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1845) durch komische Dichtungen aus; aber schon bei ihm wirft sich die Muse zur Beschützerin der gesellschaftlichen Parias auf: sein »Song of the shirt« tritt für die bedrängte Lage der armen Handarbeiterin ein, während Ebenezer Elliott (gest. 1849) die Not der arbeitenden Klasse überhaupt zum Mittelpunkt seiner Poesie macht und in seinen gegen die Korngesetze gerichteten Dichtungen, die ihm den Namen des »Cornlaw-rhymer« eintrugen, sich erfolgreich auf das politische Gebiet wagt.
Aus der großen Schar der übrigen lyrischen und lyrisch-epischen Dichter der neuesten Zeit heben sich als bedeutendere Gestalten heraus: der gegenwärtige Kronpoet (poet laureate) Alfred Tennyson (geb. 1809, »Lockley's Hall«, [* 2] »The princess«, »Idylls of the king« etc.),
Robert Browning (geb. 1812, »Bells and pomegranates« u. a.) und seine Gattin Elizabeth (gest. 1861),
James Bailey (geb. 1816, »Festus«),
William Englische [* 3] Aytoun (gest. 1865),
»Lays of the Scottish cavaliers«),
Edward Robert Lord Lytton (geb. 1831), Rob. Buchanan (geb. 1841); ferner die Häupter der jüngsten englischen Dichterschule: Algernon Ch. Swinburne (geb. 1837) und William Morris (geb. 1834).
Was das Drama betrifft, so tritt uns zunächst Joanna Baillie (gest. 1851) mit einer Reihe von Dramen entgegen, in denen sie sich die Entwickelung einzelner Leidenschaften zur Aufgabe macht; doch blieben ihre Stücke, als deren bedeutendstes »De Montfort« gilt, auf der Bühne wirkungslos. Auch das aufsehenerregende Drama »The bride's tragedy« von Th. Lovell Beddoes (gest. 1849) war mehr ein Lesedrama. Die oben genannte Elizabeth Browning knüpft den schon von Byron aufgenommenen Faden [* 4] des mittelalterlichen Mysteriums wieder an: ihr »Drama of exile« legt in die Vertreibung der ersten Menschen aus dem Paradies den Gedanken an das schwindende Jugendideal. Dem griechischen Altertum sind Thomas Noon Talfourds (gest. 1854) »Ion« und »The Athenian captive« angelehnt, doch blieben sie ohne Einfluß auf die Entwickelung des Dramas. Wichtiger sind die historischen Trauerspiele eines Henry Taylor (geb. 1800, »Isaac Comnenus«, »Philip van Artevelde«, »Edwin the Fair«),
denen sich der »Virginius« von J. ^[James] Sheridan Knowles (gest. 1862) und der »Rienzi« der Mary Mitford (gest. 1855) anschließen. Neben dieser historischen Richtung besteht eine philosophische, als deren Hauptrepräsentant Robert Browning (»Paracelsus«, »Sordello«) zu nennen ist. Von Lytton Bulwers Dramen gefiel die Komödie »The lady of Lyons« am meisten. John O'Keefe (gest. 1833) verstand die Kunst, leichte, humoristische Stücke zu schreiben, die das Volk belustigten und die kleinern Theater [* 5] füllten. In demselben Genre zeichneten sich George Colman der jüngere (gest. 1836, »The poor gentleman«, »John Bull«),
Thom. Holcroft (gest. 1809, »The road to ruin«),
Fr. Reynolds (gest. 1841) u. a. aus. In neuester Zeit errangen Tom Taylor (gest. 1880) mit seinen Lustspielen und historischen Dramen und T. Robertson (gest. 1871) mit seinen Komödien (»Society«, »Caste«, »School«, »Ours« etc.) Erfolge. Unter der großen Zahl der sogen. Denker (thinkers),
wie diejenigen in England genannt werden, welche für die Komposition kleiner Bühnenstücke an den Theatern angestellt sind, verdienen Erwähnung: John Tobin (gest. 1804, »The honeymoon«),
Th. Morton (gest. 1838), Douglas Jerrold (gest. 1857) u. a. Auch W. Scott, Dickens u. a. wurden mit Erfolg dramatisiert. Aber keinem der genannten Dichter ist es gelungen, eine neue, lebenskräftige dramatische Form zu finden, und eine nationale Bühne gibt es in England seit Shakspeares ^[richtig: Shakespeares] Zeiten nicht mehr. Das einzige Genre, in welchem die moderne englische Dramatik noch gewissermaßen schöpferisch auftritt, sind die sogen. burlesque extravaganzas (Pantomimen und Burlesken); hierin war der Schauspieler Henry James Byron (gest. 1884) besonders beliebt und fruchtbar.
Wissenschaftliche Litteratur.
Philosophie.
Die insulare Lage hat in England wie überhaupt eine eigentümliche Geistesrichtung, so auch von früh an eine eigenartige Philosophie erzeugt, welche auf dem Kontinent mehr Anregungen hervorgebracht, als, mit wenigen Ausnahmen, von dorther empfangen hat. Dieselbe hat auf der britischen Insel schon zur angelsächsischen Zeit Pfleger gefunden: sowohl Beda Venerabilis (gest. 735) als Alkuin (gest. 804), der Freund Karls d. Gr., waren jener irischer, dieser englischer Abkunft.
Auch der Vater der Scholastik, Joh. Scotus Erigena (gest. 877), war auf britischer Erde geboren; der Piemontese Anselm (gest. 1109), der Erfinder des ontologischen Beweises, starb als Erzbischof von Canterbury. An dem Kampf des Nominalismus und Realismus nahmen die Engländer Johann von Salisbury (gest. 1180), Abälards Schüler, der zwischen beiden eine Vermittlerrolle spielt, und Alexander von Hales (gest. 1245), welcher zuerst die Kenntnis arabischer Philosophen im Abendland verbreitete, teil. Den Thomismus bekämpften der das Studium der Natur und der Mathematik dem des Aristoteles vorziehende Mönch Roger Bacon (1214-94) und der feurige Dialektiker (Doctor subtilis) Johannes Duns Scotus (gest. 1308), während Wilhelm von Occam (gest. 1347) und Robert Holkot (gest. 1349) den Nominalismus, letzterer namentlich gegen den Erzbischof von Canterbury, Thomas Bradwardine, zur Herrschaft brachten. Hauptsitz der Scholastik blieb Oxford; [* 6] in Cambridge faßte der Neuplatonismus der Renaissancezeit Fuß, aus welchem später durch Henry More (gest. 1687) und Ralph Cudworth (gest. 1688) das Studium der Kabbala und der Mystizismus hervorgingen, während der Arzt Robert Fludd (um 1617) die Naturphilosophie des Paracelsus und der Schwärmer John Pordage (gest. 1698) die Theosophie Jakob Böhmes nach England verpflanzten, welche in Bromley und John Leade begeisterte Anhänger fand.
Francis Bacon von Verulam (1561-1626) suchte durch sein »Novum organon« und seine »Instauratio magna scientiarum« eine Reform des Wissens und der Wissenschaft auf Grundlage der Erfahrung als einziger Erkenntnisquelle herbeizuführen und ist dadurch der Begründer einer englischen »Nationalphilosophie«, wie sein Gegner Lord Herbert von Cherbury (1581-1648),
welcher die allgemeine Übereinstimmung auf Grund der allen gemeinsamen Vernunft als oberstes Kriterium der Wahrheit ansah, der Begründer einer »rationalen« Philosophie in England geworden. Des erstern Erfahrungsphilosophie wurde von Thomas Hobbes (1588-1679); welcher nur den äußern Sinn als Erkenntnisquelle gelten ließ und demgemäß alles Wirkliche in natürliche (Naturkörper) und künstliche Körper (Staat) einteilte, zum Sensualismus und Materialismus, von John Locke (1632-1704), der neben dem äußern Sinn (sensation) auch einen innern (reflection) zuließ, zum Empirismus fortgebildet. Des letztern Rationalismus hat als rationale Metaphysik ¶
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insbesondere an S. Clarke (1675-1729) und dem Grafen Shaftesbury (1670-1713), als rationale Moralphilosophie aber außer den beiden Genannten noch in Wollaston (1659-1724) und Fr. Hutcheson, dem Entdecker des sittlichen Gefühls (moral sense) (1694-1747), Beattie (1735-1803), Ferguson (1724-1816) u. a. Vertreter gefunden. Beiden Schulen gemein war die Opposition gegen die geoffenbarte Religion, an deren Stelle der Materialismus den offenen Unglauben, Herbert, Locke, Clarke und Shaftesbury den Deismus und die natürliche oder Vernunftreligion setzten, während gleichzeitig politische Rationalisten, wie Algernon Sidney (1622-83) und John Milton (1608-74), das »Königtum von Gottes Gnaden« des Robert Filmer (gest. 1647) bekämpften.
Jene begründeten die Schule der sogen. Freethinkers (»Freidenker«),
zu welchen Charles Blount, Collins, Lyon, [* 8] Tindall und vor allen John Toland (gest. 1722), der Vorläufer der französischen Encyklopädisten, gehörten, und die im Zeitalter der Aufklärung ihren Einfluß über die ganze gebildete Welt ausbreiteten. Der Empirismus Lockes gestaltete sich bei Arthur Collier (gest. 1732, »Non-existence of an external world«) und George Berkeley (gest. 1753) zum empirischen Idealismus um, während David Hume (1711-76) durch denselben zum Skeptizismus geführt wurde.
Als Moralphilosoph schloß sich Hume wie sein Geistesverwandter Adam Smith (1723-90) an die Schule des moral sense Hutchesons an, während Thomas Reid (1710-96) wieder auf Herberts common sense zurückging und die sogen. schottische Schule stiftete, welche nach ihm von Dugald Stewart (1753-1823), Thomas Brown (1778-1820) fortgesetzt und durch Sir William Hamilton (1788-1856) dem Kantschen Standpunkt genähert wurde. Als Gegner derselben trat von materialistischer Seite her Priestley (1733-1804), vom Standpunkt des Lockeschen Empirismus John Stuart Mill (1806-73) auf, während sie durch Royer-Collard und Cousin in Frankreich großen Einfluß gewann. Gegenwärtig ist die schottische Schule, zu welcher außer den Genannten auch James Mill (1775-1836), Bentham (gest. 1832), John Young, Ballantyne, Abercrombie, Wylne, James Macintosh (gest. 1832) u. a. gezählt werden, durch Whewell, Mansel, Mac Cosh u. a., die empirische Schule durch den Psychologen Alex. Bain, Sidgwick und die Mitarbeiter der philosophischen Zeitschrift »The Mind« vertreten.
Durch John Stuart Mill und den Kulturhistoriker Buckle ist auch der Positivismus Comtes in England eingeführt, dessen materialistische Psychologie jedoch abgelehnt worden, was von seiten andrer englischer Positivsten, wie G. H. Lewes, Tylor u. a., nicht geschieht. Dem Positivismus verwandt ist das von seinem Urheber, dem bedeutendsten unter den lebenden englischen Philosophen, Herbert Spencer (geb. 1820), als »Evolutions- oder Entwickelungsphilosophie« bezeichnete System, das sich wie jener den Aufbau des Wissens »nach der natürlichen Ordnung der Wissenschaften« (Biologie, Psychologie, Soziologie und Moral) zur Aufgabe macht, aber im Gegensatz zu jenem das Vorhandensein einer jenseit der Erfahrung gelegenen (metaphysischen) Welt nicht schlechthin leugnet, sondern dieselbe als allerdings »unbekannten« (unknown) Hintergrund am Horizont [* 9] der empirisch bekannten Welt der Erscheinungen bestehen läßt.
Dem im Gefolge der Naturwissenschaften, besonders der Darwinschen Deszendenztheorie, drohenden Überhandnehmen des Materialismus haben Wright, Collyns Simon, Fraser, Hodgson u. a. durch Wiederbelebung des Berkeleyschen »Immaterialismus« einen Damm vorzuschieben gesucht. Durch Abbot, den Übersetzer Kants, Stirling (»The secret of Hegel«),
Max Müller, den Übersetzer der »Kritik der reinen Vernunft« (1881),
hat auch deutsche Philosophie in England Eingang gefunden; letzterer hat dabei in der Vorrede bemerkt, daß die englische Philosophie, was die durch Kant bewirkte Umwälzung in der Philosophie betrifft, »noch nicht bei Kant angelangt« sei. Um die Geschichte der Philosophie haben sich außer dem ersten neuern Historiker derselben, Stanley, in jüngster Zeit Thomson, Lewes, Flint, Morris, G. Grote u. a. Verdienste erworben.
Theologie.
Die Theologie hat in England nie jene wissenschaftliche Ausbildung erlangt, die sie durch den deutschen Geist erfuhr. Von den frühsten Zeiten her wurde sie nach herkömmlicher, von der Kirche vorgeschriebener Weise getrieben und mit scholastischen Spitzfindigkeiten ausgestattet. Über den freisinnigen Johann Wiclef (gest. 1384) ward nach seinem Tod noch das Verdammungsurteil ausgesprochen. Die Reformation, welche den Geistesdruck nicht aufhob, sondern nur die kirchliche Obergewalt aus den Händen des Papstes in die Heinrichs VIII. spielte, förderte das Studium der theologischen Wissenschaft keineswegs; erst allmählich brachte die anglikanische Kirche auch Theologen hervor, denen die Reformation kein politischer Handel, sondern eine Herzenssache war, die sie mit Mund und Feder verteidigten. Dahin gehören unter andern der gelehrte John Hales (gest. 1656) und Jeremy Taylor (gest. 1667), der beredteste und phantasiereichste unter den Theologen seiner Zeit. Aber die eigentlich gelehrte Theologie begann erst im 17. und 18. Jahrh. Von förderndem Einfluß war auf sie das Studium der alten, besonders der orientalischen, Sprachen. John Fell (gest. 1686) besorgte mehrere brauchbare Ausgaben der Kirchenväter, sein Schüler John Mill (gest. 1707) die erste kritische Ausgabe des Neuen Testaments, wie mit Benjamin Kennikot (gest. 1783) die Kritik des alttestamentlichen Textes beginnt. R. Lowth schrieb über hebräische Poesie, R. Hurd über die Propheten, G. Hornes über die Psalmen, J. ^[John] Jortin über Kirchengeschichte. Das Kirchenrecht und die kirchliche Archäologie bearbeiteten Usher (gest. 1656), Beveridge (gest. 1708), Bingham (gest. 1723) u. a. Die positive Religion ward gegen die Angriffe des Deismus von Englische Stillingfleet (gest. 1699), S. Parker (gest. 1687), W. Nichols (gest. 1712) und eine Unzahl andrer verteidigt. Gegen das Ende des 18. Jahrh. nahm die Zahl gelehrter Theologen der Hochkirche immer mehr ab, obgleich mancher Fortschritt in der kritischen und biblischen Litteratur zu verzeichnen ist. Hervorragend ist der Utilitarier W. Paley (gest. 1805); die Offenbarung verteidigten gegen die Skeptiker Gibbon und Paine die Bischöfe Rich. Watson (gest. 1816) und Sam. Horsley (gest. 1806), gegen sonstigen Unglauben Bischof Porteus (gest. 1808), G. Wakefield (gest. 1801) und der Philanthrop Wilberforce (gest. 1833). Um die Bibelkunde machten sich im 19. Jahrh. verdient: Horne, Tregelles, Westcott, Hort, Scrivener. Im Schoß der anglikanischen Kirche selbst regte sich zuweilen ein oppositioneller Geist, und die geistreichen Pamphlete des Satirikers Sidney Smith wiesen auf die praktischen Krebsschäden der englischen Kirche genugsam hin. Zunächst entwickelte sich allmählich neben der hochkirchlichen eine evangelische Partei als Reaktion gegen den geistlosen Mechanismus der ¶