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außer der königlichen Eisenbahnreparaturwerkstätte und der königlichen Gewehrfabrik in 6 Fabriken mit ca. 500 Arbeitern betrieben wird. Von hervorragendem Ruf sind die in einer derselben angefertigten Turbinen und die in einer andern hergestellten Lokomotiven für Sekundärbahnen, Bergwerke etc. Die Fabrikate finden in Deutschland, [* 2] Österreich-Ungarn, [* 3] Holland, Italien [* 4] und Rußland Absatz. Ferner: die Schuhfabrikation in 18 Fabriken mit ca. 1000 Arbeitern (die Fabrikate werden hauptsächlich in Deutschland, zum Teil auch in Amerika [* 5] und Australien [* 6] abgesetzt);
die Bierbrauerei [* 7] (in 20 Brauereien wurden 1884 ca. 126,000 hl Bier fabriziert, davon ca. 29,000 hl obergäriges und ca. 97,000 hl untergäriges Bier);
die Malzfabrikation in 4 Fabriken.
Außerdem werden die Leder-, Tapeten-, Tabaks-, Stiefelwichse-, Möbel-, Chemikalien- und Kirschsaftfabrikation, die Garnbleicherei und Wollfärberei und die Ölmüllerei lebhaft betrieben. Die von Erfurt [* 8] aus in den Handel kommenden Baumwoll-, Flachs- und Hanfgarne werden zum großen Teil auf dem Eichsfeld für Rechnung von Erfurter Firmen angefertigt.
Von hervorragender Bedeutung ist Erfurt durch seine Gartenkultur, die mit ihren Anfängen bis ins Mittelalter zurückreicht und gegenwärtig von 37 Kunst- und Handelsgärtnern auf 170 Hektar betrieben wird; 27 davon betreiben nur Engrosgeschäfte. Die Blumenkultur allein erstreckt sich auf ca. 100 Hektar Land, und die Glasbedeckungen der Gewächshäuser nehmen eine Fläche von 60,000 qm ein. Die Blumistik beschäftigt sich zum Teil mit der Fortzüchtung perennierender Gewächse, zum Teil mit Neuzüchtung von Farbenvarietäten, beides zum Zweck der Samenkultur.
Mit besonderer Vorliebe werden Astern und Levkojen gezogen: erstere in weit über 250 Varietäten, letztere in neuester Zeit in 16 verschiedenen Formen mit 200 verschiedenen Farben. Es werden jährlich ca. 680,000 Töpfe mit Levkojenpflanzen aufgestellt, welche etwa 27,500 Lot Samen [* 9] im Wert von gegen 150,000 Mk. liefern. Außerdem werden junge Georginenpflanzen, junge Nelkenpflanzen, Edelrosen, Orchideen, [* 10] Pelargonien, Kalceolarien, Fuchsien, Verbenen, Heliotropen in Millionen von Exemplaren versendet.
Der Kostenaufwand für die Leinen- und Papierbeutel zur Versendung der Blumensämereien beträgt jährlich ca. 50,000 Mk. Manche Gärtnereien befassen sich noch besonders mit dem Trocknen der Blumen und der Herstellung von Blumenbouketts aus denselben, die besonders nach England, Rußland und Amerika exportiert werden. Die Haupterzeugnisse der Gemüsegärtnerei sind: Blumenkohl (jährlich über 10,000 Schock), Brunnenkresse (50,000 Schock), Wirsing (21,300 Schock), Spargel (190 metr. Ztr.), Gurken (50,000 Schock) etc.;
der größte und beste Teil davon wird auf die Märkte von Halle, [* 11] Leipzig, [* 12] Berlin, [* 13] Magdeburg, [* 14] Dresden, [* 15] Kassel [* 16] etc. verwendet.
Die produktivste Kulturfläche ist der nach dem Steiger zu gelegene sogen. Dreienbrunnen (30 Hektar groß), der, noch im 16. Jahrh. ein Sumpf, zu Ende des 18. Jahrh. kultiviert ward und vorzüglich Gemüse und Brunnenkresse (in langen, gut gehaltenen Wassergräben, sogen. Klingen) liefert. Der Boden ist tief gelockert, humusreich und erhebt sich 1,2-1,5 m über das reine Wasser der Bewässerungsgräben, das jahraus jahrein in fast gleicher Temperatur verharrt. Der Handelsverkehr Erfurts ist lebhaft, beschränkt sich aber, soweit er nicht den Vertrieb industrieller Erzeugnisse zum Gegenstand hat, auf die Befriedigung des Konsums Thüringens. Von speziell thüringischen Landesprodukten findet namentlich Gerste [* 17] zumeist guten Absatz nach Süddeutschland, den Rheinlanden und Westfalen; [* 18] für den Geldverkehr, das Diskont- und Effektengeschäft bestehen elf Bankinstitute, unter welchen die kaiserliche Reichsbankstelle das bedeutendste ist. Die letztere hat im J. 1884 für 20,602,000 Mk. Wechsel angekauft und einen Umsatz von 135,571,000 Mk. im Giroverkehr gehabt.
An die ehemalige Universität (s. unten, Geschichte) erinnern noch die 1758 gestiftete, jetzt königliche Akademie der Wissenschaften, die königliche Bibliothek von etwa 60,000 Bänden und 1000 Handschriften, die sonst nach ihrem Stifter, dem Grafen Boyneburg, die Boyneburgsche hieß und später durch Büchersammlungen aufgehobener Klöster etc. vermehrt wurde. Außerdem hat Erfurt ein Gymnasium, ein Realgymnasium, eine höhere Bürgerschule, eine höhere (Privat-) Handelsschule, ein Lehrerseminar, eine Taubstummenanstalt, eine Gewerbe- und Handelsschule für Frauen und Töchter, eine landwirtschaftliche Mittelschule sowie zahlreiche andre Unterrichtsanstalten, einen Gewerbverein, 2 Musikvereine, eine Thüringische Bibelgesellschaft und einen Kunstverein. An Wohlthätigkeitsanstalten bestehen das Martinsstift (s. oben), 2 Waisenhäuser, 3 Hospitäler, 2 Siechenhäuser, ein katholisches und ein neues evang. Krankenhaus. [* 19] Sanitären Zwecken dienen ferner die Wasserleitung [* 20] und Kanalisation wie auch ein vorzüglich eingerichtetes Schlachthaus. - Erfurt ist Sitz einer königlichen Regierung, eines Bezirksverwaltungsgerichts, eines Landratsamts, eines Hauptsteueramts, einer Berginspektion, eines Landgerichts (für die zwölf Amtsgerichte zu Arnstadt, [* 21] Ebeleben, Erfurt, Gehren, Greußen, Langensalza, [* 22] Mühlhausen [* 23] i. Th., Sömmerda, Sondershausen, [* 24] Tennstedt, Treffurt und Weißensee), der Generalinspektion des Thüringer Zoll- und Handelsvereins, einer Oberpostdirektion und einer königlichen Eisenbahndirektion.
Außerdem befinden sich hier ein Garnisonkommando, die Kommandos der 8. Division nebst Intendantur, der 15. und 16. Infanterie- und der 8. Kavalleriebrigade sowie eine königliche Gewehr- und Munitionsfabrik. Die Garnison umfaßt 2 Bat. des 71. und 1 Bat. des 36. Inf.-Reg., 1 Abt. des 19. Feldartillerie-Reg. und ein Artilleriedepot. Vor der Stadt ist das uralte, merkwürdige Sibyllentürmchen. Der beliebteste Vergnügungsort in der Umgebung Erfurts ist der Steiger, eine Höhe im S. von Erfurt mit schattigen Promenaden und anmutigen Aussichten, dabei auf einer Waldwiese (auf der ehemaligen Napoleonshöhe) ein im Oktober 1868 eingeweihtes Denkmal König Friedrich Wilhelms III. von Preußen. [* 25] Im N. von der Stadt ist ein Steinsalzbergwerk auf dem Johannisfeld bei Ilversgehofen (Dorf mit 3282 Einw.) angelegt, das 390 m Tiefe hat und 1884: 25,201 Ton. Steinsalz einschließlich 396 T. Anhydrite förderte; eine Eisenbahn verbindet das Werk mit der Stadt.
[Geschichte.]
Erfurt (im Mittelalter Erpesfurt, Erphorde, lat. Erfordia), einer der ältesten Orte der Gegend, soll nach einer Sage zu Anfang des 8. Jahrh. von einem gewissen Erpes gegründet worden sein und nach ihm ursprünglich Erpesford (Erphesford) geheißen haben. Gewiß ist, daß Erfurt schon im 8. Jahrh. als Stadt bestanden hat, da es als eine solche vom heil. Bonifacius vorgefunden ward, als er nach Thüringen kam, um dessen bisher heidnische Bewohner dem Christentum zuzuführen. Das von diesem 741 errichtete Bistum ging jedoch mit dem Märtyrertod des ersten Bischofs, Adolar, 755 wieder ein, und es wurde nun der Sprengel unmittelbar der Erzdiözese Mainz [* 26] einverleibt. Karl d. Gr. bestimmte Erfurt 805 zum ¶
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Haupthandels- und Stapelplatz für die Sorben und verlieh dem Ort Privilegien und Stapelgerechtigkeiten. König Heinrich I., der 936 hier seinen letzten Reichstag hielt, ließ auf demselben seinen Sohn Otto zu seinem Nachfolger wählen. Trotz der Ansprüche, welche Kurmainz, gestützt auf alte Urkunden und Dotationen Kaiser Ottos I., auf die Stadt machte, behielt sie doch eine gewisse Unabhängigkeit. Aber der Burggraf wurde vom Erzbischof ernannt, bis jenes Amt im 13. Jahrh. einging.
Die Vogtei kam im 12. Jahrh. in den erblichen Besitz der Grafen von Gleichen. Im thüringisch-sächsischen Krieg ward Erfurt 1080 vom Kaiser Heinrich IV. in Asche gelegt, aber bald wieder aufgebaut. Von 1109 bis 1137 stand es unter der Oberhoheit der Landgrafen von Thüringen; 1118 warb es vom Herzog Lothar von Sachsen [* 28] eingenommen, und 1164 schleifte der Landgraf Ludwig der Eiserne von Thüringen die Mauern, welche 1070 Erzbischof Siegfried erbaut hatte; doch stellte schon Erzbischof Christian 1169 dieselben wieder her.
Kurz nach dieser Zeit sah Erfurt zwei denkwürdige Versammlungen in seinen Mauern: den Reichstag, auf welchem sich Herzog Heinrich der Löwe von Sachsen dem Kaiser Friedrich I. unterwarf (1181), und die von dem Sohn des letztern, dem König Heinrich VI., 1184 behufs Aussöhnung des Erzbischofs Konrad von Mainz mit dem Landgrafen Ludwig von Thüringen veranstaltete Fürstenzusammenkunft, die dadurch verhängnisvoll wurde, daß durch den Einsturz eines Saals im Marienstift, wo sie abgehalten ward, viele Teilnehmer ihren Tod fanden.
Trotz des Gnadenbriefs Friedrichs II. von 1242 blieb die Stadt unter der Herrschaft des Erzbischofs. Gerhard I. von Mainz sah sich 1255 genötigt, der Stadt, welche bisher unter kurfürstlichen Beamten gestanden hatte, eine besondere, aus 2 Ratsmeistern und 12 Beisitzern bestehende Behörde zuzugestehen. 1289 hielt Rudolf von Habsburg in Erfurt einen großen Reichstag, um dem Faustrecht in Thüringen zu steuern. Unter den zahlreichen Fehden, welche Erfurt führte, war eine der bedeutendsten die mit dem Markgrafen Friedrich dem Freidigen, der die Grafschaft an der Schmalen Gera, [* 29] welche sein Vater Albrecht der Unartige 1270 an die Stadt veräußert hatte, zurückforderte. Nach einem achtjährigen Krieg erkaufte die Stadt 1315 den Frieden um 10,000 Mark Silber. Die Grafschaft verblieb ihr auch ferner und wurde erst 1485 von Sachsen eingelöst.
Schon früh blühten in Erfurt die Woll- und Leinweberei. Der Anfang des 15. Jahrh. war die Zeit des höchsten Wohlstandes und der politischen Machtstellung Erfurts. Damals besaß es die Grafschaft Kapellendorf als Reichslehen und hatte sich von den benachbarten Fürsten und Herren zahlreiche Besitzungen zu Lehen übertragen lassen, so daß es an Gebiet viele Reichsstädte übertraf. Selbst eine Universität hatte es aus eignen Mitteln gründen können (1378 bis 1392), die erste Europas, welche alle vier Fakultäten in sich vereinigte; sie hatte zur Zeit ihrer Blüte [* 30] (um 1479) über 850 Studenten, doch sank diese Zahl im 16. Jahrh. auf 200 herab.
Der Aufschwung in Handel und Gewerbe führte den Eintritt der Stadt in den Bund der Hansa herbei. Erfurt galt damals für eine der größten Städte in Deutschland; die Zahl der Einwohner wird jedoch meist überschätzt, sie betrug um die Mitte des 15. Jahrh. nur 32,000 Seelen. Unter den Kaisern Siegmund und Friedrich III. hätte sich Erfurt zur Stellung einer Reichsstadt emporschwingen können, wenn es nicht die Heranziehung zum Reichsheerdienst und zu Reichssteuern gescheut hätte.
Infolge der Verheerungen während des sächsischen Bruderkriegs und durch den großen Brand 1472 sowie durch verminderten Handelsverkehr sank der Wohlstand der Stadt bedeutend. Der lange Streit mit dem Erzstift Mainz und dem kurfürstlich sächsischen Haus um die landesherrlichen Rechte wurde endlich durch den Amorbacher Vertrag von 1483 geschlichtet, in welchem Erfurt mit Sachsen ein Schutz- und Trutzbündnis schloß. Das sogen. tolle Jahr (1509), eine Aufruhrsepoche schlimmster Art, war der Anfang bis dahin unerhörter innerer Zerwürfnisse, in deren Verlauf der Vizeherr Kellner 1510 hingerichtet wurde.
Die Einführung der Reformation, welcher schon früh die Klostergeistlichkeit zugethan war, brachte seit 1521 eine neue Epoche städtischer Unruhen. Im Dreißigjährigen Krieg öffnete Erfurt 1631 den Schweden [* 31] die Thore, und 1640 hatte Banér daselbst sein Hauptquartier. Nach dem Westfälischen Frieden erhob sich der Streit über die Reichsunmittelbarkeit der Stadt von neuem. Dieselbe sollte sich auf kaiserlichen Befehl Kurmainz unterwerfen und ward auf ihre Weigerung 1660 in die Acht erklärt, deren Exekution Kurmainz übertragen wurde.
Der Erzbischof zwang sie mit Hilfe französischer, aus Ungarn [* 32] zurückkehrender Truppen 1664 zu einer Kapitulation, worin sie Unterwerfung, er aber vollkommene Religionsfreiheit versprach. Die sächsischen Fürsten mußten ihr Hoheits- und Schutzrecht über Erfurt an Kurmainz abtreten. Von diesem Zeitpunkt an hört alle Selbständigkeit und politische Freiheit Erfurts auf. Im J. 1665 ward der Grundstein zum jetzigen Petersberg gelegt. Im Siebenjährigen Krieg eroberte der preußische General v. Knoblauch die Stadt (1759). Durch den Reichsdeputationshauptschluß von 1803 kam Erfurt nebst Gebiet mit 2 Städten, 3 Flecken, 72 Dörfern und 46,000 Einw. an Preußen, ging aber nach der Schlacht bei Jena [* 33] durch eine schimpfliche Kapitulation an die Franzosen über und ward durch den Tilsiter Frieden förmlich an Napoleon I. abgetreten, der es unter französischer Administration ließ. Im J. 1808 hielt Napoleon hier vom 27. Sept. bis 14. Okt. eine Zusammenkunft mit dem russischen Kaiser Alexander I., bei welcher auch die Könige von Bayern, [* 34] Sachsen, Westfalen und Württemberg, [* 35] der Fürst-Primas und viele andre Fürsten und Große erschienen und glänzende Festlichkeiten veranstaltet wurden (Erfurter Kongreß).
Nach dem Rückzug der Franzosen aus Deutschland wurde Erfurt im Dezember 1813 von den Preußen beschossen und nach längerer Belagerung zur Übergabe gezwungen; doch räumten die Franzosen erst nach dem ersten Pariser Frieden 1814 die Citadelle. Während dieser Belagerung war die Zahl der Einwohner Erfurts auf 15,000 herabgesunken. Durch die Wiener Kongreßakte kam die Stadt nebst ihrem Gebiet und dem Eichsfeld wieder unter die Hoheit des Königs von Preußen, welcher davon 1815 die Ämter Schloß-Vippach, Atzmannsdorf und Tonndorf nebst vier Dörfern an das Großherzogtum Weimar [* 36] abtrat. Erfurt wurde der Provinz Sachsen zugeteilt und 1815 der Sitz einer Regierung, 1816 aber die Universität aufgehoben.
Unter preußischer Herrschaft hat sich Erfurt wieder bedeutend gehoben. Am fand hier bei Gelegenheit der Einberufung der Landwehr ein Aufstand statt, worauf bis zum der Belagerungszustand über die Stadt verhängt wurde. Vom 20. März bis tagte hier in der Augustinerkirche das sogen. Unionsparlament, das eine Verfassung für Deutschland beschloß, die aber nicht zur Ausführung gelangte. Im Juni 1873 wurde Erfurt seines Charakters als Festung [* 37] entkleidet.