Zweiten einzuwirken, an welchen sie gerichtet ist. Es ist zwar nicht notwendig, daß die
Personen, welche
Briefe wechseln,
fingierte seien oder gar bloße wesenlose
Abstraktionen von bestimmten Menschenklassen, wohl aber, daß der
Inhalt ein allgemein
interessanter sei. Über diesem Bestreben darf aber der Dichter keineswegs vergessen, den allgemein interessantenInhalt
den bestimmten
Individualitäten des
Schreibers und Empfängers anzupassen, d. h. er muß sich bestreben, der poetischen
Wahrheit
in
Personen und
Individualitäten gerecht zu werden.
Die
Briefe dieser Art sind meist in
Hexametern oder Distichen geschrieben; im
Deutschen möchte sich noch besser der
Iambus in
freier Behandlung mit wechselnden
Füßen (wie ihn
Uz,
Michaelis,
Wieland und besonders v.
Göckingk anwendeten)
zur Epistel eignen; die
Franzosen gebrauchen dazu den
Alexandriner. Was den materiellen
Inhalt der poetischen Epistel anbelangt, so wird
entweder ein Faktum poetisch dargestellt (epische Epistel), oder es werden subjektive
Vorstellungen und
Gefühle des Briefschreibenden
zur
Darstellung gebracht (lyrische Epistel).
In den meisten
Fällen wird der Briefschreiber seinem
Freund irgend
eine
Wahrheit mitteilen wollen, und dann wird die Epistel didaktisch, wie die meisten der
Briefe des Horaz (z. B. die berühmte
»Epistola ad Pisones«). - In der
Theologie versteht man unter Episteln die im
NeuenTestament enthaltenen
Briefe der
Apostel; dann
dieAbschnitte aus den letztern (epistolische
Perikopen), welche an
Sonn- und Festtagen am
Altar
[* 2] verlesen
zu werden oder der
Predigt zu
Grunde zu liegen pflegen.
formatae (lat.), formulierte oder schematisierte
Briefe, in den ältesten
Zeiten der christlichen
Kirche Empfehlungsbriefe, welche wandernde
Brüder von der einen
Gemeinde an
die andre erhielten.
laureatae (lat.), mit Lorbeeren umwundene
Briefe, wie sie die römischen
Feldherren mit
der Siegesnachricht nach
Rom
[* 3] zu schicken pflegten (Siegesbülletins).
Reuchlin appellierte
an den
Papst, und dieser erteilte darauf dem
Bischof von
Speier
[* 7] den Auftrag, die
Sache zu untersuchen. Obwohl
letzterer für
Reuchlin entschied, kam doch auf Veranlassung
Hoogstratens die
Sache 1514 nochmals vor den
päpstlichen
Hof
[* 8] und war hier mehrere Jahre anhängig. In dieser Zeit erschienen nun die Epistolae. Der
Titel und wohl der ganze
Gedanke
der
Schrift ist als Gegenstück zu den (nicht fingierten)
»Epistolae clarorum virorum« an
Reuchlin entstanden, die 1514 von
ihm veröffentlicht worden waren, um in dem Streit mit den
Kölnern ein
Gewicht in seine Wagschale zu werfen;
ihnen wurde in den Epistolae ein erdichteter Briefwechsel aus dem
Kreise
[* 9] seiner Widersacher entgegengestellt.
Die Haupttendenz derselben war, der bereits in der öffentlichen Meinung sehr gesunkenen
Sache des Mönchtums eine Hauptniederlage
beizubringen, den gesamten
Obskurantismus in seiner
Ohnmacht hinzustellen und der freien
Wissenschaft das
ihr gebührende
Stimmrecht bei den
Fragen des
Zeitalters zu sichern. Es ist darin die derb-satirische volksmäßige
Richtung
der
Opposition in ihrer Vereinigung mit der humanistischen zu ihrer Vollendung durchgedrungen. Die
Briefe der Dunkelmänner
sind schlagend, treffend, vernichtend und, obwohl mit den gröbsten
Waffen
[* 10] fechtend, doch in ihrer Art
durchaus vollendet.
Die
Briefe sind nämlich angeblich von Anhängern des alten
Systems an einen gewissen Ortuinus
Gratius,
Professor der scholastischen
Theologie in
Köln,
[* 11] den lateinischen Handlanger und poetischen
Schildhalter der dortigen Obskuranten, gerichtet, und jene sprechen
sich hier ganz offen in ihrer krassen Unwissenheit aus; zugleich aber berichten sie von den
Ansichten
der Reuchlinisten und müssen so selbst der
Wissenschaft das
Wort reden. In Bezug auf die Ausdrucksweise mag im einzelnen die
schlechte
Latinität der alten Theologen und
Scholastiker etwas übertrieben sein, aber im allgemeinen ist sie durchaus charakteristisch,
an vielen
Stellen sogar unübertrefflich.
Ganz adäquat der Form ist der
Inhalt der Sendschreiben. Die
Briefsteller unterhalten sich am liebsten
über
Speisen und
Getränke, vorzüglich aber über die
Freuden der
Liebe. Nicht minder als die Üppigkeit werden der Dünkel
und die Titelsucht der geistlichen
Herren mitgenommen. Natürlich ist aber der
Kampf zwischen
Reuchlin und den Humanisten auf
der einen und den
Scholastikern und
Pfaffen auf der andern Seite der Hauptgegenstand der
Korrespondenz.
Diese erregte gleich bei ihrem Erscheinen das größte Aufsehen, obgleich anfänglich auch die Pfaffenpartei, die
Satire nicht
verstehend, sich die
Briefe zu ihren gunsten auslegte.
Männer von anerkannter Mäßigung, wie
ErasmusundThomasMorus, äußerten ihr
Entzücken darüber;
Luther
dagegen, dem, damals wenigstens, der
Humor zur richtigen Auffassung eines solchen Werkes fehlte, fand die
Briefe frech und
nannte den Verfasser einen
Hanswurst. Umsonst erwirkte die angegriffene
Partei mit schweren
Summen die Verdammung der
Urheber
und
Leser des
Buches durch ein päpstliches
Breve; es trug nur noch mehr zur Verbreitung wie zur
Nachahmung
desselben bei, wenn auch keine von allen dadurch hervorgerufenen
Satiren an
Frische und
Kraft
[* 12] das
Original erreichte. Die allgemeine
Meinung hielt anfangs
Reuchlin für den
Urheber, später erklärte sie sich für drei Verfasser:
Reuchlin,
Erasmus und
Hutten.
Nachdem die beiden erstern die
Ehre abgelehnt, bliebHutten als Haupturheber stehen; doch gesellte man
ihm nach und nach noch einige seiner geistesverwandten
Freunde bei. Nach einer Untersuchung
Kampschultes
(»DeCroto¶
1878) war Crotus Rubianus wohl der bedeutendste Mitarbeiter, wenn nicht der Urheber; doch dürften namentlich die ernstern
Stücke des zweiten Teils, insbesondere das »Schlauraffsche Reisegedicht«,
ein Prachtstück der ganzen Sammlung, auf Hutten zurückzuführen sein. Die Epistolae erschienen in zwei Teilen
an verschiedenen Orten und unter verschiedenen Titeln und bestehen, wie sie jetzt vorliegen, 1) aus den 41 Briefen der ersten
und zweiten Ausgabe, die angeblich in Venedig
[* 16] bei Minutius (absichtlich statt Manutius), in der That aber zu Hagenau
[* 17] bei W. Angst
im Herbst 1515 und Anfang 1516 erschienen;
2) aus dem zur dritten Ausgabe (auch noch von 1516) hinzugekommenen Anhang von 7 Briefen;
3) aus dem 1517 bei Froben in Basel
[* 18] erschienenen zweiten Teil mit 62 Briefen, wozu 4) in der zweiten Ausgabe nochmals ein Anhang von 8 Briefen
kam. Ein sogen. dritter Teil der Epistolae (zuerst 1689 gedruckt)
ist eine Sammlung vermeintlicher Seitenstücke dazu aus verschiedener Zeit und hat mit dem ursprünglichen Buch nichts mehr
zu schaffen. Unter den zahlreichen Gesamtausgaben sind die zu Frankfurt
[* 19] (1643), die Londoner Duodezausgabe ohne Jahreszahl,
die von Maittaire (Lond. 1710), Münch (Leipz. 1827), von Rotermund (Hannov. 1827, 2 Bde.)
und die anonym erschienene von Böcking (Leipz. 1858, 2. Aufl. 1869) hervorzuheben. Mit Kommentar und eingehenden
bibliographischen Nachweisen finden sie sich in BöckingsAusgabe von »Hutteni opera« (Supplement, Leipz. 1864-69, 2 Bde). Eine
Übersetzung ins Deutsche
[* 20] lieferte Binder (Stuttg. 1875). Eine Verteidigungsschrift Pfefferkorns 1516 sowie die »Lamentationes
obscurorum virorum« (Köln 1518) vermochten den Epistolae nur lahme und gezwungene Witze entgegenzustellen.
Die »Epistolae novae obscurorum virorum ex Francofurto Moenano ad Dr. Arnoldum Rugium rubrum nec non abstractissimum datae«
von G. Schwetschke (Frankf. 1849; neu hrsg. mit Erläuterungen, Halle
[* 21] 1875) behandelten die innern Angelegenheiten des deutschen
Reichsparlaments in witziger Weise, ebenso die »Epistolae obscurorum virorum«
(Leipz. 1872) das vatikanische Konzil.