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und die Fechtkunst [* 2] lehrt nicht nur, einen Stoß zu führen, sondern auch ihn zu parieren. Das Ziel der Stöße ist der zunächst liegende Körperteil des Gegners, die rechte Schulter und die Brust. Daher kommt es, daß man alle Stöße, die andre Körperteile treffen, Saustöße oder Bastardstöße nennt, obgleich dem Ernstkampf schwerlich vorgeschrieben werden kann, seinen Gegner nicht durch einen Saustoß zu bezwingen.
In Bezug auf den Angriff des Gegners unterscheidet man Vor-, Mit-, Gegen- oder Nachstöße. Man kommt z. B. dem Stoß des Gegners durch einen Vorstoß zuvor, trifft ihn mit einem Mitstoß (a tempo, Tempostoß) zugleich, deckt sich durch einen Gegenstoß, während er stößt, und läßt den einfachen oder Doppel-Nachstoß (Riposte, Reprise) seinem Anstoß sofort folgen. Ein Stoß ist fest, wenn dabei unausgesetzt auf die Klinge des Gegners ein stärkerer Druck ausgeübt wird, um sie beiseite zu drängen; er ist flüchtig, wenn man sie kaum berührt.
Der Druck gegen die Klinge des Gegners, das Stringieren, Binden oder Belegen derselben, wird als eins der vorzüglichsten Mittel angewendet, um sich eine Blöße zu verschaffen. Denselben Zweck verfolgen die Battute, ein Streifschlag gegen die feindliche Klinge, die Ligade, eine Schleuderbewegung, um die Waffe des Gegners zur Seite zu schleudern, sowie das Winden, [* 3] eine kreisende Bewegung hart an der Klinge des Gegners und rund um dieselbe herum, wobei sowohl der Stoß an Kraft [* 4] gewinnt, als die Blöße sich erweitert.
Wenn zwischen gleich gewandten Fechtern dem Gegner die Deckung gegebener Blößen stets mit Sicherheit gelingt, sobald der Angreifer sie benutzen will, dann droht das Gefecht zum Stillstand zu kommen. Zur Belebung desselben dienen die Finten oder Scheinstöße; sie bezwecken eine Täuschung des Gegners dadurch, daß man ihn glauben macht, es solle ein Stoß in die von ihm gegebene Blöße geschehen. Dieser Stoß wird aber nicht ganz ausgeführt, sondern nur angedeutet; pariert der Gegner denselben, so gibt er sich eine anderweitige Blöße, in die nun schnell der wirkliche Stoß geführt wird.
Eine solche Finte ist eine einfache; wird aber die durch eine solche Finte geöffnete Blöße nochmals fintiert, so entsteht eine doppelte Finte. Finten sind daher ihrem Wesen nach Doppelstöße, die schnell aufeinander folgen. Ist einer der Fechtenden durch einen Stoß getroffen, sitzt ein Stoß, oder ist ihm bei einer Ligade die Waffe entwunden, er also entwaffnet, desarmiert, so ist ein Gang [* 5] beendet. Aus solchen freien Gängen besteht das Kontrafechten oder Kürfechten. Während des Fechtens ist der Blick unverwandt nach dem Stichblatt des Gegners gerichtet. Es gilt für kunstvoller, sich gut zu verteidigen, als mit Angriff und Verteidigung zu wechseln. Das Parieren der Klinge des Gegners mit der linken Hand [* 6] ist wohl erlaubt, nicht aber das Festhalten derselben, was sich übrigens bei scharfen Klingen von selbst verbietet. Beide Hände sind mit ledernen Stulphandschuhen bekleidet.
[Das Hiebfechten.]
Die Hauptregeln und Benennungen sind beim Hiebfechten dieselben wie beim Fechten auf den Stoß. Die Benennungen der Hiebe sind aus [* 1] Fig. 5 ersichtlich. Die richtige Mensur ist die, wenn die Spitze des Rapiers bei ausgestrecktem Arm die Brust des Gegners berührt. Die Fechter bekleiden sich mit lang bestulpten, gefütterten Fechthandschuhen und einer aus Eisendraht geflochtenen Gesichtsmaske. Die Auslage ist entweder halb Terz, halb Quart [* 7] oder, wie auf Universitäten bei enger Mensur üblich, die Spitze der Klinge nach unten gekehrt, verhängte Auslage.
Der vordere Fuß wird stark gestreckt, der hintere nach links gebogen. Der linke Arm liegt auf dem Rücken. Die Bewegungen der Faust müssen auch hier, wie beim Stoßfechten, im Handgelenk stattfinden, jedoch so, daß dabei stets die Schneide des Rapiers dem Gegner zugekehrt ist; alle Hiebe müssen mit völlig geradem, gestrecktem Arm erfolgen; durchaus fehlerhaft ist es daher, den Arm zu biegen oder zu erheben, um mit aller Kraft loszuhauen. Alle übrigen Bewegungen: das Avancieren, Retirieren, die Volten wie die Vor-, Mit-, Gegen- und Nachhiebe, die Finten, kommen hier ebenso zur Anwendung wie beim Stoßfechten;
auch die Doppelhiebe sind hier zwei oder mehr rasch hintereinander geführte Hiebe, und der Atempohieb ist ein Gegenhieb.
Auch ein Universalhieb wird angewendet, bei welchem die Spitze der Klinge eine liegende ∞ beschreibt; dieser Form nach (Schlingenlinie) wird der Hieb [* 8] auch Lemniskate genannt. Solcher Hieb wird unter stetem Zugehen auf den Gegner in einem fort vor seinem Gesicht [* 9] ausgeführt, um ihn zum Rückzug zu zwingen oder seine Attacke abzuhalten. Auf den Universalhieb gründet sich das namentlich in Frankreich gebräuchliche Batonnieren, das Stockfechten. Man bedient sich hierzu eines etwa 1,75 m langen, kräftigen Stockes, der mit beiden Händen beim Fechten gehalten wird. Es fand schon in den römischen Heeren sorgsame Pflege und war vor mehr als zwei Jahrhunderten eine fast im ganzen Frankreich volkstümliche Kunst, während es jetzt nur noch in den nördlichen Provinzen in breitern Volksschichten sich heimisch findet.
Hier lernte es der sächsische Hauptmann v. Schmitz während der Okkupation nach dem Befreiungskrieg kennen und übertrug dasselbe auf das Bajonettgewehr. Nach seiner Rückkehr entwickelte er hieraus 1818 die Lehre [* 10] vom Bajonettieren oder Bajonettfechten, die Benutzung des Gewehrs zum Stoß und zur Parade für Angriff und Verteidigung im Einzelkampf. Nach heutiger Ansicht hat es nur gymnastischen Zweck, soll es den Körper kräftigen und das Vertrauen zum Gewehr als blanker Waffe wecken, so daß sich der Mann im Augenblick der Gefahr so helfen kann. Das Bajonettfechten besteht aus Stößen und Paraden mit fester und beweglicher Mensur, Nach-, Gleit- und Wurfstößen, Finten, zusammengesetzten Paraden mit beweglicher Mensur und dem freien Kontrafechten.
Das Fechten mit krummen Säbeln geschieht im allgemeinen nach den Regeln für das Hiebfechten; hat der Säbel weder Glocke noch Korb, so müssen die Hiebe mit der halben Stärke [* 11] aufgefangen werden. Die Natur der krummen Klingen gestattet keine senkrechten und wagerechten Hiebe, weil sie meist flach fallen,
[* 1] ^[Abb.: Benennungen der Hiebe: a b Kopf- oder Primhieb - b a Sekundhieb - e f Gesichtsterz - f e Gesichtsquart - c d Mittelterz - d c Brustquart - g h steile Terz - h g Tief- oder Bauchquart - i k Schulterquart - k i Tiefterz.] ¶
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sondern nur schräge, sogen. Zwischenhiebe, steile und tiefe Terz, hohe und tiefe Quart. Der zu Pferd [* 13] sitzende Kavallerist wendet gegen bajonettierende Infanteristen den Eskadronhieb an, der aus mehreren aufeinander folgenden Zirkelhieben besteht.
Das Fechten mit der Lanze ist ein Stoßfechten. Die gefällte Lanze liegt mit ihrem untern Ende in der Achselhöhle und wird mit der rechten Hand wagerecht gehalten. Dies ist die Auslage der Lanze, in welche dieselbe sowohl nach dem Stoß als nach der Parade zurückgeführt wird. Zum Stoß, der nach allen Seiten geschehen kann, wird sie erst etwas zurückgezogen und dann kräftig vorgeschnellt, während die Paraden nur in kurzen Schlägen mit der Lanze nach der Waffe des Angreifers bestehen.
[Geschichte.]
Die Fechtkunst ist uralt; schon bei den Griechen und Römern fand man Fechtmeister (armaturae doctores). Bekannt sind die Fechterschulen in den spätern Zeiten der römischen Republik und des Kaiserreichs, in welchen Sklaven in der Fechtkunst unterrichtet und zu den öffentlichen Fechterspielen abgerichtet wurden. Wie gründlich die Fechtkunst im römischen Heer betrieben wurde, berichtet Vegetius. Weitere Ausbildung erfuhr die Fechtkunst durch das Ritter- und Turnierwesen des Mittelalters, welche mit dem Waffenrecht auch bei den Bürgern der größern Städte Eingang fanden.
Ende des 15. und Anfang des 16. Jahrh. vollzog sich unter dem Druck der großen Fortschritte im Feuerwaffenwesen ziemlich schnell der Übergang von der mittelalterlichen zur neuern Fechtweise. Wie sich aber seit Beginn des 12. Jahrh. alles in Zünfte, Gilden oder Innungen vereinigte, so finden sich schon frühzeitig dem Bürgerstand angehörige privilegierte Fechtergesellschaften. Die älteste derselben war in der Reichsstadt Frankfurt [* 14] a. M. unter dem Namen der Brüderschaft von St. Markus vom Löwenberg unter einem Hauptmann und vier Meistern zusammengetreten.
Sie erhielt vom Kaiser Friedrich III. am zu Nürnberg [* 15] den ersten Privilegiumsbrief für das Deutsche Reich, [* 16] der zuletzt von Rudolf II. zu Prag [* 17] erneuert wurde. Wenn ihnen gegenüber einer als Fechter auftreten wollte, so hieben diese »Marxbrüder« ihn alsbald so zusammen, daß er sich ihnen entweder in die Schule gab, oder ganz vom Fechten abstand. Dadurch kam die Frankfurter Fechtschule sehr in Ruf, so daß auch, wer der Waffen [* 18] kundig war und in Deutschland [* 19] eine Fechterschule halten wollte, in der Herbstmesse nach Frankfurt zu ziehen pflegte.
Dort ward er von den Meistern des Schwertes probiert, d. h. der Hauptmann und die vier Meister fochten öffentlich vor den Augen der Bürger mit ihm. Bestand er bei der Probe, so ward er mit dem großen Prunkschwert kreuzweise über die Lenden geschlagen, wofür er 2 Goldgulden für die Brüderschaft aufs Schwert legte, und empfing dann die »Heimlichkeit«, die in allerlei Kunstgriffen bei der Führung des Schwertes bestand. Nun durfte er das Wappen [* 20] der Marxbrüder, einen Löwen, [* 21] führen und in ganz Deutschland das Fechten lehren.
Nach ihrem Muster bildeten sich auch andre Fechtervereine, so der der Veitsbrüder in Prag, denen Kaiser Rudolf II. den Privilegiumsbrief verlieh; sie führten in ihrem Wappen eine Schreibfeder und auf dem Helm darüber einen geflügelten Greif, [* 22] daher ihre Obern »Meister des langen Schwertes über die Gesellschaft der Freifechter von der Feder« hießen, und hatten St. Veit zum Schutzpatron. Aus ihrem Wappen leitete sich ihr volkstümlicher Name der »Federfechter« ab. Ihr Hauptmann nebst Lade und Urkunden waren in Prag, der Oberhauptmann beider Gesellschaften als ihr Vertreter und Anwalt aber beständig im kaiserlichen Hoflager.
Beide Gesellschaften hatten gleichen Fechtbrauch und gleiche Fecht- und Ringgesetze. Über eine dritte Partei, die sogen. Luxbrüder, mangeln bestimmte Nachrichten; doch sollen von ihnen die sogen. Klopffechter abstammen, die auf den Jahrmärkten umherzogen und sich mit ihren Fechterkünsten für Geld sehen ließen. Wie aus dem Fechtbuch des Straßburger Freifechters J. ^[Joachim] Meyer vom Jahr 1570 hervorgeht, war das »Rapierfechten« erst neuerlich in Aufnahme gekommen; Fechtwaffen waren noch das Schwert, der Dolch, [* 23] Spieß, die Hellebarde und der Dusack, eine griff- und stichblattlose, schwertartige Waffe, die mit langem Eisenhandschuh gehandhabt wurde.
Anfang des 16. Jahrh. verbreitete sich von Toledo [* 24] aus der leichte »spanische Degen«, zunächst nach Italien, [* 25] wo er sich auf den Universitäten einbürgerte, von hier im Lauf eines Jahrhunderts durch die dort studierenden jungen Leute vom Adel überall in Deutschland und Frankreich bekannt und bald die bevorzugte Waffe der Fechter wurde. Mit der Verbreitung der Feuerwaffe kamen die Fechtergesellschaften der Bürger und Handwerker in Verfall, und an ihre Stelle traten die Schützenkompanien.
Dagegen erhielt sich das Fechten als Bestandteil einer ritterlichen oder adligen Erziehung an den Kadetten- und Militärschulen und auf den deutschen Universitäten, wo man das Recht in Anspruch nahm, den Degen als Zeichen des Adels zu tragen. Der Degen, den man damals und später auf Universitäten trug, war der sogen. Renkontredegen, zum Hieb und Stoß gleich brauchbar, obgleich er vorzugsweise zum Stoßen gebraucht wurde. Privilegierte Fechtschulen für die deutschen Universitäten, auf denen die Fechtkunst forthin am meisten blühte, entstanden erst im 17. Jahrh., als Wilhelm Kreußler aus Nassau, der 1618 in Frankfurt Marxbruder geworden war, in Jena [* 26] privilegierter Fechtmeister ward. Er ist der eigentliche Gründer des deutschen Stoßfechtens, welche Kunst sich von Jena aus auf die andern deutschen Universitäten und bis ins Ausland verbreitete.
Weiter ausgebildet wurde sie namentlich von dessen Schülern und den Gebrüdern Roux (s. unten). Dieser theoretischen Fortbildung des Stoßfechtens ungeachtet ist dasselbe doch in Rücksicht auf seine Gefährlichkeit praktisch auf den meisten deutschen Universitäten, seit 1843 auch in Jena und Erlangen, [* 27] abgekommen und dafür das Hiebfechten ausschließlich eingeführt worden. Dagegen werden in Frankreich noch heute alle Duelle mit blanker Waffe (sogar bei Streitigkeiten unter den Unteroffizieren) mit dem Stoßdegen ausgefochten.
Vgl. J. A. K. Roux: Anweisung in der deutschen Fechtkunst auf Stoß und Hieb (Jena 1798), Anweisung zum Hiebfechten (Fürth [* 28] 1803), Die deutsche Fechtkunst (Stoßfechten; 2. Aufl., Leipz. 1817);
Joh. Wilh. Roux, Anleitung zur Fechtkunst nach mathematisch-physikalischen Grundsätzen (Jena 1808);
Fechtkunst A. W. L. Roux (Sohn des vorigen): Anweisung zum Hiebfechten (2. Aufl., das. 1849), Die Kreußlersche Stoßfechtschule (das. 1849), Deutsches Paukbuch (2. Aufl., das. 1867);
Ludw. Cäsar Roux (Sohn des vorigen), Die Hiebfechtkunst (das. 1885);
Riemann, Anweisung zum Stoßfechten (Leipz. 1834);
Segers, Das Hiebfechten (2. Aufl., Bonn [* 29] 1837);
Rothstein, Das Stoß- und Hiebfechten (Berl. 1863);
Lübeck, [* 30] Lehr- und Handbuch der deutschen Fechtkunst (das. 1869);
Hergsell, Die Fechtkunst (Wien [* 31] 1881);
Lion, Das Stoßfechten (Hof [* 32] 1882);
Montag, Neue praktische Fechtschule (2. Aufl., Berl. 1884);
Weiland, Handbuch der Fechtkunst (Wiesb. 1885);
Fechtkunst Schultze, Die Fechtkunst mit dem Haurapier (Heidelb. 1885). ¶