und es werden dann die
Riegen öfters abgesondert von den Wohnhäusern gebaut. Auch bei den
Wagen, die oft klein und niedrig
sind, findet man jetzt einen Fortschritt, insofern die noch vor einigen Jahrzehnten im ausschließlichen
Gebrauch befindlichen
ganz hölzernen, der
Nägel
[* 2] und des Eisenbeschlags entbehrenden
Wagen heutzutage zu den vereinsamten Überbleibseln
der Vergangenheit gehören.
BeimAckerbau ist das Dreifeldersystem vorherrschend, doch auch das Mehrfeldersystem nicht gerade
selten.
Ziemlich verbreitet ist daneben noch das sogen. »Küttisbrennen«,
d. h. die
Sitte, das gleichmäßig auf dem
Acker verteilte und mit
Rasen bedeckte gefällte Strauchwerk abzubrennen, um auf
diese
Weise dem Land höhere
Ernten abzugewinnen. Im esthnischen
Livland
[* 3] wird der Flachsbau mit
Eifer betrieben.
Im allgemeinen ist durch die liberale
Gesetzgebung der letzten Jahrzehnte, eifrig gepflegten Schulunterricht (jeder erwachsene
Esthe versteht mehr oder weniger gut zu lesen, während die gleichzeitige Kenntnis des Schreibens erst bei der jüngern
Generation
in
Aufnahme kommt), eine sehr regsamePresse
[* 4] (es bestehen fünf sehr verbreitete
Zeitungen in esthnischer
Sprache)
[* 5] und durch den wachsenden Wohlstand ein im
Vergleich zu den frühern Verhältnissen großer Aufschwung hervorgerufen
worden. - Die Esthen haben, gleich den stammverwandten
Kuren und
Liven, seit den ältesten
Zeiten die
Küsten der
Ostsee bewohnt und
sind unter den Fenni des
Tacitus mit begriffen.
Die Unwahrscheinlichkeiten des ganzen
Berichts sind so massenhaft und die Rachgier, welche die
Phantasie des Verfassers leitet,
so handgreiflich, daß schon
Luther den stärksten Anstoß an dem
Buch nahm, welches übrigens auch den
NamenGottes nicht nennt und bloß eine legendenhafte
Erklärung der Entstehung des jüdischen Purimfestes darstellt. Seine
Abfassung fällt in das
Zeitalter der
Ptolemäer und
Seleukiden. In der
Septuaginta und
Vulgata finden sich noch verschiedene
Ausschmückungen der alttestamentlichen
Erzählung, welche
Luther unter dem
Namen
»Stücke in Esther« größtenteils zusammenfaßte
und den
Apokryphen zugesellte.
Vgl.
Oppert, Commentaire du livre d'E. d'après la lecture des inscriptions perses (Par. 1864).
Unter den dramatischen
Dichtungen, welche die Geschichte der Esther zum Gegenstand haben, stehen das berühmte Spätlingswerk
Racines (1689) und
Grillparzers unvollendetes
Drama »Esther« (1845) obenan.
[* 3] (nach der im Land üblichen Schreibweise Ehstland, neuerdings Estland, lat.
Estonia, von den
Esthen Wiroma, »Grenzland«, auch Eesti Maa oder Meie Maa, »unser
Land«, von den
Letten Iggaunu Semme, »Land der Vertriebenen«, genannt),
liegt mit Einschluß der dazu gehörigen
Inseln
(Dagö,
Worms,
[* 7] Nuckö
etc.) zwischen 58° 19' u. 59° 49' nördl.
Br. und zwischen 22° 2' und 28° 12' östl. L. v. Gr.,
grenzt im N. an den
FinnischenMeerbusen, im O. an das
Gouvernement St.
Petersburg
[* 8] (durch die
Narowa von demselben geschieden),
im
S. an
Livland und den Peipussee und im
W. an die
Ostsee und umfaßt einen Flächenraum von 20,247 qkm
(367,7 QM.). Die
Ausdehnung
[* 9] der Wassergrenzen beträgt 838 km. Esthland bildet einen sich von W. nach
O. hinziehenden flachen, etwas gewellten Landrücken, der sich von der Meeresküste im W. allmählich erhebt, eine durchschnittliche
Höhe von 60-120 m erreicht und nach O. wieder zur
Narowa hinabsinkt.
Nach N. senkt sich das Land von der Mitte mehr terrassenförmig und fällt dann, bisweilen schroff, zur
Küste ab. Nach S.
gegen
Livland ist die
Senkung eine sehr allmähliche. Der höchste
Punkt Esthlands ist im
NO. der Emmo Mäggi (»Mutterberg«, 154 m).
Die flachen, muldenförmigen Vertiefungen der großen Flußbetten verleihen dem Land mehrfach ein etwas
gewelltes Ansehen. Ein ziemlich ansehnlicher Teil der Oberfläche ist mit
Wald und Buschwerk bedeckt, oder es finden sich
ausgedehnte
Moräste, die häufig auch mit
Wald bestanden sind.
Zahlreiche
Flüsse
[* 10] und
Bäche durchfließen das Land; sie haben meist einen trägen
Lauf und sumpfige, schilfige
Ufer. Selten schneiden die
Flüsse tiefere
Betten ein und bilden dann schöne, steile, bisweilen belaubte Felswände. Nur der
Grenzfluß
Narowa ist vom Peipussee bis zu seinem schönen
Fall in der
Nähe von
Narwa schiffbar. Bemerkenswerte
Flüsse oder
Bäche sind: der Kasargenfluß, der Kegelsche und Fallsche
Bach mit einem
Wasserfall von 6 m
Höhe unweit
seiner Mündung, der Brigittenbach, der Jeglechtsche oder Jaggowalsche
Bach mit einem schönen, 7 m hohen
Wasserfall unweit
seiner Mündung und der Witna oder Loxa, die alle mit Ausnahme des ersten, welcher von O. nach W. in die
Ostsee geht, in
nördlicher
Richtung in den
FinnischenMeerbusen strömen.
Eine große Anzahl kleiner Landseen (man zählt deren über 200) ist über den ganzen esthländischen Landrücken verteilt,
sie finden sich öfters inmitten der
Moore. Eine Unzahl größerer und kleinerer erratischer Granitblöcke ist über das ganze
Land hingestreut. In geognostischer Beziehung bestehen dieKüsten des
FinnischenMeerbusens hauptsächlich
aus einem dichten
Kalkstein, der sich durch die vielen wohlerhaltenen
Trilobiten- und Orthoceratitenversteinerungen, welche
er enthält, auszeichnet und in ziemlich horizontalen
Lagen von 10 bis 20 m
Mächtigkeit vorkommt. Er liegt auf einem feinkörnigen
Sandstein, der sich an der
Küste bis höchstens 40 m über das
Meer erhebt und zu seinem Liegenden wiederum
einen gräulichgrünen
Thon hat, der zunächst über dem Meeresspiegel erscheint. Der
Sandstein ist versteinerungsleer, jedoch
findet sich in ihm
Bernstein
[* 11] eingeschlossen. Die untern
Schichten des
Kalksteins enthalten häufig kleine
Körner von
Grünerde,
wie der
Grünstein der
Kreideformation,
[* 12] und werden von dem unter ihnen liegenden
Sandstein durch dünne
Lagen von
Grünerde, durch bituminösen
Thonschiefer,
Eisenkies
[* 13] und durch Muschelfragmente getrennt, welche Zwischenschichten
im
¶
mehr
ganzen eine Mächtigkeit von etwa 1,7 m erreichen. NachL. v. Buch stimmt der esthländische Kalkstein durch seine Versteinerungen
vollkommen mit dem von Gotland überein und muß, wie dieser, zur Übergangsformation gerechnet werden. Das Klima
[* 15] ist im Innern
des Landes infolge der Sümpfe und Moräste unfreundlich und sehr veränderlich, im Sommer oft drückend
heiß und im Winter kalt. Auf den Inseln und an der Küste mildert die See die schroffen Übergänge. Westwinde herrschen vor
und sind oft sehr heftig. In Reval
[* 16] beträgt die mittlere Jahrestemperatur +4,1° C., wovon sich auf den Winter -6,1, auf den
Frühling +1,4, auf den Sommer +15,6 und auf den Herbst +5,6° verteilen. Die Zahl der Regen- und Schneetage
beträgt jährlich 129-130, die Menge des Regens und der sonstigen atmosphärischen Niederschläge = 478 mm.
Die Bevölkerung
[* 17] (1882: 379,875 Seelen, d. h. 19 auf 1 qkm) bekennt sich größtenteils zur protestantischen Religion, nur 4 Proz.
gehören der griechisch- und der römisch-katholischen Kirche an. Die Zahl der Lebendgebornen betrug 1884:
11,704, die der Gestorbenen 8453, die der geschlossenen Ehen 2741. Die städtische Bevölkerung repräsentiert gegen 16 Proz.
der Gesamtbevölkerung. Zwischen Esthen und Esthländern unterscheidet man. Unter den erstern versteht man die eingeborne
ländliche Bevölkerung, der letztere Ausdruck wird vorzugsweise für die im Land geborne deutsche Bevölkerung
gebraucht.
Die Esthen reden der großen Mehrzahl nach ihre eigne Sprache (s. Esthen), die Esthländer sprechen deutsch. Deutsch ist die Sprache,
in welcher alle alten Gesetze abgefaßt sind, sowie die Umgangssprache der Gebildeten und die Sprache des höhern Unterrichts.
Erst in der neuesten Zeit fing auch das Russische
[* 18] an, sich neben dem Deutschen Platz zu machen. Natürlich
wird auch deutsch gepredigt, nur für die Bauern esthnisch. Auf einigen Inseln und im Küstengebiet wohnen ca. 5000 schwedische
Bauern, denen schwedisch gepredigt wird.
Die Waldungen bestehen großenteils aus Nadelhölzern; doch gibt es auch viele Birken, Erlen und Weiden. Man findet in ihnen
Wölfe, Bären, Füchse, Hasen, bisweilen auch Elentiere. Die Viehzucht
[* 22] ist bedeutend; 1873: 63,620 Pferde
[* 23] (meist von der kleinen, aber ungemein kräftigen und gutartigen esthnischen Rasse), 189,672 StückRindvieh, 241,236 Schafe,
[* 24] 52,000 Schweine
[* 25] und 1566 Ziegen. Von der Gesamtfläche des platten Landes kamen 1873 auf das Ackerland 16,58, auf das Wiesenland
25,47, auf das Weideland 16,28, auf die Holzung 18,98 und auf die Moräste etc. 22,68 Proz. An der
Küste wird viel Fischerei
[* 26] getrieben, besonders Strömlingsfang.
Die Bauern weben Leinwand und gute Wollzeuge zur Kleidung, und auf den Inseln baut man Barken. Abgesehen von den Mühlen,
[* 27] zählte
man 1884: 202 Fabriken und diesen ähnliche gewerbliche Etablissements mit gegen 7000 Arbeitern und einem
Produktionswert von 28 Mill. Rubel. Bedeutend ist die Branntweinbrennerei, mit
der sich 157 Fabriken beschäftigen, die 158 Mill.
GradSpiritus
[* 28] erzeugten. Die größte Fabrik ist die Baumwollspinnerei und Weberei
[* 29] von Kröhnholm, deren Produktionswert 9 Mill.
Rubel beträgt, und die 4253 Arbeiter beschäftigt. Zu den übrigen Fabriken gehören eine Tuchfabrik, 6 Lederfabriken,
eine Papierfabrik, eine Lackfabrik, eine Zementfabrik, 5 Eisengießereien und mechanische Werkstätten, 2 Betriebe zur Anfertigung
von Marmorsachen, 2 Glashütten, 2 Zündholzfabriken, 3 Dampfsägemühlen etc. Außerdem gibt es etwa 46 Bierbrauereien, 29 Metbrauereien, 6 Destillaturen.
Die ländlichen Schulen wurden besucht von 21,961 Kindern beiderlei Geschlechts, es kam also ein Schulkind auf ca. 14 Einwohner.
Zur Heranbildung von Lehrern für diese Volksschulen wurden von der Ritter- und Landschaft zwei Seminare unterhalten. Esthland hat seinen
besondern Landtag, auf welchem aber nur die Gutsbesitzer erscheinen, und welcher alle drei Jahre zusammentritt. Die Verwaltung
ist wie im übrigen Rußland eingerichtet; für die Rechtspflege ist in oberster Instanz der Senat in St. Petersburg, in der
zweiten Instanz ein Oberlandesgericht kompetent. Esthland zerfällt in die vier Kreise:
[* 35] Harrien, Jerwen, die Wiek
und Wierland. In der Provinz selbst bedient man sich noch der alten Benennungen der sogen. Hakendistrikte und
teilt sie in zwölf ein, welche die NamenOst-, Süd- und Westharrien, Allentacken, Land- und Strandwierland, Waiwara, Ost- und
Südjerwen, Land-, Strand- und Insularwiek führen. Die Hauptstadt ist Reval. Wappen:
[* 36] drei liegende hellblaue
Löwen
[* 37] im goldenen Feld.
[Geschichte.]
In der ältesten Zeit lebten die Esthen zwischen Düna und Newa von Fischfang, Viehzucht, Ackerbau, daneben auch
von Jagd und Seeraub. Lange widerstanden sie dem Christentum, das seit dem 13. Jahrh. unter ihnen Verbreitung fand infolge des
von dem dänischen König Waldemar II. 1219 unternommenen Kreuzzugs, wodurch Esthland an Dänemark
[* 38] kam; um jene
Zeit wurde auch das BistumReval gestiftet. Da das Land ein unsicherer Besitz war und stete Streitigkeiten auch mit den Schwertrittern,
die darauf Anspruch machten, stattfanden, so verkaufte Waldemar III. 1346 das Land für 19,000 MarkSilber an den DeutschenOrden,
[* 39] und es bildete nun einen Teil Livlands. Die Esthen sanken besonders infolge wiederholter
¶