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Hochkirche und als eine echt religiöse, aber geistig befangene Bewegung. Dieser frühern Generation der »Evangelicals« verdanken die Engländer die Aufhebung der Sklaverei und die Stiftung mehrerer nützlicher Gesellschaften, die zum Teil noch in hoher Blüte [* 2] stehen. Die neuern Evangelicals repräsentieren vollständig den kontinentalen gläubigen Protestantismus, aber mit überwiegendem Calvinismus. Von theologischer Wissenschaft ist bei ihnen keine Rede; ihre Litteratur besteht fast nur aus Predigten und Erbauungsschriften. Das hochkirchliche Element steigerte sich durch die Oxforder Professoren John H. Newman (geb. 1801) und Edw. B. Pusey (gest. 1882), welche zur Erneuerung echter Katholizität alle katholischen Satzungen und Lehren, [* 3] soweit ihnen die 39 Artikel nicht ausdrücklich widersprachen, wieder aufnahmen, zugleich aber auch in der Litteraturgeschichte Englands durch ihre zündenden »Tracts for the times« glänzten.
Für eigentliche Gelehrsamkeit erwiesen sich nur die Anhänger der sogen. breitkirchlichen Richtung (broad-church) zugänglich und fruchtbar, an ihrer Spitze der Dean Arthur P. Stanley (1815-81); zu nennen sind ferner die Gelehrten Oxfords: Hussey, Jowett, Mansell, Macbride, die Gebrüder Hare, Milman, Trench;
von Cambridge: Conybeare, Howson, Blomfield, Alford, Hardwick u. a. Der Predigtsammlungen (sermons) ist kein Ende in der Litteratur der Hochkirche;
klassisch und auch frei für seine Zeit redete der Erzbischof Tillotson (gest. 1694).
Auch unter jenen Protestanten, die sich der anglikanischen Kirche nicht anschlossen, zeigten sich im 17. Jahrh. hervorragende Schriftsteller: Richard Baxter (gest. 1691), dessen »Ewige Ruhe der Heiligen« mit Bunyans (gest. 1688) »Pilgerfahrt des Christen« zu den gelesensten aller Erbauungsbücher gehört. Dieselbe Zeit des religiösen Enthusiasmus gebar auch die Sekte der Quäker, deren gebildetere Anhänger Barclay, Penn, Whitehead, Ellwood ihre Lehren in Schriften verteidigten. Berühmte Nonkonformismen waren ferner: Whiston, Doddridge, Law und die Methodisten Whitefield (gest. 1770) und Wesley (gest. 1791). Von den englischen Dissenters der neuern Zeit, die ein gelehrtes Streben an den Tag legten, nennen wir: Lardner, Farmer, Foster, Leland, Hall, [* 4] Clarke;
von den Schotten: Blair, Campbell, Alison, Thomson, den ausgezeichneten Prediger und Schriftsteller Chalmers, Brown, Wardlaw, Guthrie, Caird, Cumming, Candlish.
Geschichtsschreibung.
Die Geschichtschreibung wurde in England im Mittelalter vorwiegend von Geistlichen, meist Benediktinermönchen, gepflegt und in lateinischer Sprache [* 5] abgefaßt. Eins der ältesten und wertvollsten Geschichtswerke ist die Geschichte der englischen Könige und der englischen Kirche bis 1142 von Wilhelm von Malmesbury. Der Streit zwischen Staat und Kirche in England im 12. Jahrh. rief auch Geschichtswerke hervor, so die von Gervasius von Canterbury und von Johannes von Salisbury, die auf kirchlichem Standpunkt stehen, während Benedikt von Peterborough, dessen Werk dem von Roger von Hoveden zu Grunde liegt, und namentlich Matthäus Paris [* 6] (gestorben um 1259), der bedeutendste englische Geschichtschreiber des Mittelalters, in entschiedener Opposition zu Papsttum und Kirche stehen.
Nur litterarischen und sagengeschichtlichen, nicht historischen Wert haben die Reimchroniken, besonders die des Meisters Wace aus Jersey, welcher nebst einer Geschichte der Normannen: »Roman de Rou« (»Romanze des Rollo«),
um 1160 die an Fabeln reiche Chronik Geoffreys von Monmouth zu einem erzählenden Gedicht: »Le [* 7] Brut d'Angleterre«, verarbeitete, welches Layamon ins Sächsische übersetzte und Robert von Gloucester und R. Mannyng nachahmten. Zu Anfang des 14. Jahrh. entstanden solche Reimchroniken, die nur nackte Erzählungen meist von Schlachten [* 8] und Festen ohne Urteil, Kunst und Phantasie brachten, in Masse. Auch Chroniken und Geschichtsbücher, z. B. in englischer Sprache, wurden gegen Ende des Mittelalters und in der Reformationszeit zahlreicher. Sie alle übertrifft Sir Walter Raleighs (gest. 1618) unvollendete Weltgeschichte.
Eigentliche Geschichtschreibung mit selbständiger Reflexion [* 9] und Charakterzeichnung rief erst der große Kampf zwischen Volk und Krone im 17. Jahrh. ins Leben. Thomas May (gest. 1650) beschrieb zuerst diesen Bürgerkrieg, dann Whitelocke (gest. 1676), Bischof Gilbert Burnet (gest. 1715) und Lord Clarendon (gest. 1674). Auf diese durch eine interessante Zeit hervorgerufene Geschichtschreibung folgten wieder ein Rückschritt und eine Reihe bloßer Kompilatoren, wie L. Echard, Strype, Kennet, Rapin, ein französischer Protestant, u. a. Lord Bolingbroke (gest. 1751, »Letters on the study of history«),
Nathaniel Hooke (gest. 1763) und C. Middleton (gest. 1750) brachten dann wieder einen großen Fortschritt in die englische Geschichtschreibung und waren die Vorläufer des großen Triumvirats der Vertreter der skeptisch-rationalistischen Aufklärungsperiode: David Hume (1711-76, »History of England«),
mit dem die neue historische Schule beginnt, William Robertson (1721-93, »History of Scotland«, »History of Charles V.«, »History of America«) und Edward Gibbon (1737-94, »History of the decline and fall of the Roman empire«),
dessen Werk trotz mancher Schwächen und Irrtümer zu den größten Triumphen historischer Kunst gehört. Ihr Erfolg rief eine Legion mehr oder weniger guter Geschichtswerke ins Leben. Mit besonderer Vorliebe wandte sich die Geschichtsforschung auf die Heimat selbst und ihre innere Geschichte. Würdig beschloß W. Roscoe (gest. 1831) die Reihe der englischen Historiker des 18. Jahrh. durch seine mit Wärme [* 10] und Liebe geschriebenen Biographien der Mediceer (»The life of Lorenzo de' Medici«, 1795, und »The life and pontificate of Leo X.«, 1803), welche insbesondere die damaligen Kulturzustände Italiens, [* 11] das Wiederaufleben der schönen Künste und Wissenschaften dankenswert beleuchten.
Vgl. Ebeling, Englands Geschichtschreiber (Berl. 1852).
Die Historiker des 19. Jahrh. zeichnen sich nicht nur durch größere Tiefe der Forschung und zum Teil durch kunstvolle Darstellung, sondern auch dadurch vorteilhaft aus, daß sie nach dem Vorgang Roscoes die Litteratur- und Kunstgeschichte gern mit der politischen verbinden, was ihren Werken einen höhern Grad von Anziehung und Belehrung verleiht. Um zunächst bei der vaterländischen Geschichte zu verweilen, so wurde jetzt die angelsächsische Geschichtsperiode, ein bisher ganz brach gelegenes Feld, mit besonderm Eifer bebaut. Der erste war Sharon Turner (1768-1847), dessen »History of the Anglosaxons« und »History of England during the middleages«, obschon in einem etwas affektierten Stil abgefaßt, ihm einen ehrenvollen Namen erwarben. Ihm folgten Thom, Wright (gest. 1877) und Sir Francis Palgrave (gest. 1861),
dieser mit den rühmlich bekannten Werken: »The rise and progress of the English commonwealth: Anglosaxon period« (1832) und »The ¶
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history of Normandy and of England« (1851-64); ferner J. ^[John] Mitchell Kemble (gest. 1857, »The Saxons in England«) und Edward Aug. Freeman (geb. 1823) mit seiner vorzüglichen »History of the Norman conquest«. Auch John Lingard (1771-1851) hatte vor seiner berühmten, aber in katholischen Anschauungen befangenen »History of England from the first invasion of the Romans etc.« (1819 ff.) bereits eine »History and antiquities of the Anglosaxon church« (1809) geschrieben, die von großer Gelehrsamkeit zeugt.
Am meisten jedoch wurde der allerdings interessanteste Abschnitt der englischen Geschichte, der Kampf um Freiheit und Verfassung unter Karl I. bis Jakob II., bearbeitet. Auf diesem Gebiet sind besonders zu nennen: James Mackintosh (1765-1832) mit seiner für Lardners Encyklopädie geschriebenen »History of England« und der aus seinen Papieren herausgegebenen »History of the revolution in England 1688«, Werken, welche die ganze Gelehrsamkeit, Wahrheits- und Menschenliebe des berühmten Philosophen und Politikers bekunden;
W. Godwin (1756-1836) mit der »History of the commonwealth of England from the commencement to the restoration of Charles II.«, einem nicht unparteiischen, aber an wichtigen Aufklärungen über jene bedeutende Zeit reichen Werk;
ferner Lingard, dessen schon oben genannts ^[richtig: genanntes] Werk auch außerhalb Englands große Verbreitung fand;
Lord Mahon (Stanhope, 1805-75) mit seiner »History of England from the peace of Utrecht [* 13] etc.«;
endlich als die bedeutendsten Namen: Henry Hall am (1778-1859),
Verfasser der als klassisch anerkannten, mit rhetorischer Anmut geschriebenen »Constitutional history of England from the accession of Henry VII. etc.«, und Th. Babington Macaulay (1800 bis 1859),
der Meister der englischen Historiographie, dessen durch künstlerische Gruppierung des Stoffes, lichtvolle Darstellung und lebenswarme Diktion ausgezeichnete »History of England from the accession of James II.« an Erfolg alle andern Geschichtswerke der Zeit weit überflügelt hat.
Beide gehören der politischen Farbe nach zu den Whigs, deren Grundsätze Hallam mit Ruhe und Mäßigung, Macaulay mit Wärme und etwas Parteilichkeit bekennt; beide stehen an gelehrtem Wissen, an Klarheit und Unabhängigkeit des Urteils einander gleich, aber während Hallam mehr Prinzipien vertritt als Personen, ergeht sich Macaulay gern in Schilderungen von Persönlichkeiten und ihrer Zeiten und feiert gerade als Porträt- und Charaktermaler seine schönsten Triumphe.
Auf einem ganz andern Standpunkt stand H. Thomas Buckle (gest. 1862), der in seiner epochemachenden, aber unvollendeten »History of civilisation in England« ein riesiges Material aus allen Gebieten der Wissenschaft zusammentrug, um die Gesetze der intellektuellen Welt festzustellen. Wie anregend sein Vorgang wirkte, beweist unter anderm die in seinem Geist gedachte und vortrefflich geschriebene »History of rationalism in Europe« von Lecky (1866) sowie die in ähnlichem Sinn aufgefaßte »History of the intellectual development of Europe« von Draper (gest. 1882). In Macaulays Fußstapfen trat, was Forschung und farbensatte Darstellung anlangt, in würdiger Weise J. A. ^[James Anthony] Froude (geb. 1818) mit seiner »History of England from the fall of Wolsey etc.«
Von Leistungen in der schottischen Geschichtschreibung sind hervorzuheben: Malcolm Laings (gest. 1818) »History of Scotland from the accession of James VI. etc.« (1800 ff.),
die sich durch kritische Forschung und scharfes Räsonnement auszeichnet;
G. Chalmers' (gest. 1825) »Caledonia« (unvollendet),
eine fleißige antiquaristische und topographische Forschung über die frühern Perioden der schottischen Geschichte;
ferner P. Fraser Tytlers umfassende »History of Scotland« (1828 ff.),
die mit Alexander III. beginnt und bis zur englischen Thronbesteigung Jakobs VI. reicht, und J. ^[John] Hill Burtons »History of Scotland from the revolution to the extinction of the last Jacobite insurrection, 1689-1748« (1853),
letzteres, wie das vorige, ein mit übersichtlicher Klarheit geschriebenes Werk.
Mit der Geschichte des Auslandes beschäftigten sich: Will. Coxe (gest. 1828) in seiner »History of the house of Austria« (1807) und den »Memoirs of the kings of Spain of the house of Bourbon« (1813);
die »History of Persia« (1815) von J. ^[John] Malcolm;
die Werke über Indien von James Mill (1817) und M. Elphinstone (gest. 1859);
die Geschichte Brasiliens von Southey (1810);
die Geschichte der Regierungszeit Philipps IV. und Karls II. von Spanien [* 14] von Dunlop (1834);
ferner die große »History of Europe 1789-1815« von Alison (gest. 1867),
ein kräftiges Geschichtsgemälde, das aber nicht selten durch allzu starke Beimischung toryistischer Parteifarbe entstellt wird;
die »French revolution«, sodann die »History of Frederick the second« von Thomas Carlyle (1795-1880),
dem geistvollen Vertreter des Heroenkultus in England, und die von einem Augenzeugen und tüchtigen Taktiker herrührende »History of the war in the Peninsula« von Napier (gest. 1860).
Auch die Geschichte des Altertums fand in der neuesten Zeit mehrere Bearbeiter. Obenan steht George Grotes (gest. 1871) mit dem »Ernst der Wahrheit und der Glut des Genies« geschriebene »History of Greece«, worin die Bruchstücke hellenischen Lebens, welche auf uns gekommen sind, zu einem prächtigen Gebäude zusammengefügt erscheinen. Die Geschichte Griechenlands vom Altertum bis zur Neuzeit behandelte (in verschiedenen Werken) G. Finlay (gest. 1875), die römische Geschichte im Geist Niebuhrs Th. Arnold (gest. 1842), dessen Werk bis zum Schluß des zweiten Punischen Kriegs reicht, während G. Cornewall Lewis (gest. 1863) die Ansichten Niebuhrs bekämpfte.
Eine Geschichte der Römer [* 15] unter den Kaisern schrieb Merivale (geb. 1808). Ungemein reich ist die biographische und Memoirenlitteratur in England. Die meisten Könige, Feldherren und Staatsmänner der letzten Jahrhunderte haben Biographen gefunden, und deren Werke sind um so wertvoller, als sie meist Briefe, Reden und Aufzeichnungen ihrer Helden in ausgiebigster Weise enthalten. Was die Geschichtsquellen betrifft, so wurden durch die 1847 aufgelöste Recordkommission eine lange Reihe Dokumente veröffentlicht. Ähnliches geschieht teils durch die Historical Society und Camden Society, teils durch die Vereine zur Herausgabe älterer englischer Litteraturdenkmäler. In diesen Publikationen wurde die kritische Methode der deutschen historischen Schule mit Erfolg angewendet, und auch in ihren Geschichtswerken kam dieselbe zur Geltung, zumal da der englische Charakter von selbst zu ruhiger Erwägung und unparteiischem Urteil hinneigt.
Übrige Wissenschaften.
In den Staatswissenschaften haben die Briten, begünstigt durch den Schutz einer festen Konstitution und einer ungeschmälerten Preßfreiheit, hervorragende Leistungen aufzuweisen. Für nützliche Reformen im Staats- und Volksleben waren vor andern ¶