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(gest. 1690), Edw. Ravenscraft und die übel berüchtigte Aphra Behn (gest. 1689). Alle drei, eine Frau unter ihnen, übertrafen an Zügellosigkeit und schmutziger Gemeinheit die oben genannten Meister, und doch bildeten ihre Stücke auf der damaligen Bühne die eigentlichen Zugstücke, wie auch die Romane der Aphra Behn Lieblingsstücke der Lesewelt waren. Schon unter Jakobs II. Regierung nahm das englische Leben wieder einen Aufschwung zu Ehrbarkeit und Gesetztheit, die entschiedenste Reaktion zum Bessern aber erfolgte mit der Revolution.
Das Privatleben Wilhelms von Oranien charakterisierte sich durch sittenstrenge Frömmigkeit, und auch das Volk wurde wieder ernster. Sofort erhoben sich die offensten und heftigsten Angriffe gegen das zügellose Bühnenwesen. Die erste Opposition ging aus von Richard Blackmore, der in seiner »Satire upon wit« (1699) den schlüpfrigen Witz der Zeit züchtigte. Tiefere Wirkung übte Jeremy Colliers Schrift »A short view of the immorality and profaneness of the English stage« (1698). Obwohl hier neben dem wirklich Frevelhaften die Bühne überhaupt bekämpft wird, so war doch der Einfluß der Schrift außerordentlich.
Besonders deutlich gewahrt man ihn gleich in den Lustspielen von George Farquhar (1678-1707) und Sir John Vanbrugh (1666-1726); beide stehen mit einem Fuß noch auf dem Boden der alten Verderbnis, mit dem andern haben sie bereits einen kühnen Schritt zum Bessern gethan. Besonders Farquhars Komödien sind ausgezeichnet durch glückliche Erfindung, überraschenden Situationenwitz und leichten epigrammatischen Dialog. Vanbrugh steht seinem Vorgänger an Frische und Kraft der Komik bedeutend nach; an sittlicher Haltung, wiewohl es auch bei ihm an Schlüpfrigkeit und Derbheit nicht ganz mangelt, überragt er ihn.
Auf dem Weg sittlicher Respektabilität hat denn das englische Drama seitdem beharrt und ist nachmals sogar häufig in den der frühern Verwilderung entgegengesetzten Fehler trockner und langweiliger Lehrhaftigkeit geraten. So muß bei Nicholas Rowe (1673-1718) die moralische Vortrefflichkeit die ästhetische so ziemlich ganz und gar ersetzen. Die glänzendste Leistung der moralisierenden Dramatik ist aber das Trauerspiel »Cato« von Joseph Addison (1672-1719). Dies Stück, das seiner Zeit außerordentlichen Erfolg errang und das noch von Macaulay den besten Dichtungen von Racine und Corneille gleichgestellt wird ist ein klägliches, im französischen Geschmack streng durchgeführtes Machwerk. Auch die Komödie folgt dieser Tendenz. Am entschiedensten stellt sich der Bruch mit der Vergangenheit in den Lustspielen des Schauspielers Colley Cibber (gest. 1757) dar, deren Wert an sich freilich gering ist.
Richard Steele (1671-1729) stellte sich in seinen Lustspielen die Aufgabe, die englische Bühne, die bisher eine Schmach für Sitte und Religion gewesen, so zu gestalten, wie es der Unterhaltung gebildeter Christen gezieme. Verhältnismäßig das frischeste Lustspieltalent ist Susanna Centlivre (gest. 1723), die, mit echter Lustigkeit begabt, nur selten in den didaktischen Ton verfällt, vielmehr häufig mit ihren Witzen an ihre leichtfertige Vorgängerin Aphra Behn erinnert.
Was so mit langsamen Schritten auf dem Gebiet des Dramas geschah, eine Rückkehr zu anständigem Ton, verwirklichte Alexander Pope (1688-1744) im Epos. In »The rape of the lock« (»Lockenraub«) löst er die Aufgabe, einen an sich unbedeutenden, immerhin galanten Stoff in dezentester, durchaus künstlerischer Weise vorzutragen, und der Beifall, den ihm die entzückte Mitwelt spendete, zeugt von der vorteilhaften Änderung des Geschmacks. Außer der genannten Epopöe schrieb Pope Lehrgedichte und kam auch darin den Zeitgenossen entgegen, die für philosophische Ausführungen höchst empfänglich waren.
Freilich werden diese Dichtungen durch Popes eigne Bemerkung gerichtet, der in der Vorrede zum »Essay on man« bemerkt, daß er diese Gedichte ebensogut hätte in Prosa schreiben können, aber gereimte Verse gewählt habe, weil dieselben leichter im Gedächtnis hafteten. Diese Verse aber imponierten durch Wohllaut und Glätte den Engländern gewaltig, und bis heute wird er deshalb von ihnen gerühmt; wenn sie ihn aber gleichzeitig als »the poet of reason« bezeichnen, so ist dies nur ein zweifelhaftes Lob. Die wichtigsten unter den mitstrebenden Poeten Popes waren Matthew Prior (1664-1721), besonders bekannt durch frische und witzige Lieder sowie durch zierliche, aber mutwillige kleine Erzählungen, John Gay (1688 bis 1732), der treffliche Fabeln schrieb, und der Elegiker und Balladendichter Thomas Tickell (gest. 1740).
Das litterarische Kaffeehaus hatte unter der neuen Dynastie aufgehört, das Kapitol des Geschmacks zu sein. Enge Privatzirkel, zum Teil von vornehmen Damen geleitet, vereinigten die Schöngeister, Philosophen und Dichter, und an die Stelle Drydenscher Litteraturorakel trat die Kauserie. Pikant und witzig urteilte man hier über die Tagesneuheiten und die, welche sie verfaßt; hierher wandte sich der religiöse Skeptizismus, hier fand selbst die emporblühende Naturwissenschaft, als deren Vertreter Newton erscheint, reges Interesse. Aber was die Wissenschaft auf den verschiedensten Gebieten errungen, konnte nicht länger Eigentum weniger Auserwählten sein: das Licht brach sich mit Gewalt Bahn und verbreitete sich über die Masse. Den Weg dazu bildeten die Wochenschriften. Die erste derselben war »The Tatler«, 1709 von Richard Steele (gest. 1729) begründet.
Sie brachte Mitteilungen über die mannigfaltigsten Gegenstände aus den Gebieten der Politik, der Litteratur, des Theaters, des sozialen Lebens etc. Unter ihren Mitarbeitern trug keiner so viel zu dem glänzenden Erfolg des Unternehmens bei wie Joseph Addison. Von ihm rührten, namentlich seit aus Gründen der Politik Schilderungen von Welt und Menschen, Sitten und Gewohnheiten, Tugenden, Thorheiten und Lastern den vorwiegenden Gegenstand bildeten, die vortrefflichsten Aufsätze her, die in dieser Gattung je geschrieben sind. Im J. 1711 trat der noch berühmter gewordene »Spectator« an des »Tatler« Stelle.
Die Seele dieser neuen Zeitschrift war ebenfalls Jos. Addison. Nach mehr als anderthalb Jahrhunderten besteht der größere Teil seiner Aufsätze die seltene Probe, daß sie wirken, als ob sie soeben der Feder ihres Urhebers entsprungen seien. Andre ähnliche Unternehmungen, zum Teil von denselben Personen ausgehend, folgten, wie »The Guardian«, »The Lover«, »The Englishman«, »The Idler« und »The Rambler«, die beiden letztern von Samuel Johnson herausgegeben. Man behauptet nicht zu viel, wenn man diesen Zeitschriften die heilsamste Umgestaltung des künstlerischen Geschmacks wie der gesamten sittlichen und politischen Denkart des englischen Volkes zuschreibt, und es ist keine Übertreibung zu nennen, wenn Nathan Drake, der die Geschichte dieser hochwichtigen Wochenschriften verfaßt hat, Addison und Steele unter die größten Wohlthäter Englands, ja der ganzen Menschheit zählt. In gleichem Sinn, wenn auch mit verschiedenen Mitteln, wirkte eine Reihe andrer Schriftsteller. Mit der Satire diente Jonathan Swift (1667-1745) der Aufklärung. In seinem Märchen »The tale of a tub« führt er auf die Kirche
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einen der schärfsten Angriffe, die jemals gewagt wurden, und verspottet jede Art des Glaubensbekenntnisses in schonungsloser Weise. »Gulliver's travels« sind eine Art Weltsatire, die allgemeine Menschenthorheit mit großer Meisterschaft, doch auch mit verletzender Bitterkeit verhöhnt. Daniel Defoe (1661 bis 1731) schuf mit seinem weltberühmten »Life and surprising adventures of Robinson Crusoe« das bald in ganz Europa beliebte Genre der Robinsonaden und des Reiseromans.
Hatten schon die Wochenschriften häufig novellistische Beiträge gebracht, so fand dieser Litteraturzweig jetzt eine hervorragende Pflege, freilich zunächst mit der ausgesprochenen Absicht, zu lehren, wie ja jede Gattung der Poesie sich in den Dienst der Didaktik stellte. So ist Samuel Johnsons (1709-84) Roman »Rasselas« durchaus für den Verstand berechnet; ganz besonders aber wirkte Samuel Richardson (1689-1761) in dieser Richtung. Wie in Spanien, Italien und Frankreich, war auch in England der Roman zunächst als Ritterroman aufgetreten, ging dann in den Schäferroman über und verlor sich in die allegorische Gattung.
Dann machte der Reiseroman durch Defoe Epoche, und um die Mitte des 18. Jahrh. begann der Familien- und der humoristische Roman die Gunst der englischen Lesewelt und von dieser auf die des gesamten Kontinents zu gewinnen. Die Grundlage dazu legte Richardson mit seiner »Pamela«, die das unglaublichste Aufsehen machte; »Clarissa« hob den Dichter auf die Höhe des Ruhms, während die letzte seiner Arbeiten: »Sir Charles Grandison«, das schwächste Werk des Dichters war. Der Hauptmangel dieser Romane liegt in ihrer vorwiegenden moralischen Tendenz, ihre Lichtseite ist die Treue ihrer Lebens- und Herzensschilderungen.
Zwar sind die Helden und Heldinnen Richardsons als Ganzes genommen unmöglich, und Walter Scott nannte sie treffend fehlerfreie Ungeheuer, wie die Welt sie nie gesehen. Gleichwohl haben diese Gestalten eine Überzeugungskraft von zwingender Gewalt, und die mächtige Wirkung, welche die Werke des Dichters in und außer England hervorbrachten, war wohlverdient. In bedeutsamem Gegensatz zu Richardson steht Henry Fielding (1707-54). Seine Romane (»Joseph Andrews«, »Jonathan Wild« und »Tom Jones«) stellen sich zum Teil als eine feine Persiflage der idealisierenden Manier Richardsons dar, zugleich aber ist in ihnen eine so komische Kraft, solcher Reichtum der Schilderung und dabei solche Wahrheit der Darstellung zu finden, daß sie von unvergleichlichem Zauber sind und bleiben werden.
Fieldings realistische Manier erscheint gesteigert bei Tobias Smollet (1721-71). Er steht zwar als Romandichter hinter Fielding zurück, namentlich an Feinheit und Liebenswürdigkeit der Darstellung, die bei Smollet grell und burlesk erscheint; aber er entfaltet dabei doch eine so drastische Naturwahrheit, daß vorzüglich »Peregrine Pickle« und »Humphrey Clinker« auch jetzt noch einen unwiderstehlichen Reiz ausüben. Neben diesen Heroen des komischen Romans steht das humoristische Genie Laurence Sternes (1713-68). Leider sind seine beiden Hauptwerke: »Tristram Shandy« und »The sentimental journey«, unvollendet geblieben.
Der Hauptreiz dieser Dichtungen liegt in dem unendlichen Behagen, in dem unerschöpflichen Liebereichtum, womit Sterne Welt und Menschen betrachtete und umfaßte. Damit traf er einen Nerv der damaligen Menschheit, für deren »Empfindsamkeit« er das Wort sentiment erfand. In dieser Gefühlswelt lebte der junge Goethe, von ihr befreite ihn der »Werther«. So schneidet der Einfluß von Sternes Schriften tief in unsre Litteratur, nicht minder der von Oliver Goldsmith (1728-74),
dessen »Vicar of Wakefield« Goethe in Sesenheim vorlas. Als weniger bedeutend schließen sich an die genannten Romanschriftsteller: Richard Cumberland (gest. 1811, »Arundel«, »Henry«, »John de Lancaster«),
Charles Johnstone (gest. 1800),
Henry Mackenzie (gest. 1831, »The man of feeling«, »The man of the world«),
Hor. Walpole (gest. 1797, »The castle of Otranto«),
William Beckford (gest. 1844, »Vathek«),
Anne Radcliffe (gest. 1823, berühmt durch ihre Schauerromane: »Romance of the forest«, »The mysteries of Udolfo« etc.),
M. G. Lewis (gest. 1818, »The Monk«),
W. Godwin (gest. 1836, »Caleb Williams«),
Mary Edgeworth (gest. 1849) u. a.
Dieselben Strömungen durchdringen die übrigen Gattungen der Poesie. Das Studium der Natur hatte zu liebevoller Hingabe an dieselbe, zu aufmerksamer Betrachtung geführt und die tiefe Kluft offenbart, die sie von der Unwahrheit und raffinierten Kultur des Lebens scheidet. Goldsmith verherrlichte daher in seiner Elegie »The deserted village« den Dorffrieden, er beschrieb in »The traveller« die Natur nach eigner Anschauung. Auf gleicher Bahn bewegt sich James Thomson (1700-1748),
der Dichter der »Seasons«, eines bei aller ermüdenden Breite naturwahren und darum epochemachenden Werkes. Einkehr in die Menschenbrust hält Edward Young (1681-1765),
dessen »Night-thoughts« um ihrer erhabenen, tief empfundenen Gedanken willen, die freilich auch vielfach nicht frei von Überschwenglichkeit sind, den Ruhm, den sie im Vaterland des Dichters wie auch bei uns gefunden haben, verdienen. Ursprünglicher, unmittelbarer, naturwahrer als Thomson und Young war William Cowper (1731-1800). Bei ihm stammt überall, selbst im Lehrgedicht, die Poesie aus der innersten Herzensregion, das Unbedeutendste gewinnt bei ihm wie in der Natur selbst Leben und Anziehungskraft, aber ein gewisses trübes Dämmerlicht liegt sonst allezeit über seiner dichterischen Stimmung.
Dazu tritt eine starke Vernachlässigung der Form, durch welche er ziemlich absichtlich Opposition gegen Pope machte, die sich aber ins Extrem holperiger Rauhigkeit in Vers und Reim verirrte. Neben Thomson stand das große lyrische Genie des unglücklichen William Collins (1720-56), der in seinen »Persian eclogues« und schwungvollen Oden den Sinn für Einfachheit, Schönheit der Beschreibung und Wahrheit dichterischen Gefühls zu wecken versuchte. Auch die Oden von Thomas Gray (1716-71) und Tobias Smollet verdienen Erwähnung. - Im Drama beginnt nicht minder ein neues Leben zu pulsieren.
Freilich läßt sich die moralisierende Richtung nicht aus dem Feld schlagen, sondern behauptet die Bühne noch geraume Zeit. Der Familienroman wurde sozusagen auf das Theater verpflanzt und zeitigte hier das seiner Zeit auch in Deutschland wuchernde »bürgerliche Trauerspiel«. Gewöhnlich bezeichnet man als Schöpfer dieser thränenreichen Gattung William Lillo (1693-1739), der, wie Richardson in seinen Romanen, Zwecke verfolgte, die außerhalb des dichterischen Gebiets liegen, nämlich von der Bühne herab das Schlechte abzustellen und das Gute zu fördern. Von seinen sieben Trauerspielen sind »George Barnwell« und »Fatal curiosity« die besten.
Auch Englische Moore (in »The gamester«, 1753) kommt über Klugheits- und Sittenpredigerei nur selten hinaus, und wenn Cumberlands vielgepriesene Schauspiele (»The Jew«, »The Westindian«, »The Brothers« etc.) auch in der Anlage und Charakteristik die
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Dramen der beiden vorgenannten weit hinter sich lassen, so bleibt der Ton, der bei ihm vorherrscht, doch nicht minder der der flachen Alltäglichkeit und hausbackenen Gewöhnlichkeit. Ungleich größer ist der Wert der Lustspieldichtung jenes Zeitraums. Zu ihren ausgezeichnetsten Vertretern gehört zunächst der geniale Schauspieler Samuel Foote (1719-77). Seine Komödien tragen ohne Ausnahme den Charakter persönlicher Satire, und das Beste an ihnen ist in der Regel der Entwurf, während die Ausführung an einer gewissen Hast und Überstürzung im Schürzen und Lösen des dramatischen Knotens leidet.
Der hervorstechendste Vorzug in Footes Stücken ist die markige Charakteristik seiner Gestalten. Näher dem kunstmäßigen Lustspiel stehen die Komödien des großen Mimen und Shakespeare-Darstellers David Garrick (1716-79); als bedeutendster Lustspieldichter seiner Zeit aber muß Richard Brinsley Sheridan (1751-1816) bezeichnet werden. Seine beiden berühmtesten Stücke (»The Rivals« und »The school for scandal«) gehören zu dem Besten, was die dramatisch-komische Muse hervorgebracht hat.
Fast ununterbrochener, epigrammatischer Witz sprudelt in dem Dialog dieses Lustspiels, auch Handlung und Charaktere verdienen Lob; possierliche Ereignisse konnte Sheridan wie kein andrer erfinden, er kannte genau die Schwächen der Gesellschaft. Um diese Periode entstand auch die eigentliche Posse, die bald eine große Rolle in der dramatischen Litteratur Englands spielte und auch auf das Lustspiel Einfluß übte. Ihre vorzüglichsten Vertreter waren (außer Garrick) H. Fielding, Charles Macklin (gest. 1797), James Townley (gest. 1778) und vor allen der schon genannte Sam. Foote.
Die Litteratur wurde indessen vom Hof und vom Publikum so schlecht unterstützt, daß die Dichter, um nicht zu hungern oder, wie Richard Savage, in Spelunken unterzugehen, zum Schwindel ihre Zuflucht nahmen, wie David Mallet (gest. 1765), oder zur Fälschung, wie der ebenso talentvolle wie unglückliche »Wunderknabe« Thomas Chatterton (1752-70) oder der Schotte James Macpherson (1738-96) mit seinem Pseudo Ossian. Andre, wie R. Lloyd (gest. 1764), Churchill (gest. 1764) und später John Wolcot ^[richtig: Wolcott] (gest. 1819),
rächten sich an der schlimmen Zeit durch Satiren oder endeten, wie Chr. Smart (gest. 1770), im Irrenhaus oder Schuldgefängnis.
V. Vom Ausgang des 18. Jahrh. bis auf die Gegenwart.
Macphersons »Ossian« war eine Täuschung, aber ganz Europa sog begeistert die vermeintlich uralte Poesie ein. Nicht nur die Empfindsamen schwelgten, wie Goethes Werther, in den Nebeln des keltischen Bardengesanges, auch starke Seelen freuten sich seiner. Es liegt etwas Rührendes in dieser Freude, und sie ist ein Zeichen der Zeit, ein Zeichen, daß das Ursprüngliche, das Alte wieder die Oberhand gewinnt über das Gezierte, Moderne. Mit Macht rüttelte man an den Ketten, in die der französische Klassizismus überall den Geschmack geschlagen, und eine Fessel fiel nach der andern.
Das Feuer glimmte auch nicht unter der Asche: mehr als ein Hauch wehte herbei, um es zur Flamme anzufachen, und England nahm daran hervorragenden Anteil. Größern Einfluß als der gefälschte »Ossian« gewann hier wie in Deutschland Thomas Percys Volksliedersammlung »Reliques of ancient English poetry« (1765). Hier liegt altes, echtes Gut aufgehäuft. Percys Beispiel fand Nacheiferung, und überall, in Deutschland besonders durch Herder und Goethe, wurde man auf die Schätze volkstümlicher Dichtung aufmerksam und begann, sie sorgfältig zu sammeln.
Dies Studium der Volkspoesie, die befruchtend auf die Kunstdichtung einzuwirken berufen ist, bildet einen Grundpfeiler der Romantik. Auch Garricks Wiederbelebung Shakespeares, die eine neue Würdigung des Dichters anbahnte, war eine wichtige That: stellte sie doch den großen Briten den klassischen Franzosen gegenüber, seine scheinbare Regellosigkeit der pedantischen mißverstandenen Regelmäßigkeit, und zeigte dem erstaunten Zeitalter den innigen Zusammenhang der Kunst und der Natur.
Garrick ist es zu danken, daß das englische Volk seinen größten Dichter wieder kennen und verstehen lernte; ihm, daß Shakespeares Bedeutung auch bei uns gewürdigt werden konnte. Daneben macht sich selbst das bürgerliche Trauerspiel trotz seines bedenklichen Charakters als ein Fortschritt und eine für die Zeit bezeichnende Erscheinung geltend. Freilich kann der Misere nichts Großes begegnen, nichts Großes durch sie geschehen; aber ihr Schicksal rührte das Herz, während Cäsar und Andromache, die in der Allongeperücke auf steifem Kothurn agierten, mit ihren wortreichen Alexandrinern kalt ließen.
So war von verschiedenen Seiten das erlösende Wort erklungen; neu errungen schienen Luft und Licht, und beide Errungenschaften gaben einer Reihe höchst bedeutsamer Dichter Kraft und Gedeihen. Zunächst macht sich in Schottland ein Aufschwung bemerkbar. Durch die aus dem Herzen des Volkes entstandenen Jakobitenlieder, welche die Triumphe und Leiden des Prätendenten Karl und das Unglück des blutig niedergedrückten Volkes besangen, durch das Pastoraldrama Allan Ramsays (1686-1758) und die Ergüsse geselliger Freude des jungen Robert Fergusson (1751-74) war dem größten lyrischen Genie Großbritanniens, dem Bauernsohn Robert Burns (1759-96), der Weg bereitet.
Dieser Dichter, auf den die Volkspoesie seiner Heimat den stärksten Einfluß geübt hat, war nach Thomas Carlyle zum Poeten geboren, die Dichtung war das himmlische Element seines Wesens. Armut, Verkennung und alles Übel, nur nicht Entweihung seiner selbst und seiner Kunst, dünkten ihm ein Geringes. Eine Jugend wie von grünen Feldern und Berglüften lebt in seiner Dichtung, sie erinnert an das Naturleben und an rüstige Naturmenschen. Er rührt unser Herz oder entflammt es mit einer Gewalt, die er wie eine bloße vertraute Gewohnheit ausübt.
Thränen liegen in ihm und verzehrendes Feuer, wie der Blitz in der feuchten Sommerwolke versteckt ruht. War Burns ganz und gar Lyriker, so erstand in Walter Scott (1771-1832) der Heros des neuromantischen Epos. Das geschichtliche Leben seines englischen, zumeist aber das seines engern schottischen Vaterlandes wurde für ihn zum unerschöpflichen Quell der Dichtung. In allen seinen Werken, vom ersten bis zum letzten, entfaltete Scott eine ganz wunderbare Kunst des Erzählens, aus allen spricht eine Natur von den seltensten sittlichen und intellektuellen Vorzügen.
In den bestgelungenen aber offenbaren sich noch daneben der feinste historische Instinkt und ein wahrhaft einziges Vermögen, durch lebhaftes Kolorit und sehr detaillierte Schilderung den Leser in die Zeiten zu versetzen, in welche er seine romantischen Begebenheiten verlegt. Als Romantiker im besten Sinn kennzeichnet sich Scott durch die Vorliebe für das mittelalterliche Leben, vorzüglich für die schottische Vorzeit. Von dem, was uns bei deutschen Romantikern störend entgegentritt, von Verschwommenheit in der poetischen Gestaltung, von Nebelei der Empfindungen und Schwebelei der Gefühle, findet sich bei Scott gar
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nichts. Der tiefste Kern seines Wesens war durch und durch gesund. Durch seine romantischen Erzählungen in gebundener Rede (»The lay of the last minstrel«, »The lady of the lake« etc.),
noch mehr aber durch seine Prosaromane (von denen wir nur »Ivanhoe«, »Kenilworth«, »Rob Roy«, »Quentin Durward«, »Guy Mannering« als unvergleichliche Schöpfungen namhaft machen) ist er der gefeierte Liebling seines Volkes, das mit Begeisterung gelesene, nachgeahmte, ausgebeutete Romanvorbild aller zivilisierten Völker und namentlich der Vater des deutschen historischen Romans geworden. Während Scott in Schottland das Zeitalter der Neuromantik einführte und großartig vertrat, blieb auch Irland nicht zurück, sondern sandte einen glänzenden Vertreter in den britischen Dichterkreis.
Nur wenig hatte die Grüne Insel bisher an der litterarischen Bewegung teilgenommen, jetzt aber ruhten die Traditionen des irischen Volkes nicht länger im Verborgenen: wie gewaltige Geister drangen sie in die Seele des Auserwählten und begeisterten ihn zu dichterischer Schöpfung. Thomas Moores (1779-1852) »Irish melodies« ließen seine ersten unbedeutenden, der anakreontischen Manier huldigenden Gedichte (»Tom Little's poems«) vergessen und reihten das als untergeordnet betrachtete Irland wenigstens litterarisch würdig an Schottland und England.
Von Moores Werken verdienen noch »The sacred songs« und »The national airs« Erwähnung, besonders aber »Lalla Rookh, an oriental romance«, eine Dichtung, die sich durch ebenso liebliche wie farbenprächtige Schilderungen des Morgenlandes auszeichnet. In England versuchte George Crabbe (1754-1832), der Wirklichkeit des Alltagslebens poetische Seiten abzugewinnen, entwickelte aber in seinem Realismus, der namentlich die rauhen und düstern Seiten des Volkslebens zum Gegenstand nahm, oft mehr Treue der Schilderung als dichterische Schönheit.
Bedeutender ist daher eine Gruppe von Dichtern, die, nüchtern und gemäßigt, im stande waren, Ausschreitungen der Romantik, wie sie andre Völker sahen, zu paralysieren. Die Richtungen, welche Walter Scott und Moore vertraten, enthielten gefährliche Keime, und mehr als einer ihrer Nachahmer scheiterte an den Klippen, die des einen orientalischer Schimmer, des andern nordische Nebel verhüllten. Man hat jener Gruppe den Namen einer Schule gegeben (the lake-school, Lakisten), obgleich sie eigentlich des Kennzeichens einer Schule, eines anerkannten Gesetzbuchs, entbehren.
William Wordsworth (1770-1850), Samuel Taylor Coleridge (1772-1834), Robert Southey (1774-1843) und John Wilson (1789 bis 1854) sind die hervorragenden Vertreter dieser Richtung. Zum Teil durch Freundschaft und Verwandtschaft verbunden, verbrachten die drei erstgenannten einen großen Teil ihres Lebens an den Ufern der prachtvollen Seen Westmorelands und Cumberlands, ein Umstand, der ihrer Vereinigung den Namen gab. Die Dinge zu nennen, wie sie heißen, so darzustellen, wie sie existieren, wie sie leben in der Wirklichkeit und nicht in abstrakter Phantasie, mit Einem Wort Natürlichkeit ist das Ziel ihres dichterischen Strebens.
Wordsworth beschrieb, wie einst Goldsmith, seine Alpenwanderungen, später seine Streifzüge im Gebiet der nordenglischen Seen und gab im Verein mit Coleridge »Lyrical ballads« (1798) heraus. Beide Freunde gingen zusammen nach Deutschland, wo sie unsrer Litteratur, gleichzeitig aber auch der neubegründeten Naturphilosophie näher traten. In beiden Richtungen wirkten sie in der Heimat: Wordsworth schrieb das philosophische Gedicht »The recluse«, Coleridge schenkte seinen Landsleuten eine vortreffliche Übersetzung von Schillers »Wallenstein«, während er in seinen selbständigen Gedichten (»The ancient mariner«, »Christabel«) gern schauererregende Stoffe behandelt, sich überhaupt der romantischen Richtung von allen Lakisten am meisten nähert. Southey glänzt im Epos (»Joan of Arc«, »Thalaba«, »Madoc«, »Kehama«) und in der Ballade durch reiche Phantasie wie formelle Gewandtheit, während der Schotte John Wilson den Roman, die poetische Erzählung und das Drama (»The city of the plague«) pflegte.
Ferner stehen den Lakisten die Dichter: Samuel Rogers (1762-1855),
der zuerst als Didaktiker auftrat (»The pleasures of memory«) und sich dann später mehr der romantischen Richtung (»Jacqueline«, »The voyage of Columbus«, »The human life«) zuwandte;
Thomas Campbell (1777 bis 1844),
der vom Lehrgedicht ausging, in welchem er durch »The pleasures of hope« außerordentlichen Erfolg errang, und dann hauptsächlich die Gattung der kleinern poetischen Erzählung pflegte, in der er sehr Anmutiges und Reizendes geschaffen hat (»O'Connor's child«, »Gertrude of Wyoming« etc.);
W. Lisle Bowles (gest. 1850),
W. Savage Landor (1775-1864, »Gebir«, »Count Julian«),
Charles Lamb (gest. 1834),
Leigh Hunt (1784-1859, »Story of Rimini«),
Felicia Hemans (1794-1835, »The voice of spring«) u. a. Das fromme und religiöse Element nach dem Vorbild des Geistlichen R. Blair (gest. 1747, »The grave«) vertraten J. ^[James] Grahame (gest. 1811, »The sabbath«),
W. Sotheby (gest. 1833), Bischof Reginald Heber (gest. 1826), R. Pollock (gest. 1827),
W. Knox (gest. 1825) und die beiden Montgomery (James und Robert).
Die zu früh gestorbenen Dichter G. Kirk White (gest. 1806),
J. ^[John] Leyden (gest. 1811) und besonders John Keats (gest. 1821, »Endymion«) u. a. erweckten als Lyriker und Balladendichter schöne Hoffnungen. Sie alle überragt der gigantische Genius George Byrons (1788 bis 1824). Ein glänzendes Gestirn, leuchtet er am Firmament der Weltlitteratur, wo er geeignet schien die streitenden Kräfte entgegengesetzter Sphären zu versöhnen. So faßte ihn Goethe auf, der bewundernd seiner Bahn folgte, und ähnlich empfanden die Zeitgenossen.
Leider waren die mächtige Phantasie, das heiße Gefühl des Dichters schon in früher Jugend durch unglückliche Familienverhältnisse und eine mangelhafte Erziehung in falsche Wege geleitet und so jede harmonische Entwickelung seines Charakters und seiner Gaben im Keim vernichtet. Byrons ganzes Leben und Dichten krankt an den tausend Widersprüchen seines exzentrischen Selbst und reibt sich auf an ungelösten Rätseln und unvereinbaren Kontrasten. Sittlich erhaben, durchaus ideal heute, versinkt er morgen in gemeinen Cynismus und krassesten Realismus.
Dies verkümmert oft den Genuß seiner herrlichen Schöpfungen, besonders der umfangreichern des frivolen, in satirischer Hinsicht scharf treffenden »Don Juan« und der an glänzendem Kolorit reichen, doch gram- und schmerzerfüllten Dichtung »Childe Harold's pilgrimage«. Dagegen ist Byron Meister der poetischen Erzählung, deren Behandlung er ein eignes Genre schuf. Seine Dramen bedeuten als solche wenig; sie sind deklamatorisch, wie »Marino Faliero«, »The two Foscari«, oder eigentlich nur Monologe, wie »Manfred« und das großartig konzipierte Mysterium »Cain«. Byrons Freund Percy Bysshe Shelley (1792-1822) war eine sittlich höher stehende Persönlichkeit als jener.
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Ist in Byron ein dämonischer Ehrgeiz, also eine Äußerung der entschiedensten Selbstsucht, eins der hervorstechendsten Charaktermerkmale, so ist das Auszeichnende in Shelleys Poesie und Person (nach Leigh Hunts treffenden Worten) eine außerordentliche Sympathie mit der gesamten materiellen und intellektuellen Welt, ein glühendes Verlangen, seinem Geschlecht Gutes zu thun, ungeduldiger Zorn über die Tyrannei und den Aberglauben, die es in Fesseln halten, und Bedauern darüber, daß die Kraft eines liebevollen und enthusiastischen Individuums mit seinem Willen nicht im Verhältnis steht. Der Hauptmangel an Shelleys Dichtungen, als deren vorzüglichste wir »Queen Mab«, »Alastor, or the spirit of solitude«, die Dramen »Prometheus unbound«, »Hellas«, »The Cenci« und das in Spenserstanzen abgefaßte Gedicht »The revolt of Islam« (12 Gesänge) anführen, ist eine gewisse lyrische Zerflossenheit und eine Vorliebe für mystisch-spekulative, überhaupt philosophische Abschweifungen.
Innerhalb der Entwickelung der englischen Litteratur nach Byrons Tod ist es nicht leicht, bestimmte, scharf begrenzte Richtungen und Strömungen herauszuheben. Wie überall, ist auch auf diesem Gebiet die Massenproduktion Zeichen des 19. Jahrhunderts. Erst Spätern wird es vollständig gelingen, Spreu und Weizen zu sondern und dem Verdienst die rechte Stelle zuzuweisen. Was das Epos betrifft, so scheint seine Zeit dahin zu sein; die Atmosphäre des 19. Jahrhunderts erstickt diese Pflanze, die Ruhe und Geduld, beschauliche Behaglichkeit erfordert und im Zeitalter des Dampfes verschmachtet. An seine Stelle ist der Roman getreten. Keine Litteraturgattung hat seit dem Schluß des 18. Jahrh. in England so eifrige und erfolggekrönte Pflege gefunden wie er. Mancherlei Fäden führen auf diesem Gebiet aus dem vorigen Jahrhundert in das unsrige. Vor allen steht Walter Scott als Vertreter des historischen Romans. Er fand zahlreiche Nachahmer. Sein Schwiegersohn John Gibson Lockhart (gest. 1854) behandelte in »Valerius« einen römischen Stoff aus der Zeit des Trajan, Mrs. Johnstone (gest. 1857) in »Clan Albyn« Hochlandsszenen; Susan Ferrier (gest. 1854) und Thomas Dick Lauder (gest. 1848) wählten ihre Stoffe aus derselben Region.
Alle überragt Edward Lytton Bulwer (Lord Lytton, 1803-73) mit »The last days of Pompeii« und »Rienzi«. Aber neben dem historischen Roman stand noch der Sittenroman, wie ihn ein Smollet, Fielding, Goldsmith gepflegt, in alter Herrlichkeit, und auch ihm wurde eifrige Pflege zu teil. Derselbe Bulwer greift in »Pelham«, »The disowned«, »Eugene Aram«, »Devereux« mit glücklicher Hand in das englische Volksleben und weiß mit genauer Menschenkenntnis und scharfem Blick selbst für entlegene Zustände fesselnde Bilder zu zeichnen.
Mit derber Komik begabt, dabei äußerst drastisch, oft aber nicht minder zart und rührend ist Charles Dickens (1812-1870). Seine Weihnachtsmärchen, besonders »Christmas carol« und »The cricket on the hearth«, sind von äußerster Anmut; unter seinen umfangreichern Romanen bezeichnet »David Copperfield« unstreitig den Höhepunkt. Der dritte Vertreter des Sittenromans ist William Makepeace Thackeray (gest. 1863),
dessen »Vanity fair« und »History of Arthur Pendennis« reich an Satire, zuweilen auch voll bittern Hohnes sind. Ihnen folgen viele Autoren, besonders Damen: Charlotte Bronté (Currer Bell, gest. 1855) mit »Jane Eyre«, Elizabeth Gaskell (gest. 1865) mit »Mary Barton«, endlich die überaus fleißige Margaret Oliphant (geb. 1818) und Mrs. Craik (Dinah Maria Mullok, geb. 1826). Sie alle übertrifft jedoch an Feinheit der Charakteristik, durch treue Darstellung des englischen Landlebens George Eliot (Mary Anne Evans, 1829-80) mit »Adam Bede«, »The min on the floss«, »Middlemarch« u. a. Neben ihr verdient Harriet Martineau (gest. 1876) Auszeichnung, die sich durch treffliche Erzählungen (»Illustrations of political economy«, »Poor laws and paupers« etc.) um die Verbreitung volkswirtschaftlicher Prinzipien verdient machte. Unter den Schriftstellern seien nur Anthony Trollope (gest. 1882),
George Macdonald (geb. 1824) und W. Black (geb. 1841),
der Verfasser von »A daughter of Heth«, endlich W. H. Ainsworth (gest. 1882) erwähnt, welch letzterer die Romantik nach der Seite des Schauerlichen verzerrte und in seinen Romanen (»Jack Sheppard«, »Guy Fawkes«) erfolgreich auf die Gänsehaut des Lesers spekuliert. Er hatte seiner Zeit ein großes Publikum und infolgedessen viele Nachtreter, die den Sensationsroman mit vielem Behagen kultivierten. Unter den letztern sind besonders Wilkie Collins (geb. 1824) und Mary Elizabeth Braddon (geb. 1837), daneben Louise de la Ramé (Pseudonym Ouida, geb. 1840) auszuzeichnen. Benjamin Disraeli (Lord Beaconsfield, gest. 1882) behandelte im Roman Zeitfragen, machte ihn also sozialen und politischen Zwecken dienstbar; in ähnlichen Bahnen wandelte Samuel Warren (gest. 1877), der seinen starren Toryismus in breitester Weise zum Vortrag bringt. Doch noch ein dritter Faden bindet den Roman der Gegenwart an das vorige Jahrhundert. Es ist der geographische Roman, der, von neuen Reisen und Entdeckungen begünstigt, an Defoes und seiner Nachfolger Werke anknüpft. Die verschiedensten Gegenden, die entlegensten, darum aber mit um so größerm Zauber der Phantastik umwobenen Länder bilden den Schauplatz dieser Romane. James Morier (gest. 1849) verlegt seine Erzählungen (»Journey through Persia«, »The adventures of Haji Baba of Ispahan«) nach Persien und entwickelt eine überraschende Kenntnis orientalischer Zustände; Thomas Hope (gest. 1831) verlegt seinen »Athanasius« nach Griechenland; James B. Fraser (gest. 1856, »The Kuzzilbash«) macht sich wieder den Orient nutzbar, Edward John Trelawney (gest. 1881) Ostindien und andre Länder, während andre, wie Crofton Croker (gest. 1854), die Zustände der grünen Nachbarinsel, John Galt (gest. 1839) und John Wilson (gest. 1854) Schottland für ihre Novellistik verwerteten. Nahe verwandt mit diesen Erzeugnissen ist der Seeroman, dessen hervorragender Vertreter der biedere Kapitän Marryat (gest. 1848) ist; auch der eben genannte Wilson (»Tom Cringle's log«) leistet in dieser Richtung Vortreffliches. Aufmunternd und fördernd für die Novellistik waren von jeher die periodischen Zeitschriften, deren es eine große Anzahl gibt; nicht minder einflußreich waren sie für den Essay. So erschienen die kritischen, historischen und biographischen Abhandlungen des großen Geschichtschreibers Macaulay (gest. 1859) in der »Edinburgh Review«, einer der ältesten unter den jetzt existierenden Zeitschriften. Neben ihr stehen die »Quarterly Review«, »Westminster Review« u. a. Mit Macaulay treten wir den historischen Schriftstellern nahe, unter denen Thomas Carlyle (gest. 1881) mit seinem »Life of Schiller« noch der schönen Litteratur angehört.
Auf dem Gebiet der Lyrik waren Burns und Thomas Moore tonangebend geblieben. Ihnen nach strebt eine Schar rüstiger Talente, von denen nicht wenige Hervorragendes wenigstens nach Einer Richtung hin geleistet haben. So zeichnete sich Thomas Hood (gest.
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1845) durch komische Dichtungen aus; aber schon bei ihm wirft sich die Muse zur Beschützerin der gesellschaftlichen Parias auf: sein »Song of the shirt« tritt für die bedrängte Lage der armen Handarbeiterin ein, während Ebenezer Elliott (gest. 1849) die Not der arbeitenden Klasse überhaupt zum Mittelpunkt seiner Poesie macht und in seinen gegen die Korngesetze gerichteten Dichtungen, die ihm den Namen des »Cornlaw-rhymer« eintrugen, sich erfolgreich auf das politische Gebiet wagt.
Aus der großen Schar der übrigen lyrischen und lyrisch-epischen Dichter der neuesten Zeit heben sich als bedeutendere Gestalten heraus: der gegenwärtige Kronpoet (poet laureate) Alfred Tennyson (geb. 1809, »Lockley's Hall«, »The princess«, »Idylls of the king« etc.),
Robert Browning (geb. 1812, »Bells and pomegranates« u. a.) und seine Gattin Elizabeth (gest. 1861),
Charles Mackay (geb. 1814),
James Bailey (geb. 1816, »Festus«),
William Englische Aytoun (gest. 1865),
»Lays of the Scottish cavaliers«),
Edward Robert Lord Lytton (geb. 1831), Rob. Buchanan (geb. 1841); ferner die Häupter der jüngsten englischen Dichterschule: Algernon Ch. Swinburne (geb. 1837) und William Morris (geb. 1834).
Was das Drama betrifft, so tritt uns zunächst Joanna Baillie (gest. 1851) mit einer Reihe von Dramen entgegen, in denen sie sich die Entwickelung einzelner Leidenschaften zur Aufgabe macht; doch blieben ihre Stücke, als deren bedeutendstes »De Montfort« gilt, auf der Bühne wirkungslos. Auch das aufsehenerregende Drama »The bride's tragedy« von Th. Lovell Beddoes (gest. 1849) war mehr ein Lesedrama. Die oben genannte Elizabeth Browning knüpft den schon von Byron aufgenommenen Faden des mittelalterlichen Mysteriums wieder an: ihr »Drama of exile« legt in die Vertreibung der ersten Menschen aus dem Paradies den Gedanken an das schwindende Jugendideal. Dem griechischen Altertum sind Thomas Noon Talfourds (gest. 1854) »Ion« und »The Athenian captive« angelehnt, doch blieben sie ohne Einfluß auf die Entwickelung des Dramas. Wichtiger sind die historischen Trauerspiele eines Henry Taylor (geb. 1800, »Isaac Comnenus«, »Philip van Artevelde«, »Edwin the Fair«),
denen sich der »Virginius« von J. ^[James] Sheridan Knowles (gest. 1862) und der »Rienzi« der Mary Mitford (gest. 1855) anschließen. Neben dieser historischen Richtung besteht eine philosophische, als deren Hauptrepräsentant Robert Browning (»Paracelsus«, »Sordello«) zu nennen ist. Von Lytton Bulwers Dramen gefiel die Komödie »The lady of Lyons« am meisten. John O'Keefe (gest. 1833) verstand die Kunst, leichte, humoristische Stücke zu schreiben, die das Volk belustigten und die kleinern Theater füllten. In demselben Genre zeichneten sich George Colman der jüngere (gest. 1836, »The poor gentleman«, »John Bull«),
Thom. Holcroft (gest. 1809, »The road to ruin«),
Fr. Reynolds (gest. 1841) u. a. aus. In neuester Zeit errangen Tom Taylor (gest. 1880) mit seinen Lustspielen und historischen Dramen und T. Robertson (gest. 1871) mit seinen Komödien (»Society«, »Caste«, »School«, »Ours« etc.) Erfolge. Unter der großen Zahl der sogen. Denker (thinkers),
wie diejenigen in England genannt werden, welche für die Komposition kleiner Bühnenstücke an den Theatern angestellt sind, verdienen Erwähnung: John Tobin (gest. 1804, »The honeymoon«),
Th. Morton (gest. 1838), Douglas Jerrold (gest. 1857) u. a. Auch W. Scott, Dickens u. a. wurden mit Erfolg dramatisiert. Aber keinem der genannten Dichter ist es gelungen, eine neue, lebenskräftige dramatische Form zu finden, und eine nationale Bühne gibt es in England seit Shakspeares ^[richtig: Shakespeares] Zeiten nicht mehr. Das einzige Genre, in welchem die moderne englische Dramatik noch gewissermaßen schöpferisch auftritt, sind die sogen. burlesque extravaganzas (Pantomimen und Burlesken); hierin war der Schauspieler Henry James Byron (gest. 1884) besonders beliebt und fruchtbar.
Wissenschaftliche Litteratur.
Philosophie.
Die insulare Lage hat in England wie überhaupt eine eigentümliche Geistesrichtung, so auch von früh an eine eigenartige Philosophie erzeugt, welche auf dem Kontinent mehr Anregungen hervorgebracht, als, mit wenigen Ausnahmen, von dorther empfangen hat. Dieselbe hat auf der britischen Insel schon zur angelsächsischen Zeit Pfleger gefunden: sowohl Beda Venerabilis (gest. 735) als Alkuin (gest. 804), der Freund Karls d. Gr., waren jener irischer, dieser englischer Abkunft.
Auch der Vater der Scholastik, Joh. Scotus Erigena (gest. 877), war auf britischer Erde geboren; der Piemontese Anselm (gest. 1109), der Erfinder des ontologischen Beweises, starb als Erzbischof von Canterbury. An dem Kampf des Nominalismus und Realismus nahmen die Engländer Johann von Salisbury (gest. 1180), Abälards Schüler, der zwischen beiden eine Vermittlerrolle spielt, und Alexander von Hales (gest. 1245), welcher zuerst die Kenntnis arabischer Philosophen im Abendland verbreitete, teil. Den Thomismus bekämpften der das Studium der Natur und der Mathematik dem des Aristoteles vorziehende Mönch Roger Bacon (1214-94) und der feurige Dialektiker (Doctor subtilis) Johannes Duns Scotus (gest. 1308), während Wilhelm von Occam (gest. 1347) und Robert Holkot (gest. 1349) den Nominalismus, letzterer namentlich gegen den Erzbischof von Canterbury, Thomas Bradwardine, zur Herrschaft brachten. Hauptsitz der Scholastik blieb Oxford; in Cambridge faßte der Neuplatonismus der Renaissancezeit Fuß, aus welchem später durch Henry More (gest. 1687) und Ralph Cudworth (gest. 1688) das Studium der Kabbala und der Mystizismus hervorgingen, während der Arzt Robert Fludd (um 1617) die Naturphilosophie des Paracelsus und der Schwärmer John Pordage (gest. 1698) die Theosophie Jakob Böhmes nach England verpflanzten, welche in Bromley und John Leade begeisterte Anhänger fand.
Francis Bacon von Verulam (1561-1626) suchte durch sein »Novum organon« und seine »Instauratio magna scientiarum« eine Reform des Wissens und der Wissenschaft auf Grundlage der Erfahrung als einziger Erkenntnisquelle herbeizuführen und ist dadurch der Begründer einer englischen »Nationalphilosophie«, wie sein Gegner Lord Herbert von Cherbury (1581-1648),
welcher die allgemeine Übereinstimmung auf Grund der allen gemeinsamen Vernunft als oberstes Kriterium der Wahrheit ansah, der Begründer einer »rationalen« Philosophie in England geworden. Des erstern Erfahrungsphilosophie wurde von Thomas Hobbes (1588-1679); welcher nur den äußern Sinn als Erkenntnisquelle gelten ließ und demgemäß alles Wirkliche in natürliche (Naturkörper) und künstliche Körper (Staat) einteilte, zum Sensualismus und Materialismus, von John Locke (1632-1704), der neben dem äußern Sinn (sensation) auch einen innern (reflection) zuließ, zum Empirismus fortgebildet. Des letztern Rationalismus hat als rationale Metaphysik
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insbesondere an S. Clarke (1675-1729) und dem Grafen Shaftesbury (1670-1713), als rationale Moralphilosophie aber außer den beiden Genannten noch in Wollaston (1659-1724) und Fr. Hutcheson, dem Entdecker des sittlichen Gefühls (moral sense) (1694-1747), Beattie (1735-1803), Ferguson (1724-1816) u. a. Vertreter gefunden. Beiden Schulen gemein war die Opposition gegen die geoffenbarte Religion, an deren Stelle der Materialismus den offenen Unglauben, Herbert, Locke, Clarke und Shaftesbury den Deismus und die natürliche oder Vernunftreligion setzten, während gleichzeitig politische Rationalisten, wie Algernon Sidney (1622-83) und John Milton (1608-74), das »Königtum von Gottes Gnaden« des Robert Filmer (gest. 1647) bekämpften.
Jene begründeten die Schule der sogen. Freethinkers (»Freidenker«),
zu welchen Charles Blount, Collins, Lyon, Tindall und vor allen John Toland (gest. 1722), der Vorläufer der französischen Encyklopädisten, gehörten, und die im Zeitalter der Aufklärung ihren Einfluß über die ganze gebildete Welt ausbreiteten. Der Empirismus Lockes gestaltete sich bei Arthur Collier (gest. 1732, »Non-existence of an external world«) und George Berkeley (gest. 1753) zum empirischen Idealismus um, während David Hume (1711-76) durch denselben zum Skeptizismus geführt wurde.
Als Moralphilosoph schloß sich Hume wie sein Geistesverwandter Adam Smith (1723-90) an die Schule des moral sense Hutchesons an, während Thomas Reid (1710-96) wieder auf Herberts common sense zurückging und die sogen. schottische Schule stiftete, welche nach ihm von Dugald Stewart (1753-1823), Thomas Brown (1778-1820) fortgesetzt und durch Sir William Hamilton (1788-1856) dem Kantschen Standpunkt genähert wurde. Als Gegner derselben trat von materialistischer Seite her Priestley (1733-1804), vom Standpunkt des Lockeschen Empirismus John Stuart Mill (1806-73) auf, während sie durch Royer-Collard und Cousin in Frankreich großen Einfluß gewann. Gegenwärtig ist die schottische Schule, zu welcher außer den Genannten auch James Mill (1775-1836), Bentham (gest. 1832), John Young, Ballantyne, Abercrombie, Wylne, James Macintosh (gest. 1832) u. a. gezählt werden, durch Whewell, Mansel, Mac Cosh u. a., die empirische Schule durch den Psychologen Alex. Bain, Sidgwick und die Mitarbeiter der philosophischen Zeitschrift »The Mind« vertreten.
Durch John Stuart Mill und den Kulturhistoriker Buckle ist auch der Positivismus Comtes in England eingeführt, dessen materialistische Psychologie jedoch abgelehnt worden, was von seiten andrer englischer Positivsten, wie G. H. Lewes, Tylor u. a., nicht geschieht. Dem Positivismus verwandt ist das von seinem Urheber, dem bedeutendsten unter den lebenden englischen Philosophen, Herbert Spencer (geb. 1820), als »Evolutions- oder Entwickelungsphilosophie« bezeichnete System, das sich wie jener den Aufbau des Wissens »nach der natürlichen Ordnung der Wissenschaften« (Biologie, Psychologie, Soziologie und Moral) zur Aufgabe macht, aber im Gegensatz zu jenem das Vorhandensein einer jenseit der Erfahrung gelegenen (metaphysischen) Welt nicht schlechthin leugnet, sondern dieselbe als allerdings »unbekannten« (unknown) Hintergrund am Horizont der empirisch bekannten Welt der Erscheinungen bestehen läßt.
Dem im Gefolge der Naturwissenschaften, besonders der Darwinschen Deszendenztheorie, drohenden Überhandnehmen des Materialismus haben Wright, Collyns Simon, Fraser, Hodgson u. a. durch Wiederbelebung des Berkeleyschen »Immaterialismus« einen Damm vorzuschieben gesucht. Durch Abbot, den Übersetzer Kants, Stirling (»The secret of Hegel«),
Max Müller, den Übersetzer der »Kritik der reinen Vernunft« (1881),
hat auch deutsche Philosophie in England Eingang gefunden; letzterer hat dabei in der Vorrede bemerkt, daß die englische Philosophie, was die durch Kant bewirkte Umwälzung in der Philosophie betrifft, »noch nicht bei Kant angelangt« sei. Um die Geschichte der Philosophie haben sich außer dem ersten neuern Historiker derselben, Stanley, in jüngster Zeit Thomson, Lewes, Flint, Morris, G. Grote u. a. Verdienste erworben.
Theologie.
Die Theologie hat in England nie jene wissenschaftliche Ausbildung erlangt, die sie durch den deutschen Geist erfuhr. Von den frühsten Zeiten her wurde sie nach herkömmlicher, von der Kirche vorgeschriebener Weise getrieben und mit scholastischen Spitzfindigkeiten ausgestattet. Über den freisinnigen Johann Wiclef (gest. 1384) ward nach seinem Tod noch das Verdammungsurteil ausgesprochen. Die Reformation, welche den Geistesdruck nicht aufhob, sondern nur die kirchliche Obergewalt aus den Händen des Papstes in die Heinrichs VIII. spielte, förderte das Studium der theologischen Wissenschaft keineswegs; erst allmählich brachte die anglikanische Kirche auch Theologen hervor, denen die Reformation kein politischer Handel, sondern eine Herzenssache war, die sie mit Mund und Feder verteidigten. Dahin gehören unter andern der gelehrte John Hales (gest. 1656) und Jeremy Taylor (gest. 1667), der beredteste und phantasiereichste unter den Theologen seiner Zeit. Aber die eigentlich gelehrte Theologie begann erst im 17. und 18. Jahrh. Von förderndem Einfluß war auf sie das Studium der alten, besonders der orientalischen, Sprachen. John Fell (gest. 1686) besorgte mehrere brauchbare Ausgaben der Kirchenväter, sein Schüler John Mill (gest. 1707) die erste kritische Ausgabe des Neuen Testaments, wie mit Benjamin Kennikot (gest. 1783) die Kritik des alttestamentlichen Textes beginnt. R. Lowth schrieb über hebräische Poesie, R. Hurd über die Propheten, G. Hornes über die Psalmen, J. ^[John] Jortin über Kirchengeschichte. Das Kirchenrecht und die kirchliche Archäologie bearbeiteten Usher (gest. 1656), Beveridge (gest. 1708), Bingham (gest. 1723) u. a. Die positive Religion ward gegen die Angriffe des Deismus von Englische Stillingfleet (gest. 1699), S. Parker (gest. 1687), W. Nichols (gest. 1712) und eine Unzahl andrer verteidigt. Gegen das Ende des 18. Jahrh. nahm die Zahl gelehrter Theologen der Hochkirche immer mehr ab, obgleich mancher Fortschritt in der kritischen und biblischen Litteratur zu verzeichnen ist. Hervorragend ist der Utilitarier W. Paley (gest. 1805); die Offenbarung verteidigten gegen die Skeptiker Gibbon und Paine die Bischöfe Rich. Watson (gest. 1816) und Sam. Horsley (gest. 1806), gegen sonstigen Unglauben Bischof Porteus (gest. 1808), G. Wakefield (gest. 1801) und der Philanthrop Wilberforce (gest. 1833). Um die Bibelkunde machten sich im 19. Jahrh. verdient: Horne, Tregelles, Westcott, Hort, Scrivener. Im Schoß der anglikanischen Kirche selbst regte sich zuweilen ein oppositioneller Geist, und die geistreichen Pamphlete des Satirikers Sidney Smith wiesen auf die praktischen Krebsschäden der englischen Kirche genugsam hin. Zunächst entwickelte sich allmählich neben der hochkirchlichen eine evangelische Partei als Reaktion gegen den geistlosen Mechanismus der
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Hochkirche und als eine echt religiöse, aber geistig befangene Bewegung. Dieser frühern Generation der »Evangelicals« verdanken die Engländer die Aufhebung der Sklaverei und die Stiftung mehrerer nützlicher Gesellschaften, die zum Teil noch in hoher Blüte stehen. Die neuern Evangelicals repräsentieren vollständig den kontinentalen gläubigen Protestantismus, aber mit überwiegendem Calvinismus. Von theologischer Wissenschaft ist bei ihnen keine Rede; ihre Litteratur besteht fast nur aus Predigten und Erbauungsschriften. Das hochkirchliche Element steigerte sich durch die Oxforder Professoren John H. Newman (geb. 1801) und Edw. B. Pusey (gest. 1882), welche zur Erneuerung echter Katholizität alle katholischen Satzungen und Lehren, soweit ihnen die 39 Artikel nicht ausdrücklich widersprachen, wieder aufnahmen, zugleich aber auch in der Litteraturgeschichte Englands durch ihre zündenden »Tracts for the times« glänzten.
Für eigentliche Gelehrsamkeit erwiesen sich nur die Anhänger der sogen. breitkirchlichen Richtung (broad-church) zugänglich und fruchtbar, an ihrer Spitze der Dean Arthur P. Stanley (1815-81); zu nennen sind ferner die Gelehrten Oxfords: Hussey, Jowett, Mansell, Macbride, die Gebrüder Hare, Milman, Trench;
von Cambridge: Conybeare, Howson, Blomfield, Alford, Hardwick u. a. Der Predigtsammlungen (sermons) ist kein Ende in der Litteratur der Hochkirche;
klassisch und auch frei für seine Zeit redete der Erzbischof Tillotson (gest. 1694).
Auch unter jenen Protestanten, die sich der anglikanischen Kirche nicht anschlossen, zeigten sich im 17. Jahrh. hervorragende Schriftsteller: Richard Baxter (gest. 1691), dessen »Ewige Ruhe der Heiligen« mit Bunyans (gest. 1688) »Pilgerfahrt des Christen« zu den gelesensten aller Erbauungsbücher gehört. Dieselbe Zeit des religiösen Enthusiasmus gebar auch die Sekte der Quäker, deren gebildetere Anhänger Barclay, Penn, Whitehead, Ellwood ihre Lehren in Schriften verteidigten. Berühmte Nonkonformismen waren ferner: Whiston, Doddridge, Law und die Methodisten Whitefield (gest. 1770) und Wesley (gest. 1791). Von den englischen Dissenters der neuern Zeit, die ein gelehrtes Streben an den Tag legten, nennen wir: Lardner, Farmer, Foster, Leland, Hall, Clarke;
von den Schotten: Blair, Campbell, Alison, Thomson, den ausgezeichneten Prediger und Schriftsteller Chalmers, Brown, Wardlaw, Guthrie, Caird, Cumming, Candlish.
Geschichtsschreibung.
Die Geschichtschreibung wurde in England im Mittelalter vorwiegend von Geistlichen, meist Benediktinermönchen, gepflegt und in lateinischer Sprache abgefaßt. Eins der ältesten und wertvollsten Geschichtswerke ist die Geschichte der englischen Könige und der englischen Kirche bis 1142 von Wilhelm von Malmesbury. Der Streit zwischen Staat und Kirche in England im 12. Jahrh. rief auch Geschichtswerke hervor, so die von Gervasius von Canterbury und von Johannes von Salisbury, die auf kirchlichem Standpunkt stehen, während Benedikt von Peterborough, dessen Werk dem von Roger von Hoveden zu Grunde liegt, und namentlich Matthäus Paris (gestorben um 1259), der bedeutendste englische Geschichtschreiber des Mittelalters, in entschiedener Opposition zu Papsttum und Kirche stehen.
Nur litterarischen und sagengeschichtlichen, nicht historischen Wert haben die Reimchroniken, besonders die des Meisters Wace aus Jersey, welcher nebst einer Geschichte der Normannen: »Roman de Rou« (»Romanze des Rollo«),
um 1160 die an Fabeln reiche Chronik Geoffreys von Monmouth zu einem erzählenden Gedicht: »Le Brut d'Angleterre«, verarbeitete, welches Layamon ins Sächsische übersetzte und Robert von Gloucester und R. Mannyng nachahmten. Zu Anfang des 14. Jahrh. entstanden solche Reimchroniken, die nur nackte Erzählungen meist von Schlachten und Festen ohne Urteil, Kunst und Phantasie brachten, in Masse. Auch Chroniken und Geschichtsbücher, z. B. in englischer Sprache, wurden gegen Ende des Mittelalters und in der Reformationszeit zahlreicher. Sie alle übertrifft Sir Walter Raleighs (gest. 1618) unvollendete Weltgeschichte.
Eigentliche Geschichtschreibung mit selbständiger Reflexion und Charakterzeichnung rief erst der große Kampf zwischen Volk und Krone im 17. Jahrh. ins Leben. Thomas May (gest. 1650) beschrieb zuerst diesen Bürgerkrieg, dann Whitelocke (gest. 1676), Bischof Gilbert Burnet (gest. 1715) und Lord Clarendon (gest. 1674). Auf diese durch eine interessante Zeit hervorgerufene Geschichtschreibung folgten wieder ein Rückschritt und eine Reihe bloßer Kompilatoren, wie L. Echard, Strype, Kennet, Rapin, ein französischer Protestant, u. a. Lord Bolingbroke (gest. 1751, »Letters on the study of history«),
Nathaniel Hooke (gest. 1763) und C. Middleton (gest. 1750) brachten dann wieder einen großen Fortschritt in die englische Geschichtschreibung und waren die Vorläufer des großen Triumvirats der Vertreter der skeptisch-rationalistischen Aufklärungsperiode: David Hume (1711-76, »History of England«),
mit dem die neue historische Schule beginnt, William Robertson (1721-93, »History of Scotland«, »History of Charles V.«, »History of America«) und Edward Gibbon (1737-94, »History of the decline and fall of the Roman empire«),
dessen Werk trotz mancher Schwächen und Irrtümer zu den größten Triumphen historischer Kunst gehört. Ihr Erfolg rief eine Legion mehr oder weniger guter Geschichtswerke ins Leben. Mit besonderer Vorliebe wandte sich die Geschichtsforschung auf die Heimat selbst und ihre innere Geschichte. Würdig beschloß W. Roscoe (gest. 1831) die Reihe der englischen Historiker des 18. Jahrh. durch seine mit Wärme und Liebe geschriebenen Biographien der Mediceer (»The life of Lorenzo de' Medici«, 1795, und »The life and pontificate of Leo X.«, 1803), welche insbesondere die damaligen Kulturzustände Italiens, das Wiederaufleben der schönen Künste und Wissenschaften dankenswert beleuchten.
Vgl. Ebeling, Englands Geschichtschreiber (Berl. 1852).
Die Historiker des 19. Jahrh. zeichnen sich nicht nur durch größere Tiefe der Forschung und zum Teil durch kunstvolle Darstellung, sondern auch dadurch vorteilhaft aus, daß sie nach dem Vorgang Roscoes die Litteratur- und Kunstgeschichte gern mit der politischen verbinden, was ihren Werken einen höhern Grad von Anziehung und Belehrung verleiht. Um zunächst bei der vaterländischen Geschichte zu verweilen, so wurde jetzt die angelsächsische Geschichtsperiode, ein bisher ganz brach gelegenes Feld, mit besonderm Eifer bebaut. Der erste war Sharon Turner (1768-1847), dessen »History of the Anglosaxons« und »History of England during the middleages«, obschon in einem etwas affektierten Stil abgefaßt, ihm einen ehrenvollen Namen erwarben. Ihm folgten Thom, Wright (gest. 1877) und Sir Francis Palgrave (gest. 1861),
dieser mit den rühmlich bekannten Werken: »The rise and progress of the English commonwealth: Anglosaxon period« (1832) und »The
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history of Normandy and of England« (1851-64); ferner J. ^[John] Mitchell Kemble (gest. 1857, »The Saxons in England«) und Edward Aug. Freeman (geb. 1823) mit seiner vorzüglichen »History of the Norman conquest«. Auch John Lingard (1771-1851) hatte vor seiner berühmten, aber in katholischen Anschauungen befangenen »History of England from the first invasion of the Romans etc.« (1819 ff.) bereits eine »History and antiquities of the Anglosaxon church« (1809) geschrieben, die von großer Gelehrsamkeit zeugt.
Am meisten jedoch wurde der allerdings interessanteste Abschnitt der englischen Geschichte, der Kampf um Freiheit und Verfassung unter Karl I. bis Jakob II., bearbeitet. Auf diesem Gebiet sind besonders zu nennen: James Mackintosh (1765-1832) mit seiner für Lardners Encyklopädie geschriebenen »History of England« und der aus seinen Papieren herausgegebenen »History of the revolution in England 1688«, Werken, welche die ganze Gelehrsamkeit, Wahrheits- und Menschenliebe des berühmten Philosophen und Politikers bekunden;
W. Godwin (1756-1836) mit der »History of the commonwealth of England from the commencement to the restoration of Charles II.«, einem nicht unparteiischen, aber an wichtigen Aufklärungen über jene bedeutende Zeit reichen Werk;
ferner Lingard, dessen schon oben genannts ^[richtig: genanntes] Werk auch außerhalb Englands große Verbreitung fand;
Lord Mahon (Stanhope, 1805-75) mit seiner »History of England from the peace of Utrecht etc.«;
endlich als die bedeutendsten Namen: Henry Hall am (1778-1859),
Verfasser der als klassisch anerkannten, mit rhetorischer Anmut geschriebenen »Constitutional history of England from the accession of Henry VII. etc.«, und Th. Babington Macaulay (1800 bis 1859),
der Meister der englischen Historiographie, dessen durch künstlerische Gruppierung des Stoffes, lichtvolle Darstellung und lebenswarme Diktion ausgezeichnete »History of England from the accession of James II.« an Erfolg alle andern Geschichtswerke der Zeit weit überflügelt hat.
Beide gehören der politischen Farbe nach zu den Whigs, deren Grundsätze Hallam mit Ruhe und Mäßigung, Macaulay mit Wärme und etwas Parteilichkeit bekennt; beide stehen an gelehrtem Wissen, an Klarheit und Unabhängigkeit des Urteils einander gleich, aber während Hallam mehr Prinzipien vertritt als Personen, ergeht sich Macaulay gern in Schilderungen von Persönlichkeiten und ihrer Zeiten und feiert gerade als Porträt- und Charaktermaler seine schönsten Triumphe.
Auf einem ganz andern Standpunkt stand H. Thomas Buckle (gest. 1862), der in seiner epochemachenden, aber unvollendeten »History of civilisation in England« ein riesiges Material aus allen Gebieten der Wissenschaft zusammentrug, um die Gesetze der intellektuellen Welt festzustellen. Wie anregend sein Vorgang wirkte, beweist unter anderm die in seinem Geist gedachte und vortrefflich geschriebene »History of rationalism in Europe« von Lecky (1866) sowie die in ähnlichem Sinn aufgefaßte »History of the intellectual development of Europe« von Draper (gest. 1882). In Macaulays Fußstapfen trat, was Forschung und farbensatte Darstellung anlangt, in würdiger Weise J. A. ^[James Anthony] Froude (geb. 1818) mit seiner »History of England from the fall of Wolsey etc.«
Von Leistungen in der schottischen Geschichtschreibung sind hervorzuheben: Malcolm Laings (gest. 1818) »History of Scotland from the accession of James VI. etc.« (1800 ff.),
die sich durch kritische Forschung und scharfes Räsonnement auszeichnet;
G. Chalmers' (gest. 1825) »Caledonia« (unvollendet),
eine fleißige antiquaristische und topographische Forschung über die frühern Perioden der schottischen Geschichte;
ferner P. Fraser Tytlers umfassende »History of Scotland« (1828 ff.),
die mit Alexander III. beginnt und bis zur englischen Thronbesteigung Jakobs VI. reicht, und J. ^[John] Hill Burtons »History of Scotland from the revolution to the extinction of the last Jacobite insurrection, 1689-1748« (1853),
letzteres, wie das vorige, ein mit übersichtlicher Klarheit geschriebenes Werk.
Mit der Geschichte des Auslandes beschäftigten sich: Will. Coxe (gest. 1828) in seiner »History of the house of Austria« (1807) und den »Memoirs of the kings of Spain of the house of Bourbon« (1813);
die »History of Persia« (1815) von J. ^[John] Malcolm;
die Werke über Indien von James Mill (1817) und M. Elphinstone (gest. 1859);
die Geschichte Brasiliens von Southey (1810);
die Geschichte der Regierungszeit Philipps IV. und Karls II. von Spanien von Dunlop (1834);
ferner die große »History of Europe 1789-1815« von Alison (gest. 1867),
ein kräftiges Geschichtsgemälde, das aber nicht selten durch allzu starke Beimischung toryistischer Parteifarbe entstellt wird;
die »French revolution«, sodann die »History of Frederick the second« von Thomas Carlyle (1795-1880),
dem geistvollen Vertreter des Heroenkultus in England, und die von einem Augenzeugen und tüchtigen Taktiker herrührende »History of the war in the Peninsula« von Napier (gest. 1860).
Auch die Geschichte des Altertums fand in der neuesten Zeit mehrere Bearbeiter. Obenan steht George Grotes (gest. 1871) mit dem »Ernst der Wahrheit und der Glut des Genies« geschriebene »History of Greece«, worin die Bruchstücke hellenischen Lebens, welche auf uns gekommen sind, zu einem prächtigen Gebäude zusammengefügt erscheinen. Die Geschichte Griechenlands vom Altertum bis zur Neuzeit behandelte (in verschiedenen Werken) G. Finlay (gest. 1875), die römische Geschichte im Geist Niebuhrs Th. Arnold (gest. 1842), dessen Werk bis zum Schluß des zweiten Punischen Kriegs reicht, während G. Cornewall Lewis (gest. 1863) die Ansichten Niebuhrs bekämpfte.
Eine Geschichte der Römer unter den Kaisern schrieb Merivale (geb. 1808). Ungemein reich ist die biographische und Memoirenlitteratur in England. Die meisten Könige, Feldherren und Staatsmänner der letzten Jahrhunderte haben Biographen gefunden, und deren Werke sind um so wertvoller, als sie meist Briefe, Reden und Aufzeichnungen ihrer Helden in ausgiebigster Weise enthalten. Was die Geschichtsquellen betrifft, so wurden durch die 1847 aufgelöste Recordkommission eine lange Reihe Dokumente veröffentlicht. Ähnliches geschieht teils durch die Historical Society und Camden Society, teils durch die Vereine zur Herausgabe älterer englischer Litteraturdenkmäler. In diesen Publikationen wurde die kritische Methode der deutschen historischen Schule mit Erfolg angewendet, und auch in ihren Geschichtswerken kam dieselbe zur Geltung, zumal da der englische Charakter von selbst zu ruhiger Erwägung und unparteiischem Urteil hinneigt.
Übrige Wissenschaften.
In den Staatswissenschaften haben die Briten, begünstigt durch den Schutz einer festen Konstitution und einer ungeschmälerten Preßfreiheit, hervorragende Leistungen aufzuweisen. Für nützliche Reformen im Staats- und Volksleben waren vor andern
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Jeremy Bentham (gest. 1832) und Lord Brougham (gest. 1868) unermüdlich thätig. Mit besonderm Eifer ließ man es sich angelegen sein, die nationalökonomischen Lehren von Adam Smith (gest. 1790) durch Ergänzungen und Verbesserungen weiter auszubauen. Th. R. Malthus (gest. 1834) beschäftigte sich vorzüglich mit der Bevölkerungsfrage und erwarb sich durch sein Werk »An essay on the principle of population« (1806) einen dauernden Namen; David Ricardo (gest. 1823) legte in seinen »Principles of political economy and taxation« (1817) seine berühmte Theorie der Grundrente dar; Thomas Tooke (gest. 1858) und W. Newmarch lieferten in ihrer »History of prices« eine ausführliche Sammlung von Thatsachen und Lehren über den Güterumlauf und den Kredit etc. Vorzüglich verdient aber machte sich um Förderung der Nationalökonomie und Verbreitung volkswirtschaftlicher Kenntnisse J. ^[John] Stuart Mill (gest. 1873) durch seine klassischen »Principles of political economy«.
Zahlreiche tüchtige Leistungen haben die englischen Volkswirte im Gebiet der praktischen Nationalökonomie, in erster Linie in der Geld- und Bankfrage, aufzuweisen. Viele von ihnen, wie insbesondere Senior, Mac Culloch u. a., hatten sich bisher etwas exklusiv verhalten und sich mit den Errungenschaften eines einseitigen Smithianismus begnügt. In der neuern Zeit machte sich jedoch eine regere Thätigkeit, der Drang nach Selbständigkeit und damit ein Umschwung der Anschauungen bemerkbar, indem Cliffe Leslie, Ingram u. a. mehr der Methode der deutschen realistischen, bez. historischen Schule zuneigen. - Auf dem Gebiet der Rechtswissenschaft nimmt vor andern W. Blackstone (gest. 1780) mit seinen »Commentaries on the laws of England« eine ehrenvolle Stellung ein. Im übrigen besteht die juristische Litteratur Englands meist aus Sammlungen von Gesetzen und Parlamentsakten, Darstellungen spezieller Rechtsfragen und Angaben praktischer Hilfsmittel.
Die philologischen Studien wurden schon frühzeitig gepflegt; zu tonangebender Bedeutung gelangten sie durch Richard Bentley (1662-1742), den Begründer der sogen. kritischen Schule. Unter den klassischen Philologen der spätern Zeit ragen besonders Clarke, Tyrrwhitt, Musgrave, R. Porson (gest. 1808), R. Payne Knight (gest. 1824), P. Elmsley (gest. 1825), ferner Gaisford, H. J. ^[richtig: C. J. für Charles James] Blomfield, Arnold u. a. hervor. Selbst ein Staatsmann wie Gladstone erwarb sich durch seine »Studies on Homer and Homeric age« einen Namen.
Durch archäologische Forschungen auf dem Boden Griechenlands und Italiens, in Ägypten, Kleinasien, Assyrien etc. haben sich Belzoni (gest. 1822),
Sir W. Gell, Jos. Forsyth (»Remarks on antiquities etc. in Italy«),
W. M. Leake (gest. 1860),
Rich. Chandler und Rich. Revett, ferner Jam. Rich. Layard, Rawlinson, Newton u. a. verdient gemacht. Auf dem Gebiet der Sprachforschung glänzt besonders der Name Max Müllers (»Lectures on the science of language«). Bedeutende Orientalisten sind außer ihm: die Sanskritforscher Will. Jones (gest. 1794), H. Thom. Colebrooke (gest. 1837), John Crawfurd (gest. 1868), Muir (gest. 1882) und Monier Williams, der Assyriolog George Smith (gest. 1876) u. a. Daneben wird neuerdings auch das wissenschaftliche Studium der neuern Sprachen, insbesondere des Englischen selbst, mit Eifer betrieben.
In den Naturwissenschaften tritt uns zuerst Bacon von Verulam (gest. 1626) epochemachend entgegen, insofern er die bisher herrschende scholastische Methode beseitigte und die Forschung einzig auf die Erfahrung basierte. Ein Jahrhundert später kam der große Isaak Newton (gest. 1727), der als der erste Physiker im modernen Sinn, spekulativen Geist mit Scharfsinn und mathematischer Methode verbindend, den physikalischen Wissenschaften eine neue Ära eröffnete, indem er durch seine Lehre von der allgemeinen Schwere der Mechanik eine neue Grundlage gab, durch seine Optik und Farbenlehre bahnbrechend wirkte und fast auf allen Gebieten der Physik und Astronomie einen mächtigen Aufschwung hervorrief.
Eine Fülle der wichtigsten Entdeckungen in den genannten Wissenschaften, wie in der Chemie, wurde gemacht, und in gleicher Weise fanden auch die übrigen Zweige der Naturkunde die sorgfältigste und erfolgreichste Pflege. Aus der großen Zahl naturwissenschaftlicher Schriftsteller, welche die englische Litteratur aufzuweisen hat, seien hier als zu den bedeutendsten gehörig genannt: der Chemiker Sir Humphry Davy (gest. 1829), der Verfasser der »Elements of agricultural chemistry« und »Consolations in travel«;
der Astronom J. ^[John Frederick William] Herschel (1792-1871, »Outlines of astronomy«),
der zugleich in seinem »Preliminary discourse on the study of natural philosophy« einen trefflichen Überblick des frühern und gegenwärtigen Zustandes der Naturwissenschaften gibt;
ferner als um Popularisierung der Astronomie verdient: Mary Somerville (gest. 1872, »The mechanism of the heavens« und »The connection of the physical sciences«) und J. ^[Joseph] Norman Lockyer (geb. 1836, »The expanse of the heaven«, »Light science for leisure hours«);
der Gletscherforscher J. ^[James] David Forbes (gest. 1868) und der Ethnolog James Prichard (gest. 1848),
der Verfasser der »Natural history of man«;
ferner die großen Physiker und Chemiker Dan. Brewster, der Erfinder des Kaleidoskops (gest. 1868, »Treatise on the microscope«, »The stereoscope« etc.),
und Mich. Faraday (gest. 1867),
der in seinen Schriften: »On various forces of matter« und »Chemical history of a candle« Muster von gemeinverständlicher Behandlung naturwissenschaftlicher Gegenstände gibt.
Ihnen schließen sich in dieser Beziehung Johnstons »Chemistry of common life«, Groves »Correlation of physical forces« u. Tyndalls Schriften: »Heat a mode of motion«, »Sound«, »Lectures on light« u. a. ebenbürtig an.
In der Geologie erfordern Hervorhebung: James Hutton (gest. 1797, »Theory of the earth«),
der Begründer des Plutonismus;
William Buckland (gest. 1856, »Geology and mineralogy«),
der die Resultate der Forschungen mit der Bibel in Einklang zu bringen suchte;
Adam Sedgwick (gest. 1873),
I. ^[Roderick Impey] Murchison (gest. 1871) und Archibald Geikie (geb. 1835),
der Erforscher der schottischen Hochlande (»Scenery of Scotland viewed in connection with its physical geology«),
namentlich aber Charles Lyell (gest. 1875),
der Begründer der neuern Geologie. Letzterer bekämpfte in seinen klassischen »Principles of geology« die in Frankreich (Buffon, Cuvier) aufgekommene und damals auch in England allgemein angenommene sogen. Katastrophentheorie (nach welcher infolge gewaltsamer Erdrevolutionen ganze organische Schöpfungen beseitigt und durch neue ersetzt worden sein sollten) und zeigte, daß dasjenige, was uns, in Einen Anblick zusammengedrängt, wie das notwendige Produkt einer gewaltsamen Katastrophe erscheint, das Werk langer Epochen gewesen ist, indem die bisherigen Lebewesen durch veränderte Lebensverhältnisse zu einem langsamen Aussterben gebracht und ebenso allmählich durch neue Formen ersetzt wurden. Durch diese auf ausgedehnten Untersuchungen beruhenden Aufstellungen wurde Lyell zum Reformator der Geologie und Begründer einer neuen
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Schule, deren hervorragendster Vertreter Ch. Robert Darwin (1809-82) wurde, welcher mit seinen bahnbrechenden Ansichten über die Veränderungen der Lebewesen in langen Zeitepochen durchaus auf Lyells Schultern steht. Der Einfluß von Darwins Schriften hat dann in erster Linie dazu beigetragen, die Geologie und Paläontologie zu dem vom allgemeinsten Interesse getragenen Standpunkt zu erheben, den sie gegenwärtig einnimmt. Speziell durch populäre Bearbeitung der genannten Wissenschaft haben sich D. Lardner (gest. 1859), Thomas Ansted (geb. 1814), besonders aber Hugh Miller (gest. 1856) große Verdienste erworben. Auch der Anatom und Paläontolog Richard Owen (geb. 1804), der Verfasser der »History of British fossils, mammals and birds«, ist zu erwähnen. Im Geiste Darwins bearbeiteten dann neuerdings Alfred Wallace (geb. 1822) die Tiergeographie (»Geographical distribution of animals«),
Thomas Henry Huxley (geb. 1825) die vergleichende Anatomie (»Anatomy of vertebrated animals« u. a.), Fr. Maitland Balfour (gest. 1882) die Entwickelungsgeschichte, Sir John Lubbock (geb. 1834) die Tierpsychologie, während auf dem sich anschließenden anthropologischen und prähistorischen Gebiet besonders Lyell durch sein Buch »Antiquity of man«, Lubbock durch seine Werke: »Prehistoric times« und »The origin of civilization«, W. Boyd Dawkins (geb. 1838, »Cave hunting«, »Early man in Britain«),
Tylor (»Primitive culture«) u. a. thätig waren. Von populären Werken auf zoologischem Gebiet haben besonders Gilbert Whites »Natural history«, Bucklands und Bells Beiträge zu den sogen. Bridgewaterbüchern und in neuerer Zeit Lewes' »Sea side studies«, Huxleys und Lubbocks Schriften einen großen Erfolg gehabt. In der Botanik endlich haben als physiologische Forscher nur Rob. Brown (gest. 1858) und John Lindley (gest. 1865) Bedeutendes geleistet; dagegen ist die Litteratur der Engländer reich an Prachtwerken aus dem Gebiet der beschreibenden Botanik, teils Floren (wie die große englische von Sowerby), teils Monographien (wie die über die Zapfenbäume und Cinchonen von Lambert, die Orchideen von Lindley, die Farne von Greville, die Rhododendren von Hooker etc.), teils Sammelwerken.
Die Erdkunde ward von den Engländern weniger in systematisch-wissenschaftlicher Weise behandelt, als durch zahlreiche und wichtige Reisen gefördert. Von der Zeit der Elisabeth an, die der kühnen Seefahrer und Reisenden schon eine ansehnliche Zahl aufzuweisen hat, deren Fahrten ein Geistlicher, Rich. Hakluyt (gest. 1616), in einem jetzt sehr seltenen Werk: »The principal navigations etc. of the English nation« (zuerst 1589), beschrieb, bis auf die Gegenwart haben Engländer die Erde nach allen Richtungen forschend durchzogen und durch die Berichte über ihre Beobachtungen und Entdeckungen die Kenntnis unsers Planeten und seiner Bewohner in erheblicher Weise bereichert.
Aus der ungeheuern Menge dieser mehr oder minder vorzüglichen Werke können hier nur einige der wichtigsten Erwähnung finden. Zu den berühmtesten unter den von Hakluyt behandelten Reisenden gehört der Nordpolfahrer John Davis, der eine kurze Beschreibung seiner Fahrten in dem interessanten Werk »The world's hydrographical description« (1595) gab. Etwas später (1615) veröffentlichte G. Sandys seine Reise nach Ägypten und Palästina, 1640 Will. Lithgow die Beschreibung seiner ausgedehnten Reisen in Europa, Asien und Afrika. Großes Interesse erregten Jam. Howells (gest. 1645) Reiseberichte in Briefform über verschiedene Länder Europas, denen wir aus späterer Zeit die elegant geschriebenen und vielgelesenen »Travels in Europe, Asia etc.« von Englische D. Clarke (gest. 1822) anreihen.
Von Wichtigkeit war die 1768 angetretene Reise des Schotten James Bruce nach Abessinien, dessen zuerst angezweifelte Mitteilungen in der Folge volle Bestätigung fanden. Der zweite Reisende in Afrika, dessen Reisebericht ungemeines Aufsehen erregte, war Mungo Park (gest. 1805); ihm schloß sich die lange und glänzende Reihe von englischen Afrikareisenden an, die so hingebend zur Erforschung des »schwarzen Erdteils« gewirkt haben, und von denen an dieser Stelle nur Charles T. Beke (gest. 1874), Richard Burton, J. Augustin ^[James Augustus] Grant, John H. Speke (gest. 1864), Sam. White Baker, David Livingstone (gest. 1873), Henry Stanley und Verney Lovett Cameron als Verfasser vorzüglicher Reisebeschreibungen genannt werden mögen. Aus der nicht minder großen Zahl der Nordpolfahrer erfordern in gleicher Rücksicht besonders Edward Parry (gest. 1855), Ch. Fr. Hall (gest. 1871) und I. I. ^[Isaac Israel] Hayes Erwähnung.
Zur Kenntnis Chinas trugen zuerst viel die Reiseberichte der Gesandten Macartney und Staunton (1792) bei, die nachher durch John Barrows »Travels in China« (1806) und in neuerer Zeit besonders durch die Werke von Henry Ellis, Francis Davis, Elliot Bingham, Rob. Fortune, G. W. Cooke u. a. wesentliche Bereicherung erfuhren. Über Arabien schrieben unter andern: Will. Gifford Palgrave (»Journey through Arabia«, 1862);
über Mittelasien: R. Ker Porter (gest. 1842, »Travels in Georgia, Persia etc.«),
J. ^[James] Baillie Fraser (gest. 1856),
M. Elphinstone (gest. 1859),
A. Burnes, Ch. Masson, A. Conolly etc.;
über Siam: John Bowring (»The kingdom and people of Siam«, 1857);
über Ostindien: W. Moorcroft und G. Trebeck.
Sonst sind als Reiseschriftsteller hervorzuheben: Lady Morgan (gest. 1859, »France«, »Italy«),
L. Simond (»Switzerland«, 1822),
H. Mathews (»Diary of an invalid«, 1820),
Beckford (gest. 1844, »Italy«),
Rich. Ford (gest. 1858, »Gatherings from Spain«),
George Borrow (»Zingali«, »The Bible in Spain«),
Sam. Laing (»Residence in Norway«),
Ant. Trollope (»Travels in Australia« etc.),
Charles W. Dilke (»Greater Britain«),
Harriet Martineau (gest. 1876, »Society in America«),
Will. Hepworth Dixon (gest. 1879, »New America«, »The Holy Land«) u. v. a.
Litteratur.
Hilfsmittel beim Studium der Litteratur Englands sind: Warton, History of English poetry (Lond. 1774-81, 3 Bde.; neue Ausg. 1872, 4 Bde.; das litterärgeschichtliche Hauptwerk, aber unvollendet, indem es nur vom 11. bis 16. Jahrh. reicht);
B. ten Brink, Geschichte der englischen Litteratur (Berl. 1877, Bd. 1; die gründlichste Darstellung der ältesten Dichtung);
Taine, Histoire de la littérature anglaise (6. Aufl., Par. 1885, 5 Bde., deutsch, Leipz. 1878-80, 3 Bde.);
Cunningham, History of English literature from Johnson to Scott (1833, neue Ausg. 1861);
Chambers, History of the English language and literature (1835);
Derselbe, Cyclopaedia of English literature (3. Aufl. 1876, 2 Bde.);
Craik, History of English literature (2. Aufl. 1871, 2 Bde.);
Derselbe, Manual of English literature (9. Aufl. 1883);
Spalding, History of English literature (1854, 13. Aufl. 1876; deutsch 1854; für die ältern Perioden brauchbar, für die Neuzeit unzulänglich);
Shaw, History of English literature (11. Aufl. 1871);
Arnold, Manual of English literature (4. Aufl. 1877);
Allibone, Critical
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dictionary of English literature (1870-71, 3 Bde.);
Morley, History of English literature (1873);
Herrig, The British classical authors (56. Aufl., Braunschw. 1884);
Boltz und Franz, Handbuch der englischen Litteratur (Berl. 1852);
Scherr, Geschichte der englischen Litteratur (2. Aufl., Leipz. 1874);
Büchner, Geschichte der englischen Poesie (Darmst. 1855, 2 Bde.);
Gätschenberger, Geschichte der englischen Litteratur (2. Aufl., Lond. 1874);
Julian Schmidt, Übersicht der englischen Litteratur im 19. Jahrh. (Leipz. 1859);
Bierbaum, History of the English language and literature (Heidelb. 1883).
Für einzelne Gebiete oder Perioden: Hettner, Geschichte der englischen Litteratur 1660-1770 (4. Aufl., Braunschw. 1881);
Perry, English literature in the XVIII. century (1883);
Morley, Of English literature in the reign of Victoria (Leipz. 1881);
Collier, History of English dramatic poetry (1831, 3 Bde.);
Ward, History of English dramatic literature to the death of Queen Anne (1875, 2 Bde.);
Hazlitt, The English drama and stage under the Tudor and Stuart princes (1869);
Brandes, Die Hauptströmungen der Litteratur des 19. Jahrhunderts (Bd. 4: »Der Naturalismus in England. Die Seeschule. Byron und seine Gruppe«; deutsch, Berl. 1876);
Klein, Geschichte des englischen Dramas (Leipz. 1876, 2 Bde.);
Morley, English writers (Bd. 1-3, 1864-67).
Vgl. außerdem Johnson, Lives of the most eminent English poets (1779-1783, neue Ausg. 1872);
Disraeli, Amenities of literature (1841, zuletzt 1870);
Tuckerman, Thoughts on the poets (3. Aufl. 1849; deutsch, Marb. 1857);
Thackeray, English humourists (1854);
Irving, History of Scottish poetry (1861).