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einen der schärfsten Angriffe, die jemals gewagt wurden, und verspottet jede Art des Glaubensbekenntnisses in schonungsloser Weise. »Gulliver's travels« sind eine Art Weltsatire, die allgemeine Menschenthorheit mit großer Meisterschaft, doch auch mit verletzender Bitterkeit verhöhnt. Daniel Defoe (1661 bis 1731) schuf mit seinem weltberühmten »Life and surprising adventures of Robinson Crusoe« das bald in ganz Europa [* 2] beliebte Genre der Robinsonaden und des Reiseromans.
Hatten schon die Wochenschriften häufig novellistische Beiträge gebracht, so fand dieser Litteraturzweig jetzt eine hervorragende Pflege, freilich zunächst mit der ausgesprochenen Absicht, zu lehren, wie ja jede Gattung der Poesie sich in den Dienst der Didaktik stellte. So ist Samuel Johnsons (1709-84) Roman »Rasselas« durchaus für den Verstand berechnet; ganz besonders aber wirkte Samuel Richardson (1689-1761) in dieser Richtung. Wie in Spanien, [* 3] Italien [* 4] und Frankreich, war auch in England der Roman zunächst als Ritterroman aufgetreten, ging dann in den Schäferroman über und verlor sich in die allegorische Gattung.
Dann machte der Reiseroman durch Defoe Epoche, und um die Mitte des 18. Jahrh. begann der Familien- und der humoristische Roman die Gunst der englischen Lesewelt und von dieser auf die des gesamten Kontinents zu gewinnen. Die Grundlage dazu legte Richardson mit seiner »Pamela«, die das unglaublichste Aufsehen machte; »Clarissa« hob den Dichter auf die Höhe des Ruhms, während die letzte seiner Arbeiten: »Sir Charles Grandison«, das schwächste Werk des Dichters war. Der Hauptmangel dieser Romane liegt in ihrer vorwiegenden moralischen Tendenz, ihre Lichtseite ist die Treue ihrer Lebens- und Herzensschilderungen.
Zwar sind die Helden und Heldinnen Richardsons als Ganzes genommen unmöglich, und Walter Scott nannte sie treffend fehlerfreie Ungeheuer, wie die Welt sie nie gesehen. Gleichwohl haben diese Gestalten eine Überzeugungskraft von zwingender Gewalt, und die mächtige Wirkung, welche die Werke des Dichters in und außer England hervorbrachten, war wohlverdient. In bedeutsamem Gegensatz zu Richardson steht Henry Fielding (1707-54). Seine Romane (»Joseph Andrews«, »Jonathan Wild« und »Tom Jones«) stellen sich zum Teil als eine feine Persiflage der idealisierenden Manier Richardsons dar, zugleich aber ist in ihnen eine so komische Kraft, [* 5] solcher Reichtum der Schilderung und dabei solche Wahrheit der Darstellung zu finden, daß sie von unvergleichlichem Zauber sind und bleiben werden.
Fieldings realistische Manier erscheint gesteigert bei Tobias Smollet (1721-71). Er steht zwar als Romandichter hinter Fielding zurück, namentlich an Feinheit und Liebenswürdigkeit der Darstellung, die bei Smollet grell und burlesk erscheint; aber er entfaltet dabei doch eine so drastische Naturwahrheit, daß vorzüglich »Peregrine Pickle« und »Humphrey Clinker« auch jetzt noch einen unwiderstehlichen Reiz ausüben. Neben diesen Heroen des komischen Romans steht das humoristische Genie Laurence Sternes (1713-68). Leider sind seine beiden Hauptwerke: »Tristram Shandy« und »The sentimental journey«, unvollendet geblieben.
Der Hauptreiz dieser Dichtungen liegt in dem unendlichen Behagen, in dem unerschöpflichen Liebereichtum, womit Sterne Welt und Menschen betrachtete und umfaßte. Damit traf er einen Nerv der damaligen Menschheit, für deren »Empfindsamkeit« er das Wort sentiment erfand. In dieser Gefühlswelt lebte der junge Goethe, von ihr befreite ihn der »Werther«. So schneidet der Einfluß von Sternes Schriften tief in unsre Litteratur, nicht minder der von Oliver Goldsmith (1728-74),
dessen »Vicar of Wakefield« Goethe in Sesenheim vorlas. Als weniger bedeutend schließen sich an die genannten Romanschriftsteller: Richard Cumberland (gest. 1811, »Arundel«, »Henry«, »John de Lancaster«),
Charles Johnstone (gest. 1800),
Henry Mackenzie (gest. 1831, »The man of feeling«, »The man of the world«),
Hor. Walpole (gest. 1797, »The castle of Otranto«),
William Beckford (gest. 1844, »Vathek«),
Anne Radcliffe (gest. 1823, berühmt durch ihre Schauerromane: »Romance of the forest«, »The mysteries of Udolfo« etc.),
M. G. Lewis (gest. 1818, »The Monk«),
W. Godwin (gest. 1836, »Caleb Williams«),
Mary Edgeworth (gest. 1849) u. a.
Dieselben Strömungen durchdringen die übrigen Gattungen der Poesie. Das Studium der Natur hatte zu liebevoller Hingabe an dieselbe, zu aufmerksamer Betrachtung geführt und die tiefe Kluft offenbart, die sie von der Unwahrheit und raffinierten Kultur des Lebens scheidet. Goldsmith verherrlichte daher in seiner Elegie »The deserted village« den Dorffrieden, er beschrieb in »The traveller« die Natur nach eigner Anschauung. Auf gleicher Bahn bewegt sich James Thomson (1700-1748),
der Dichter der »Seasons«, eines bei aller ermüdenden Breite [* 6] naturwahren und darum epochemachenden Werkes. Einkehr in die Menschenbrust hält Edward Young (1681-1765),
dessen »Night-thoughts« um ihrer erhabenen, tief empfundenen Gedanken willen, die freilich auch vielfach nicht frei von Überschwenglichkeit sind, den Ruhm, den sie im Vaterland des Dichters wie auch bei uns gefunden haben, verdienen. Ursprünglicher, unmittelbarer, naturwahrer als Thomson und Young war William Cowper (1731-1800). Bei ihm stammt überall, selbst im Lehrgedicht, die Poesie aus der innersten Herzensregion, das Unbedeutendste gewinnt bei ihm wie in der Natur selbst Leben und Anziehungskraft, aber ein gewisses trübes Dämmerlicht liegt sonst allezeit über seiner dichterischen Stimmung.
Dazu tritt eine starke Vernachlässigung der Form, durch welche er ziemlich absichtlich Opposition gegen Pope machte, die sich aber ins Extrem holperiger Rauhigkeit in Vers und Reim verirrte. Neben Thomson stand das große lyrische Genie des unglücklichen William Collins (1720-56), der in seinen »Persian eclogues« und schwungvollen Oden den Sinn für Einfachheit, Schönheit der Beschreibung und Wahrheit dichterischen Gefühls zu wecken versuchte. Auch die Oden von Thomas Gray (1716-71) und Tobias Smollet verdienen Erwähnung. - Im Drama beginnt nicht minder ein neues Leben zu pulsieren.
Freilich läßt sich die moralisierende Richtung nicht aus dem Feld schlagen, sondern behauptet die Bühne noch geraume Zeit. Der Familienroman wurde sozusagen auf das Theater [* 7] verpflanzt und zeitigte hier das seiner Zeit auch in Deutschland [* 8] wuchernde »bürgerliche Trauerspiel«. Gewöhnlich bezeichnet man als Schöpfer dieser thränenreichen Gattung William Lillo (1693-1739), der, wie Richardson in seinen Romanen, Zwecke verfolgte, die außerhalb des dichterischen Gebiets liegen, nämlich von der Bühne herab das Schlechte abzustellen und das Gute zu fördern. Von seinen sieben Trauerspielen sind »George Barnwell« und »Fatal curiosity« die besten.
Auch Englische [* 9] Moore (in »The gamester«, 1753) kommt über Klugheits- und Sittenpredigerei nur selten hinaus, und wenn Cumberlands vielgepriesene Schauspiele (»The Jew«, »The Westindian«, »The Brothers« etc.) auch in der Anlage und Charakteristik die ¶
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Dramen der beiden vorgenannten weit hinter sich lassen, so bleibt der Ton, der bei ihm vorherrscht, doch nicht minder der der flachen Alltäglichkeit und hausbackenen Gewöhnlichkeit. Ungleich größer ist der Wert der Lustspieldichtung jenes Zeitraums. Zu ihren ausgezeichnetsten Vertretern gehört zunächst der geniale Schauspieler Samuel Foote (1719-77). Seine Komödien tragen ohne Ausnahme den Charakter persönlicher Satire, und das Beste an ihnen ist in der Regel der Entwurf, während die Ausführung an einer gewissen Hast und Überstürzung im Schürzen und Lösen des dramatischen Knotens leidet.
Der hervorstechendste Vorzug in Footes Stücken ist die markige Charakteristik seiner Gestalten. Näher dem kunstmäßigen Lustspiel stehen die Komödien des großen Mimen und Shakespeare-Darstellers David Garrick (1716-79); als bedeutendster Lustspieldichter seiner Zeit aber muß Richard Brinsley Sheridan (1751-1816) bezeichnet werden. Seine beiden berühmtesten Stücke (»The Rivals« und »The school for scandal«) gehören zu dem Besten, was die dramatisch-komische Muse hervorgebracht hat.
Fast ununterbrochener, epigrammatischer Witz sprudelt in dem Dialog dieses Lustspiels, auch Handlung und Charaktere verdienen Lob; possierliche Ereignisse konnte Sheridan wie kein andrer erfinden, er kannte genau die Schwächen der Gesellschaft. Um diese Periode entstand auch die eigentliche Posse, die bald eine große Rolle in der dramatischen Litteratur Englands spielte und auch auf das Lustspiel Einfluß übte. Ihre vorzüglichsten Vertreter waren (außer Garrick) H. Fielding, Charles Macklin (gest. 1797), James Townley (gest. 1778) und vor allen der schon genannte Sam. Foote.
Die Litteratur wurde indessen vom Hof [* 11] und vom Publikum so schlecht unterstützt, daß die Dichter, um nicht zu hungern oder, wie Richard Savage, in Spelunken unterzugehen, zum Schwindel ihre Zuflucht nahmen, wie David Mallet (gest. 1765), oder zur Fälschung, wie der ebenso talentvolle wie unglückliche »Wunderknabe« Thomas Chatterton (1752-70) oder der Schotte James Macpherson (1738-96) mit seinem Pseudo Ossian. Andre, wie R. Lloyd (gest. 1764), Churchill (gest. 1764) und später John Wolcot ^[richtig: Wolcott] (gest. 1819),
rächten sich an der schlimmen Zeit durch Satiren oder endeten, wie Chr. Smart (gest. 1770), im Irrenhaus oder Schuldgefängnis.
V. Vom Ausgang des 18. Jahrh. bis auf die Gegenwart.
Macphersons »Ossian« war eine Täuschung, aber ganz Europa sog begeistert die vermeintlich uralte Poesie ein. Nicht nur die Empfindsamen schwelgten, wie Goethes Werther, in den Nebeln des keltischen Bardengesanges, auch starke Seelen freuten sich seiner. Es liegt etwas Rührendes in dieser Freude, und sie ist ein Zeichen der Zeit, ein Zeichen, daß das Ursprüngliche, das Alte wieder die Oberhand gewinnt über das Gezierte, Moderne. Mit Macht rüttelte man an den Ketten, in die der französische Klassizismus überall den Geschmack geschlagen, und eine Fessel fiel nach der andern.
Das Feuer glimmte auch nicht unter der Asche: mehr als ein Hauch wehte herbei, um es zur Flamme [* 12] anzufachen, und England nahm daran hervorragenden Anteil. Größern Einfluß als der gefälschte »Ossian« gewann hier wie in Deutschland Thomas Percys Volksliedersammlung »Reliques of ancient English poetry« (1765). Hier liegt altes, echtes Gut aufgehäuft. Percys Beispiel fand Nacheiferung, und überall, in Deutschland besonders durch Herder und Goethe, wurde man auf die Schätze volkstümlicher Dichtung aufmerksam und begann, sie sorgfältig zu sammeln.
Dies Studium der Volkspoesie, die befruchtend auf die Kunstdichtung einzuwirken berufen ist, bildet einen Grundpfeiler der Romantik. Auch Garricks Wiederbelebung Shakespeares, die eine neue Würdigung des Dichters anbahnte, war eine wichtige That: stellte sie doch den großen Briten den klassischen Franzosen gegenüber, seine scheinbare Regellosigkeit der pedantischen mißverstandenen Regelmäßigkeit, und zeigte dem erstaunten Zeitalter den innigen Zusammenhang der Kunst und der Natur.
Garrick ist es zu danken, daß das englische Volk seinen größten Dichter wieder kennen und verstehen lernte; ihm, daß Shakespeares Bedeutung auch bei uns gewürdigt werden konnte. Daneben macht sich selbst das bürgerliche Trauerspiel trotz seines bedenklichen Charakters als ein Fortschritt und eine für die Zeit bezeichnende Erscheinung geltend. Freilich kann der Misere nichts Großes begegnen, nichts Großes durch sie geschehen; aber ihr Schicksal rührte das Herz, während Cäsar und Andromache, die in der Allongeperücke auf steifem Kothurn agierten, mit ihren wortreichen Alexandrinern kalt ließen.
So war von verschiedenen Seiten das erlösende Wort erklungen; neu errungen schienen Luft und Licht, [* 13] und beide Errungenschaften gaben einer Reihe höchst bedeutsamer Dichter Kraft und Gedeihen. Zunächst macht sich in Schottland ein Aufschwung bemerkbar. Durch die aus dem Herzen des Volkes entstandenen Jakobitenlieder, welche die Triumphe und Leiden [* 14] des Prätendenten Karl und das Unglück des blutig niedergedrückten Volkes besangen, durch das Pastoraldrama Allan Ramsays (1686-1758) und die Ergüsse geselliger Freude des jungen Robert Fergusson (1751-74) war dem größten lyrischen Genie Großbritanniens, dem Bauernsohn Robert Burns (1759-96), der Weg bereitet.
Dieser Dichter, auf den die Volkspoesie seiner Heimat den stärksten Einfluß geübt hat, war nach Thomas Carlyle zum Poeten geboren, die Dichtung war das himmlische Element seines Wesens. Armut, Verkennung und alles Übel, nur nicht Entweihung seiner selbst und seiner Kunst, dünkten ihm ein Geringes. Eine Jugend wie von grünen Feldern und Berglüften lebt in seiner Dichtung, sie erinnert an das Naturleben und an rüstige Naturmenschen. Er rührt unser Herz oder entflammt es mit einer Gewalt, die er wie eine bloße vertraute Gewohnheit ausübt.
Thränen liegen in ihm und verzehrendes Feuer, wie der Blitz in der feuchten Sommerwolke versteckt ruht. War Burns ganz und gar Lyriker, so erstand in Walter Scott (1771-1832) der Heros des neuromantischen Epos. Das geschichtliche Leben seines englischen, zumeist aber das seines engern schottischen Vaterlandes wurde für ihn zum unerschöpflichen Quell der Dichtung. In allen seinen Werken, vom ersten bis zum letzten, entfaltete Scott eine ganz wunderbare Kunst des Erzählens, aus allen spricht eine Natur von den seltensten sittlichen und intellektuellen Vorzügen.
In den bestgelungenen aber offenbaren sich noch daneben der feinste historische Instinkt und ein wahrhaft einziges Vermögen, durch lebhaftes Kolorit und sehr detaillierte Schilderung den Leser in die Zeiten zu versetzen, in welche er seine romantischen Begebenheiten verlegt. Als Romantiker im besten Sinn kennzeichnet sich Scott durch die Vorliebe für das mittelalterliche Leben, vorzüglich für die schottische Vorzeit. Von dem, was uns bei deutschen Romantikern störend entgegentritt, von Verschwommenheit in der poetischen Gestaltung, von Nebelei der Empfindungen und Schwebelei der Gefühle, findet sich bei Scott gar ¶