mehr
nichts. Der tiefste
Kern seines
Wesens war durch und durch gesund. Durch seine romantischen
Erzählungen in gebundener
Rede (»The
lay of the last minstrel«, »The lady of the lake«
etc.),
noch mehr aber durch seine Prosaromane (von denen wir nur »Ivanhoe«, »Kenilworth«, »Rob Roy«, »Quentin Durward«, »Guy Mannering« als unvergleichliche Schöpfungen namhaft machen) ist er der gefeierte Liebling seines Volkes, das mit Begeisterung gelesene, nachgeahmte, ausgebeutete Romanvorbild aller zivilisierten Völker und namentlich der Vater des deutschen historischen Romans geworden. Während Scott in Schottland das Zeitalter der Neuromantik einführte und großartig vertrat, blieb auch Irland nicht zurück, sondern sandte einen glänzenden Vertreter in den britischen Dichterkreis.
Nur wenig hatte die Grüne Insel bisher an der litterarischen Bewegung teilgenommen, jetzt aber ruhten die Traditionen des irischen Volkes nicht länger im Verborgenen: wie gewaltige Geister drangen sie in die Seele des Auserwählten und begeisterten ihn zu dichterischer Schöpfung. Thomas Moores (1779-1852) »Irish melodies« ließen seine ersten unbedeutenden, der anakreontischen Manier huldigenden Gedichte (»Tom Little's poems«) vergessen und reihten das als untergeordnet betrachtete Irland wenigstens litterarisch würdig an Schottland und England.
Von Moores Werken verdienen noch »The sacred songs« und »The national airs« Erwähnung, besonders aber »Lalla Rookh, an oriental romance«, eine Dichtung, die sich durch ebenso liebliche wie farbenprächtige Schilderungen des Morgenlandes auszeichnet. In England versuchte George Crabbe (1754-1832), der Wirklichkeit des Alltagslebens poetische Seiten abzugewinnen, entwickelte aber in seinem Realismus, der namentlich die rauhen und düstern Seiten des Volkslebens zum Gegenstand nahm, oft mehr Treue der Schilderung als dichterische Schönheit.
Bedeutender ist daher eine Gruppe von Dichtern, die, nüchtern und gemäßigt, im stande waren, Ausschreitungen der Romantik, wie sie andre Völker sahen, zu paralysieren. Die Richtungen, welche Walter Scott und Moore vertraten, enthielten gefährliche Keime, und mehr als einer ihrer Nachahmer scheiterte an den Klippen, [* 2] die des einen orientalischer Schimmer, des andern nordische Nebel verhüllten. Man hat jener Gruppe den Namen einer Schule gegeben (the lake-school, Lakisten), obgleich sie eigentlich des Kennzeichens einer Schule, eines anerkannten Gesetzbuchs, entbehren.
William Wordsworth (1770-1850), Samuel Taylor Coleridge (1772-1834), Robert Southey (1774-1843) und John Wilson (1789 bis 1854) sind die hervorragenden Vertreter dieser Richtung. Zum Teil durch Freundschaft und Verwandtschaft verbunden, verbrachten die drei erstgenannten einen großen Teil ihres Lebens an den Ufern der prachtvollen Seen Westmorelands und Cumberlands, ein Umstand, der ihrer Vereinigung den Namen gab. Die Dinge zu nennen, wie sie heißen, so darzustellen, wie sie existieren, wie sie leben in der Wirklichkeit und nicht in abstrakter Phantasie, mit Einem Wort Natürlichkeit ist das Ziel ihres dichterischen Strebens.
Wordsworth beschrieb, wie einst Goldsmith, seine Alpenwanderungen, später seine Streifzüge im Gebiet der nordenglischen Seen und gab im Verein mit Coleridge »Lyrical ballads« (1798) heraus. Beide Freunde gingen zusammen nach Deutschland, [* 3] wo sie unsrer Litteratur, gleichzeitig aber auch der neubegründeten Naturphilosophie näher traten. In beiden Richtungen wirkten sie in der Heimat: Wordsworth schrieb das philosophische Gedicht »The recluse«, Coleridge schenkte seinen Landsleuten eine vortreffliche Übersetzung von Schillers »Wallenstein«, während er in seinen selbständigen Gedichten (»The ancient mariner«, »Christabel«) gern schauererregende Stoffe behandelt, sich überhaupt der romantischen Richtung von allen Lakisten am meisten nähert. Southey glänzt im Epos (»Joan of Arc«, »Thalaba«, »Madoc«, »Kehama«) und in der Ballade durch reiche Phantasie wie formelle Gewandtheit, während der Schotte John Wilson den Roman, die poetische Erzählung und das Drama (»The city of the plague«) pflegte.
Ferner stehen den Lakisten die Dichter: Samuel Rogers (1762-1855),
der zuerst als Didaktiker auftrat (»The pleasures of memory«) und sich dann später mehr der romantischen Richtung (»Jacqueline«, »The voyage of Columbus«, »The human life«) zuwandte;
Thomas Campbell (1777 bis 1844),
der vom Lehrgedicht ausging, in welchem er durch »The pleasures of hope« außerordentlichen Erfolg errang, und dann hauptsächlich die Gattung der kleinern poetischen Erzählung pflegte, in der er sehr Anmutiges und Reizendes geschaffen hat (»O'Connor's child«, »Gertrude of Wyoming« etc.);
W. Savage Landor (1775-1864, »Gebir«, »Count Julian«),
Leigh Hunt (1784-1859, »Story of Rimini«),
Felicia Hemans (1794-1835, »The voice of spring«) u. a. Das fromme und religiöse Element nach dem Vorbild des Geistlichen R. Blair (gest. 1747, »The grave«) vertraten J. ^[James] Grahame (gest. 1811, »The sabbath«),
W. Sotheby (gest. 1833), Bischof Reginald Heber [* 4] (gest. 1826), R. Pollock (gest. 1827),
W. Knox (gest. 1825) und die beiden Montgomery (James und Robert).
Die zu früh gestorbenen Dichter G. Kirk White (gest. 1806),
J. ^[John] Leyden (gest. 1811) und besonders John Keats (gest. 1821, »Endymion«) [* 5] u. a. erweckten als Lyriker und Balladendichter schöne Hoffnungen. Sie alle überragt der gigantische Genius George Byrons (1788 bis 1824). Ein glänzendes Gestirn, leuchtet er am Firmament der Weltlitteratur, wo er geeignet schien die streitenden Kräfte entgegengesetzter Sphären zu versöhnen. So faßte ihn Goethe auf, der bewundernd seiner Bahn folgte, und ähnlich empfanden die Zeitgenossen.
Leider waren die mächtige Phantasie, das heiße Gefühl des Dichters schon in früher Jugend durch unglückliche Familienverhältnisse und eine mangelhafte Erziehung in falsche Wege geleitet und so jede harmonische Entwickelung seines Charakters und seiner Gaben im Keim vernichtet. Byrons ganzes Leben und Dichten krankt an den tausend Widersprüchen seines exzentrischen Selbst und reibt sich auf an ungelösten Rätseln und unvereinbaren Kontrasten. Sittlich erhaben, durchaus ideal heute, versinkt er morgen in gemeinen Cynismus und krassesten Realismus.
Dies verkümmert oft den Genuß seiner herrlichen Schöpfungen, besonders der umfangreichern des frivolen, in satirischer Hinsicht scharf treffenden »Don Juan« und der an glänzendem Kolorit reichen, doch gram- und schmerzerfüllten Dichtung »Childe Harold's pilgrimage«. Dagegen ist Byron Meister der poetischen Erzählung, deren Behandlung er ein eignes Genre schuf. Seine Dramen bedeuten als solche wenig; sie sind deklamatorisch, wie »Marino Faliero«, »The two Foscari«, oder eigentlich nur Monologe, wie »Manfred« und das großartig konzipierte Mysterium »Cain«. Byrons Freund Percy Bysshe Shelley (1792-1822) war eine sittlich höher stehende Persönlichkeit als jener. ¶
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Ist in Byron ein dämonischer Ehrgeiz, also eine Äußerung der entschiedensten Selbstsucht, eins der hervorstechendsten Charaktermerkmale, so ist das Auszeichnende in Shelleys Poesie und Person (nach Leigh Hunts treffenden Worten) eine außerordentliche Sympathie mit der gesamten materiellen und intellektuellen Welt, ein glühendes Verlangen, seinem Geschlecht Gutes zu thun, ungeduldiger Zorn über die Tyrannei und den Aberglauben, die es in Fesseln halten, und Bedauern darüber, daß die Kraft [* 7] eines liebevollen und enthusiastischen Individuums mit seinem Willen nicht im Verhältnis steht. Der Hauptmangel an Shelleys Dichtungen, als deren vorzüglichste wir »Queen Mab«, »Alastor, or the spirit of solitude«, die Dramen »Prometheus unbound«, »Hellas«, »The Cenci« und das in Spenserstanzen abgefaßte Gedicht »The revolt of Islam« (12 Gesänge) anführen, ist eine gewisse lyrische Zerflossenheit und eine Vorliebe für mystisch-spekulative, überhaupt philosophische Abschweifungen.
Innerhalb der Entwickelung der englischen Litteratur nach Byrons Tod ist es nicht leicht, bestimmte, scharf begrenzte Richtungen und Strömungen herauszuheben. Wie überall, ist auch auf diesem Gebiet die Massenproduktion Zeichen des 19. Jahrhunderts. Erst Spätern wird es vollständig gelingen, Spreu und Weizen zu sondern und dem Verdienst die rechte Stelle zuzuweisen. Was das Epos betrifft, so scheint seine Zeit dahin zu sein; die Atmosphäre des 19. Jahrhunderts erstickt diese Pflanze, die Ruhe und Geduld, beschauliche Behaglichkeit erfordert und im Zeitalter des Dampfes verschmachtet. An seine Stelle ist der Roman getreten. Keine Litteraturgattung hat seit dem Schluß des 18. Jahrh. in England so eifrige und erfolggekrönte Pflege gefunden wie er. Mancherlei Fäden führen auf diesem Gebiet aus dem vorigen Jahrhundert in das unsrige. Vor allen steht Walter Scott als Vertreter des historischen Romans. Er fand zahlreiche Nachahmer. Sein Schwiegersohn John Gibson Lockhart (gest. 1854) behandelte in »Valerius« einen römischen Stoff aus der Zeit des Trajan, Mrs. Johnstone (gest. 1857) in »Clan Albyn« Hochlandsszenen; Susan Ferrier (gest. 1854) und Thomas Dick Lauder (gest. 1848) wählten ihre Stoffe aus derselben Region.
Alle überragt Edward Lytton Bulwer (Lord Lytton, 1803-73) mit »The last days of Pompeii« und »Rienzi«. Aber neben dem historischen Roman stand noch der Sittenroman, wie ihn ein Smollet, Fielding, Goldsmith gepflegt, in alter Herrlichkeit, und auch ihm wurde eifrige Pflege zu teil. Derselbe Bulwer greift in »Pelham«, »The disowned«, »Eugene Aram«, »Devereux« mit glücklicher Hand [* 8] in das englische Volksleben und weiß mit genauer Menschenkenntnis und scharfem Blick selbst für entlegene Zustände fesselnde Bilder zu zeichnen.
Mit derber Komik begabt, dabei äußerst drastisch, oft aber nicht minder zart und rührend ist Charles Dickens (1812-1870). Seine Weihnachtsmärchen, besonders »Christmas carol« und »The cricket on the hearth«, sind von äußerster Anmut; unter seinen umfangreichern Romanen bezeichnet »David Copperfield« unstreitig den Höhepunkt. Der dritte Vertreter des Sittenromans ist William Makepeace Thackeray (gest. 1863),
dessen »Vanity fair« und »History of Arthur Pendennis« reich an Satire, zuweilen auch voll bittern Hohnes sind. Ihnen folgen viele Autoren, besonders Damen: Charlotte Bronté (Currer Bell, gest. 1855) mit »Jane Eyre«, Elizabeth Gaskell (gest. 1865) mit »Mary Barton«, endlich die überaus fleißige Margaret Oliphant (geb. 1818) und Mrs. Craik (Dinah Maria Mullok, geb. 1826). Sie alle übertrifft jedoch an Feinheit der Charakteristik, durch treue Darstellung des englischen Landlebens George Eliot (Mary Anne Evans, 1829-80) mit »Adam Bede«, »The min on the floss«, »Middlemarch« u. a. Neben ihr verdient Harriet Martineau (gest. 1876) Auszeichnung, die sich durch treffliche Erzählungen (»Illustrations of political economy«, »Poor laws and paupers« etc.) um die Verbreitung volkswirtschaftlicher Prinzipien verdient machte. Unter den Schriftstellern seien nur Anthony Trollope (gest. 1882),
George Macdonald (geb. 1824) und W. Black (geb. 1841),
der Verfasser von »A daughter of Heth«, endlich W. H. Ainsworth (gest. 1882) erwähnt, welch letzterer die Romantik nach der Seite des Schauerlichen verzerrte und in seinen Romanen (»Jack Sheppard«, »Guy Fawkes«) erfolgreich auf die Gänsehaut des Lesers spekuliert. Er hatte seiner Zeit ein großes Publikum und infolgedessen viele Nachtreter, die den Sensationsroman mit vielem Behagen kultivierten. Unter den letztern sind besonders Wilkie Collins (geb. 1824) und Mary Elizabeth Braddon (geb. 1837), daneben Louise de la Ramé (Pseudonym Ouida, geb. 1840) auszuzeichnen. Benjamin Disraeli (Lord Beaconsfield, gest. 1882) behandelte im Roman Zeitfragen, machte ihn also sozialen und politischen Zwecken dienstbar; in ähnlichen Bahnen wandelte Samuel Warren (gest. 1877), der seinen starren Toryismus in breitester Weise zum Vortrag bringt. Doch noch ein dritter Faden [* 9] bindet den Roman der Gegenwart an das vorige Jahrhundert. Es ist der geographische Roman, der, von neuen Reisen und Entdeckungen begünstigt, an Defoes und seiner Nachfolger Werke anknüpft. Die verschiedensten Gegenden, die entlegensten, darum aber mit um so größerm Zauber der Phantastik umwobenen Länder bilden den Schauplatz dieser Romane. James Morier (gest. 1849) verlegt seine Erzählungen (»Journey through Persia«, »The adventures of Haji Baba of Ispahan«) nach Persien [* 10] und entwickelt eine überraschende Kenntnis orientalischer Zustände; Thomas Hope (gest. 1831) verlegt seinen »Athanasius« nach Griechenland; [* 11] James B. Fraser (gest. 1856, »The Kuzzilbash«) macht sich wieder den Orient nutzbar, Edward John Trelawney (gest. 1881) Ostindien [* 12] und andre Länder, während andre, wie Crofton Croker (gest. 1854), die Zustände der grünen Nachbarinsel, John Galt (gest. 1839) und John Wilson (gest. 1854) Schottland für ihre Novellistik verwerteten. Nahe verwandt mit diesen Erzeugnissen ist der Seeroman, dessen hervorragender Vertreter der biedere Kapitän Marryat (gest. 1848) ist; auch der eben genannte Wilson (»Tom Cringle's log«) leistet in dieser Richtung Vortreffliches. Aufmunternd und fördernd für die Novellistik waren von jeher die periodischen Zeitschriften, deren es eine große Anzahl gibt; nicht minder einflußreich waren sie für den Essay. So erschienen die kritischen, historischen und biographischen Abhandlungen des großen Geschichtschreibers Macaulay (gest. 1859) in der »Edinburgh Review«, einer der ältesten unter den jetzt existierenden Zeitschriften. Neben ihr stehen die »Quarterly Review«, »Westminster Review« u. a. Mit Macaulay treten wir den historischen Schriftstellern nahe, unter denen Thomas Carlyle (gest. 1881) mit seinem »Life of Schiller« noch der schönen Litteratur angehört.
Auf dem Gebiet der Lyrik waren Burns und Thomas Moore tonangebend geblieben. Ihnen nach strebt eine Schar rüstiger Talente, von denen nicht wenige Hervorragendes wenigstens nach Einer Richtung hin geleistet haben. So zeichnete sich Thomas Hood (gest. ¶