Aus der gräflichen
Linie Esterházy von Galantha-Forchtenstein ist zu nennen
Moritz,
Graf von Esterházy, geb. 1807, österreichischer
Diplomat, war
bis 1856 österreichischer Gesandter in
Rom, trat 1861 ohne
Portefeuille in das
KabinettSchmerling und war auch Mitglied des 1865 gebildeten
MinisteriumsBelcredi. Er gilt als eine Hauptstütze der klerikal-feudalen Reaktionspartei am
WienerHof.
[* 10]
Est,Est, guter
Muskatellerwein von
Montefiascone am
SeeBolsena, verdankt seinenNamen folgender
von W.
Müller dichterisch behandelten Anekdote: Auf einer
Reise gab der
Bischof Joh. v.
Fugger seinem
Diener den Auftrag, vorauszugehen
und an jede
Schenke, wo er guten
Wein finde, Est anzuschreiben. In
Montefiascone fand der
Diener den besten und schrieb deshalb
Est, Est, Est! an. Der
Bischof trank sich tot und erhielt von seinem
Diener die Grabschrift: »Est, est,
est! propter nimium Est hic
Joannes de
Fugger dominus meus mortuus est«, die sich noch in der
KircheSan Flavinio daselbst vorfindet.
Sie trieben von jeher mehr
Ackerbau als irgend ein andrer ihrer bloß jagenden und fischenden Bruderstämme,
gehörten aber auch zu den berüchtigtsten Seeräubern der
Ostsee, bis die
Dänen und später die
Deutschen sie unterjochten
und für mehrere
Jahrhunderte ausschließlich auf die Beschäftigungen des
Ackerbaues, der
Viehzucht,
[* 14] des Fischfanges und einer
wenig entwickelten bäuerlichen
Hausindustrie verwiesen. Sie wurden durch freiwilligen Beschluß der deutschen
liv- und esthländischen
Ritterschaft 1816 und 1819 von der
Leibeigenschaft, in den letzten Jahrzehnten allmählich auch vom
Frondienst und von der Bevormundung durch die Gutsherren befreit und sind in jüngster Zeit bei immer zunehmendem Wohlstand
vielfach in den
Besitz selbständiger
Höfe und selbst
Rittergüter gelangt.
Von den
Russen werden die Esthen Tschuchni oder Tchuchonzi (»Fremdlinge«),
von den
Letten, ihren südlichen Nachbarn, Iggauni (»Vertriebene«, mit
Anspielung darauf, daß die Esthen von den
Letten weiter
nach N. hinaufgedrängt wurden),
von den Finnländern Wirolaiset (»Grenzländer«) genannt. Sie selbst nennen
sich Tallopoëg (»Sohn der
Erde«) oder auch Maamees (»Mann des
Landes«). Während einer 600jährigen
Sklaverei
hat das
Volk der Esthen ungeachtet der endlich überall durchgedrungenen
Lehre
[* 15] des
Christentums und der steten Berührung mit den
Deutschen dennoch im großen und ganzen seine ursprüngliche
Nationalität, Körperbildung,
Sprache,
[* 16]
Gesinnung,
Tracht,
Wohnung,
Lebensweise und seine
Sitten reiner und unveränderter bewahrt als irgend eine andre europäische
Völkerschaft, und
während die Unterjochung der
Letten den
Deutschen im ganzen nicht schwer wurde, dauerten die
Kämpfe mit den Esthen ungemein lange
und waren sehr blutig.
Noch gegenwärtig ist das Mißtrauen der Esthen gegen die
Deutschen, ihre einstmaligen Unterdrücker, nicht völlig geschwunden,
wiewohl die deutsche
Ritterschaft schon seit geraumer Zeit und nicht ohne sichtlichen Erfolg durch verbesserte
Seelsorge,
Stiftung von
Schulen und andern
Instituten, wie z. B. der Bauernrentenbank, auf ein weit besseres Einvernehmen zwischen
der Landbevölkerung und den
»Herren« (saksad, d. h.
Sachsen)
[* 17] hingewirkt hat. Das
Wesen der Esthen war von jeher überhaupt rauh,
schroff und eckig und zeichnete sich durch
Falschheit, Trägheit und Gleichgültigkeit gegen jede Verbesserung
ihres Zustandes aus.
Daß diese Fehler jedoch nur
Produkte der traurigen äußern Verhältnisse sind, ursprünglich dagegen dem Esthen eine edlere
Natur innewohnt, davon zeugt das Sinnige, das sich bei ihm in seiner Betrachtungsweise der
Natur kundgibt, das tiefe
Gefühl,
das sich bei der Behandlung von
Kindern, schwächern und ältlichen
Personen offenbart, die richtige Beurteilung
des
Schicklichen und endlich die Innigkeit, mit welcher religiöse und moralische
Begriffe aufgefaßt werden. Merkwürdig ist
ihre entschiedene
Neigung zu kleinen Diebereien, während
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Einbrüche, größere Beraubungen etc. selten vorkommen. In geschlechtlicher Beziehung haben
sie ziemlich lockere Begriffe, doch kommt Ehebruch äußerst selten vor. Letztern nennen sie »tulli tö«, d. h.
eine That, die des Feuers wert ist; in der That wurde der Ehebrecher nach einem alten esthnischen Gesetz verbrannt. Der Wuchs
der Esthen ist weder schön noch kräftig, nur die Strandbewohner machen eine Ausnahme; die im
Innern des Landes aber sind um so kleiner, je härtere Sklaverei ihre Vorfahren erlitten, und je magerer die Scholle ist, die
sie nährt.
Kopf und Gesicht
[* 19] sind klein, breit und von gedrückter Form. Überhaupt lassen sich die mongolischen Gesichtszüge
nicht verkennen: weder die eng geschlitzten Augen noch die breiten Backen und der kleine Mund. Das meist schlichte, blonde oder
braune Haar
[* 20] hängt ungeschoren herab. Dichte Augenbrauen beschatten das tief liegende graue Auge,
[* 21] dessen gutmütiger Blick oft
mit den mißmutigen Gesichtszügen kontrastiert. Bei geringer Schulterbreite sind die Arme lang, die Hände
dagegen breit mit kurzen Fingern. Das breite Becken ist von hinten her abgeflacht und wird von kurzen Beinen und kleinen Füßen
gestützt, daher die Haltung nachlässig, der Gang
[* 22] schleppend ist.
Die esthnische Sprache gehört ihrem Grundstock nach der finnisch-ugrischen Gruppe der großen »ural-altaischen Sprachenfamilie«
(s. d.) an und zeichnet sich vor der finnischen durch größere Kürze und Gedrungenheit aus. Wie der ganze
Stamm des esthnischen Volkes sich in drei Hauptäste teilt, so zerfällt auch die Sprache in drei Hauptdialekte, die man nach
den vorzüglichsten Städten in den Kreisen, in welchen sie gesprochen werden, den dörptischen, revalischen (der für den
reinsten gilt) und pernauischen genannt hat.
Die Hauptmasse des Volkes ist durchweg national-esthnisch und versteht kaum ein WortDeutsch. Auch in allen bisher zur Bildung
der Bauern errichteten Schulen wird der Unterricht in der Sprache des Volkes erteilt. Sobald jemand unter den Esthen sich eine höhere
Bildung aneignet, tritt er zur deutschen oder (in vereinzelten Fällen) zur russischen Nationalität über.
Zur Pflege der Volkssprache besteht seit 1873 eine Litterarische Gesellschaft, deren Veröffentlichungen besonders für die
reifere Jugend bestimmt sind und sich über alle Lehrfächer erstrecken.
Vgl. Rosenplänter, Beiträge zur genauern Kenntnis
der esthnischen Sprache (Pernau 1813-32, 20 Hefte);
Derselbe, Über die Deklination
der esthnischen Nomina (das. 1844). -
Der Hang zur Poesie ist bei den Esthen ungemein stark. Wie die Letten, improvisieren sie bei allen ihren
Zusammenkünften Verse und Gedichte, die in einer melancholischen Tonart (immer nur fünf Töne umfassend) gesungen werden.
Sie singen und dichten (und zwar vorzugsweise die Frauen) bei allen ihren Arbeiten, im Wald, auf dem Feld, zu Haus, in den Spinnstuben,
in den Riegen (Scheunen) etc. Nachdem das große Nationalepos der Finnen, die Kalewala (s. d.), erschienen
war und die höchste Beachtung der europäischen Gelehrten hervorgerufen hatte, sann man auch in Esthland darauf, die Überbleibsel
des dortigen Volksgesanges zu sammeln, die dem Stoff und Charakter nach mit der »Kalewala« eine unverkennbare Verwandtschaft
zeigen, und nach vieljähriger Arbeit ist durch eine Reihe eifriger Kenner (Mitglieder
der 1838 gegründeten,
noch heute bestehenden »Gelehrten Esthnischen Gesellschaft«),
die alle alten Überreste der Volkspoesie sorgfältig aufspürten,
das Vernommene aufschrieben und später kombinierten, sonderten und ergänzten, ein Pendant zu dem finnischen Epos hergestellt
worden. Es führt den Namen »Kalewi Poëg« (»Sohn
Kalews«) und enthält 20 Gesänge mit im ganzen 19,087 Versen, welche sämtlich aus vierfüßigen Trochäen
bestehen, in denen statt des Reims
[* 24] die Assonanz und Allitteration vorherrschen. Der Herausgeber dieser interessanten Dichtung
(Dorp. 1857) ist Fr. Kreutzwald in Werro; eine Übersetzung besorgten K. Reinthal und Bertram (das. 1861).
Vgl. Schott, Die Sagen
vom Kalewi Poeg (Berl. 1863).
Andre Sammlungen veröffentlichten H. Neuß
[* 25] (»Esthnische Volkslieder, Urschrift und Übersetzung«, Reval
[* 26] 1850-52, 3 Tle.) und Kreutzwald
und Neuß (»Lieder der Esthen«, Petersb. 1854). Esthnische Sagen und Märchen gab gleichfalls Kreutzwald heraus (1866; deutsch von
F. Löwe, Halle
[* 27] 1869). Als eine vorzügliche Dichterin in esthnischer Sprache aus neuester Zeit wird Lydia
Jannsen genannt.
Hinsichtlich der Religion gehören die Esthen mit Ausnahme von 48,000 seit 1846 zur griechischen Kirche übergetretenen der lutherischen
Kirche an, deutsche Prediger halten den esthnischen Gottesdienst. Der Aberglaube, die Hexenkünste, das Gespensterwesen etc.
spielen bei den Esthen eine große Rolle. Der Johannistag ist ein Freudenfest. Bei den Taufen, Hochzeiten und
Leichen haben sie eigentümliche Gebräuche, die zum Teil noch aus der Heidenzeit stammen. (Vgl. Böcler und Kreutzwald, Der
Esthen abergläubische Gebräuche, Petersb. 1854.) Über ihre Mythologie vgl. Schwencks Werk »Mythologie der Slawen, Finnen etc.«
(2. Ausg., Frankf. a. M. 1855) und besonders Kreutzwald und
Neuß in den »Liedern der (s. oben),
wo sich über die Magie und Mythologie der alten Esthen eingehende Erörterungen
finden. Auch die Schriften über finnische Mythologie enthalten vieles hierher Gehörige, z. B. die von Jarander, Renvall,
Castrén (»Vorlesungen über finnische Mythologie«, deutsch von Schiefner, Petersb. 1853) und Schiefner, und haben jedenfalls
das Verdienst, die erste Anregung zu Forschungen über die Mythologie der Esthen gegeben zu haben.
Die Tracht der Esthen ist sich ziemlich gleich. Die meisten gehen in langen, schwarzen Röcken (ohne Kragen, Aufschläge etc.) von
einem Zeug, das sie Wattmann (Vadmel) nennen. Darunter tragen sie ein Wams von blauem Tuch, kurze lederne
oder leinene Hosen,
[* 28] wollene Strümpfe und statt der Stiefel eine Art Schuhe, Pasteln genannt, die, aus ungegerbter Kuhhaut gefertigt,
mit einer Schnur um den Fuß zusammengezogen werden, im Sommer einen runden Hut,
[* 29] im Winter eine Fuchspelzmütze und einen Schafpelz
ohne Überzug.
Die Weiber tragen faltige, bunt gestreifte wollene Unterröcke und einen eng anschließenden schwarzen
Oberrock, die verheirateten eine eng anschließende Mütze, Haube etc., die Mädchen des revalschen Kreises und auf den Inseln
dagegen ein breites Kopfband, Perg genannt. In neuerer Zeit jedoch beginnt die Nationaltracht mehr und mehr zu schwinden und
einer städtischen Platz zu machen. Wie die Kleidung, so sind auch die Wohnhäuser
[* 30] im Esthenland im allgemeinen
sich ähnlich, meist plump und roh und ohne Schornsteine, indem die Schlafkammern von den Riegen aus geheizt werden, wo der
Rauch zum Dörren des Korns von dem Ofen und Herd frei durchstreicht und durch die offen stehende Thür hinausgeht. Doch
kommen neuerdings die steinernen Schornsteine mehr und mehr in Gebrauch,
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