 20 Mitgliedern bestehend, welche der Kaiser je auf drei Jahre wählt. Im J. 1816 erhielt dieses Kollegium den Titel Kaiserlicher Senat von und teilt sich in das Justiz- und Verwaltungsdepartement. 1819 wurde Helsingfors Sitz des Senats. Das Justizdepartement bildet die letzte Instanz für alle Zivil- und Kriminalprozesse.
Dem Kaiser steht das Begnadigungsrecht zu. Dem Justizdepartement untergeordnet sind die drei Hofgerichte in Abo, Wasa und Wiborg, [* 3] letzteres erst 1839 errichtet. Die Hofgerichte bestehen aus einem Präsidenten und mehreren Hofgerichtsräten und Assessoren. Die unterste Instanz in den Landgemeinden bilden die Häradsgerichte, die aus einem Häradshöfding und zwölf aus den Bauern gewählten Beisitzern bestehen, und zu deren Ressort alle Zivil- und Kriminalprozesse gehören.
In den Städten gibt es Rathausgerichte, die aus einem Bürgermeister und einer Anzahl von der Bürgerschaft gewählter Ratsmänner bestehen. Die Oberinstanz der Rathausgerichte bildet wieder das Hofgericht. Das geltende Zivil- und Kriminalrecht ist das schwedische von 1734. Das Verwaltungsdepartement des Senats teilt sich in sechs Expeditionen: für Kanzlei, Finanzen, Ackerbau und Handel, Rechnungswesen, Militär und geistliche Angelegenheiten. Zur Verwaltung der Staatswaldungen ist ein besonderer Forstetat unter einem Oberdirektor mit 52 Oberforstmeistern und 565 Distriktsforstmeistern bestimmt. In allen Senatsabteilungen entscheidet die Stimmenmehrheit. Ein Prokurator steht in unmittelbarer Berührung mit dem Senat. Er hat als Beistand des Generalgouverneurs darüber zu wachen, daß die Gesetze beobachtet werden und jeder Staatsdiener seine Pflicht thue. Was ferner die Finanzen Finnlands betrifft, so betragen nach dem Budget für 1885 die Ausgaben und Einnahmen je 47,024,724 finn. Mk. Die Hauptposten waren (in Mk.):
Einnahmen. | |
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Ertrag des Staatsbesitzes | 6983100 |
Direkte Steuern | 7426680 |
Indirekte Steuern | 18375000 |
Stempel und Pässe | 1272000 |
Posten | 950000 |
Tonnengeld | 550000 |
Überschuß des Vorjahrs | 9324776 |
Ausgaben. | |
Zur Disposition des Kaisers | 280000 |
Regierung | 1539283 |
Militärwesen | 7363145 |
Zivilverwaltung | 6236421 |
Kosten d. Staatsschuld | 4492800 |
Kultus und Unterricht | 4508933 |
Eisenbahnen | 9952000 |
öffentliche Arbeiten u. Ackerbau | 2640812 |
Zu den direkten Steuern liefert die Grundsteuer mehr als die Hälfte, die Kopfsteuer ⅕, den Rest die Einkommensteuer und die Gewerbe- und Handelssteuer. An den indirekten Steuern sind die Zölle mit 11,7 Mill., die Branntweinsteuer mit 5 Mill. Mk. beteiligt; das übrige fließt aus der Bier-, Tabak- und Spielkartensteuer. Die Staatsschuld belief sich auf 67,2 Mill. Mk., wovon jedoch nur 8,71 Mill. durch innere Anleihen aufgenommen waren. Seit ist die allgemeine Militärdienstpflicht eingeführt (Gesetz vom Es bestehen 1 Garde- und 8 Linien-Schützenbataillone mit einer Friedensstärke von 4545 Mann mit 162 Offizieren. Zur Flotte gehören 800 Lotsen, welche auf 20 Leuchttürme und 107 Stationen verteilt sind. Das Wappen [* 4] Finnlands besteht aus einem von sieben Rosen umgebenen goldenen Löwen, [* 5] der in der vordern Tatze ein bloßes Schwert hält und mit der Linken auf einen Säbel tritt, alles in rotem Feld.
Vgl. Helms, und die Finnländer (Leipz. 1869);
Hallstén, Geographie des Großfürstentums Finnland (übersetzt von Klöden in der Berliner [* 6] »Zeitschrift für Erdkunde«, [* 7] Berl. 1871);
Armfelt, La Finlande; guide du voyageur (Helsingf. 1874);
Topelius, Eine Reise in Finnland (Leipz. 1874);
Ssemenow, Rußland nach den Darstellungen der Reisenden und ihren Forschungen, Bd. 1 (Petersb. 1874);
Buch, Die Nationalitätenfrage in Finnland (Stuttg. 1883);
Retzius, Finnland, Schilderungen aus seiner Natur, seinem alten Kultus und seinem heutigen Volksleben (deutsch, Berl. 1885);
Ignatius, Le [* 8] grand-duché de Finlande.
Traduit du suédois (Helsingf. 1876); »Statistik Årsbok för Finland« (hrsg. vom Statistischen Büreau, zuletzt 1885).
Von Kartenwerken veröffentlichte Gyldén eine Spezialkarte in 30 Blättern (1:400,000) und eine Höhenschichtenkarte in 6 Blättern (1:120,000); ferner G. Alfthan, Karta öfver Stor-Förstendömet Finnland (1:1,260,000, Helsingf. 1862).
Geschichte.
Die Finnen (s. d.) oder Tschuden kamen in vorgeschichtlicher Zeit aus dem innern Asien [* 9] in die Gegenden des Urals und der Wolga bis hinauf zum Weißen Meer, wo sie schon früh eine gewisse Kultur gehabt zu haben scheinen. Sie gründeten das biarmische Reich mit der Hauptstadt Perm, wurden aber später mehr und mehr nach Norden [* 10] gedrängt und kamen so in das jetzige Finnland, während die früher von ihnen innegehabten Länder allmählich in den Besitz der Russen gelangten. Bald gerieten die Finnen in teils freundliche, teils feindliche Berührung mit den Skandinaviern, und die schwedischen Könige versuchten sie zu unterwerfen. König Erich der Heilige von Schweden [* 11] unternahm 1157 einen Kreuzzug gegen sie, wobei der Bischof Heinrich von Upsala, [* 12] der »Apostel der Finnen«, den Märtyrertod fand. Durch diesen Zug wurde der Grund zur Bekehrung der Finnen ¶
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und zur Vereinigung Finnlands mit Schweden gelegt. Was Erich begonnen, wurde vollendet durch Birger Jarl (1249) und Torkel Knutson (1273), den Vormund des schwedischen Königs Birger I. seit 1290; derselbe unterwarf auch die östlichen Teile Finnlands, zwang die Karelen zum Gehorsam und gründete die Stadt Wiborg. Zwar suchte die Republik Nowgorod den Fortschritten der Schweden Einhalt zu thun, indessen mußte nach längern Kämpfen die schwedische Herrschaft über Finnland anerkannt werden.
Den Statthalterschaften Abo, Tawastehus und Wiborg fügten die Schweden bald noch Österbotten hinzu. Finnland erhielt den Titel eines Herzogtums, nahm seit 1362 durch seine Deputierten teil an der Wahl der schwedischen Könige und wurde mehrmals an schwedische Prinzen verliehen. Im J. 1477 ward zum Schutz des Landes gegen die Russen in Sawolaks die Festung [* 14] Olofsborg (später Nyslott genannt) erbaut und auch Wiborg mit Mauern umgeben. Unter der Reichsverwaltung Sten Stures des ältern brach Iwan Wasiljewitsch I. 1495 mit 60,000 Mann in ein, und erst 1504 machte ein auf 20 Jahre geschlossener und später bis 1564 verlängerter Waffenstillstand dem Krieg ein Ende.
Allein die Grenzfehden mit den Russen dauerten fort. Die schwedische Herrschaft behielt die Oberhand u. führte die Reformation auch in ein. Der erste evangelische Bischof war Martin Skytte (1528), aber als der eigentliche Reformator Finnlands kann doch Michael Agricola (Bischof zu Abo 1550-57) angesehen werden. Johann, der älteste Sohn aus der zweiten Ehe Gustav Wasas, erhielt bei der Teilung das Herzogtum und versuchte 1561 vergebens, sich von seinem Bruder Erich unabhängig zu machen.
Die Unruhen, welche nach dem Erlöschen des Hauses Rurik bis zur Besteigung des Zarenthrons durch die Familie Romanow 1613 Rußland zerrissen, benutzte Schweden, um sich Kareliens und Ingriens zu bemächtigen, und erreichte auch sein Ziel durch den Frieden von Stolbowa Während der Regierung der Königin Christine wurde der Graf Peter Brahe zum Generalgouverneur von Finnland ernannt (1637) und erwarb sich durch seine ausgezeichnete Thätigkeit ein hohes Verdienst um das Land. Zusammen mit dem Bischof Rothovius stiftete er 1640 die Universität zu Abo.
Für die geistlichen Angelegenheiten und den Volksunterricht wirkten segensreich und energisch die Bischöfe Terserus (1658-64), Gezelius der ältere (1664-1690) und Gezelius der jüngere. Um die unterbrochene Verbindung Rußlands mit dem Meer wiederherzustellen, fiel Peter der Große nach der Gründung von St. Petersburg in Karelien ein, nahm Wiborg und Kexholm und setzte den Krieg namentlich seit seinem großen Sieg bei Poltawa so glücklich fort, daß er im Nystader Frieden vom 30. Aug. Ingermanland, Karelien, Esthland [* 15] und Livland von den Schweden abgetreten erhielt. Das gräßlich verheerte Finnland gab Rußland, um die Städte Wiborg und Kexholm nebst ihren Distrikten zu erhalten, an Schweden zurück. Ein neuer, 1741 ausgebrochener Krieg endete mit dem Frieden von Abo in welchem die Russen Finnland bis an den Kymmeneelf, also mit Nyslott, Fredrikshamn und Sawolaks, erhielten, welcher Distrikt mit dem schon 1721 erworbenen Wiborg und Kexholm fortan das russische Gouvernement Wiborg bildete.
Der Versuch Gustavs III., das Verlorne durch den Krieg von 1788 bis 1790 wiederzugewinnen, endigte ohne Resultat mit dem Frieden von Werelä Als Gustav IV. Adolf von Schweden den von Napoleon I. und Rußland verlangten Beitritt zum Kontinentalsystem verweigerte, rückten zu Ende Februar 1808 russische Truppen in Schwedisch-Finnland ein und eroberten 23. März Abo. Die verräterische Übergabe Sweaborgs und die Auslieferung der Schärenflotte (7. April) gaben das Land den Russen preis. Im Tilsiter Frieden hatte der Zar in einem geheimen Artikel von Napoleon I. die Einwilligung erhalten, Finnland dem russischen Reich einzuverleiben. Den Einwohnern wurde der Huldigungseid abgezwungen, und berief Alexander I. den finnischen Landtag auf 22. März nach Borgå. Am 29. desselben Monats huldigten sämtliche Mitglieder des Landtags dem russischen Kaiser als dem Herrn und Großfürsten des Landes, worauf derselbe unterm 15. (27.) März in einem Manifest »des Landes Religion und Grundgesetze sowie die Privilegien und Gerechtsame, welche ein jeder Stand im genannten Großfürstentum besonders und alle Einwohner desselben im allgemeinen, so höhere wie niedere, bis jetzt der Konstitution gemäß genossen haben«, bestätigte und gelobte, »alle diese Vorrechte und Verfassungen fest und unverrückt in ihrer vollen Kraft [* 16] beizubehalten«.
Der Kaiser vernahm darauf die Stände über einige die innere Verwaltung betreffende Propositionen, worauf dieselben auseinander gingen. Die schwedische Regierung mußte den Frieden zu Fredrikshamn 5. (17.) Sept. 1809 mit der förmlichen Abtretung des ganzen Finnland, der Alandsinseln, Österbottniens, der Kemi- und Torneå-Lappmarken erkaufen. Eine spätere Übereinkunft vom regulierte die Grenzen [* 17] und eine Zusatzurkunde vom die Handelsverhältnisse. 1811 trennte der Kaiser das wiborgische Gouvernement vom Kaiserreich und bestätigte das Großfürstentum Finnland innerhalb der alten Grenzen, die es vor dem Frieden zu Nystad gehabt hatte.
Obwohl sich die Finnen bei ihrer privilegierten Stellung der russischen Oberherrschaft fügten und im Lauf der Zeit sich ziemlich mit derselben befreundeten, riefen doch die zu streng gehandhabte Zensur sowie die zu ängstliche Überwachung jeder nationalen und freiern politischen Regung, namentlich in den letzten Jahren der Regierung des Kaisers Nikolaus, mehrfache Mißstimmung in Finnland hervor, die erst nach Wiederbelebung der alten ständischen Verfassung unter Alexander II. (s. oben) zu schwinden begann.
Vgl. zur Geschichte: Juusten, Chronicon episcoporum finlandensium (Åbo 1799, von Porthan bearbeitet und erweitert auch in dessen »Opera selecta«);
Gerschau, Versuch einer Geschichte Finnlands (Odense [* 18] 1821);
Rein, Föreläsningar öfver Finlands historie (Helsingf. 1870-71, 2 Tle.);
Y. Koskinen (G. Z. Forsman), Finnische Geschichte von den frühsten Zeiten bis auf die Gegenwart (Leipz. 1873);
Danilewsky, Geschichte des Kriegs in Finnland 1808-1809 (Riga [* 19] 1840), und die von der Finnischen Litteraturgesellschaft herausgegebene Zeitschrift »Historiallinen Arkisto« (Helsingf. 1866 ff.).