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erst 1772 der Schweizer Jean de Luc; Verbesserungen in dieser Beziehung haben wir Ramond (1803), Laplace (1805) und Gauß zu verdanken, bis Bessel die barometrischen Höhenformeln zu ihrer heutigen Schärfe gestaltete.
Eine mächtige Umgestaltung mußte die physikalische Erdkunde [* 2] durch die Schöpfung einer geologischen Wissenschaft erfahren, wie sie A. G. Werner (1750-1817) einleitete, L. v. Buch und A. v. Humboldt fortführten. Durch diese ist namentlich die Lehre [* 3] von den vulkanischen Erscheinungen erst begründet worden. Durch Humboldts allumfassende Anregungen erfuhren auch die magnetischen Untersuchungen des Erdkörpers eine erhebliche Förderung, die magnetischen Pole wurden von Gauß und Weber auf dem Weg der Berechnung örtlich fixiert, durch den jüngern Roß mittels Beobachtung festgestellt. Lamont und Sabine studierten die periodischen Störungen der magnetischen Funktionen.
Die Erkenntnis der Hydrographie der Ozeane ist ein Ehrendenkmal unsrer Zeit. Nur um Europas Küsten herum waren die Tiefen des Meers genauer bekannt, und von den Tiefen des nordatlantischen Ozeans erfuhr man Genaueres nicht früher, als bis das erste Telegraphenkabel dort versenkt werden sollte. Noch 1838 kannte man keine größere ozeanische Tiefe als von 1200 Faden [* 4] (ca. 2160 m). Jetzt, da praktische Bedürfnisse, wie die Kabellegungen, zu den Tiefseemessungen drängen, sucht man die Versäumnis nachzuholen, und zahlreiche Expeditionen werden ausgesandt, die Tiefen der Weltmeere und ihre sonstigen Verhältnisse zu erforschen.
Namentlich sind hierin Engländer und Amerikaner bahnbrechend. Am frühsten versuchte die Wärme [* 5] größerer Seetiefen Kapitän Ellis (1749) zu messen; doch reichten seine Thermometer [* 6] nur 1630 m abwärts, während man jetzt bequem in 6000 m Tiefe mißt. Daß die Spiegel [* 7] aller Meere unter einer Gleichgewichtslinie liegen, lehrte schon um die Mitte des 17. Jahrh. Bernhard Varen; doch ein falsches Nivellement der Landenge von Suez stieß am Ende vorigen Jahrhunderts diese richtige Ansicht um, bis neuere Messungen verschiedener Landengen dem alten Satz wieder zu seiner Geltung verhalfen.
Die Erscheinungen von Ebbe und Flut waren schon von Kepler der Zugkraft des Mondes zugeschrieben worden, aber vor Newton konnte niemand die Nadirfluten erklären. Obgleich man das örtliche Eintreffen der Flutwelle oder die Hafenzeiten schon seit dem 16. Jahrh. beobachtet hatte, so versuchte doch erst Whewell 1833 auf einer Karte alle Orte der Erde, die zu gleicher Zeit von dem Kamm der nämlichen Flutwelle erreicht werden, durch Linien (Isorhachien) zu verknüpfen und dadurch das stündliche Fortrücken dieser Wellen [* 8] sichtbar zu machen.
Die Hauptströmungen der Ozeane, schon dem 16. Jahrh. bekannt, wurden auf einem Kartenbild am frühsten durch den Jesuiten Athanasius Kircher 1665 dargestellt. Es ist die erste physikalische Karte, die wir überhaupt besitzen. Die Kenntnis der Meeresströmungen [* 9] begründete Rennell und die nautische Meteorologie der Amerikaner Maury. Mit der Aufzeichnung der Lufttemperaturen begann man nach der Erfindung des Thermometers schon 1699 in Paris, [* 10] für welches Réaumur aus doppelten täglichen Beobachtungen 1735 das Jahreswärmemittel berechnete.
Als das Geburtsjahr der modernen Meteorologie muß aber 1780 bezeichnet werden, da in diesem Jahr Kurfürst Karl Theodor von der Pfalz die Mannheimer Akademie für Meteorologie stiftete, die nach einem bestimmten System eine Kette von Beobachtungsstationen über Europa [* 11] ausdehnte und die erhaltenen Resultate verarbeitete. Den größten Fortschritt auf diesem Gebiet haben wir A. v. Humboldt zu verdanken, der 1817 die Störungsgesetze der Erderwärmung durch ein einfaches Mittel sichtbar werden ließ. Er schuf damals die Isothermen oder Linien gleicher Jahreswärme; auch studierte er an den Gebirgen Südamerikas die Wärmeabnahme mit der Erhebung über den Meeresspiegel, ebenso die Bedingungen, von denen die Schneegrenze abhängig ist (s. Meteorologie).
Edmund Halley, der von seinen Seereisen eine Windkarte der Erde heimbrachte (1686), erkannte auch zuerst die Ursache der Passate und erklärte die Monsune oder indischen Wechselwinde aus der sommerlichen Erwärmung des asiatischen Kontinents. Zum Schluß des 17. Jahrh. war bekannt, daß von der Verteilung des Flüssigen und Trocknen, also der Gestalt der Festlande, die Richtung der Luftströme abhängig sei; aber an der Grenze der regelmäßigen Winderscheinungen (beim Gürtel [* 12] der rücklaufenden Passate) blieb die Wissenschaft stehen, denn unter den höhern Breiten schien die Regellosigkeit das Gesetzmäßige zu sein, bis 1826 der scharfsinnige Dove das Drehungsgesetz der Winde [* 13] aufstellte. In ein neues Stadium trat die Lehre von den Windverhältnissen und der möglichen Vorausverkündigung des Wetters durch das auf die Beobachtung des Luftdrucks gegründete Buys-Ballotsche Gesetz.
Den hydrographischen Haushalt unsrer Erde, die Wasserverdunstung und die feuchten Niederschläge zu berechnen, unternahm am Beispiel des Mittelmeers [* 14] zuerst Halley 1687. Bald darauf begann man in Paris den Regen in Gefäßen aufzufangen und zu messen, und schon 1774 konnte Cotte [* 15] Regentafeln für zehn europäische Orte veröffentlichen. Heute bestimmt man in zahllosen meteorologischen Stationen die Menge des jährlich fallenden Regens sowie deren Verteilung über die Jahreszeiten [* 16] und weiß darin eins der wichtigsten klimatologischen Elemente zu würdigen.
Eine eigentlich deutsche Wissenschaft ist die Pflanzengeographie, die ganz unserm Jahrhundert angehört. Den Namen für dieselbe gebrauchte 1783 zuerst Menzel in einer Flora Japans; Humboldt schuf zuerst durch Wort und Bild den Begriff von Höhenskalen der Gewächse, die ersten pflanzengeographischen Karten schuf aber 1806 Karl Ritter. Die Tiergeographie war früher entstanden, aber später gereift als die Pflanzengeographie. Erdkunde A. W. Zimmermann entwarf 1777 die erste Erdkarte [* 17] für die Verbreitung der Säugetiere; auch erkannte er zuerst die Abgeschlossenheit der australischen Fauna, während Buffon die Ähnlichkeit [* 18] der Arten beider Hemisphären innerhalb der Nordpolarzone nachwies. Andreas Wagner (1844), Schmarda, die Engländer Sclater, Murray und Wallace sind die neuern Förderer. - Noch vor hundert Jahren unterschied ein namhafter Geograph wie Büsching die Menschen nur in »Weiße, Schwarze und eine mittlere Sorte«.
Blumenbach gab 1795 die erste Scheidung des Menschengeschlechts in fünf Varietäten: Kaukasier, Mongolen, Neger, Amerikaner und Malaien. Er schon zog Schädelbildung, Haar, [* 19] Hautfarbe, Augenstellung etc. als Merkmale heran. Fortgeschritten ist wohl die Völkerkunde seitdem außerordentlich; aber noch im Fluß befindlich, hat sich die Wissenschaft über endgültige Resultate noch nicht zu einigen vermocht, wie denn Cuvier drei, Spix zwei, Pickering vier große und elf kleine, Fr. Müller zwölf, O. Peschel sieben Menschenrassen [* 20] annimmt. Gerland, Virchow, Bastian u. a. sind auf diesem Gebiet von vorkämpfender Thätigkeit. ¶
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»Es war kein Zufall«, sagt Peschel, »daß A. v. Humboldt seit 1826 dauernd nach Berlin [* 22] übersiedelte, denn Paris hatte aufgehört, der Sitz der fortschreitenden Erdkunde zu sein.« Während die großen Namen der Erdkunde im vorigen Jahrhundert (Delisle, d'Anville, Buache) Frankreich angehörten, leuchten in unserm Jahrhundert die Deutschen unbestritten voran: einen Humboldt, einen Ritter verehrt man überall als die Schöpfer der modernen wissenschaftlichen Erdkunde. So findet auch bis auf den heutigen Tag diese Wissenschaft nirgends eine solche Förderung und Pflege wie in Deutschland, [* 23] zumal seit Oskar Peschel neben den anthropogeographischen Studien der Ritterschen Schule auch die physikalische Erdkunde wieder in den Vordergrund stellte.
Nicht nur, daß sich im Wetteifer mit dem Ausland die Geographischen Gesellschaften (s. d.) auch in Deutschland in jüngster Zeit bedeutend vermehrt haben, es sind auch seit 1871 an allen preußischen und vielen außerpreußischen Universitäten besondere Lehrstühle der Erdkunde geschaffen worden und damit die Ebenbürtigkeit dieser mit den ältern Wissenschaften offiziell anerkannt. Unter diesen akademischen Vertretern der Erdkunde seien als die hervorragendsten Wappäus (gest. 1879 in Göttingen), [* 24] Peschel (gest. 1875 in Leipzig), [* 25] Heinr. Kiepert (in Berlin), Ferd. v. Richthofen (Leipzig), Friedr. Ratzel (München), [* 26] Herm. Wagner (Göttingen) genannt.
Auch an den österreichischen Hochschulen sowie an denen Italiens, [* 27] Frankreichs und der Niederlande [* 28] fand das deutsche Vorgehen Nachfolge. Besonders abstechend ist dagegen die geringe Pflege, welche die wissenschaftliche Erdkunde in England bislang erfahren, wo man in der allgemeinen Auffassung unter der Erdkunde nur die Länderkunde versteht und meist in der bequemen Form geographischer Lexika zusammenfaßt. Um auch für das Ausland einzelne Namen zu nennen, so sind in Frankreich Elisée Reclus, Vivien de Saint-Martin und l'Avezac (letztere beiden um die Geschichte der Erdkunde hochverdient) zu erwähnen. In England haben seit Lyells Zeiten die Geologen die Förderung der allgemeinen Geographie nebenbei betrieben, und Charles Darwin, Murchison sind unter den ältern, Geikie unter den neuern hervorzuheben; Yule, Major und Cl. Markham förderten die Geschichte der Entdeckungen. In den Niederlanden studiert man spezieller die Kolonien in Inselindien (Veth, Kan), in Rußland ist Strelbitsky als eine erste Autorität für Arealmessungen, Wojeikow für Klimatologie, Semenow als Verfasser eines lexikalischen Kompendiums der Geographie Rußlands zu erwähnen.
Litteratur.
Von den Handbüchern der gesamten Erdkunde, welche meist die Länderkunde bevorzugen und die allgemeine Erdkunde nur als Einleitung behandeln, ist Stein und Hörschelmanns »Handbuch der Geographie und Statistik« (7. Aufl., in Verbindung mit Fachmännern hrsg. von Wappäus, Leipz. 1849-71, 12 Bde.) noch immer das vorzüglichste. Wissenschaftlich weniger hoch steht G. A. v. Klödens »Handbuch der Erdkunde« (3. Aufl., Berl. 1875-77, 4 Bde.),
weil das Material nur teilweise verarbeitend. Populärerer Natur und im einzelnen nicht immer verläßlich ist Daniels »Handbuch der Geographie« (5. Aufl. von Delitsch, Fischer u. a., Leipz. 1881-83, 4 Bde.; auch Auszug in 2 Bdn.). Einer Länderkunde im modernen Sinn sehr nahe kommend, mit wenig topographischem Ballast beschwert und vorzüglich (mit Karten) illustriert ist Elisée Reclus' »Nouvelle géographie universelle, la terre et les hommes« (bisher erschienen: Europa in 4 Bdn., Par. 1876-80; Asien [* 29] in 4 Bdn., das. 1881-1885);
dazu kann als Ergänzung dienen desselben Verfassers ebenso reich ausgestattete allgemeine Geographie: »La terre, description des phénomènes de la vie du globe« (4. Aufl., das. 1877, 2 Bde.; deutsch von Ule, Leipz. 1873).
Neuerdings begann A. Kirchhoff im Verein mit Fachmännern die Herausgabe eines großartigen Werkes: »Unser Wissen von der Erde« (Leipz. 1885 ff.). Karl Ritters oben erwähnte »Erdkunde« (Berl. 1817-59, 21 Bde.) behandelt außer einer allgemeinen Einleitung in die Geographie (Berl. 1851, auch separat) nur Afrika [* 30] und Asien. - Geographische Lexika sind: Hoffmanns »Encyklopädie der Erd-, Völker- und Staatskunde« (Leipz. 1862-69, 3 Bde.);
Ritters (pseudonym) »Geographisch-statistisches Lexikon« (7. Aufl., das. 1882, 2 Bde.),
in Deutschland das verbreitetste Nachschlagewerk, jedoch der wissenschaftlichen Grundlage entbehrend;
Stanfords »Gazetteer«, das beliebteste Nachschlagewerk der Engländer, die auch für einzelne Länder (Indien) Ähnliches besitzen;
endlich das großartig angelegte Werk Vivien de Saint-Martins: »Nouvelle dictionnaire de géographie universelle« (Par. 1875 ff.).
Von den zahlreichen Kompendien und kleinern Lehrbüchern der Erdkunde führen wir an: H. Guthe, Lehrbuch der Geographie (5. Aufl., bearbeitet von H. Wagner, Hannov. 1882), eine kurze Übersicht der allgemeinen Erdkunde und einen wissenschaftlich durchdachten Abriß der Länderkunde mit zahlreichen Quellenangaben enthaltend;
Hann, Hochstetter und Pokorny, Allgemeine Erdkunde (3. Aufl., Prag [* 31] 1881; in erweiterter Ausgabe, reich illustriert, Leipz. 1885);
Supan, Grundzüge der physischen Erdkunde (das. 1884, mit kleinem physikalisch-geographischen Atlas); [* 32]
Peschel-Leipoldt, Physische Erdkunde (2. Aufl., das. 1885, 2 Bde.; nicht gleichmäßig durchgearbeitet);
Ed. Süß, Das Antlitz der Erde (Prag 1883 ff.), das die Morphologie der Erdoberfläche behandelt, ähnlich wie die jetzt ganz überholten »Neuen Probleme der vergleichenden Erdkunde« von O. Peschel (Leipz. 1869, 4. Aufl. 1883).
Die von Ratzel herausgegebene »Bibliothek geographischer Handbücher« (Stuttg., seit 1882) brachte bisher: Ratzels »Anthropogeographie«, Hanns »Klimatologie«, Boguslawskis »Ozeanographie«, Heims »Gletscherkunde«. Von einem streng mathematisch-physikalischen Standpunkt aus sind bearbeitet J. C. E. ^[Johann Carl Eduard] Schmidts »Lehrbuch der mathematischen und physikalischen Geographie« (Götting. 1829-30, 2 Bde.) und S. Günthers »Geophysik« (Stuttg. 1885, 2 Bde.). Noch immer beachtenswert sind A. v. Humboldts »Kosmos« (1845-59, 5 Bde.) und Studers »Physikalische Geographie« (Bern [* 33] 1844-47, 2 Bde.).
Die statistisch-politische Erdkunde wurde früher unter allen Zweigen der Wissenschaft am fleißigsten behandelt. Hier sind namentlich Merula, Joh. Hübner und Hager hervorzuheben; der erste aber, welcher Flächeninhalt und Bevölkerungszahl der Länder berücksichtigte, war A. F. Büsching, dessen »Erdbeschreibung« (Hamb. 1754-92, 11 Tle.) sowohl durch Vollständigkeit des Stoffes als Zweckmäßigkeit sich auszeichnet und ihren Wert noch immer nicht verloren hat. Er hatte zahlreiche Nachfolger (d'Anville, Normann, Gatterer, Fabri, dann Gaspari, Stein, Cannabich, Ungewitter, Voller, Balbi, Maltebrun), und namentlich hat nach Büsching Wappäus die Verbindung der Erdkunde mit der Statistik durchgeführt.
Größere Atlanten sind in deutscher Sprache [* 34] zahlreich vorhanden. Unerreicht ist Stielers »Handatlas« (begonnen 1817; neueste Aufl., Gotha [* 35] 1882, in 100 Karten),
dem der seit 1860 erscheinende, durch Einheitlichkeit der Anlage und Gleichförmigkeit der Nomenklatur ausgezeichnete »Handatlas« von Heinr. ¶