hinauf. In den deutschen Mittelgebirgen ist sie der herrschende Baum. Auch im deutsch-österreichischen Bergland hat sie bedeutende
Massenverbreitung und dringt bis in die italienischen Alpen und in Frankreich bis zu den Pyrenäen vor; im Osten erreicht sie
in Serbien etwa bei 43° nördl. Br. ihre Südgrenze; jenseit des Urals tritt sie wieder im südlichen Sibirien
auf und geht bis zum Amurland, fehlt aber in Rumelien, in der Krim und im Kaukasus. In den Alpen steigt die Fichte viel höher als
die Kiefer, auf den Fjelden des südlichen Norwegen kommen dagegen beide bis zu gleichem Niveau vor, und in Lappland geht
die Fichte nur bis 67 oder 69°, während die Kiefer bis zum äußersten Saum der Wälder reicht.
Die Fichte geht im Harz bis 1000 m, im Bayrischen Wald bis 1470, in den Bayrischen Alpen bis 1800, im Unterengadin bis 2100 und in
den Pyrenäen bis 1625 m ü. M. Die Fichte hat in neuerer
Zeit ein großes Gebiet allmählich erobert, nachdem durch lange fortgesetzte Bodenmißhandlungen und verkehrte Wirtschaft
die ehemals mit Laubholz bestockten Böden zur Laubholzwirtschaft ungeeignet geworden waren. Ausgedehnte Ödflächen im nördlichen
und westlichen Deutschland, in Belgien, Dänemark, England und Schottland sind mit Fichten wieder in Bestand gebracht worden.
Dieser großartige Vorgang hat sich namentlich seit 1780 vollzogen. Die Fichte erscheint ungemein
geeignet, verödeten und verwilderten Boden rasch zu decken und zu verbessern. Ihre tief hinabreichende Beastung und bedeutende
Nadelmasse, die pyramidale Form ihrer Krone, welche selbst im höhern Alter den untern Ästen noch Licht zufließen läßt, ihre
Fähigkeit, sich selbst den Fuß zu decken, ein weitverzweigtes Wurzelgeflecht, welches dem Stamm einen
weiten, wenn auch nicht eben tiefen Wurzelraum zu schaffen geeignet ist, ihre Fähigkeit endlich, langen Schirmdruck, plötzliche
Freistellung, ganz freien Wachsraum, diese so verschiedenen Einwirkungen zum mindesten zu ertragen, lassen sie an und für
sich als eine der zähesten Waldbaumarten, ganz besonders aber als geeignet erscheinen, auf kümmerlichen
Standorten den Kampf um das Dasein noch zu beginnen und wenn auch nicht siegreich zu beenden, so doch nicht zu unterliegen
und der nächsten Generation von Bäumen eine bessere Stätte zu bereiten. Die Fichte bedarf, soll sie sich überhaupt kräftig
entwickeln, nur feuchter Luft und eines frischen Bodens. In trockner Luft und trocknem Boden stirbt sie bald
an Wassermangel, an einem Plus ihrer (sehr energischen) Wasserausgabe gegen die Wasseraufnahme.
Der Nutzwert der Fichte ist überaus groß, ihre Massenerzeugung nicht minder; der finanzielle Abschluß der Fichtenwirtschaften
wird daher wohl kaum von einer andern Holzart erreicht. Die günstigen Eigenschaften dieser Holzart haben
vielfach zu ihrem Anbau geführt, nicht selten aber auch zur Enttäuschung. Man vergriff sich in Beurteilung der Standörtlichkeit,
und die Fichte leistete nicht annähernd das, was sie anderwärts ohne alle wirtschaftliche Kraftanstrengung leistete.
Der Massenverbreitung der Fichte wirken eine große Zahl von Feinden entgegen. Stürme, Schnee, Eis, Rauhreif
und Spätfröste schädigen und prädisponieren sie für die verderblichen Angriffe des Fichtenborkenkäfers, des Fichtenrüsselkäfers,
der Nonne und des Harzrüsselkäfers. Auf sehr fruchtbarem Boden in sehr warmer Lage erkrankt die an Kern- und Rotfäule, auf
Moorboden wird sie wipfeldürr, und auf sehr trocknem Boden sterben selbst 30jährige Bäume durch Bodentrocknis.
Die Fichtenbestände werden meist im 70-120jährigen Umtrieb
bewirtschaftet. Von der Vorverjüngung in Samenschlägen ist man in
Norddeutschland der Sturmgefährlichkeit wegen fast ganz abgegangen und verjüngt hier in kleinen Kahlschlägen, mit denen
man der herrschenden Windrichtung entgegen fortschreitet. Im mittlern und südlichen Deutschland findet
man noch Fichten-Dunkelschlagwirtschaft als Regel. Die Schläge bebaut man gewöhnlich nach einjähriger Schlagruhe (des Rüsselkäfers
wegen) und zwar durch Pflanzung, da Fichtenbestandsaaten wegen des Graswuchses und der langsamen Entwickelung der Pflänzchen
in den beiden ersten Lebensjahren nicht eben vorteilhaft sind.
Die Erziehung der erforderlichen Pflanzen erfolgt in Saatbeeten, in welchen nach nicht tiefer (spatentiefer)
Bodenbearbeitung pro Ar etwa 1,5 kg reiner Kornsame der Keimfähigkeit 0,6 (1 hl Kornsame wiegt gestrichen 45-47 kg) in Schmalrillen,
welche 15-20 cm voneinander entfernt sind, ausgesäet werden. Man pflegt wegen der Gefahr des Auffrierens den Boden, wenn er
sehr stark gelockert sein sollte, vor der Saat wieder festzuschlagen, auch die Balken zwischen den Saatrillen
mit flach gezupftem Moos zu decken, welches man mit Steinen beschwert.
Aus dem Saatkamp verpflanzt man entweder die drei- oder vierjährigen Rillenpflanzen in schwachen Büscheln (3-4 Pflanzen zusammen)
ins Freie, oder, was in neuerer Zeit ziemlich allgemein für das zweckmäßigere Verfahren gehalten wird,
verschult die jungen ein- oder zweijährigen Pflänzchen in 15 cm-Quadratverband und pflanzt sie vierjährig (in höhern
Gebirgslagen auch 5-7jährig) als Einzelpflanze ins Freie. Die Fichte läßt sich zweckmäßig mit Buchen und Tannen mischen, mit
der Kiefer nicht dauernd, ebensowenig mit der Eiche.
Die Massenerzeugung reiner Fichtenbestände bewegt sich bei 100jährigem Umtrieb zwischen 4 und 10 Festmeter
pro Hektar und Jahr und beträgt auf den mittlern Fichtenstandorten gewöhnlich 6 Festmeter. Die in den Durchforstungen zu gewinnenden
schwachen Sortimente sind fast sämtlich als kleine Nutzhölzer (Bohnenstangen, Heckenstöcke, später Hopfenstangen) absetzbar
und erhöhen den Reinertrag der Fichtenwirtschaften erheblich. Die Fichte ist auch eine gute Heckenpflanze,
wenn man die sehr dicht nebeneinander gepflanzten Stämmchen gut unter Schnitt hält.
Die vielen Seitenknospen sorgen gut für große Verdichtung der Hecke. Das Fichtenholz ist weißer als Kiefernholz, ohne eigentlichen
Kern, weich, grob, glänzend, leicht spaltbar; es ist etwa so dauerhaft wie Tannenholz, steht aber dem
Kiefern- und Lärchenholz weit nach; es findet ausgedehnte Verwendung als Nutz- und Brennholz. Die Rinde nicht zu alter Bäume
dient zum Gerben, der ganz junge Splint wird in Lappland und Schweden gegessen; er enthält Koniferin, aus welchem das Vanillearoma
dargestellt wird.
Vielfach werden Harz und Terpentin, Pech und Teer aus der Fichte gewonnen, aus den Nadeln Waldwolle, Fichtennadelextrakt
und Fichtennadelöl. Mit dem Blütenstaub verfälscht man Lykopodium, und mit Fichtensprossen bereitet man in England ein bierähnliches
Getränk (Sprossenbier, Tannenbier). Man kultiviert viele Varietäten der Fichte, die auch zum Teil im wilden Zustand vorkommen
und einander sehr unähnlich sind. Die Schlangenfichte (Abies excelsa viminalis Alstr.)
hat sehr lange, wenig oder kaum verästelte und zum Teil überhängende Zweige mit etwas anliegenden Nadeln. Die Formen mit
stark überhängenden Zweigen heißen Trauerfichten. Von amerikanischen Fichten sind bemerkenswert: die schwarze Fichte (A. Mariana
Mill., A. nigra Desf.), mit kegelförmiger
mehr
Krone, sehr dicht stehenden, geraden, dunkelgrünen Nadeln und kleinen Zapfen, ein sehr schöner Baum im englischen Nordamerika
und auf der Ostseite der Vereinigten Staaten südlich bis Nordcarolina; die Rotfichte (A. americana Gärtn., A. rubra Poir.),
unsrer Fichte ähnlich, mit auf der obern Seite mehr oder weniger blaugrünen Nadeln und rötlichen Zapfen,
wie es scheint, nur im englischen Nordamerika einheimisch; die weiße Fichte (A. laxa Ehrh., A. alba Mchx., A. canadensis Mill.),
in Form einer im untern Teil nicht sehr dichten Pyramide wachsend, meist etwas graugrün, bisweilen auch blaugrün, mit nicht
sehr dicht stehenden Nadeln, im englischen Nordamerika und in den Vereinigten Staaten bis Nordcarolina.
Vgl.
Baur, Die in Bezug auf Ertrag, Zuwachs und Form (Berl. 1877).
1) Johann Gottlieb, berühmter Philosoph, einer der schärfsten Denker und kräftigsten Charaktere aller Zeiten,
geb. zu Rammenau in der Oberlausitz als der Sohn eines Bandwebers. Als Knabe zeichnete er sich
durch regen Geist und seltenes Gedächtnis aus, kam, zwölf Jahre alt, auf die Stadtschule nach Meißen und bald nachher nach
Schulpforta bei Naumburg, bezog 1780 die Universität, zuerst Jena, dann Leipzig, um Theologie zu studieren. Spinozas Schriften,
die ihm in die Hände fielen, besonders dessen »Ethik«, die er eifrig las, brachten eine so große Aufregung
in ihm hervor, daß sein Beruf zur Philosophie von dem Zeitpunkt an entschieden war. So nachhaltig war der Eindruck, obgleich
er erst in der sogen. zweiten Periode seines Philosophierens hervortrat, daß Herbart, sein einstiger Zuhörer und späterer
wissenschaftlicher Gegner, Fichtes spätere Philosophie eine »idealistische Übersetzung von Spinozas Pantheismus«
genannt hat.
Sein Verstand entschied sich für den Determinismus, sein Gemüt aber, durchdrungen von dem moralischen Bewußtsein der Freiheit,
sträubte sich dagegen. Letzteres schien zwar die Oberhand zu gewinnen und ihn für Kants transcendentale Freiheitslehre, die
seiner energischen Natur entsprach, empfänglicher zu machen; sein wissenschaftliches Ideal aber blieb
ein der Form des Spinozismus ähnliches einheitliches System, und er übertrug es nachher auf seine Auffassung der Kantschen
Philosophie.
Von 1788 bis 1790 Hauslehrer in Zürich,
wo er seine nachherige Gattin (seit 1793), Johanna Rahn, eine Nichte Klopstocks, zuerst kennen
lernte, seit 1790 in Leipzig, dann für kurze Zeit wieder Hauslehrer in Warschau, warf er sich während
mehrerer Jahre mit Feuereifer auf das Studium Kants, ging, um dessen persönliche Bekanntschaft zu machen, 1792 nach Königsberg
und schrieb, um sich bei demselben würdig einzuführen, binnen vier Wochen seinen »Versuch einer Kritik aller Offenbarung« (Königsb.
1792, 2. Aufl. 1793). Diese Schrift war so ganz im Geiste der kritischen Philosophie, daß sie für ein
Werk Kants gehalten wurde, bis dieser selbst den Verfasser nannte, empfahl und dadurch mit einemmal zum berühmten Mann machte.
Fichte privatisierte hierauf einige Zeit in Zürich,
verheiratete sich, hielt Vorlesungen und beteiligte sich unter dem Eindruck des
benachbarten Frankreich und der republikanischen Schweiz lebhaft (obgleich nur theoretisch) an der Politik. In den Schriften:
»Beitrag zur Berichtigung der Urteile des Publikums über die französische Revolution« (Jena 1793) und die »Zurückforderung
der Denkfreiheit, an die Fürsten Europas« (das. 1794) beurteilte er aus dem Freiheitsbegriff der Kantschen Philosophie den
gegebenen Staat und die Rechtmäßigkeit der französischen Umwälzung.
Seine
Beurteilung ist eine Verteidigung. In Jena, wo nach Reinholds Abgang nach Kiel die Kantsche Philosophie keinen Vertreter
hatte, richtete Hufeland die Blicke des anfangs bedenklichen weimarischen Ministeriums auf Fichte. Im Mai 1794 traf in Jena ein. Für
seine Vorlesungen ließ er zwei Lehrbücher drucken, das eine, in Form eines Programms, war die Schrift
»Über den Begriff der Wissenschaftslehre oder der sogen. Philosophie« (Weim. 1794, 2. Aufl. 1798); das andre enthielt
das neue System selbst: »Grundlage und Grundriß der gesamten Wissenschaftslehre« (Jena 1794, 2 Tle.; 3. Aufl. 1802). Fichtes
Auftreten in Jena war von außerordentlichem Erfolg begleitet. Um auf die moralische Bildung der Studierenden
noch direkter einzuwirken, eröffnete er im Wintersemester 1794/95 Vorlesungen »Über
die Moral für Gelehrte« und veröffentlichte eine Schrift: »Über die Bestimmung des Gelehrten« (Jena 1794). Als er aber auch
das akademische Leben der Studenten reformieren und zu dem Ende die bestehenden Studentenorden aufheben
wollte, verwandelte sich die ursprüngliche Begeisterung der Studenten für in solchen Haß gegen ihn, daß er, von der Regierung
ohne Schutz gelassen, Jena im Sommer 1795 für einige Zeit verlassen mußte.
Außer vielen einzelnen Abhandlungen in Journalen erschienen von ihm damals die »Grundlage des
Naturrechts« (Jena 1796, 2 Tle.) und der »Geschlossene Handelsstaat« (Tübing. 1800),
worin er die Ausführbarkeit seiner allgemeinen
Staatslehre darzuthun suchte. Als Gegenstück zum Naturrecht ist das »System der Sittenlehre« (Jena 1798) zu betrachten. Die
Folgen der inzwischen in Jena eingetretenen Veränderung zeigten sich, als im J. 1798 ein Sturm über Fichte von
auswärts hereinbrach. In dem »Philosophischen Journal« von Niethammer und Fichte (Bd. 8, Heft 1, Jena 1798) erschien ein Aufsatz
von Forberg: »Entwickelung des Begriffs Religion«, wonach die Religion nur ein praktischer Glaube an eine moralische Weltordnung
sein sollte. Fichte hatte demselben eine einleitende Abhandlung: Ȇber
den Grund unsers Glaubens an eine göttliche Weltregierung«, vorausgeschickt, deren Grundgedanke war: »Unser
sittliches Handeln sei unmittelbarer Glaube an eine Ordnung der Dinge, in der das Gute nur aus dem Guten hervorgehen könne, d. h.
an eine moralische Weltordnung, und diese sei das Göttliche selbst«.
Bald nach dem Bekanntwerden jener Aufsätze erschien ein anonymes Schriftchen unter dem Titel: »Schreiben
eines Vaters an seinen Sohn über den Fichteschen und Forbergschen Atheismus«, infolge dessen die kursächsische Regierung zu
Dresden die Konfiskation jener beiden Aufsätze verfügte, das »Philosophische Journal« verbot und ein Requisitionsschreiben an den
weimarischen Hof sendete, worin sie diesen ersuchte, die Verfasser und Herausgeber dieser Aufsätze nach
Befinden zu bestrafen.
Fichte, überzeugt, der Angriff sei nicht so sehr gegen den Atheismus als vielmehr gegen den freien Menschengeist gerichtet, schrieb
die »Appellation an das Publikum. Eine Schrift, die man erst zu lesen bittet, ehe man sie konfisziert« (Jena u. Leipz. 1799).
Der Herzog von Weimar, dem Fichte diese Schrift überreichte, wollte Fichte schonen und die Sache damit abmachen,
daß er den angeklagten Professoren einen Verweis zuerkannte. aber, davon in Kenntnis gesetzt, erklärte, den Verweis nicht anzunehmen,
indem er zugleich anzeigte, daß er denselben mit seinem Entlassungsgesuch beantworten werde. Schon am 29. März gelangte ein
Reskript an den akademischen Senat, welches diesen beauftragte, und Niethammer einen
mehr
Verweis zu erteilen, und zugleich bemerkte, daß man Fichtes Dimission genehmige. Fichte, der diese Wendung nicht erwartet hatte,
versuchte eine Zurücknahme der höchsten Entschließung zu veranlassen, erhielt aber eine abschlägige Antwort. Dagegen ließ
ihn der preußische Minister v. Dohm nach Berlin einladen, wo Fichte schon im Juli eintraf. Fichte selbst dachte
unparteiisch genug, um das Verfahren der weimarischen Regierung bei seiner Absetzung als gerecht und durch seine eigne Herausforderung
nötig geworden anzuerkennen. In die Zeit dieses ersten Berliner Aufenthalts fällt die Abfassung der Schriften: »Über die
Bestimmung des Menschen« (Berl. 1800) und »Grundzüge des
gegenwärtigen Zeitalters« (das. 1806),
denen, nachdem er (1805) als Professor an die (damals preußische)
Universität zu Erlangen versetzt worden war, die »Vorlesungen über das Wesen des Gelehrten« (das. 1806) folgten, worin er das
Leben in der Idee als die einzig wahre, des Geistes würdige Beschäftigung schilderte. Als bald darauf jene denkwürdige Katastrophe
eintrat, welche Preußens Macht ganz zu vernichten drohte, ging Fichte nach Königsberg und 1807 über Kopenhagen
wieder nach Berlin. Als die Regierung den Entschluß faßte, in Berlin eine Universität zu errichten, wurde Fichte mit der Ausarbeitung
eines Plans beauftragt, der später unter dem Titel: »Deduzierter Plan einer zu Berlin zu errichtenden höhern Lehranstalt« (Stuttg.
1817) gedruckt erschien, aber auf W. v. Humboldts und Schleiermachers Betrieb als unpraktisch zurückgelegt ward. Höchst einflußreich
dagegen wirkte Fichte durch seine »Reden an die deutsche Nation, gehalten im Winter 1807-1808« (Berl. 1808), in welchen er darauf
hinwies, daß das gesunkene deutsche Volkstum nur durch eine ganz neue Erziehung, die das Übel an der
Wurzel ausrotte und durch den Geist der Gemeinschaft und Aufopferung die Selbstsucht vernichte, wiederherzustellen sei.
Seit 1809 hielt Fichte als Professor an der neuen Universität Vorträge, als deren Früchte die Schriften: »Die Wissenschaftslehre
in ihrem ganzen Umfang« (Berl. 1810) und »Die Thatsachen des Bewußtseins« (Tübing. 1817) zu betrachten
sind. Beim Beginn des Befreiungskriegs, in den ersten Monaten des Jahrs 1813, gedachte Fichte das Hauptquartier als Redner zu begleiten;
ja, er war auch bereit, persönlich ins Feld zu ziehen. Beim Abbrechen seiner Vorlesungen entließ er seine Zuhörer durch
eine Rede: »Über den Begriff des wahrhaften Kriegs« (gedruckt Tübing. 1815, dann als Anhang zu den aus
dem Nachlaß herausgegebenen Vorträgen über Staatslehre, Berl. 1820). Im Wintersemester 1813/14 hatte er seine Vorlesungen
wieder angefangen, als seine vortreffliche Frau nach fünfmonatlicher aufopfernder Krankenpflege in den Lazaretten vom Nervenfieber
befallen wurde. Sie genas; aber Fichte, von derselben Krankheit ergriffen, starb schon
Kein andrer deutscher Philosoph hat für die nationale Größe und Wiedergeburt des deutschen Volkes eine so opfermutige Begeisterung
selbst gehegt und bei andern geweckt wie Fichte, der wenn nicht formell, doch dem Geist nach dem »Tugendbund« angehörte. Das unvergängliche
Andenken, das er sich durch seine heldenmütigen Reden an die deutsche Nation gesichert, ist durch die
großartige Feier seines 100jährigen Geburtstags die nicht nur dem Denker, sondern auch dem Deutschen galt, bestätigt
worden.
Fichtes Philosophie knüpfte an Kant und zwar an dessen idealistischen Faktor an. Kant hatte die Erfahrung für ein Produkt
aus zwei Faktoren, einem idealistischen und einem realistischen, erklärt. Jenen, das
erkennende Subjekt, betrachtete er als
den Urheber der Form, diesen, das sogen. Ding an sich, als die Ursache der Materie der Erfahrungserkenntnis. Ohne die a priori
im Erkenntnisvermögen gelegenen reinen Anschauungsformen des Neben- und Nacheinander (des Raums und der
Zeit) würden wir Kant zufolge keine räumlich und zeitlich angeordneten Sinnesempfindungen, ohne das seiner Qualität nach
übrigens unbekannt bleibende Ding an sich überhaupt keine Empfindungen haben.
Das Dasein desselben erkennen wir eben mittels des Daseins der Empfindungen in uns. Da wir uns nicht bewußt sind, dieselben
selbst in uns hervorgebracht zu haben, so schließen wir nach dem Kausalgesetz, daß jede Wirkung eine
entsprechende Ursache voraussetze, daß sie von irgend einer von uns selbst verschiedenen Ursache (einem Ding an sich) hervorgebracht
seien, ein solches demnach wirklich existiere. Gegen diesen Schluß hatte schon G. E. Schulze (s. d.) die Einwendung erhoben,
daß das Kausalgesetz nach Kants eigner Lehre eine dem Erkenntnisvermögen des Subjekts eigentümliche Urteilsform,
die Folgerung von der Existenz einer Wirkung auf die einer korrespondierenden Ursache eine von seiten des urteilenden Subjekts
zwar unvermeidliche, aber die wirkliche Existenz derselben nichts weniger als verbürgende Nötigung sei.
Fichte verstärkte den Einwand und bezeichnete die Folgerung, es müsse, weil das Subjekt durch die Natur seines
Erkenntnisvermögens genötigt sei, ein Ding an sich als Ursache unsrer Empfindungen als existierend zu denken, ein solches wirklich
existieren, geradezu als einen Fehlschluß. Fällt aber durch die Ungültigkeit des Schlusses von dem Dasein der Empfindungen
im Subjekt auf das Dasein eines von diesem verschiedenen Dinges an sich der von Kant festgehaltene realistische
Faktor der Erfahrungserkenntnis weg, so bleibt nur der idealistische übrig, d. h. die
Empfindungen (als Materie der Erfahrung) sind ebensogut subjektiven Ursprungs wie die Verknüpfung derselben im Neben- und Nacheinander
(als Form der Erfahrung). Es ist ferner nicht einzusehen, wie es überhaupt anders möglich sein sollte,
einen Bewußtseinsinhalt, d. h. eine nun einmal (in der Erfahrung jedes Einzelnen) thatsächlich vorhandene Vorstellungswelt,
zu besitzen, wenn dieselbe durch die Mitwirkung eines vom Subjekt Verschiedenen zu stande gekommen sein sollte, da ein solches,
wenn obiger Schluß, auf dem sein Dasein allein beruht, ein Fehlschluß ist, überhaupt nicht existiert.
Das einzige daher, aus welchem die thatsächlich im Bewusstsein vorhandene Vorstellungswelt wirklich erklärt werden kann
und daher auch muß, ist das Subjekt, welches, da außer ihm nichts existiert, notwendig der Erzeuger seiner gesamten Vorstellungswelt
sein muß. (In ähnlicher Weise hatte Spinoza, den in seiner Jugend studierte und hochhielt, aus der notwendigen
Einzigkeit der Substanz, außer welcher nichts wahrhaft sei, gefolgert, daß alle sogen. Vielheit der Körper und Ideen nur
Modifikation ihrer Attribute sein könne.)
Die Aufgabe, welche Kants Philosophie gesteckt hatte, die gegebene Erfahrung aus zwei Faktoren zu konstruieren, wurde von Fichte insofern
beschränkt, als er sie aus einem einzigen (dem Subjekt) konstruierte, zugleich aber dahin bestimmt, Philosophie
in Wissenschaft, d. h. (wieder nach dem Vorbild Spinozas) in ein konsequentes, auf einem durch sich selbst gewissen Fundament
aufgebautes System, in welchem ein Satz den andern und das Fundament alle trägt, zu verwandeln. Ersterer Umstand gab
Fichtes Philosophie den idealistischen, letzterer den Charakter
mehr
einer Wissenschaftslehre, d. h. einer Anweisung, wie ein durchaus und streng wissenschaftliches Wissen zu stande zu bringen
sei. Daß unter dem Subjekt oder, wie er es nannte, dem Ich sein eignes persönliches (das Ich des Individuums Fichte) gemeint sein
sollte, als mache, spiegele er selbst sich die Welt nur vor und sei eigentlich mit seiner Phantasmagorie
allein im Weltraum vorhanden, erklärte Fichte selbst für einen »unsinnigen
und bodenlosen Idealismus und Egoismus«, den ihm »beleidigte Höflinge und ärgerliche Philosophen« angedichtet hätten.
Dasselbe wird von ihm (wie das Erkenntnisvermögen von Kant) nicht im individuellen, sondern im allgemeinen Sinn gefaßt, um
begreiflich zu machen, wie in einem solchen und durch ein solches ein Wissen überhaupt zu stande komme.
Da der Schluß von der Wirkung im Subjekt auf eine Ursache außer dem Subjekt keine Geltung mehr hat, so kann auch der Schluß,
daß Vorstellungen, die das Subjekt in sich antrifft, ohne sich bewußt zu sein, sie selbst hervorgebracht
zu haben, von einem andern (dem Ding an sich) in ihm erzeugt seien, keine Geltung mehr beanspruchen.
Vielmehr müssen die Vorstellungen, von deren Erzeugung das Ich nichts weiß, ebensogut durch dasselbe selbst hervorgebracht
sein wie diejenigen, bei welchen es sich seines Hervorbringens bewußt ist. Es findet daher zwar nach
wie vor ein Unterschied zwischen im Bewußtsein angetroffenen (dem Anschein nach nicht vom Subjekt herrührenden) und mit Bewußtsein
hervorgebrachten (vom Subjekt selbst erzeugten) Vorstellungen statt; aber der Ursprung derselben fällt gänzlich innerhalb,
nicht bezüglich der erstern außerhalb des Subjekts, d. h. die scheinbar nicht vom Ich herrührenden Vorstellungen rühren
von diesem ebensogut her wie die von ihm selbst als von ihm herrührend gewußten.
Was überhaupt im Subjekt vorhanden ist, ist durch dieses gesetzt; dasjenige, bei welchem das Subjekt (das Ich) dieser Setzung
sich nicht bewußt ist, betrachtet es zwar als durch ein andres (ein Nicht-Subjekt, Nicht-Ich) gesetzt, aber nur,
um es schließlich als seine Setzung (durch das Subjekt gesetzt) wieder zurückzunehmen. Die drei Stufen dieses Prozesses, die
Fichte als Thesis, Antithesis und Synthesis bezeichnet, bilden das Instrument, durch welches Fichte die ganze (Kant zufolge wenigstens
dem materiellen Bestandteil, den Empfindungen, nach von außen gegebene) Erfahrungswelt in Thaten des Ichs
und die sogen. Transcendentalphilosophie, als Wissen von dem Zustandekommen der Erfahrung, in Selbstbewußtsein des Ichs, als
Wissen von diesen Thaten als den seinigen, auflöst.
Nicht nur die räumlichen und zeitlichen Formen der Empfindungen, die ja nach Kant selbst schon dem Subjekt angehörten, sondern
diese selbst müssen als Thaten des Ichs aufgezeigt werden. Fichte bezeichnete es als die eigentümliche Aufgabe
der Wissenschaftslehre, zu zeigen, wie die unwillkürlichen Vorstellungen, das Sehen, Hören etc., aus eigner, zwar nicht gesetzloser,
aber durch nichts andres als durch die Natur des thätigen Subjekts selbst gebundener Thätigkeit hervorgehen.
Diese, die handelnde Intelligenz, findet sich bei ihrer Produktion zwar in »unbegreifliche Schranken« eingeschlossen;
dieselben sind aber nichts weiter als die Folgen ihres eignen Wesens, Gesetze der Intelligenz, und indem diese die Nötigung,
von der ihre bestimmten Vorstellungen begleitet sind, fühlt, empfindet sie nicht einen Eindruck von außen, sondern ihr eignes
Gesetz. Inwiefern der Idealismus diese »einzige vernunftmäßige, bestimmte
und wirklich erklärende« Voraussetzung von notwendigen Gesetzen der Intelligenz macht, wird er von Fichte als der »kritische oder
transcendentale«, dagegen ein solcher, welcher bestimmte Vorstellungen aus einem »gesetzlosen« Handeln ableitet, als »transcendenter
und bodenloser« bezeichnet. Feststehend nach Fichte sind daher nur die Gesetze der nach seinem Willen nicht einmal als
»Thätiges«, sondern als bloßes »Thun« anzusehenden Intelligenz; alles vermeintlich ruhende Sein (die sogen. objektive, für
den idealistischen Standpunkt nur als Vorstellung im Ich vorhandene Welt) ist, ans Licht des Bewußtseins gezogen, Gewordenes.
Durch diese Gesetze ist die Gestalt dieser Welt als das notwendige Produkt des in »unbegreifliche Schranken« ihres Wesens
eingeschlossenen Handelns der Intelligenz begründet, d. h. die Welt unsrer Vorstellungen kann keine andre sein, als die Natur
der Intelligenz, als ihrer ausschließlichen Erzeugerin, es gestattet. Keineswegs aber sind dadurch jene Schranken selbst und
das in ihnen sich bewegende Handeln der Intelligenz begreiflich gemacht. Soll dasselbe kein zweckloses und die durch
dasselbe produzierte Vorstellungswelt (die »Scheinwelt der sinnlichen Dinge«) kein unbegreifliches, nichtiges und ebendeshalb
trügerisches Gaukelspiel sein, so muß demselben und dadurch auch der sinnlichen Erscheinungswelt, ihrem Produkt, irgend
ein Zweck, eine vernünftige Absicht, allerdings nicht außerhalb des Subjekts, da außer dem Ich nichts existiert, sondern
innerhalb desselben, zu Grunde liegen.
Dieser Zweck, dessen Erweis in der Sittenlehre versucht, liegt darin, daß das Ich Selbstzweck und die Erscheinung einer Welt
das einzige Mittel, d. h. die Bedingung zur Erreichung desselben, ist. Handeln, das Wesen des Ichs, ist zugleich dessen absolute
Bestimmung, und da es ohne Erscheinung einer bestimmten Welt zu einem bestimmten Handeln nicht kommen könnte,
so liegt die Produktion der Erscheinungswelt auf dem Weg zwischen dem Ich, wie es (potentialiter, der Möglichkeit nach) an sich
und (actualiter, der Wirklichkeit nach) infolge seiner eignen Selbstverwirklichung für sich ist.
Kann Wirksamkeit überhaupt, also auch jene des Ichs, gar nicht gedacht werden ohne den Gegensatz von Innen
und Außen, Subjekt und Objekt, von etwas, wovon sie aus-, und etwas, auf was sie hingehen muß: so bildet der absolut durch
das Ich selbst gesetzte Zweck das eine, der rohe Stoff der Welt das andre Ende;
die Setzung und Bewältigung des letztern zur
Realisierung und Bewährung des erstern macht die Bestimmung des Ichs aus.
»Unsre Welt«, lehrt Fichte, »ist
das versinnlichte Material unsrer Pflicht; dies ist das eigentliche Reelle in den Dingen, der wahre Grundstoff aller Erscheinung.«
Die Realität der Welt beruht nicht auf einem Wissen, sondern (ähnlich wie nach Kants Postulierungsmethode der praktischen Vernunft
für diese das Dasein Gottes und die Unsterblichkeit der Seele) auf einem bloßen Glauben, der seinerseits in der Notwendigkeit
wurzelt, das Pflichtgebot zu realisieren, welches sich ohne eine Welt nicht realisieren läßt.
Die aus der ursprünglichen Einrichtung unsrer (subjektiven) Natur ausgeborne (idealistische) Welt ist daher zwar nur das Spiegelbild
dieser, die Offenbarung unsrer selbst; das Ganze aber ist eine durchaus moralische Anordnung und dient
moralischen Zwecken. »Diese lebendige moralische Ordnung ist Gott«; eines andern bedürfen wir nicht und können keinen andern
fassen, denn der Schluß, daß, wo Ordnung sich kundgebe, ein Ordner vorauszusetzen sei, »wird durch den Verstand gemacht und
gilt nur auf dem Gebiet der sinnlichen Erfahrung«. Ihm Bewußtsein zuschreiben hieße ihn in Schranken einschließen, d. h.
vermenschlichen; ein
mehr
Bewußtsein ohne Schranken wäre ein »für uns ganz unbegreifliches Wissen«; »jeder Begriff von der Gottheit würde ein Abgott«.
Das einzige wahrhaft Absolute, das erste und einzige Ansich, das dem Menschen gegeben ist, ist »das Postulat einer übersinnlichen
Weltordnung«. Dieser berufene »Atheismus« Fichtes, der nach dem vorigen nicht nur die Herabsetzung der
sogen. wirklichen zu einer bloßen Erscheinungswelt, sondern zugleich die Abstreifung jeglicher,
auch der Bewußtseinsschranken, auf welchen das Dasein der Erscheinungswelt beruht, vom Göttlichen (also wie die Gotteslehre
Spinozas vielmehr Akosmismus) ist, bildet nun die Vermittelung zwischen Fichtes sogen. erster und zweiter
Philosophie, zwischen welcher Nachfolger und Zeitgenossen (wie Hegel und Schelling) eine weite Kluft (der
letztere, anfänglich Fichtes begeisterter Bewunderer, sogar eine Aneignung ihm eigner Ideen) zu finden glaubten.
Wahr ist, daß in jener, welcher die Schriften bis zum Jahr 1800 angehören, das Postulat der übersinnlichen Weltordnung den
End-, in den Schriften der zweiten Periode (1800-1814), namentlich in der Schrift von der Bestimmung des
Menschen, den Ausgangspunkt bildet. Wird jene, »das einzige wahre Absolute«, »Gott«, von den unbegreiflichen Schranken, in welchen
das menschliche Ich als handelnde Intelligenz sich »gefangen« findet, aufsteigend nur erreicht, wenn
die Schranke von diesem schlechthin weggedacht, die endliche Intelligenz zur unendlichen (ebendarum »für uns unbegreiflichen«)
erweitert wird, so kann umgekehrt, vom Absoluten ausgehend, zum Menschlichen nur herabgestiegen werden, wenn das an sich Schrankenlose
in die Schranken des menschlichen Bewußtseins gefaßt, das unendliche Ich zum endlichen (ebendarum »begriffenen«) verengert
wird.
Damit ist zugleich ausgesprochen, daß das unendliche Ich nicht in einem, sondern nur in einer unendlichen
Menge endlicher Ichs (wie Spinozas unendliche Substanz nur in einer unendlichen Menge von Modifikationen) seine Verwirklichung
finden kann, deren jedes für sich ebensosehr ein (in sich beschlossenes) Ich wie im Verhältnis zu den übrigen ein (für diese
abgeschlossenes) Nicht-Ich darstellt und durch Erfüllung seiner besondern den auf dasselbe entfallenden Teil
der allgemeinen Bestimmung, der Selbstverwirklichung des Absoluten (der moralischen Ordnung, Gottes), realisiert und dadurch
(auf seinem Standpunkt) die »übersinnliche Welt«, das »einzige Absolute«, mit verwirklicht.
Wie auf dem Standpunkt der Sittenlehre zwischen dem Ich als Selbstzweck und dessen Verwirklichung die sinnliche Scheinwelt
als Mittel und Bedingung zu dieser, so liegt zwischen dem Absoluten (der zu realisierenden moralischen Ordnung)
und dessen Verwirklichung die Welt der endlichen Ichs, d. h. die in einer Vielheit leiblich getrennter Vernunftwesen vollzogene
Versinnlichung des Übersinnlichen als Mittel und Bedingung seiner Selbstrealisierung. Die Phasen, welche die letztere nacheinander
durchläuft, gaben Fichte den Anhaltspunkt zu einer ebenso großartigen wie tief ethischen Philosophie der
Geschichte, deren Grundlage die Einheit des Menschengeschlechts in Gott, deren Endziel die Wiedervereinigung desselben in
diesem ist.
In der »Anweisung zum seligen Leben« (vom Jahr 1806) werden von ihm drei Perioden unterschieden: in der ersten steht der Mensch
(das endliche Ich) auf dem egoistischen Standpunkt sinnlicher Glückseligkeit, ist sein Wille nicht eins
mit dem göttlichen, sondern im Gegensatz zu diesem;
in der zweiten steht derselbe auf dem Punkte der Wahl zwischen dem eignen
und dem göttlichen Willen (Standpunkt des Gesetzes);
in der dritten
eignet er sich das Gesetz freiwillig an, womit aller Gegensatz
zwischen dem Menschen und Gott aufhört, die reine und freie Moralität, der Zustand der Seligkeit beginnt,
»der Mensch in Gott versinkt« und »Gott alles in allem ist«.
Daß diese seine spätere Philosophie, die Hegel höhnisch eine
»für Kotzebue« nannte, von seiner anfänglichen nicht dem Wesen, sondern höchstens dem Ausdruck nach verschieden sei, hat
Fichte ausdrücklich (gegen Schelling) behauptet. Neuere Darsteller (insbesondere Fichtes Sohn, Löwe, Rob. Zimmermann u. a.) haben
dargethan, daß die vermeintliche Kluft sich ebne, wenn man von rückwärts am Faden des Spinozismus sich zu Fichtes Anfängen
zurückfindet. Eine eigentliche Schule hat Fichte nicht gebildet, sondern es haben nur einzelne, namentlich Schad, Mehmel,
Cramer, Schmidt, Michaelis u. a., seine Lehre adoptiert.
Gleichwohl ist Fichtes Einfluß auf die folgende Entwickelung der deutschen Philosophie so bedeutend, daß in ihm allein der
Schlüssel zu allem Verständnis der Neuern liegt, in dem nicht nur Schelling und Hegel auf der von ihm zuerst eingeschlagenen
Bahn der Spekulation weiterschritten, sondern selbst deren Antipode Herbart durch das im Fichteschen »Ich«
liegende Problem auf die Grundaufgabe seiner Metaphysik hingeleitet worden zu sein selbst bekennt, Schopenhauer aber in der
ersten Hälfte seiner Weltanschauung, in der »Welt als Vorstellung«, ganz mit Fichte übereinstimmt.
Fichtes »Sämtliche Werke« wurden von seinem einzigen Sohn, I. H. ^[Immanuel Hermann] Fichte, herausgegeben
(Berl. 1845-46, 8 Bde.),
der auch »J. G. ^[Johann Gottlieb] Fichtes Leben und litterarischen Briefwechsel« (2. Aufl., Leipz.
1862, 2 Bde.) veröffentlichte und in seiner »Charakteristik der neuern Philosophie« (2. Aufl., Sulzb. 1841) Fichtes System
am klarsten darstellte.
Vgl. außerdem Busse, und seine Beziehungen zur Gegenwart des deutschen Volkes
(Halle 1848-49, 2 Bde.);
Löwe, Die Philosophie Fichtes nach dem Gesamtergebnis ihrer Entwickelung und in ihrem Verhältnis zu
Kant und Spinoza (Stuttg. 1862);
Noack, J. G. ^[Johann Gottlieb] Fichte nach seinem Leben, Lehren und Wirken (Leipz. 1862);
Zimmer,
J. G. ^[Johann Gottlieb] Fichtes Religionsphilosophie (Berl. 1878).
2) Immanuel Hermann von, theistischer Philosoph, Sohn des vorigen, geb. zu Jena, war seit 1822 Professor
am Gymnasium, zuerst in Saarbrücken, hierauf in Düsseldorf, seit 1836, nachdem er sich durch seine »Beiträge zur Charakteristik
der neuern Philosophie« (Sulzb. 1829, 2. Aufl. 1841) einen geachteten
Namen erworben, außerordentlicher, seit 1840 ordentlicher Professor der Philosophie an der Universität
zu Bonn, folgte 1842 einem Ruf in gleicher Eigenschaft nach Tübingen und ließ sich, nach dem er 1867 geadelt und in den Ruhestand
getreten war, in Stuttgart nieder, wo er starb.
Seine hauptsächlichsten Schriften sind: »Sätze dern Vorschule zur Theologie« (Stuttg. 1826);
»Beiträge
zur Charakteristik der neuern Philosophie« (Sulzb. 1829, 2. Aufl. 1841);
»Über Gegensatz, Wendepunkt und Ziel heutiger Philosophie«
(Heidelb. 1832-36, 3 Tle.);
»Religion und Philosophie in ihrem gegenwärtigen Verhältnis« (das. 1834);
»Die Idee der Persönlichkeit
und der individuellen Fortdauer« (Elberf. 1834; 2. Aufl.,
Leipz. 1855);
»Über die Bedingungen eines spekulativen Theismus« (Elberf. 1835);
»Zur Seelenfrage, eine philosophische Konfession« (das. 1859);
»Psychologie« (das.
1864-73, 2 Bde.);
»Die Seelenfortdauer und die Weltstellung des Menschen« (das. 1867);
mehr
»Vermischte Schriften« (das. 1869, 2 Bde.);
»Die theistische Weltansicht und ihre Berechtigung« (das. 1873);
»Fragen und Bedenken über die nächste Fortbildung deutscher
Spekulation« (Sendschreiben an E. Zeller, das. 1877);
»Der neuere Spiritualismus« (das. 1878);
außerdem zahlreiche Abhandlungen
in der von ihm seit 1837 herausgegebenen »Zeitschrift für Philosophie und spekulative Theologie« (Tübing.
1837-1848, 20 Bde.; fortgesetzt mit Ulrici und Wirth, Halle 1852 ff.).
Auch gab er heraus die Werke seines Vaters und »J. G.
Fichtes Leben und litterarischer Briefwechsel« (Sulzb. 1830-31, 2 Bde.; 2. Aufl.,
Leipz. 1862).
In der Philosophie nimmt Fichte eine Vermittlerstellung zwischen entgegengesetzten Richtungen ein, daher auch der
Vorschlag regelmäßig wiederkehrender Philosophenversammlungen zum Zweck gegenseitiger Verständigung von ihm ausgegangen
und die erste 1847 in Gotha auch wirklich zu stande gebracht und mit einem Vortrag: »Über die Zukunft der Philosophie« (Stuttg.
1847), begrüßt worden ist. Er betrachtet als solche die Extreme der streng monistischen, welche nur ein Seiendes, und
der streng individualistischen Metaphysik, welche nur viele Seiende kennt, und als deren Repräsentanten ihm unter den Neuern
Hegel und Herbart, Pantheismus und Deismus, erscheinen, denen er ebendarum Leibniz' Theismus als Repräsentanten der Einheit in der
Vielheit und der Vielheit in der Einheit (Urmonas und Monaden) entgegenstellt, sich mit Krauses das gleiche
Ziel verfolgendem Panentheismus einverstanden erklärend.
Während er in seinen frühern hauptsächlich im Kampf gegen die pantheistische Richtung abgefaßten, vorzugsweise theologischen
Schriften das Hauptproblem dieses seines vermittelnden Standpunktes, die Erhaltung des Endlichen dem Unendlichen und dieses jenem
gegenüber, auf spekulativem Weg zu lösen suchte, versuchte er es in seinen spätern, im Kampf gegen
die individualistische Schule verfaßten, vorzugsweise psychologischen Schriften auf empirischem Weg.
Die Existenz des Göttlichen, das für den Pantheismus nur immanent, im Menschengeist, für den Deismus nur transcendent, außerhalb
desselben, vorhanden ist, soll als demselben immanent und transcendent (in ihm und über ihm seiend) erwiesen werden durch
die »Thatsache« eines »Überempirischen im Empirischen«, einer
»höhern«, geistigen Individualität im Menschen neben dessen niederer, irdischer, die von ihm als »Genius« bezeichnet und als
das unmittelbare Bindeglied zwischen Gott und dem Menschen betrachtet wird.
Das metaphysische Problem, wie die Gesamtheit dieser »Genien« als Individuen höherer Art (Geister) sich zu Gott als
der Urpersönlichkeit verhalte, wird damit in die höhere übersinnliche Welt, in das Geisterreich, verlegt, die Existenz des
Genius im sinnlichen Menschen aber durch »Thatsachen« einer höhern als der gemeinen Erfahrung, durch die Erscheinungen des Hellsehens,
der Erleuchtung, sowie durch die Thaten selbstverleugnender Aufopferung erwiesen, in welchen wie in den erstgenannten
ein höheres als das gemeine Wissen, so ein höheres als das gemeine Wollen als göttlicher Kern der irdischen Hülle zum Durchbruch
komme.
Diese Berufung auf Thatsachen, die keineswegs für jedermann als solche gelten, hat Fichtes Philosophie, besonders seit dem
Erscheinen seiner Anthropologie und Psychologie, in den Ruf der Mystik und der (übrigens von ihm selbst
zugestandenen) Theosophie, seine Vermittlerrolle, wie dies zu geschehen pflegt, bei den Anhängern beider Parteien in den der
Halbheit und des Eklektizismus gebracht; die selbstverleugnende Wahrheitsliebe und
die makellose Reinheit seines Charakters,
wodurch er an seinen Vater erinnert, sind auch von seinen Gegnern anerkannt worden.