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»Es war kein Zufall«, sagt Peschel, »daß A. v. Humboldt seit 1826 dauernd nach Berlin [* 2] übersiedelte, denn Paris [* 3] hatte aufgehört, der Sitz der fortschreitenden Erdkunde [* 4] zu sein.« Während die großen Namen der Erdkunde im vorigen Jahrhundert (Delisle, d'Anville, Buache) Frankreich angehörten, leuchten in unserm Jahrhundert die Deutschen unbestritten voran: einen Humboldt, einen Ritter verehrt man überall als die Schöpfer der modernen wissenschaftlichen Erdkunde. So findet auch bis auf den heutigen Tag diese Wissenschaft nirgends eine solche Förderung und Pflege wie in Deutschland, [* 5] zumal seit Oskar Peschel neben den anthropogeographischen Studien der Ritterschen Schule auch die physikalische Erdkunde wieder in den Vordergrund stellte.
Nicht nur, daß sich im Wetteifer mit dem Ausland die Geographischen Gesellschaften (s. d.) auch in Deutschland in jüngster Zeit bedeutend vermehrt haben, es sind auch seit 1871 an allen preußischen und vielen außerpreußischen Universitäten besondere Lehrstühle der Erdkunde geschaffen worden und damit die Ebenbürtigkeit dieser mit den ältern Wissenschaften offiziell anerkannt. Unter diesen akademischen Vertretern der Erdkunde seien als die hervorragendsten Wappäus (gest. 1879 in Göttingen), [* 6] Peschel (gest. 1875 in Leipzig), [* 7] Heinr. Kiepert (in Berlin), Ferd. v. Richthofen (Leipzig), Friedr. Ratzel (München), [* 8] Herm. Wagner (Göttingen) genannt.
Auch an den österreichischen Hochschulen sowie an denen Italiens, [* 9] Frankreichs und der Niederlande [* 10] fand das deutsche Vorgehen Nachfolge. Besonders abstechend ist dagegen die geringe Pflege, welche die wissenschaftliche Erdkunde in England bislang erfahren, wo man in der allgemeinen Auffassung unter der Erdkunde nur die Länderkunde versteht und meist in der bequemen Form geographischer Lexika zusammenfaßt. Um auch für das Ausland einzelne Namen zu nennen, so sind in Frankreich Elisée Reclus, Vivien de Saint-Martin und l'Avezac (letztere beiden um die Geschichte der Erdkunde hochverdient) zu erwähnen. In England haben seit Lyells Zeiten die Geologen die Förderung der allgemeinen Geographie nebenbei betrieben, und Charles Darwin, Murchison sind unter den ältern, Geikie unter den neuern hervorzuheben; Yule, Major und Cl. Markham förderten die Geschichte der Entdeckungen. In den Niederlanden studiert man spezieller die Kolonien in Inselindien (Veth, Kan), in Rußland ist Strelbitsky als eine erste Autorität für Arealmessungen, Wojeikow für Klimatologie, Semenow als Verfasser eines lexikalischen Kompendiums der Geographie Rußlands zu erwähnen.
Litteratur.
Von den Handbüchern der gesamten Erdkunde, welche meist die Länderkunde bevorzugen und die allgemeine Erdkunde nur als Einleitung behandeln, ist Stein und Hörschelmanns »Handbuch der Geographie und Statistik« (7. Aufl., in Verbindung mit Fachmännern hrsg. von Wappäus, Leipz. 1849-71, 12 Bde.) noch immer das vorzüglichste. Wissenschaftlich weniger hoch steht G. A. v. Klödens »Handbuch der Erdkunde« (3. Aufl., Berl. 1875-77, 4 Bde.),
weil das Material nur teilweise verarbeitend. Populärerer Natur und im einzelnen nicht immer verläßlich ist Daniels »Handbuch der Geographie« (5. Aufl. von Delitsch, Fischer u. a., Leipz. 1881-83, 4 Bde.; auch Auszug in 2 Bdn.). Einer Länderkunde im modernen Sinn sehr nahe kommend, mit wenig topographischem Ballast beschwert und vorzüglich (mit Karten) illustriert ist Elisée Reclus' »Nouvelle géographie universelle, la terre et les hommes« (bisher erschienen: Europa [* 11] in 4 Bdn., Par. 1876-80; Asien [* 12] in 4 Bdn., das. 1881-1885);
dazu kann als Ergänzung dienen desselben Verfassers ebenso reich ausgestattete allgemeine Geographie: »La terre, description des phénomènes de la vie du globe« (4. Aufl., das. 1877, 2 Bde.; deutsch von Ule, Leipz. 1873).
Neuerdings begann A. Kirchhoff im Verein mit Fachmännern die Herausgabe eines großartigen Werkes: »Unser Wissen von der Erde« (Leipz. 1885 ff.). Karl Ritters oben erwähnte »Erdkunde« (Berl. 1817-59, 21 Bde.) behandelt außer einer allgemeinen Einleitung in die Geographie (Berl. 1851, auch separat) nur Afrika [* 13] und Asien. - Geographische Lexika sind: Hoffmanns »Encyklopädie der Erd-, Völker- und Staatskunde« (Leipz. 1862-69, 3 Bde.);
Ritters (pseudonym) »Geographisch-statistisches Lexikon« (7. Aufl., das. 1882, 2 Bde.),
in Deutschland das verbreitetste Nachschlagewerk, jedoch der wissenschaftlichen Grundlage entbehrend;
Stanfords »Gazetteer«, das beliebteste Nachschlagewerk der Engländer, die auch für einzelne Länder (Indien) Ähnliches besitzen;
endlich das großartig angelegte Werk Vivien de Saint-Martins: »Nouvelle dictionnaire de géographie universelle« (Par. 1875 ff.).
Von den zahlreichen Kompendien und kleinern Lehrbüchern der Erdkunde führen wir an: H. Guthe, Lehrbuch der Geographie (5. Aufl., bearbeitet von H. Wagner, Hannov. 1882), eine kurze Übersicht der allgemeinen Erdkunde und einen wissenschaftlich durchdachten Abriß der Länderkunde mit zahlreichen Quellenangaben enthaltend;
Hann, Hochstetter und Pokorny, Allgemeine Erdkunde (3. Aufl., Prag [* 14] 1881; in erweiterter Ausgabe, reich illustriert, Leipz. 1885);
Supan, Grundzüge der physischen Erdkunde (das. 1884, mit kleinem physikalisch-geographischen Atlas); [* 15]
Peschel-Leipoldt, Physische Erdkunde (2. Aufl., das. 1885, 2 Bde.; nicht gleichmäßig durchgearbeitet);
Ed. Süß, Das Antlitz der Erde (Prag 1883 ff.), das die Morphologie der Erdoberfläche behandelt, ähnlich wie die jetzt ganz überholten »Neuen Probleme der vergleichenden Erdkunde« von O. Peschel (Leipz. 1869, 4. Aufl. 1883).
Die von Ratzel herausgegebene »Bibliothek geographischer Handbücher« (Stuttg., seit 1882) brachte bisher: Ratzels »Anthropogeographie«, Hanns »Klimatologie«, Boguslawskis »Ozeanographie«, Heims »Gletscherkunde«. Von einem streng mathematisch-physikalischen Standpunkt aus sind bearbeitet J. C. E. ^[Johann Carl Eduard] Schmidts »Lehrbuch der mathematischen und physikalischen Geographie« (Götting. 1829-30, 2 Bde.) und S. Günthers »Geophysik« (Stuttg. 1885, 2 Bde.). Noch immer beachtenswert sind A. v. Humboldts »Kosmos« (1845-59, 5 Bde.) und Studers »Physikalische Geographie« (Bern [* 16] 1844-47, 2 Bde.).
Die statistisch-politische Erdkunde wurde früher unter allen Zweigen der Wissenschaft am fleißigsten behandelt. Hier sind namentlich Merula, Joh. Hübner und Hager hervorzuheben; der erste aber, welcher Flächeninhalt und Bevölkerungszahl der Länder berücksichtigte, war A. F. Büsching, dessen »Erdbeschreibung« (Hamb. 1754-92, 11 Tle.) sowohl durch Vollständigkeit des Stoffes als Zweckmäßigkeit sich auszeichnet und ihren Wert noch immer nicht verloren hat. Er hatte zahlreiche Nachfolger (d'Anville, Normann, Gatterer, Fabri, dann Gaspari, Stein, Cannabich, Ungewitter, Voller, Balbi, Maltebrun), und namentlich hat nach Büsching Wappäus die Verbindung der Erdkunde mit der Statistik durchgeführt.
Größere Atlanten sind in deutscher Sprache [* 17] zahlreich vorhanden. Unerreicht ist Stielers »Handatlas« (begonnen 1817; neueste Aufl., Gotha [* 18] 1882, in 100 Karten),
dem der seit 1860 erscheinende, durch Einheitlichkeit der Anlage und Gleichförmigkeit der Nomenklatur ausgezeichnete »Handatlas« von Heinr. ¶
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Kiepert (Berl. ,45 Blätter) an die Seite tritt. Als Atlanten zweiten Ranges stellen sich dar die von Meyer, Sohr-Berghaus, Scheda-Steinhauser, Ziegler, vom Geographischen Institut in Weimar [* 20] und der »Handatlas in 86 Karten« von Richard Andree (mit »Geographischem Handbuch«). Die verbreitetste Weltkarte ist Herm. Berghaus' »Chart of the world« (11. Aufl., Gotha 1886, 8 Blätter). Weiteres s. Landkarten. [* 21]
Die historische Erdkunde fand zuerst in der Mitte des 17. Jahrh. Beachtung, und zwar war es zunächst die alte Geographie, der man sich zuwandte, was sich aus der damals vorherrschenden klassischen Richtung erklärt. Das Beste dieser Art verdanken wir Cluver, Cellarius, d'Anville, Heyne, Gosselin, Mannert, Ukert, Sickler, Georgi und Forbiger (»Handbuch der alten Geographie«, Leipz. 1842-48, 3 Bde.; Bd. 3 in neuer Bearbeitung als »Handbuch der alten Geographie von Europa«, Hamb. 1877). Das beste Werk der neuesten Zeit ist Kieperts »Lehrbuch der alten Geographie« (Berl. 1878). Daneben sind noch W. Smiths »Dictionary of Greek and Roman geography« (Lond. 1872, 2 Bde.) und Freemans »Historical geography of Europe« (das. 1881) hervorzuheben.
Kiepert verdanken wir auch den vorzüglichen »Atlas antiquus« (12 Karten mit erläuterndem Text, 6. Aufl., Berl. 1876),
der sich dem schon 1847 begonnenen Sprunerschen »Atlas antiquus« (3. Aufl. von Menke, Gotha 1865) ebenbürtig zur Seite stellte. In das Mittelalter leiten über: Zeuß, »Die Deutschen und ihre Nachbarstämme« (Münch. 1837),
und Diefenbach, »Origines europaeae. Die alten Völker Europas mit ihren Sippen und Nachbarn« (Frankf. 1861). Einen ersten Beitrag zur Geographie des Mittelalters lieferte Juncker in seiner »Anleitung zur Geographie der mittlere Zeiten« (Jena [* 22] 1712),
die aber fast ausschließlich Deutschland behandelt. Auch die Arbeiten von Köhler, d'Anville und Pischon sind dürftig; das bedeutendste Werk ist Lelewels »Géographie du moyen-âge« (Brüss. 1852, 4 Bde.; nebst »Epilogus«, 1857). Kartographische Darstellungen der mittlern und neuern Zeit lieferten zuerst Kruse und Lesage; die bedeutendste Leistung auf diesem Gebiet ist Spruners »Handatlas für die Geschichte des Mittelalters und der neuern Zeit« (3. Aufl. von Menke, 90 Karten, Gotha 1879),
neben welchem Wolfs »Historischer Atlas« (19 Karten, Berl. 1877) und G. Droysens »Allgemeiner historischer Handatlas in 96 Karten« (Leipz. 1885) zu nennen sind.
Die Geschichte der Erdkunde bis auf Ritter und Humboldt behandelt Oskar Peschel (2. Aufl. von S. Ruge, Münch. 1877); nach ihm, noch detaillierter für Landreisen, Vivien de Saint-Martin (»Histoire de la géographie et des découvertes géographiques«, Par. 1873). Populär sind Löwenbergs »Geschichte der Geographie« (2. Aufl., Berl. 1866) und »Geschichte der geographischen Entdeckungsreisen« (Leipz. 1882-1884, 2 Bde.). Auch Embachers »Lexikon der Reisen und Entdeckungen« (Leipz. 1882) sowie Bunburys »History of ancient geography among the Greeks and Romans« (das. 1879, 2 Bde.) sind hier anzureihen.
Unter den geographischen Zeitschriften stehen die »Mitteilungen aus Justus Perthes' geographischer Anstalt«, begründet von A. Petermann (seit 1855),
in vorderster Reihe; nicht minder wichtig sind die Publikationen der zahlreichen Geographischen Gesellschaften, voran die »Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde in Berlin« und die Publikationen der Pariser und Londoner Geographischen Gesellschaften. Ferner sind hervorzuheben: Kettlers »Zeitschrift für wissenschaftliche Geographie« (seit 1880, jetzt Wien) [* 23] und Seiberts »Zeitschrift für Schulgeographie« (seit 1879, das.). Populär sind: »Das Ausland« (seit 1828, Stuttg.; einst von Peschel redigiert);
»Deutsche [* 24] Rundschau für Geographie und Statistik« (seit 1878, Wien);
die illustrierte Wochenschrift »Globus« (1862 von K. Andree begründet, jetzt von R. Kiepert redigiert; Braunschw.) und die Monatsschrift »Aus allen Weltteilen« (1869 von O. Delitsch begründet, Leipz.).
Vivien de Saint Martin [* 25] gab seit 1863 ein »Année géographique« heraus (seit 1878 fortsetzt von Duveyrier). - Die geographischen Hilfswissenschaften beachtet vorzugsweise das Gothaer »Geographische Jahrbuch« (begründet 1866 durch Behm, fortgeführt von H. Wagner). Auf dem Gebiet der geographischen Namenkunde (Onomatologie) ist besonders J. J. ^[Johann Jakob] Egli thätig (»Nomina geographica«, Leipz. 1870-72, und »Geschichte der geographischen Namenkunde«, das. 1886). Die Methodologie behandelt F. v. Richthofen (»Aufgaben und Methoden der heutigen Geographie«, Leipz. 1883),
Marthe in der »Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin« 1877, Lehmann (Halle [* 26] 1885-86) und H. Wagner im »Geographischen Jahrbuch« seit 1878. Weitere Litteratur (über Ethnographie, [* 27] Handelsgeographie, Meteorologie, Orographie, Ozeanographie, Pflanzengeographie, Tiergeographie, Vulkane [* 28] etc.) s. unter den Spezialartikeln.