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leitenden Gesichtspunkt aufgestellt, daß die Verwendung von Schulkindern und jungen Leuten unter 18 Jahren in Fabriken nur in einer Weise stattfinden dürfe, bei welcher dieselben an dem geordneten Besuch des Gottesdienstes und der Erfüllung der gesetzlichen Schulpflicht nicht gehindert, und wobei für Gesundheit, körperliche Entwickelung und religiöse und sittliche Erziehung keine Nachteile zu besorgen seien. Die neuen liberalen Gewerbeordnungen, welche 1861 bis 1864 in den meisten Einzelstaaten erlassen wurden, enthielten auch fabrikgesetzliche Bestimmungen, meist aber nur zu gunsten von Kindern und jugendlichen Arbeitern und selbst diese in völlig unzureichender Weise.
Nach der Gründung des Norddeutschen Bundes und des Deutschen Reichs wurde die Fabrikgesetzgebung Sache des Bundes, resp. Reichs. Die erste gemeinsame Regelung erfolgte durch die später Reichsgesetz gewordene Gewerbeordnung des Norddeutschen Bundes vom Die betreffenden Bestimmungen umfaßten nur wenige Paragraphen. Der Standpunkt der Gewerbeordnung war folgender. Der Bund, resp. das Reich wollten einen doppelten Schutz gewähren: Erstens sollten unmündige, in Fabriken beschäftigte Personen unter 16 Jahren gegen eine übermäßige Beschäftigung geschützt werden (§ 128-133). Es wurden verboten die regelmäßige Beschäftigung von Kindern unter 12 Jahren und die Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit (nach 8½ Uhr [* 2] abends bis 5½ Uhr morgens) der jungen Personen unter 16 Jahren.
Die Beschäftigung während dieser Zeit wurde dahin geregelt, daß für Kinder von 12-14 Jahren eine Maximalarbeitszeit von 6 Stunden neben 3 Stunden Unterricht, für junge Leute von 14-16 Jahren eine solche von 10 Stunden angeordnet und weiter bestimmt wurde, daß zwischen den Arbeitsstunden vor- und nachmittags eine Pause von je ½ Stunde, mittags eine ganze Freistunde, dabei jedesmal auch Bewegung in der freien Luft gewährt werden müsse. Zum Zweck der Kontrolle wurden die Arbeitgeber verpflichtet, der Ortspolizei von den zu beschäftigenden jugendlichen Arbeitern Anzeige zu machen, solche nur auf Grund eines ihnen übergebenen, von der Ortspolizei ausgestellten Arbeitsbuches zu beschäftigen und über die Beschäftigten eine Liste zu führen.
Außerdem sollten noch alle Arbeiter gegen eine Gefährdung ihres Lebens und ihrer Gesundheit bei der Arbeit sowie gegen das Trucksystem (s. d.) geschützt werden. Das Truckverbot enthielt der § 134; zu jenem Zweck bestimmte § 107: »Jeder Gewerbeunternehmer ist verbunden, auf seine Kosten alle diejenigen Einrichtungen herzustellen und zu unterhalten, welche mit Rücksicht auf die besondere Beschaffenheit des Gewerbebetriebes und der Betriebsstätte zu thunlichster Sicherung der Arbeiter gegen Gefahr für Leben und Gesundheit notwendig sind«.
Diese an sich völlig unzureichenden Bestimmungen wurden noch dadurch illusorisch, daß gar keine Organe existierten, welche sich um die ordentliche Durchführung derselben bekümmerten. Einige, aber noch keineswegs genügende Änderungen führte das Gesetz vom herbei. Kindern unter 12 Jahren wurde die Fabrikarbeit unbedingt verboten. Wöchnerinnen dürfen während 3 Wochen nach ihrer Niederkunft nicht beschäftigt werden. Alle Arbeiter unter 21 Jahren wurden polizeilicher Kontrolle unterstellt, Kinder müssen eine Arbeitskarte, die andere ein Arbeitsbuch (s. d.) haben.
Obligatorisch wurde die Fabrikinspektion (s. d.) gemacht. Endlich gab der § 139a noch dem Bundesrat die Befugnis, unter bestimmten Voraussetzungen den Schutz für Kinder, jugendliche Arbeiter und Arbeiterinnen teils auszudehnen, teils zu verringern. Die betreffende Verordnung ist dem nächstfolgenden Reichstag vorzulegen, der sie aufheben kann. Der Bundesrat kann den Schutz ausdehnen bei gewissen Fabrikationszweigen, welche mit besondern Gefahren für Gesundheit und Sittlichkeit verbunden sind, die Beschäftigung jener Personen gänzlich untersagen oder von besondern Bedingungen abhängig machen, insbesondere auch die Nachtarbeit der Arbeiterinnen untersagen.
Den Schutz verringern kann er in Bezug auf Spinnereien sowie auf Fabriken, in denen ununterbrochen (Tag und Nacht) gearbeitet werden muß, oder deren Betrieb eine Einteilung in regelmäßige Arbeitsschichten von gleicher Dauer nicht gestattet, oder deren Betrieb seiner Natur nach auf bestimmte Jahreszeiten [* 3] beschränkt ist, indem er die gesetzlichen Beschränkungen bezüglich der Arbeitszeit der Kinder und jugendlichen Arbeiter aufheben kann, jedoch nur mit der Maßgabe, daß die Arbeitszeit der Kinder (von 12 und 13 Jahren) die Dauer von 36 Stunden und die für junge Leute (von 14 und 15 Jahren) in Spinnereien die Dauer von 66 St., in andern Fabriken die von 60 St. nicht überschreiten darf.
Der Bundesrat hat von dieser doppelten Befugnis für vier Produktionszweige Gebrauch gemacht: a) durch Verordnung vom betreffend die Beschäftigung von Arbeiterinnen und jugendlichen Arbeitern in Walz- und Hammerwerken; b) durch Verordnung gleichfalls vom betreffend die Beschäftigung von Arbeiterinnen und jugendlichen Arbeitern in Glashütten; c) durch Verordnung vom betreffend die Beschäftigung jugendlicher Arbeiter in Spinnereien, welche für alle Personen unter 16 Jahren in Hechelsälen sowie in Räumen, in denen Reißwölfe im Betrieb sind, während der Dauer des Betriebes die Beschäftigung wie den Aufenthalt untersagt, für jugendliche Arbeiter aber, welche ausschließlich zu Hilfsleistung bei dem Betrieb der Spinnmaschinen [* 4] verwendet werden, die tägliche Maximalarbeitszeit von 10 auf 11 St. erhöht, sofern ärztlich bescheinigt ist, daß ihre körperliche Entwickelung ihre Beschäftigung bis zu 11 St. täglich ohne Gefahr für ihre Gesundheit zuläßt; d) durch die Verordnungen vom und für Steinkohlenbergwerke.
Diese Verordnungen suchen das Interesse der Unternehmer mit dem Interesse der zu schützenden Personen möglichst in Einklang zu bringen, aber die Situation der letztern ist zum Teil doch eine ungünstigere geworden, als sie gesetzlich, wenn auch nicht immer thatsächlich, nach der Gewerbeordnung war.
Osterreich ^[richtig: Österreich].
In Österreich beschränkte sich bis zum die Fabrikgesetzgebung auf die wenigen Bestimmungen der Gewerbeordnung von 1859, 6. Hauptstück (§ 82-87), die einen noch geringern Schutz gewährten als die deutsche Gewerbeordnung. Sehr viel größer aber ist der Schutz geworden durch die neue umfassende Regelung von 1885 (Gesetz vom 8. März). Die Hauptbestimmungen der geltenden Rechte sind folgende. Von allgemeinen, auf alle Gewerbsunternehmungen bezüglichen sind hervorzuheben: 1) Das Verbot der Sonntagsarbeit mit der Maßgabe, daß bei einzelnen Kategorien von Gewerben, bei denen eine Unterbrechung des Betriebes unthunlich, oder bei denen der ununterbrochene Betrieb im Hinblick auf die Bedürfnisse der Konsumenten oder des öffentlichen Verkehrs erforderlich ist, der Handelsminister die Arbeit auch an Sonntagen gestatten darf (ist in einem großen Umfang geschehen).
2) Das Truckverbot.
3) ¶
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Obligatorische Arbeitsbücher.
4) Obligatorische, der Gewerbsbehörde vorzulegende Arbeitsordnungen für Fabriken und Gewerbsunternehmungen, in welchen über 20 Hilfsarbeiter in gemeinschaftlichen Lokalen beschäftigt sind.
5) Vorgeschrieben sind für alle Arbeiter Ruhepausen (zusammen mindestens 1½ Stunden).
6) Verpflichtungen der Gewerbsinhaber zur Vermeidung von Gefahren für Leben, Gesundheit und Moral der Arbeiter (§ 74). 7) Zu regelmäßigen gewerblichen Beschäftigungen dürfen Kinder unter 12 Jahren gar nicht, zwischen 12 und 14 nur verwendet werden, sofern ihre Arbeit der Gesundheit nicht nachteilig ist und die körperliche Entwickelung nicht hindert, auch der Erfüllung der gesetzlichen Schulpflicht nicht im Weg steht, und nie länger als 8 Stunden täglich.
8) Durch ministerielle Verordnung kann bei gefährlichen oder gesundheitsschädlichen Verrichtungen die Beschäftigung jugendlicher (unter 16 Jahren) und weiblicher Arbeiter verboten oder nur bedingungsweise gestattet werden.
9) Verboten ist die Nachtarbeit (8 Uhr abends bis 5 Uhr morgens) der jugendlichen Arbeiter. Der Handelsminister (im Einvernehmen mit dem Minister des Innern) ist jedoch ermächtigt, für bestimmte Kategorien von Gewerben mit Rücksicht auf klimatische Verhältnisse und sonstige wichtige Umstände diese Grenzen [* 6] der Nachtarbeit angemessen zu regeln oder überhaupt die Nachtarbeit zu gestatten.
10) Wöchnerinnen dürfen erst 4 Wochen nach ihrer Niederkunft zu regelmäßigen gewerblichen Beschäftigungen verwendet werden. Von besondern Bestimmungen für fabrikmäßig betriebene Gewerbsunternehmungen sind zu erwähnen:
1) Die Arbeitsdauer darf ohne Einrechnung der Arbeitspausen höchstens 11 Stunden binnen 24 Stunden betragen. Doch kann durch ministerielle Verordnung Gewerbskategorien bei nachgewiesenem besondern Bedürfnis eine weitere Arbeitsstunde gewährt werden. Die Liste ist von 3 zu 3 Jahren zu revidieren.
2) Wo der ununterbrochene Betrieb zulässig, ist behufs Ermöglichung des wiederkehrend erforderlichen Schichtwechsels ministeriell die Arbeitszeit angemessen zu regeln.
3) Kinder unter 14 Jahren dürfen zu regelmäßiger Beschäftigung gar nicht, jugendliche Arbeiter von 14-16 Jahren nur zu leichtern Arbeiten verwendet werden, welche der Gesundheit derselben nicht nachteilig sind und deren körperliche Entwickelung nicht hindern.
4) Die Nachtarbeit dieser Arbeiter und der Frauenspersonen ist verboten, aber Ausnahmen durch ministerielle Verordnung sind bedingungsweise zulässig. - Das Gesetz vom führte Gewerbeinspektoren ein, die Zahl der Aufsichtsbehörden und Inspektoren ist durch Verordnung vom auf 12 festgesetzt.
Andre Staaten.
In den übrigen europäischen Staaten beschränkt sich die Fabrikgesetzgebung wesentlich auf Schutzbestimmungen für Kinder, resp. Minderjährige; aber selbst diese sind nirgends ausreichende. In Frankreich ist das Hauptgesetz das Gesetz vom (getreten an Stelle des Gesetzes vom Es bezieht sich auf die industrielle Arbeit von Kindern und jungen Personen unter 16 Jahren und minderjähriger Mädchen (16-21 Jahren) in Manufakturen, Fabriken, Hüttenwerken, Bergwerken, Bauhöfen und Werkstätten.
Von den Bestimmungen seien nur erwähnt (das Gesetz, abgedruckt bei Lohmann, s. unten): Das normale Minimalalter der Beschäftigung ist 12 Jahre (ausnahmsweise 10), die Maximalarbeitszeit für 10-12jährige 6 Stunden, für 12-15jährige 12 St., wenn sie den ersten Elementarunterricht genossen haben, sonst 6 St., für 15jährige 12 St. Verboten ist die Nachtarbeit für Personen unter 16 Jahren, in Hüttenwerken und Manufakturen auch für Mädchen von 16-21 Jahren; Sonntags und Feiertags darf keine dieser Personen zur Arbeit verwendet werden etc. Eine besondere Inspektion wurde angeordnet (s. Fabrikinspektion). Das Gesetz vom (dazu Dekret vom welches den Normalarbeitstag von 12 St. für sämtliche Arbeiter in Fabriken einführte, ist nicht zur praktischen Durchführung gelangt. - In Dänemark: [* 7] Gesetz vom Schweden: [* 8] Verordnung vom Holland: Gesetz vom (Abdruck der Gesetze bei Lohmann, s. unten), in Rußland: Gesetze vom und
In den Vereinigten Staaten [* 9] von Nordamerika [* 10] ist die Fabrikgesetzgebung Sache der Einzelstaaten. Die Union hat für die in ihren Werkstätten beschäftigten Arbeiter den achtstündigen Arbeitstag durch Gesetz vom eingeführt. Fast alle industriellen Staaten (18) der Union haben fabrikgesetzliche Bestimmungen: 14 über Kinderarbeit, 13 über jugendliche Personen, 4 über weibliche Arbeiter. Die Bestimmungen sind in den einzelnen Staaten verschieden. Die älteste, umfangreichste und interessanteste Fabrikgesetzgebung dieser Art hat Massachusetts.
Ein legaler Arbeitstag besteht in einer Reihe von Staaten, teils von 10 St. (7 Staaten), teils 8 St. (6 Staaten); aber nur in 3 Staaten ist die Vorschrift keine zwingende, die andern gestatten die vertragsmäßige Abrede einer längern Arbeitszeit. 10 Staaten haben eigne arbeitsstatistische Bureaus (s. Arbeitsämter), und ebenso haben 10 Staaten besondere Gesetze zum Schutz von Bergwerksarbeitern. Im allgemeinen entspricht die dortige Fabrikgesetzgebung keineswegs den berechtigten Anforderungen (vgl. über diese Fabrikgesetzgebung besonders Tait, s. unten).
Da bei der internationalen Konkurrenz diejenigen Länder, welche ihre Industrie durch eine Fabrikgesetzgebung nicht beschränken, leicht vor andere einen Vorsprung gewinnen, so wurde auch mehrfach der Gedanke angeregt, es möchten die Hauptindustrieländer Vereinbarungen miteinander treffen, auf Grund deren sie alle ihre Fabrikgesetzgebung nach gewissen gemeinsamen Grundsätzen regelten. Doch hat eine solche internationale Fabrikgesetzgebung wegen der Verschiedenartigkeit aller einschlägigen Verhältnisse zur Zeit keine Aussicht auf Verwirklichung.
Litteratur. »Verhandlungen der Eisenacher Versammlung zur Besprechung der sozialen Frage« (Leipz. 1873);
»Schriften des Vereins für Sozialpolitik«, Bd. 2 u. 4 (das. 1873 u. 1874);
Schönberg in seinem »Handbuch der politischen Ökonomie« (dort auch weitere Litteratur);
Brentano ebenda; Derselbe, Das Arbeitsverhältnis gemäß dem heutigen Recht (Leipz. 1877);
Lohmann, Die Fabrikgesetzgebung der Staaten des europäischen Kontinents (Berl. 1877);
v. Plener, Die englische Fabrikgesetzgebung (Wien [* 11] 1871);
v. Bojanowski, Die englischen Fabrik- und Werkstättengesetze bis zum Gesetz von 1874 (Berl. 1876);
Derselbe, Das englische Fabrik- und Werkstättengesetz von 1878 (Jena [* 12] 1882);
Tallon u. Maurice, Legislation sur le travail des enfants dans des manufactures (Par. 1875);
Morillot, Du travail des enfants dans les manufactures (das. 1877);
v. Scheel, Die Fabrikgesetzgebungen der Kantone der Schweiz [* 13] etc. (in den »Jahrbüchern für Nationalökonomie«, Bd. 20, 1873);
Cohn, Die Bundesgesetzgebung der Schweiz etc. (das. 1879);
Böhmert, Arbeiterverhältnisse und Fabrikeinrichtungen der Schweiz, Bd. 1 (Zürich [* 14] 1873);
Tait, Die Arbeiterschutzgesetzgebung in den Vereinigten Staaten (Tübing. 1884). ¶