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beruhen einmal auf der wissenschaftlichen Erforschung der Stoffe, aus denen die feste Erdrinde besteht, was zur Mineralogie, Petrographie und sogen. Bodenkunde führt; anderseits in der Aufstellung sogen. Formationen, deren Altersunterschiede durch die Fossilien bestimmt sind. Während diese genannten Bestrebungen ausschließlich dem Geologen zufallen, ist die sogen. dynamische Geologie, [* 2] welche von den Kräften handelt, die das Relief der Erdoberfläche umformen, ein gemeinsames Arbeitsfeld der Geologie und Geographie.
Der Geolog untersucht die Tektonik der Gebirge, der Hoch- und Tiefebenen und führt die Züge des innern Baues derselben zurück auf Faltungen, Verwerfungen etc. der Schichten oder erkennt vulkanische Durchbrüche der Erdrinde; danach stellt er seine verschiedenen Dislokationstypen auf. Die Modifikationen aber dieser gewissermaßen im Rohen erkannten Formen durch die äußern Kräfte der Verwitterung oder Erosion [* 3] wird der Geograph vielleicht gründlicher untersuchen können, weil ihm die hier maßgebenden Einwirkungen der klimatischen Bedingungen geläufiger sind als dem Geologen.
Wenn man gemeint hat, der Geograph solle alle Reliefänderungen, die sich nachweisbar erst seit historischer Zeit vollzogen haben, studieren, dem Geologen aber die vorhistorischen überlassen, so wird man praktisch auf die größten Schwierigkeiten stoßen, da viele Teile der Erdoberfläche das Gepräge ihres Reliefs, so wie es heute vorliegt, in den Grundzügen schon vor der Diluvialzeit, ja manche schon in vortertiärer Zeit empfangen haben. Die Altersgrenze, bis zu welcher die Geographie zurückgehen darf, wird also von Fall zu Fall eine andre sein. Je mehr die geologischen Detailkenntnisse von den einzelnen Ländern durch die geologischen Landesaufnahmen sich vertieft haben, um so klarer und schärfer konnte auch der Geograph seine Formentypen des Reliefs bestimmen.
Dana, Sir Charles Lyell und Eduard Süß sind vielleicht diejenigen Geologen, welche am meisten der modernen Geographie zu einer wissenschaftlichen Vertiefung der Morphologie der Erdoberfläche verholfen haben. »Das Beobachtungsmaterial, welches der Geograph zu verwerten hat«, sagt Richthofen, »ist unendlich groß, da sein Arbeitsfeld die Erdoberfläche umfaßt und sich über alle Naturreiche erstreckt. Er gewinnt es ebenso durch die eingehendste Untersuchung der kleinsten Erdlokalität wie durch den vergleichenden Überblick weiter Erdräume, ebenso durch das Studium der Natur wie durch die philosophische Betrachtung des Kartenbildes. Wie die Biene [* 4] aus tausend verschiedenen Blütenkelchen den Honig sammelt und nur diesen Bestandteil aus denen, welche sie vorfindet, zu entnehmen versteht, so liegt es ihm ob, neben seinen eignen Untersuchungen diejenigen Beobachtungen und Thatsachen aus den verschiedensten Wissensgebieten zu entnehmen und anzusammeln, welche eine Beziehung zu seinem leitenden Gesichtspunkt erkennen lassen.«
Handelt es sich um die systematische Ordnung des so angesammelten Stoffes, so bieten sich dafür zwei Methoden dar:
1) Ordnung nach den Erdräumen: spezielle Geographie;
2) Ordnung der Objekte und Erscheinungen unabhängig von den Erdräumen zu Kategorien: allgemeine Geographie.
Die Erdoberfläche tritt dem Beschauer der Karte zusammengesetzt aus Teilräumen entgegen. So unterscheidet man die fünf Erdteile, man unterscheidet im Bereich eines jeden dieser Erdteile wieder Abgliederungen als Inseln, Halbinseln oder einzelne Reiche und Länder. Der Teilraum Großbritannien [* 5] ist ein scharf umschriebenes »geographisches Individuum« (Ritter) mit nur ihm allein zukommender geographischer Breiten- und Längenausdehnung, Küstenkonfiguration, Anordnung der Erhebungen, Klima, [* 6] Vegetation, allgemeiner wirtschaftlicher Ausstattung, Bevölkerung [* 7] etc.; alles, in dieser Kombination nur einmal aus der Erdoberfläche vorhanden, gibt das geographische Individuum Großbritannien. So ist es mit Spanien, [* 8] so mit Kalifornien etc. Die Beschreibung dieser Teilräume der trocknen Erdoberfläche gibt in systematischer Zusammenstellung die Chorographie oder Länderkunde (auch politische Geographie genannt), welche bei der Fülle des Stoffes indes überall nur das Charakteristische und das Einflußreiche, vom spezifisch geographischen Gesichtspunkt aus, berücksichtigen sollte, leider aber meist mit statistischem Ballast überladen wird.
Die allgemeine Geographie hat es sicherlich mit denselben Objekten zu thun, ja thatsächlich empfängt sie dieselben aus den Händen der speziellen Geographie; aber sie zergliedert den Stoff nach seinen Elementen und faßt diese nach Kategorien von Objekten und Erscheinungen ohne Rücksicht auf die einzelnen Erdräume zusammen. Die spezielle Geographie kennt nur einzelne Gebirge oder Gebirgssysteme, z. B. die Alpen, [* 9] die Pyrenäen, den Himalaja, die Andes. Die allgemeine Geographie sucht die gemeinsamen Merkmale dieser Einzelobjekte zusammenzufassen zu einem geographischen Begriff Hochgebirge, dem sowohl gewisse gleichartige Züge im innern Bau und äußern Relief und in den Dimensionen als auch einige klimatische und biologische Kennzeichen zukommen.
Die allgemeine Geographie schafft also Typen, Kategorien, Begriffe. Dabei richtet sie ihre Blicke »auf das Erdganze und auf die Erdoberfläche in ihrer Gesamtheit und untersucht die allgemeinen Gesetze des örtlichen Vorkommens der einzelnen Kategorien oder Typen von Erscheinungsformen« (H. Wagner),
oder, wie Karl Ritter 1818 es ausdrückte: »Allgemein wird diese Erdbeschreibung genannt, nicht weil sie alles zu geben bemüht ist, sondern weil sie ohne Rücksicht auf einen speziellen Zweck jeden Teil der Erde und jede ihrer Formen, liege sie im Flüssigen oder auf dem Festen, im fernen Weltteil oder im Vaterland, sei sie der Schauplatz eines Kulturvolkes oder eine Wüste, ihrem Wesen nach mit gleicher Aufmerksamkeit zu erforschen bemüht ist, denn nur aus den Grundtypen aller wesentlichen Bildungen der Natur kann ein natürliches System hervorgehen«.
Es mag hier eingeschaltet werden, daß die sogen. vergleichende Erdkunde [* 10] keinen besondern Zweig der Geographie bildet. Karl Ritter, der dieses Epitheton seiner allgemeinen Geographie beifügt, dachte damit nur, wie F. Marthe bewiesen hat, einen generellen Ausdruck für sein tief wissenschaftliches Streben zu geben. Er wollte den Vergleich nicht als Zweck, wie man ihm fälschlich vorgeworfen hat, sondern als Mittel zur Auffindung örtlicher Gesetze des Erscheinens der Naturdinge; er hat die Erdoberflächenobjekte verglichen nach Form, Lage und Größe, sowohl um dabei das Charakteristische als das Wirkungsvolle (letzteres namentlich in Bezug auf das Menschengeschlecht) zu finden; mit Vorliebe verglich er aber die Zustände eines und desselben Erdraums in verschiedenen historischen Zeiten. In dieser Vielartigkeit seiner Vergleiche liegt der Hauptbeweis dafür, daß er nur eine wissenschaftliche Vertiefung der Erdkunde überhaupt damit anstrebte. Neuerdings hat Oskar Peschel auf Grund einer Reihe von morphologischen Untersuchungen geglaubt, eine besondere vergleichende Erdkunde geschaffen zu haben. Die von ihm als vergleichende bezeichnete ¶
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Methode hat indes nur zu einer Vertiefung der Morphologie der Erdoberfläche führen können, nachdem sich überdies herausgestellt hatte, daß das von ihm vielfach geübte vergleichende Kartenstudium allein wissenschaftlich gesicherte Resultate nicht ergab, sondern das Rüstzeug der Geologie zu Hilfe gezogen werden mußte. Gegenwärtig darf der vor einigen Jahren noch lebhaft geführte Streit, ob Karl Ritter oder Oskar Peschel die vergleichende Geographie geschaffen habe, als abgethan und müßig erachtet werden, da das Vergleichen eine mit jeder streng wissenschaftlichen Thätigkeit verbundene Geistesoperation bildet, somit keinem Zweig, keiner Richtung der Geographie als spezifisches Merkmal zukommen kann.
Allgemeine Erdkunde.
Gehen wir nun näher auf den Inhalt der allgemeinen Erdkunde ein, so zerlegen wir denselben gemäß der oben angedeuteten dualistischen Auffassung in zwei Hauptteile: die physikalische Geographie und die Anthropogeographie. Zur physikalischen Geographie im weitesten Sinn gehört auch die mathematisch-astronomische Propädeutik, welche sich 1) mit der Stellung der Erde im Planetensystem [* 12] beschäftigt und 2) die Erdkugel als mathematischen Körper betrachtet, dessen getreue Abbildung die Karte liefern soll.
Demnach hat erstlich die astronomische Geographie zu lehren: die Orientierung auf der Erdoberfläche nach den Himmelsrichtungen (Kompaßstriche), die Umdrehung der Erde um ihre Achse, die Bewegung der Erde um die Sonne [* 13] (Zeitrechnung), endlich die Bewegung des Mondes um die Erde und deren Wirkungen. Zum zweiten bestehen die Abbildungen der Erdkugel entweder in Projektionen (s. d.) auf die Ebene (sogen. perspektivischen Projektionen), oder auf abwickelbare Flächen (Kegel- und Cylinderprojektionen), oder in konventionellen Netzen, welche entweder das Prinzip der geringsten Winkelverzerrung (Winkeltreue, Konformität) oder der Äquivalenz der Flächen (Flächentreue) obenan stellen.
Auf diese Einführung läßt die physikalische Geographie noch Betrachtungen des Erdkörpers als eines Ganzen folgen: die Erdkugel wird gemessen, d. h. es wird ihre sphäroidale Gestalt, ihre Größe festgestellt, darauf die Dichtigkeit und damit das Gewicht ermittelt (s. Erde, S. 746). Man schließt hieran vielfach gleich Auseinandersetzungen über gewisse physikalische Eigenschaften des Erdkörpers: den Erdmagnetismus, die Temperatur des Erdinnern, welch letztere zu einem Überblick über die vulkanischen Erscheinungen und die Theorien der Entstehung des Erdkörpers führen, welche der Geologie entlehnt werden.
Von den materiellen Erdoberflächenteilen behandelt nun die physikalische Erdkunde in der Meteorologie die Atmosphäre. Sie lehrt darin die Erwärmung durch die Sonne und die Modifikationen dieser Erwärmung durch die Eigenschaften der Atmosphäre selbst sowie die Verteilung von Wasser und Land auf der Erdoberfläche, die Periodizität der Erwärmung (tägliche und jährliche Schwankung), die Abnahme der Temperatur mit der Höhe und deren Modifikationen bei auf- und absteigender Luftströmung; endlich die geographische Verteilung der Wärme, [* 14] wobei die Lehre [* 15] von den Isothermen und Isanomalen den echt geographischen Charakter der Meteorologie beweist, ebenso die Schöpfung von Temperaturzonen auf Grund besonders wichtiger Isothermlinien.
Alsdann wird die Rolle, welche der Wasserdampf in der Atmosphäre spielt, erörtert, die Verdunstung, absolute und relative Feuchtigkeit, der Taupunkt, die Formen der Niederschläge, Tau, Reif, Nebel, Wolken, Regen, Schnee, [* 16] Hagel, ihre Ursachen und ihre geographische Verbreitung behandelt. Die Lehre vom Luftdruck zeigt das Gewicht der Luft, die periodischen Schwankungen und die geographische Verteilung des Luftdrucks an der Erdoberfläche (Isobaren). Darauf führt das Buys-Ballotsche Gesetz zu den Beziehungen zwischen Luftdruck und Wind; es sind die Land- und Seewinde, Berg- und Thalwinde und das allgemeine System der Luftzirkulation über der Erdoberfläche zu erörtern.
Die moderne Meteorologie charakterisiert noch weiterhin bestimmte Luftdruckgebiete von hohem oder niedrigem Barometerstand, die barometrischen Maxima oder Minima (Depressionen) nach ihren Wirkungen auf die Winde [* 17] in ihrem Bereich, die dann das Wetter [* 18] in jedem gegebenen Moment regulieren, wie es auf synoptischen Karten zum Ausdruck gebracht wird. Systematisch werden die klimatischen Einwirkungen der Luftströmungen behandelt, indem die letztern große und ständige Anomalien in der Erwärmung sowie die Verteilung der Niederschläge zur Folge haben. Auch die Stürme der Tropen wie der gemäßigten Breiten, die Tornados, Wasserhosen sowie die Böen, namentlich die Gewitterböen aller Breiten mit ihren elektrischen Entladungen, gehören hierher. Endlich schließt die Darstellung einiger nur lokal wirksamer Winde (heiße Winde der Sciroccoklasse, kalte Winde der Boraklasse, Fallwinde der Föhnklasse) diesen ersten Abschnitt der Erdoberflächenkunde.
Die Hydrosphäre liefert im Ozean den Hauptgegenstand der Hydrographie im weitern Sinn. Die Ozeanographie oder Meereskunde lehrt die Verteilung von Wasser und Land, die Einteilung, d. h. Abgrenzung und Klassifikation, der Meeresräume (in Ozeane, Mittel- und Randmeere), endlich die Tiefenverhältnisse (Bodenrelief, Bodensedimente). Dann folgt das Meerwasser nach seiner chemischen Zusammensetzung, nach Salzgehalt, Durchsichtigkeit und Farbe sowie der Wärmeverteilung an der Oberfläche wie in den Tiefen; hierher gehören auch die für die Schiffahrt so wichtigen Eisverhältnisse. Die Bewegungen der Meeresoberfläche in Wellengestalt und die Gezeiten sind Gegenstand fernerer Abschnitte, der letzte und fast der wichtigste umfaßt die Meeresströmungen. [* 19] Die Hydrographie im engern Sinn behandelt sodann das süße Wasser in seinen verschiedenen Gestalten als Lehre von den Quellen, Flüssen, Landseen und den Gletschergebieten der Erde.
Der dritte Hauptteil der physikalischen Geographie hat zum Gegenstand die Morphologie der trocknen Erdoberfläche, die zwiefach, nach ihrer horizontalen Gliederung und ihrer Plastik, erforscht wird. Die horizontale Gliederung ergibt die Einteilung des Landes in Erdteile, beschreibt deren Küsten und ihre Formänderungen durch die Arbeit des Meers mittels positiver und negativer Niveauänderungen des Meeresspiegels (Hebungen, Senkungen) oder unter der Einwirkung des Windes (Dünen) oder vorzeitlicher Vereisung (Fjorde).
Darauf folgt die weitere Gliederung des Festlandes in Halbinseln und Inseln, welche in verschiedene Arten klassifiziert werden (meist nach ihrer Entstehung). Die plastische Gliederung der Landflächen untersucht zunächst die Kräfte, welche Formänderungen erzeugen: die Vorgänge der Erosion oder der Thalbildung einerseits, der Sedimentbildung anderseits, letztere Ablagerungen an den Küsten oder in Binnenseen als Deltas schaffend oder im Innern der Festlande fluviatile Alluvionen entlang den Flußthälern oder glaziale Ablagerungen vorzeitlicher Gletscher oder äolische Ablagerungen im ¶