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I. Wollhaarige (Ulotriches);
a) Büschelhaarige (Lophocomi): Hottentoten, Papua;
b) Vlieshaarige (Eriocomi): Neger, Kaffern.
II. Schlichthaarige (Lissotriches);
a) Straffhaarige (Euthycomi): Australier, Hyperboreer, Amerikaner, Malaien, Mongolen;
b) Lockenhaarige (Eupeocami): Drawida, Nuba, Mittelländer.
Die Merkmale, nach welchen das menschliche
Geschlecht in
Rassen einzuteilen ist, können unterschieden werden in anatomische,
physische, physiologische und physiognomische. Hier, wo es sich um die Form des
Schädels, den
Gesichtswinkel,
die Insertionsweise der
Zähne,
[* 2] die Verhältnisse des
Körpers, um Hautfarbe,
Stellung, Form und
Farbe der
Augen und
Haare,
[* 3] Bartbildung,
um
Blutumlauf,
Atmung,
Verdauung, um Gesichtsausdruck,
Gesten, Mienenspiel etc. handelt, hat die
Anthropologie einzutreten und
der Ethnographie
[* 4] vorzuarbeiten. Es schließt sich hieran die Beachtung der sprachlichen Merkmale,
die in der Ethnographie
oft von großer Wichtigkeit bezüglich der
Verwandtschaft der
Völker werden können, im allgemeinen aber in
unsrer
Wissenschaft sekundäre Bedeutung haben.
Die
Sprache
[* 5] gehört nicht zu den natürlichen, einer
Rasse, einem
Volk oder
Individuum inhärierenden
Charakteren. Sie wird nicht
ererbt, sondern erlernt, und ihr
Wechsel bei ganzen Völkern wie bei Individuen ist eine bekannte
Thatsache.
Ähnlich verhält es sich mit der
Religion, welche für die
Klassifikation der
Völker ohne Wert ist, so bedeutsam sie auch
für die Ethnographie
im allgemeinen erscheint. Von speziellem Wert für die Ethnographie
ist die
Beobachtung des
Typus, welcher
einer
Bevölkerung
[* 6] eigen ist, wiewohl zur Würdigung dieser feinen, fast unmeßbaren
Nüancen eine sehr gute
Beobachtung nötig
ist; neben dem Nationaltypus finden der
Klassen- und Ständetypus ihre Würdigung.
Auch die geistige und moralische Begabung gehören wie Fehler, Mängel und
Gebrechen hierher. Dieselben sind teils allgemeiner,
teils lokaler
Natur, und erstere, wenn sie bei der großen Mehrheit der Bewohner eines
Landes sich finden,
bilden in ihrer Gesamtheit den Nationalcharakter, wie man z. B. vom Handelsgeist und dem
kolonisatorischen
Geschick der
Engländer, vom Schachergeist der
Juden redet. Die
Rassen als solche sind geistig mehr oder minder
begabt, und eine
Abschätzung nach ihrem Wert in dieser Beziehung gehört ebensowohl in den
Rahmen der
Ethnographie
wie die Beachtung der pathologischen Eigentümlichkeiten, die
Neigung zu
Mißbildungen,
Affektionen und
Krankheiten, die mit
den klimatischen Verhältnissen oder der
Rasse zusammenhängen
(Kropf,
Albinismus,
Ophthalmie,
Aussatz,
Elefantiasis,
Fieber,
Schwindsucht).
Unter den sprachlichen Erwägungen, welche für die Ethnographie
von Wert sind, haben wir zunächst
die
Frage nach der
Verwandtschaft der
Sprache zweier
Völker ins
Auge
[* 7] zu fassen, wobei eine bloße (oft zufällige) Übereinstimmung
einzelner
Wörter keineswegs genügend erscheint; ebensowenig kann ein
Kriterium der
Verwandtschaft in der Bildungsweise zweier
Sprachen liegen, welche nur ein bestimmtes Entwickelungsstadium bezeichnet. Die genetische Übereinstimmung
zweier
Sprachen wird nur dargethan, wenn
Ähnlichkeiten und Übereinstimmungen in ihrem grammatischen
Bau und in ihren Grundbestandteilen,
den
Wurzeln, vorhanden sind.
In das Gebiet der Ethnographie
gehörten ferner die geographische
Ausdehnung
[* 8] und Begrenzung der
Sprachen (Sprachgebiete) sowie die
Frage
nach der Koexistenz verschiedener
Sprachen, denn in Gebieten mit scharf getrennten
Kasten und
Klassen können
auf demselben Gebiet zwei oder mehr
Sprachen
vorkommen: das
Idiom der Eroberer und dasjenige der Besiegten, oder die
Sprache
der höhern
Kasten und diejenigen der untern Volksklassen. So gibt es Rangsprachen in
China;
[* 9]
bei den
Kariben war eine Weibersprache
neben der Männersprache bekannt. Im Anschluß hieran hat die Ethnographie
sich mit der Zeichen-
und Gestensprache nach Art der Taubstummen, wie sie z. B. bei den amerikanischen
Indianern gebraucht wird, sodann mit den
Anfängen und
Substituten der
Schrift sowie mit dieser selbst zu befassen, und oft kann es von Wichtigkeit sein und ethnograph
ische
Aufschlüsse herbeiführen, wenn die
Zahlensysteme verschiedener
Völker miteinander verglichen werden.
Es gibt
Völker, die nur 1, 2, 3 zählen und alles darüber Befindliche mit »viel«
bezeichnen, während andre nach dem
Dezimal-, wieder andre nach dem Vigesimalsystem rechnen.
Kerbhölzer, die Wampumgürtel der Indianer und Knotenschnüre (Quipus) der alten Peruaner sind hierher gehörige primitive Mittel, um Mitteilungen und Zählungen oder Rechnungen zu machen, wo Schrift und Ziffern fehlen.
Von der allergrößten Wichtigkeit ist das Studium der Sitten und Gebräuche eines Volkes, insofern aus denselben auf Ursprung und Vergangenheit geschlossen werden kann. Eingelebte Gebräuche bleiben lange erhalten, und alle haben oder hatten einmal, so sonderbar sie auch jetzt erscheinen mögen, Sinn und Berechtigung. Selbst nachdem der Ideenkreis, die Weltanschauung eines Volkes sich ganz geändert haben, bleiben sie. Zu unterscheiden ist zwischen natürlichen Gewohnheiten und Nachahmungen.
Die erstern sind die Folgen gegebener Verhältnisse, finden sich daher bei allen Völkern auf gleicher Kulturstufe oder unter den nämlichen Lebensbedingungen. Diese Sitten haben den Wert eines deskriptiven Elements, eines charakteristischen Bestandteils der Volksbeschreibung, während den Nachahmungen bloß historische Bedeutung zukommt. Es wäre aber ein großer Fehlschluß, aus Übereinstimmung und Ähnlichkeit [* 10] in den Anschauungen und Gebräuchen räumlich weit voneinander getrennter und ethnisch verschiedener Völker sofort auf Verwandtschaft derselben oder Entlehnung solcher Sitten und Vorstellungen schließen zu wollen. Je weiter und eingehender man eine solche Sitte oder Anschauung über die Erde verfolgt, desto häufiger zeigt sich das unabhängige Entstehen derselben, und wir gelangen zu dem Schluß, daß zur Erläuterung derartiger Übereinstimmungen, bei denen Entlehnung ausgeschlossen ist, auf die psychologischen Anlagen des Menschen zurückgegangen werden muß.
Wie die Menschen gleich sehen, hören, schlafen, essen, so sind auch ihre geistigen Funktionen in ihren wesentlichen Zügen dieselben, allerdings nach Rasse und Lebensraum variierend. Die menschliche Natur zeigt sich überall als dieselbe, und Menschen wie Völker besitzen, wenn sie auf derselben gleichartigen Entwickelungsstufe angelangt sind, unabhängig voneinander dieselben Ideen und technischen Fertigkeiten. Überall ist der zugehauene Feuerstein die ursprüngliche Waffe oder das erste Gerät;
die Anfänge der Töpferei sind überall gleich;
der Tumulus hat in Europa [* 11] die gleiche Form wie in Nordamerika; [* 12]
der Glaube an gute und böse Tage (Tagewählerei) ist über die ganze Erde verbreitet, wie die Vorstellung, daß Menschen sich zeitweilig in Tiere verwandeln können (Werwolf);
überall kommt der Vampiraberglaube vor;
Speiseverbote finden sich bei den meisten Völkern.
In das Gebiet der Ethnographie
fallen hier eine große Zahl von Einzelerscheinungen, welche an und für sich vielleicht
unwesentlich
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erscheinen, die aber in ihrer Gesamtheit die Lehre [* 14] vom Menschen mit aufbauen helfen. Wir erwähnen z. B. als dahin gehörig: die Begrüßungen sehr verschiedener Art, wie das Nasenreiben mancher nordischer und Südseevölker;
die Eidesformen (Schwören bei Steinen, beim Bären in Sibirien);
die Gastfreundschaft, die bei verschiedenen Völkern bis zum Mitgenuß der Frau durch den Gastfreund ausgedehnt wird;
das Tabu, ein religiöser Bann, der auf Menschen und Dinge, namentlich in der Südsee, sich erstreckt;
die Blutrache, noch als Vendetta auf Corsica [* 15] bekannt, bei Albanesen, Arabern und vielen Völkern noch vorhanden, aber oft ablösbar durch Buße (Wergeld der Germanen);
der Zweikampf, selbst unter den Naturvölkern vorkommend, und die Gottesgerichte oder Ordalien, die im Trinken des giftigen Tangina auf Madagaskar [* 16] oder des Nkassa (einer Strychnos) in Westafrika viele Opfer fordern;
die Geschlechtsgenossenschaft in ihren verschiedenen Stadien: von der Promiscuität und Polygamie bis zur Monogamie, die Exogamie (Nehmen der Frauen aus fremdem Stamm), die Endogamie (Nehmen der Frau aus dem eignen Stamm), die Polyandrie (Vielmännerei in Tibet, Indien), der Frauenkauf und Frauenraub, die Mitgift, die Verlobungs- und Hochzeitsgebräuche.
Die Keuschheit ist bei vielen Völkern nicht geschätzt und namentlich das Mädchen vor der Verheiratung im geschlechtlichen Verkehr völlig ungebunden, während bei der Frau, sobald sie Eigentum des Mannes wird, die strengste Treue verlangt wird. Die Gebräuche bei Schwangerschaft und Niederkunft, Abortus und Kindermord, die wunderbare Sitte der Couvade oder des Männerkindbetts, wo der Mann sich ins Wochenbett legt (bei Iberern, Basken, Südfranzosen, Miaotse, Südamerikanern), die Taufe oder deren Substitute, die sehr weit verbreitete und in verschiedenen Formen vorkommende Beschneidung, der Kannibalismus, die Stellung der Geisteskranken, die Kriegsgebräuche, die Leichenzeremonien und Bestattungsgebräuche, die Trauer und der Totenkultus, diese alle sind hier zu berücksichtigen.
Wie Sitten und Gebräuche, gehören auch Ideenwelt, Glaube und Religion eines Volkes in den Rahmen der Ethnographie.
Um ein Volk kennen zu
lernen, muß man sich mit seinem Denken vertraut machen. Seine Auffassung der Dinge, die Eigenschaften und
Kräfte, welche es ihnen beilegt, sein Glaube und Aberglaube bestimmen seine Handlungen. Nur eine genaue Kenntnis der Anschauungen
eines Volkes gibt uns die Mittel zum Verständnis seiner Entschließungen, seines ganzen Verhaltens und läßt uns den Geist
seiner Institutionen erfassen.
Die Ethnographie hat hier unter anderm zu berücksichtigen die kosmogonischen Vorstellungen und Systeme der Völker, ihre Erklärung der Naturerscheinungen (der Gestirne, Erdbeben), [* 17] ihren Glauben an Geister und Götter, die Vorstellungen von der Seele und von einem künftigen Leben, die Anbetung der Naturkräfte (Naturalismus), den Fetischdienst, den Götzen- oder Bilderdienst und den Reliquienkultus, den Schamanismus, Polytheismus, Dualismus und Monotheismus, die Konfessionen, [* 18] Sekten und kirchlichen Gebäude, die Priester, den Kultus, Ritus und die Zeremonien, den Aberglauben in seinen mannigfachen Formen. - Schmuck, Kleidung, Tättowierung, Abzeichen, Bemalung, Waffen, [* 19] Geräte, Haar- und Barttracht, künstliche Verunstaltungen (Verlängerung [* 20] des Ohrläppchens, Flachdrücken der Nase [* 21] und des Schädels, Feilen der Zähne, Verkrüppelung der Füße) aus falschem Schönheitsgefühl, die Nahrungsweise, die Zubereitung der Speisen, das Feuer und dessen Unterhaltung, die Mahlzeiten, die Getränke, die oft heiliger Natur sind, die Anwendung von Reizmitteln (Fliegenschwamm, Betel, Haschisch, Opium etc.), die Art der Wohnungen vom Blätterschirmdach des Australiers bis zu den Bauten der Kulturvölker, die Lebensweise in geselliger und politischer Beziehung, die Organisation der Familie, der Gesellschaft und des Staats, endlich die Verhältnisse des Rechts und Eigentums sind in das Gebiet der Ethnographie einzubeziehen und dabei stets Rücksicht auf den Vergleich zu nehmen. Nach allen diesen Richtungen hin aber sind Ethnographen und Reisende thätig, um das Baumaterial für diese weitumfassende Wissenschaft herbeizutragen, Material, welches oft noch in der letzten Stunde (beim Aussterben vieler Naturvölker) erlangt wird.
Erst nach solchen langen Vorbereitungen konnte die Ethnographie unsrer Tage als Wissenschaft hervortreten; sie verlangte die Kunde des Menschen und konnte nicht mit den Menschenschemen zufrieden sein, wie sie die Gedankenmalerei der Philosophie geschaffen hatte. Indem die Ethnographie, auf induktiver Grundlage vorwärts schreitend, an die Grenze der Physiologie gelangte, fand sie sich der Philosophie gegenübergestellt, mit der sie in Streit geriet. Beneke und Waitz trachteten die Psychologie als Naturwissenschaft auszubilden, sie aber und andre mußten an dem noch mangelnden Material scheitern.
Bastian war es, welcher hier zeigte, daß es sich nicht mehr um den Gedanken des Einzelnen handle, sondern um den Völkergedanken, um den Gedanken der Gesellschaft, und nun strömte das Material in Hülle und Fülle herbei. »Für die Ethnographie ist der Mensch nicht mehr der individuelle anthropos, jenes zoon politikon, das den Gesellschaftszustand als notwendige Vorbedingung seiner Existenz fordert. Das Primäre also ist der Völkergedanke, innerhalb welches sich der Einzelgedanke als integrierender Teil, seinen Verhältniswerten nach, wird fixieren lassen, und im Völkergedanken reflektiert sich die ganze Welt geistiger Schöpfung, an den ethnischen Horizont [* 22] projiziert.« (Bastian).
Und dieser Gesellschaftsgedanke wird uns die geistigen Schöpfungen, die psychischen Thaten des Menschengeistes vorführen in den religiösen Vorstellungen, in den Grundideen rechtlicher Institutionen und in allen Bedingungen des sozialen Lebens, wie es sich bald in weitgreifenden, erst angebahnten Ergebnissen fühlbar machen muß. Aufklärung für den Begriff des Gesellschaftsorganismus, wie er sich entwickelt hat, um in den Kulturvölkern seine höchsten Blüten zu treiben, haben wir aber durch ein systematisches Studium der Naturvölker zu erwarten. Sobald es uns gelungen, in den Naturvölkern den Gang [* 23] der Entwickelung zu durchschauen, haben wir einen Schlüssel gewonnen, um mit seiner Hilfe auch die komplizierten Gestaltungen höherer Gebilde aufzuschließen (Bastian, Der Völkergedanke im Aufbau einer Wissenschaft vom Menschen, 1881).
[Litteratur.]
Außer den bereits angeführten Schriften erwähnen wir hier nur noch folgende, welche mit der Ethnographie im allgemeinen sich befassen: Peschel, Völkerkunde (6. Aufl. von Kirchhoff, Leipz. 1885);
F. Müller, Allgemeine Ethnographie (2. Aufl., Wien [* 24] 1879, mit ethnographischer Weltkarte);
Ratzel, Völkerkunde (Leipz. 1885 ff., 3 Bde.);
Prichard, Naturgeschichte des Menschengeschlechts (deutsch von R. Wagner, das. 1840, 5 Bde.);
Pickering, The races of man (Lond. 1851);
Frankenheim, Völkerkunde (Bresl. 1852);
Waitz-Gerland, Anthropologie der Naturvölker (Leipz. 1859-71, 6 Bde.);
Diefenbach, Vorschule der Völkerkunde (Frankf. 1864);
Wood, Natural history of man (Lond. 1868, 2 Bde.);
G. Gerland, ¶