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der Ewige Jude nach dem Bericht des Astrologen Guido Bonatti, welcher im 15. Jahrh. lebte, 1267 zu Forli und im 14. Jahrh. nach der Mitteilung des Chronisten Tizio zu Siena gesehen. Er wird dort Buttadeus (Buttadio) genannt, ein Name, unter welchem er noch heute in Italien [* 2] bekannt ist, und der von dort auch in die Bretagne drang (Boudedeo). Im 16. Jahrh. (1542) sah der Student Paulus von Eiben, späterer Bischof von Schleswig, [* 3] den Helden der Sage, wie er mitteilt, in Hamburg [* 4] während der Predigt barfuß der Kanzel gegenüberstehen, will dann weiter nach seinem Schicksal geforscht haben und erstattete darüber seinen Schülern einen Bericht, den einer von ihnen, Chrysost.
Dädalus, 1564 zum Druck beförderte. Dieser Bericht bildet den Inhalt des Volksbuches vom Ewigen Juden, das als solches in erster Ausgabe 1602 zu Leiden [* 5] erschien, seitdem oft aufgelegt und erweitert (erneuert in Simrocks »Deutschen Volksbüchern«) sowie auch ins Lateinische, Französische und Holländische [* 6] übersetzt wurde. Von jetzt an taucht die Gestalt des Ahasver öfters auf, z. B. in den Niederlanden unter dem Namen Isaak Laquedem, in Spanien [* 7] unter dem Namen Juan Espera-en-Dios (»Hoff auf Gott«); dort soll er eine schwarze Binde auf der Stirn tragen, mit welcher er ein flammendes Kreuz [* 8] bedeckt, das sein Gehirn [* 9] ebenso schnell, wie es wächst, wieder verzehrt. In Bern [* 10] u. a. O. bewahrt man seine großen Schuhe.
Die Sagenperson des Ewigen Juden (die beiläufig von den Gelehrten als eine Spiegelung [* 11] Wodans, als des wilden Jägers, gedeutet wird) hatte somit Existenz gewonnen und trat nun auch ihre Wanderung durch das Reich der Poesie an, hier aber, im Gegensatz zu der Faustsage, bis auf die neueste Zeit in steter Wandlung und Fortbildung begriffen. Denn während durch die verschiedenen Faustdichtungen stets derselbe Grundgedanke geht, erscheint in den poetischen Bearbeitungen der Sage vom Ahasver der ursprüngliche Gedanke mannigfach gedeutet, nach verschiedenen, oft großartigen Gesichtspunkten erweitert und mit andern Ideen und Personen verknüpft.
Wir erinnern zunächst an das Fragment von Goethe (1774), der ihn zum Helden eines Epos machen wollte, an die Schilderung Schubarts in dessen bekannter Rhapsodie, an die Gedichte von A. W. Schlegel (»Die Warnung«),
Al. Schreiber, Ed. v. Schenk, G. Pfizer, W. Müller, N. Lenau, Zedlitz (»Die Wanderungen des Ahasverus«, Fragment) u. a., welche den Ewigen Juden zum Gegenstand haben. Eine großartige Behandlung findet die Sage in Mosens epischem Gedicht »Ahasver« (1838),
worin der Ewige Jude in schroffen Gegensatz zum Christentum tritt. Nicht also, vielmehr für die »Religion der Liebe« eintretend erscheint die Sagengestalt in dem Roman von Eug. Sue (1845),
der dem Ewigen Juden auch eine Ewige Jüdin beigesellt. Schon früher hatte Edgar Quinet ein merkwürdiges Mysterium: »Ahasvère« (1833),
geschrieben, das er als eine »Geschichte der Welt, Gottes in der Welt und des Zweifels in der Welt« hinstellt. In andrer Weise macht den Ewigen Juden L. Köhler in dem Gedicht »Der neue Ahasver« (1841) zum Propheten der Freiheit. Levin Schücking führte ihn in der Episode »Die drei Freier« seines Romans »Der Bauernfürst« (1851) vor. Nach einer ziemlich unbedeutenden Novelle von Fr. Horn dichtete Klingemann sein Trauerspiel »Ahasver« (1827),
dessen Titelrolle L. Devrient mit Vorliebe spielte. Voll erhabener Gedanken ist das betreffende Gedicht von Andersen, der den Juden zum »Engel des Zweifels« und zugleich zum Vertreter des starren Jehovahglaubens macht, eine Auffassung, der auch S. Heller in seiner Dichtung »Ahasverus« (1866) und A. Herrig in seinem Drama »Jerusalem« [* 12] (1874) beitritt, während Hamerlings Epos »Ahasver in Rom« [* 13] (1866) den Ewigen Juden als den ewigen, d. h. qualvoll immer lebenden, strebenden und ringenden, Menschen hinstellt. Auch Giseke hat ein Epos: »Ahasverus, der Ewige Jude« (1864) veröffentlicht, sowie neuerdings Carmen Sylva eine dichterische Behandlung der Sage (»Jehova«, Leipz. 1882), worin Ahasverus wieder als Typus des Zweifels geschildert wird.
Vgl. Grässe, Der Tannhäuser und Ewige Jude (2. Aufl., Dresd. 1861);
Helbig, Die Sage vom Ewigen Juden, ihre poetische Wandlung etc. (Berl. 1874);
Conway, The wandering jew (Lond. 1881) und die Schriften von Neubaur (Leipz. 1884) u. P. Cassel (Berl. 1885).