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Dramen der beiden vorgenannten weit hinter sich lassen, so bleibt der Ton, der bei ihm vorherrscht, doch nicht minder der der flachen Alltäglichkeit und hausbackenen Gewöhnlichkeit. Ungleich größer ist der Wert der Lustspieldichtung jenes Zeitraums. Zu ihren ausgezeichnetsten Vertretern gehört zunächst der geniale Schauspieler Samuel Foote (1719-77). Seine Komödien tragen ohne Ausnahme den Charakter persönlicher Satire, und das Beste an ihnen ist in der Regel der Entwurf, während die Ausführung an einer gewissen Hast und Überstürzung im Schürzen und Lösen des dramatischen Knotens leidet.
Der hervorstechendste Vorzug in Footes Stücken ist die markige Charakteristik seiner Gestalten. Näher dem kunstmäßigen Lustspiel stehen die Komödien des großen Mimen und Shakespeare-Darstellers David Garrick (1716-79); als bedeutendster Lustspieldichter seiner Zeit aber muß Richard Brinsley Sheridan (1751-1816) bezeichnet werden. Seine beiden berühmtesten Stücke (»The Rivals« und »The school for scandal«) gehören zu dem Besten, was die dramatisch-komische Muse hervorgebracht hat.
Fast ununterbrochener, epigrammatischer Witz sprudelt in dem Dialog dieses Lustspiels, auch Handlung und Charaktere verdienen Lob; possierliche Ereignisse konnte Sheridan wie kein andrer erfinden, er kannte genau die Schwächen der Gesellschaft. Um diese Periode entstand auch die eigentliche Posse, die bald eine große Rolle in der dramatischen Litteratur Englands spielte und auch auf das Lustspiel Einfluß übte. Ihre vorzüglichsten Vertreter waren (außer Garrick) H. Fielding, Charles Macklin (gest. 1797), James Townley (gest. 1778) und vor allen der schon genannte Sam. Foote.
Die Litteratur wurde indessen vom Hof [* 2] und vom Publikum so schlecht unterstützt, daß die Dichter, um nicht zu hungern oder, wie Richard Savage, in Spelunken unterzugehen, zum Schwindel ihre Zuflucht nahmen, wie David Mallet (gest. 1765), oder zur Fälschung, wie der ebenso talentvolle wie unglückliche »Wunderknabe« Thomas Chatterton (1752-70) oder der Schotte James Macpherson (1738-96) mit seinem Pseudo Ossian. Andre, wie R. Lloyd (gest. 1764), Churchill (gest. 1764) und später John Wolcot ^[richtig: Wolcott] (gest. 1819),
rächten sich an der schlimmen Zeit durch Satiren oder endeten, wie Chr. Smart (gest. 1770), im Irrenhaus oder Schuldgefängnis.
V. Vom Ausgang des 18. Jahrh. bis auf die Gegenwart.
Macphersons »Ossian« war eine Täuschung, aber ganz Europa [* 3] sog begeistert die vermeintlich uralte Poesie ein. Nicht nur die Empfindsamen schwelgten, wie Goethes Werther, in den Nebeln des keltischen Bardengesanges, auch starke Seelen freuten sich seiner. Es liegt etwas Rührendes in dieser Freude, und sie ist ein Zeichen der Zeit, ein Zeichen, daß das Ursprüngliche, das Alte wieder die Oberhand gewinnt über das Gezierte, Moderne. Mit Macht rüttelte man an den Ketten, in die der französische Klassizismus überall den Geschmack geschlagen, und eine Fessel fiel nach der andern.
Das Feuer glimmte auch nicht unter der Asche: mehr als ein Hauch wehte herbei, um es zur Flamme [* 4] anzufachen, und England nahm daran hervorragenden Anteil. Größern Einfluß als der gefälschte »Ossian« gewann hier wie in Deutschland [* 5] Thomas Percys Volksliedersammlung »Reliques of ancient English poetry« (1765). Hier liegt altes, echtes Gut aufgehäuft. Percys Beispiel fand Nacheiferung, und überall, in Deutschland besonders durch Herder und Goethe, wurde man auf die Schätze volkstümlicher Dichtung aufmerksam und begann, sie sorgfältig zu sammeln.
Dies Studium der Volkspoesie, die befruchtend auf die Kunstdichtung einzuwirken berufen ist, bildet einen Grundpfeiler der Romantik. Auch Garricks Wiederbelebung Shakespeares, die eine neue Würdigung des Dichters anbahnte, war eine wichtige That: stellte sie doch den großen Briten den klassischen Franzosen gegenüber, seine scheinbare Regellosigkeit der pedantischen mißverstandenen Regelmäßigkeit, und zeigte dem erstaunten Zeitalter den innigen Zusammenhang der Kunst und der Natur.
Garrick ist es zu danken, daß das englische Volk seinen größten Dichter wieder kennen und verstehen lernte; ihm, daß Shakespeares Bedeutung auch bei uns gewürdigt werden konnte. Daneben macht sich selbst das bürgerliche Trauerspiel trotz seines bedenklichen Charakters als ein Fortschritt und eine für die Zeit bezeichnende Erscheinung geltend. Freilich kann der Misere nichts Großes begegnen, nichts Großes durch sie geschehen; aber ihr Schicksal rührte das Herz, während Cäsar und Andromache, die in der Allongeperücke auf steifem Kothurn agierten, mit ihren wortreichen Alexandrinern kalt ließen.
So war von verschiedenen Seiten das erlösende Wort erklungen; neu errungen schienen Luft und Licht, [* 6] und beide Errungenschaften gaben einer Reihe höchst bedeutsamer Dichter Kraft [* 7] und Gedeihen. Zunächst macht sich in Schottland ein Aufschwung bemerkbar. Durch die aus dem Herzen des Volkes entstandenen Jakobitenlieder, welche die Triumphe und Leiden [* 8] des Prätendenten Karl und das Unglück des blutig niedergedrückten Volkes besangen, durch das Pastoraldrama Allan Ramsays (1686-1758) und die Ergüsse geselliger Freude des jungen Robert Fergusson (1751-74) war dem größten lyrischen Genie Großbritanniens, dem Bauernsohn Robert Burns (1759-96), der Weg bereitet.
Dieser Dichter, auf den die Volkspoesie seiner Heimat den stärksten Einfluß geübt hat, war nach Thomas Carlyle zum Poeten geboren, die Dichtung war das himmlische Element seines Wesens. Armut, Verkennung und alles Übel, nur nicht Entweihung seiner selbst und seiner Kunst, dünkten ihm ein Geringes. Eine Jugend wie von grünen Feldern und Berglüften lebt in seiner Dichtung, sie erinnert an das Naturleben und an rüstige Naturmenschen. Er rührt unser Herz oder entflammt es mit einer Gewalt, die er wie eine bloße vertraute Gewohnheit ausübt.
Thränen liegen in ihm und verzehrendes Feuer, wie der Blitz in der feuchten Sommerwolke versteckt ruht. War Burns ganz und gar Lyriker, so erstand in Walter Scott (1771-1832) der Heros des neuromantischen Epos. Das geschichtliche Leben seines englischen, zumeist aber das seines engern schottischen Vaterlandes wurde für ihn zum unerschöpflichen Quell der Dichtung. In allen seinen Werken, vom ersten bis zum letzten, entfaltete Scott eine ganz wunderbare Kunst des Erzählens, aus allen spricht eine Natur von den seltensten sittlichen und intellektuellen Vorzügen.
In den bestgelungenen aber offenbaren sich noch daneben der feinste historische Instinkt und ein wahrhaft einziges Vermögen, durch lebhaftes Kolorit und sehr detaillierte Schilderung den Leser in die Zeiten zu versetzen, in welche er seine romantischen Begebenheiten verlegt. Als Romantiker im besten Sinn kennzeichnet sich Scott durch die Vorliebe für das mittelalterliche Leben, vorzüglich für die schottische Vorzeit. Von dem, was uns bei deutschen Romantikern störend entgegentritt, von Verschwommenheit in der poetischen Gestaltung, von Nebelei der Empfindungen und Schwebelei der Gefühle, findet sich bei Scott gar ¶
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nichts. Der tiefste Kern seines Wesens war durch und durch gesund. Durch seine romantischen Erzählungen in gebundener Rede (»The lay of the last minstrel«, »The lady of the lake« etc.),
noch mehr aber durch seine Prosaromane (von denen wir nur »Ivanhoe«, »Kenilworth«, »Rob Roy«, »Quentin Durward«, »Guy Mannering« als unvergleichliche Schöpfungen namhaft machen) ist er der gefeierte Liebling seines Volkes, das mit Begeisterung gelesene, nachgeahmte, ausgebeutete Romanvorbild aller zivilisierten Völker und namentlich der Vater des deutschen historischen Romans geworden. Während Scott in Schottland das Zeitalter der Neuromantik einführte und großartig vertrat, blieb auch Irland nicht zurück, sondern sandte einen glänzenden Vertreter in den britischen Dichterkreis.
Nur wenig hatte die Grüne Insel bisher an der litterarischen Bewegung teilgenommen, jetzt aber ruhten die Traditionen des irischen Volkes nicht länger im Verborgenen: wie gewaltige Geister drangen sie in die Seele des Auserwählten und begeisterten ihn zu dichterischer Schöpfung. Thomas Moores (1779-1852) »Irish melodies« ließen seine ersten unbedeutenden, der anakreontischen Manier huldigenden Gedichte (»Tom Little's poems«) vergessen und reihten das als untergeordnet betrachtete Irland wenigstens litterarisch würdig an Schottland und England.
Von Moores Werken verdienen noch »The sacred songs« und »The national airs« Erwähnung, besonders aber »Lalla Rookh, an oriental romance«, eine Dichtung, die sich durch ebenso liebliche wie farbenprächtige Schilderungen des Morgenlandes auszeichnet. In England versuchte George Crabbe (1754-1832), der Wirklichkeit des Alltagslebens poetische Seiten abzugewinnen, entwickelte aber in seinem Realismus, der namentlich die rauhen und düstern Seiten des Volkslebens zum Gegenstand nahm, oft mehr Treue der Schilderung als dichterische Schönheit.
Bedeutender ist daher eine Gruppe von Dichtern, die, nüchtern und gemäßigt, im stande waren, Ausschreitungen der Romantik, wie sie andre Völker sahen, zu paralysieren. Die Richtungen, welche Walter Scott und Moore vertraten, enthielten gefährliche Keime, und mehr als einer ihrer Nachahmer scheiterte an den Klippen, [* 10] die des einen orientalischer Schimmer, des andern nordische Nebel verhüllten. Man hat jener Gruppe den Namen einer Schule gegeben (the lake-school, Lakisten), obgleich sie eigentlich des Kennzeichens einer Schule, eines anerkannten Gesetzbuchs, entbehren.
William Wordsworth (1770-1850), Samuel Taylor Coleridge (1772-1834), Robert Southey (1774-1843) und John Wilson (1789 bis 1854) sind die hervorragenden Vertreter dieser Richtung. Zum Teil durch Freundschaft und Verwandtschaft verbunden, verbrachten die drei erstgenannten einen großen Teil ihres Lebens an den Ufern der prachtvollen Seen Westmorelands und Cumberlands, ein Umstand, der ihrer Vereinigung den Namen gab. Die Dinge zu nennen, wie sie heißen, so darzustellen, wie sie existieren, wie sie leben in der Wirklichkeit und nicht in abstrakter Phantasie, mit Einem Wort Natürlichkeit ist das Ziel ihres dichterischen Strebens.
Wordsworth beschrieb, wie einst Goldsmith, seine Alpenwanderungen, später seine Streifzüge im Gebiet der nordenglischen Seen und gab im Verein mit Coleridge »Lyrical ballads« (1798) heraus. Beide Freunde gingen zusammen nach Deutschland, wo sie unsrer Litteratur, gleichzeitig aber auch der neubegründeten Naturphilosophie näher traten. In beiden Richtungen wirkten sie in der Heimat: Wordsworth schrieb das philosophische Gedicht »The recluse«, Coleridge schenkte seinen Landsleuten eine vortreffliche Übersetzung von Schillers »Wallenstein«, während er in seinen selbständigen Gedichten (»The ancient mariner«, »Christabel«) gern schauererregende Stoffe behandelt, sich überhaupt der romantischen Richtung von allen Lakisten am meisten nähert. Southey glänzt im Epos (»Joan of Arc«, »Thalaba«, »Madoc«, »Kehama«) und in der Ballade durch reiche Phantasie wie formelle Gewandtheit, während der Schotte John Wilson den Roman, die poetische Erzählung und das Drama (»The city of the plague«) pflegte.
Ferner stehen den Lakisten die Dichter: Samuel Rogers (1762-1855),
der zuerst als Didaktiker auftrat (»The pleasures of memory«) und sich dann später mehr der romantischen Richtung (»Jacqueline«, »The voyage of Columbus«, »The human life«) zuwandte;
Thomas Campbell (1777 bis 1844),
der vom Lehrgedicht ausging, in welchem er durch »The pleasures of hope« außerordentlichen Erfolg errang, und dann hauptsächlich die Gattung der kleinern poetischen Erzählung pflegte, in der er sehr Anmutiges und Reizendes geschaffen hat (»O'Connor's child«, »Gertrude of Wyoming« etc.);
W. Savage Landor (1775-1864, »Gebir«, »Count Julian«),
Leigh Hunt (1784-1859, »Story of Rimini«),
Felicia Hemans (1794-1835, »The voice of spring«) u. a. Das fromme und religiöse Element nach dem Vorbild des Geistlichen R. Blair (gest. 1747, »The grave«) vertraten J. ^[James] Grahame (gest. 1811, »The sabbath«),
W. Sotheby (gest. 1833), Bischof Reginald Heber [* 11] (gest. 1826), R. Pollock (gest. 1827),
W. Knox (gest. 1825) und die beiden Montgomery (James und Robert).
Die zu früh gestorbenen Dichter G. Kirk White (gest. 1806),
J. ^[John] Leyden (gest. 1811) und besonders John Keats (gest. 1821, »Endymion«) [* 12] u. a. erweckten als Lyriker und Balladendichter schöne Hoffnungen. Sie alle überragt der gigantische Genius George Byrons (1788 bis 1824). Ein glänzendes Gestirn, leuchtet er am Firmament der Weltlitteratur, wo er geeignet schien die streitenden Kräfte entgegengesetzter Sphären zu versöhnen. So faßte ihn Goethe auf, der bewundernd seiner Bahn folgte, und ähnlich empfanden die Zeitgenossen.
Leider waren die mächtige Phantasie, das heiße Gefühl des Dichters schon in früher Jugend durch unglückliche Familienverhältnisse und eine mangelhafte Erziehung in falsche Wege geleitet und so jede harmonische Entwickelung seines Charakters und seiner Gaben im Keim vernichtet. Byrons ganzes Leben und Dichten krankt an den tausend Widersprüchen seines exzentrischen Selbst und reibt sich auf an ungelösten Rätseln und unvereinbaren Kontrasten. Sittlich erhaben, durchaus ideal heute, versinkt er morgen in gemeinen Cynismus und krassesten Realismus.
Dies verkümmert oft den Genuß seiner herrlichen Schöpfungen, besonders der umfangreichern des frivolen, in satirischer Hinsicht scharf treffenden »Don Juan« und der an glänzendem Kolorit reichen, doch gram- und schmerzerfüllten Dichtung »Childe Harold's pilgrimage«. Dagegen ist Byron Meister der poetischen Erzählung, deren Behandlung er ein eignes Genre schuf. Seine Dramen bedeuten als solche wenig; sie sind deklamatorisch, wie »Marino Faliero«, »The two Foscari«, oder eigentlich nur Monologe, wie »Manfred« und das großartig konzipierte Mysterium »Cain«. Byrons Freund Percy Bysshe Shelley (1792-1822) war eine sittlich höher stehende Persönlichkeit als jener. ¶