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nach Rom [* 2] wesentlich verändert, indem das den Griechen tief eingewurzelte Streben nach schöner Darstellung sowohl in der Gymnastik als in der Musik den Römern meist fremd blieb, wogegen am Tiber Hingebung an den Staat, Wertschätzung geschichtlicher Überlieferungen, kurz die konservative und patriotische Seite, bevorzugte Pflege fanden. Als die Monarchie ihre büreaukratischen Formen zur Durchführung gebracht hatte, entwickelte sich, namentlich seit Hadrian, ein ziemlich ausgebreitetes staatliches Schulwesen, und jener Zeit gehört auch die Erstarrung der alten Schulwissenschaften in der Form der sieben freien Künste, des Triviums: Grammatik, Rhetorik, Dialektik, und des Quadriviums: Arithmetik, Geometrie (einschließlich Geographie), Musik, Astronomie, [* 3] an, die den Zusammensturz der Alten Welt überdauert hat.
Dieser Zusammensturz kündigte sich übrigens auch auf dem Gebiet der Erziehung schon lange zuvor durch eine bedenkliche, von vielen ernstern Männern schwer empfundene Lockerung der Familienbande und Verweichlichung der Jugend an, die im schroffen Gegensatz zu der gerühmten Gravität der alten Römer [* 4] und der freilich auch sagenhaft übertriebenen Sittenstrenge der alten Catone stand. Nie darf überdies bei der Würdigung dessen, was wir als antike Erziehung kennen, vergessen werden, daß diese Art der Erziehung nur dem kleinsten Teil der Bevölkerung [* 5] zu teil wurde, indem auch bei den Römern vom Genuß derselben Sklaven und niederes Volk unbedingt und absichtlich ausgeschlossen waren. Nur wenige leise Anklänge an die Idee der allgemeinen menschlichen und Volkserziehung, wie sie der modernen Pädagogik zu Grunde liegt, finden sich im Altertum, namentlich bei den Stoikern und verwandten philosophischen Schulen.
Diese Idee trat als wirksamer Sauerteig durch das Christentum in die Alte Welt ein, war aber seit Jahrhunderten in der Entwickelung des Volkes Israel vorbereitet worden. Der feste Glaube an den einen lebendigen Gott, der Himmel [* 6] und Erde geschaffen hat, beseelte dies Volk und begründete zugleich die Anschauung von der Einheit des menschlichen Geschlechts und der nur thatsächlich durch das verschiedene Maß der Erkenntnis Gottes beeinträchtigten Gleichberechtigung aller seiner Glieder. [* 7]
Der Vorzug der reinen Gotteserkenntnis, wie sie im mosaischen Gesetz klassischen Ausdruck gefunden hatte, legte freilich auch hier die Gefahr überhebender Abschließung nahe; aber einerseits liegt doch schon in dem reinern Begriff der Volksgemeinde, wie er hier waltete, ein großer Fortschritt, und anderseits fehlte gegenüber der gesetzlichen Engherzigkeit in den guten Tagen der israelitischen Geschichte nie die Gegenwirkung des freiern, weiter blickenden prophetischen Geistes, der sich namentlich in der Vorahnung einer bessern Zukunft äußerte, in der alle Menschen vom Geist Gottes beseelt und zu einem Volk Gottes vereint werden sollten.
Zwischen diesen beiden Polen bewegt sich auch die israelitische Erziehung. Gerade als die buchstäbische Weisheit der Schriftgelehrten den edlern Geist der Prophetie ganz erdrückt zu haben schien, brach er in Jesus von Nazareth und seinem Jüngerkreis in seiner ganzen göttlichen Kraft [* 8] hervor und erneuerte das gesamte Leben der Menschheit. Ausgehend vom Glauben an den gnädigen Gott, der will, daß allen Menschen geholfen werde und alle zur Erkenntnis der Wahrheit kommen sollen, erwacht nun die reine Menschenliebe und beweist sich namentlich auch in der Pflege der Kleinen und Unmündigen, deren besonderer Freund der große Meister war.
Nun erst konnte die Erziehung eine wahrhaft menschliche, naturgemäße werden. Allerdings prägen sich große Ideen nur langsam in dem zähen irdischen Stoff aus, und wir selbst stehen noch mitten in diesem allmählichen Vorgang. Aber doch ist schon ein großer Schritt auf der richtigen Bahn geschehen. Zunächst galt es nach dem Zusammenbruch der alten Bildung und Weltordnung, die empfänglichen und begabten, aber noch rohen und gewaltthätigen Germanen für die edlere Lebensansicht des Christentums und die höhere Bildung der alten Völker zu gewinnen.
Die klösterliche und überhaupt die asketische der Mönche und Geistlichen in der katholischen Kirche hat in den Zeiten der Völkerwanderung und des frühern Mittelalters in dieser Richtung verdienstlich gewirkt, wenn auch in ihrer Grundidee schon eine Trübung der urchristlichen Lebensansicht liegt. Die kirchliche Erziehung des Laienstandes in der Kirchenzucht und Beichtpraxis kann als eine weitere Ausstrahlung von demselben Kernpunkt aus betrachtet werben und teilt Vorzüge und Nachteile mit ihr; der wesentlichste Mangel beider ist die Gleichgültigkeit oder in vielen Fällen gar der Gegensatz zu dem vaterländischen Interesse.
Dieses kam überhaupt im Mittelalter zu keiner rechten Geltung, indem selbst die weltlichen Formen der Erziehung ihre Ideale mehr aus dem Leben, den Aufgaben, dem Herkommen einzelner Stände (Ritterstand, Zünfte etc.) als aus dem gemeinsamen Leben des Vaterlandes hernahmen. Am reinsten finden wir noch das patriotische Element in den mächtigen Städten entwickelt, die in der zweiten Hälfte dieses Zeitalters emporkamen, während der Ritterstand in dieser Hinsicht merkwürdige Gegensätze aufweist.
Gegenüber dem Verfall aller mittelalterlichen Lebensverhältnisse predigte der Humanismus zuerst in Italien [* 9] im 14. und 15. Jahrh., dann aber auch in Frankreich, Deutschland, [* 10] England etc. die Rückkehr zu der edlen Menschlichkeit, wie sie im Altertum den Griechen und griechisch gebildeten Römern als Ziel der Erziehung vorgeschwebt hatte. Vielfach unterschätzten seine Anhänger dem gegenüber den Wert des christlichen Erziehungsideals, bis dies in der deutschen Reformation in klassischer Reinheit wieder dargelegt ward.
Beide Richtungen, nun miteinander im Bund, haben segensreich gewirkt. Aber die gelehrte Erziehung an der Hand [* 11] der Alten reichte nicht mehr aus, sobald die wissenschaftliche Erkenntnis über den von jenen erreichten Standpunkt hinauswuchs, und zugleich war durch die Reformation der echt christliche, vereinzelt, wie bei Karl d. Gr., auch im Mittelalter aufgetauchte Gedanke, daß die wesentlichen Grundlagen der Erziehung allen Ständen und Stufen gemeinsam sein müssen, mit treibender Kraft wieder erweckt. So zeigt sich zunächst, schon seit der Reformation, in den evangelischen Staaten Deutschlands, [* 12] allmählich, von da ausgehend, in allen gebildeten Völkern der Erde das Bestreben nach einer vernünftigen, planmäßigen Einrichtung der Erziehung in ihren verschiedenen, durch die Mannigfaltigkeit des Lebens bedingten Richtungen und das steigende Bewußtsein von der Pflicht des Staats, die Segnungen einer vernünftigen Erziehung dem ganzen Volk zugänglich zu machen.
Die in ihren einzelnen Lehren [* 13] wechselnden, aber doch innerlich zusammenhängenden Theorien, die seit J. A. ^[Johann Amos] Comenius (1591-1671), J. J. Rousseau (1712-78) und namentlich seit Joh. H. Pestalozzi (1746-1827) auf diesen Vorgang Einfluß gewonnen haben, berichtet die Geschichte der Pädagogik. Hier kann nur kurz darauf hingewiesen werden, wie in der Begründung einer allgemeinen Volksschule (zuerst in Deutschland und Skandinavien), in der Heranziehung des weiblichen Geschlechts zur öffentlichen Erziehung, in den besondern Veranstaltungen für die ¶
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Erziehung Viersinniger (Blinde, Taubstumme), Schwachsinniger, Verlassener (Waisenhäuser), Verwahrloster (Rettungshäuser) ebenso viele wesentliche Fortschritte der öffentlichen Erziehung liegen, und wie auch inhaltlich durch die sorgfältige Berücksichtigung des wirklichen Lebens, die Fürsorge für die Gesundheit (Schulhygieine) und für die körperliche Erziehung (Turnen, Jugendspiele etc.) und durch verbesserte Methoden der Unterricht erheblich an erziehender Kraft gewonnen hat. Anderseits ist nicht zu verkennen, daß auch in Deutschland, dessen Führerschaft auf diesem Gebiet allgemein anerkannt ist, noch viele Fragen und Aufgaben der rechten Lösung harren.
Daß dem Staate die Leitung der öffentlichen Erziehung gebühre, ist von der modernen Gesetzgebung einstimmig anerkannt. Die Kirchen haben weder die Macht, um die allgemein angenommenen Grundforderungen der öffentlichen Erziehung zur festen Durchführung zu bringen, noch bieten sie hinreichende Bürgschaft einer nationalen Erziehung. Anderseits kann ohne die schwerste Schädigung auch des Staats die religiöse Erziehung nicht zurückgesetzt werden. Die Kirchen müssen mitwirken. Aber die Grenze zwischen den beiderseitigen Pflichten und Rechten ist, namentlich gegenüber einer so geschlossenen Macht wie die römisch-katholische Kirche, schwer zu ziehen. - Kaum minder schwierig, wenn auch nicht ganz so tief eingreifend in das gesamte Leben des Volkes, ist die Frage nach dem rechten Verhältnis der höhern realistisch-technischen und humanistischen Bildung. - Wie weit die der Töchter mittlerer und höherer Stände sich zur Aufgabe setzen soll, diese ohne Rücksicht auf etwanige spätere Verheiratung erwerbsfähig zu machen, ist ebenfalls ein Gegenstand berechtigter Verhandlung. Daß in dieser Beziehung, namentlich in großen Städten, noch mehr geschehen muß, unterliegt kaum noch Zweifeln; aber anderseits soll auch nicht der nächste und natürlichste Gesichtspunkt der Mädchenerziehung verrückt und die Stellung des Weibes in der Familie verschoben werden. - Die rasch anwachsenden, immer vielseitigen Forderungen der Gegenwart legen auf allen Gebieten öffentlicher Erziehung die Gefahr der Zerstreuung und der Überbürdung nahe. Wer beruflich mit der Erziehung zu thun hat, darf sich dieser Thatsache nicht verschließen; aber die Frage muß auch von der andern Seite ohne Leidenschaft und mit der Anerkennung behandelt werden, daß die Schwierigkeit in der Sachlage und nicht etwa bloß in selbstsüchtigen Liebhabereien des Lehrstandes begründet ist.
Endlich wäre hier auf den Stand auch der häuslichen Erziehung in unsrer Zeit einzugehen. Allein es liegt in der Natur der Sache, daß sich diese der Beobachtung und allgemeinen Beurteilung mehr entzieht als die öffentliche Erziehung. Trotz mancher Schäden, die das reich entwickelte, unruhige Leben der Gegenwart mit sich führt, ist doch wohl anzunehmen, daß auch in dies Gebiet der Fortschritt der pädagogischen Erkenntnis seine Segnungen mehr und mehr erstreckt und erstrecken wird. Je weniger genau aber hier der Stand der Sache festgestellt werden kann, desto mehr ist die Mahnung am Platz, daß jeder das Seine thue, damit neben der wehrhaften Kraft der Geist wahrer Frömmigkeit, echter Vaterlandsliebe, reiner, fester Sittlichkeit und tüchtiger Geistesbildung unserm Volk erhalten bleibe.
Vgl. Grasberger, Erziehung und Unterricht im klassischen Altertum (Würzb. 1864-81, 3 Bde.);
Schmidt, Geschichte der Erziehung (3. Aufl., Köthen [* 15] 1876, 3 Bde.);
Raumer, Geschichte der Pädagogik (4. Aufl., Gütersloh 1872-74, 4 Bde.);
Heppe, Schulwesen des Mittelalters (Marb. 1860);
Derselbe, Geschichte des deutschen Volksschulwesens (Gotha [* 16] 1858-60, 5 Bde.);
Schmid, Encyklopädie des gesamten Erziehungs- und Unterrichtswesens (2. Aufl., Gotha u. Leipz. 1876 ff.);