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Bußpredigt, die, eine weitschichtig angelegte Allegorie und reich an Satire, der Menschheit den Weg »aus den Fesseln der Sünde, des Irrtums und des Todes« weisen soll.
Dem modischen Bemühen um die Umarbeitung französischer Romane huldigt noch Geoffrey Chaucer (1340-1400) in dem seiner Jugend angehörenden »Romaunt of the rose«; auch in die »Canterbury tales«, das Werk, welches seinen Namen unsterblich gemacht hat, verwebt er manches Fabliau. Aber seine Berührung mit Italien [* 2] erweiterte seinen Gesichtskreis und führte ihn zur Behandlung völlig neuer Stoffe, zur Verwertung neuer Formen. Dadurch erhob er sich wie auch durch seine Sprache [* 3] weit über die Zeitgenossen, ja über alle seine Nachfolger bis zur Zeit Elisabeths und rechtfertigt die Bezeichnung, die ihm seine Landsleute so gern geben, der »Morgenstern [* 4] der englischen Litteratur«. Chaucer selbst nahm an den Kämpfen gegen Frankreich teil; stürmischer noch gestalteten sich die politischen Verhältnisse nach seinem Tod, als innere Kriege England zerrütteten. Die Zeit der Rosenkriege war der Litteratur nicht günstig; Dichter wie John Gower, Chaucers Zeitgenosse, Thomas Occleve (gest. 1454), John Lydgate (gest. 1460), Audelay (gest. 1580), Stephen Hawes (gest. 1506) waren nicht im stande, fördernd auf dieselbe einzuwirken. Dafür fällt in diese Zeit die Blüte [* 5] der volkstümlichen Ballade in Nordengland und Südschottland, die ihren Stoff hauptsächlich den Grenzkriegen entlehnt, zuweilen auf ältere Gestalten, wie Robin Hood, zurückgreift, auch fremdländische Gebilde nicht verschmäht. Überhaupt feiert die schottische Muse Triumphe zu einer Zeit, in der die englische schweigt; John Barbour (gest. 1396) wählt die Abenteuer des Heldenkönigs Robert Bruce zum Gegenstand eines epischen Gedichts und führt seine Aufgabe frisch und lebendig durch. Der blinde Minstrel Harry (gestorben nach 1492) folgte ihm mit seinem Epos »Adventures of Sir William Wallace« und errang durch phantastischen, leidenschaftlichen Ton in Schottland bedeutende Popularität; König Jakob I. selbst (gest. 1437) besang seine Geliebte in der Manier Chaucers, dessen »Troilus und Cressida« von Robert Henryson (gest. 1490) im »Testament of Cresseid« fortgesetzt wurde. Der hervorragendste Dichter war William Dunbar (1460-1520), der die allegorische Form mit Meisterschaft beherrschte und über eine wirksame Komik verfügte.
III. Vom 15. Jahrh. bis zur Restauration.
Geschwächt, teilweise vernichtet ging der englische Adel aus den Rosenkriegen hervor; dagegen erhob sich mit dem Haus Tudor ein starkes Königtum, unter dessen Zepter ein wohlhabender Bürgerstand emporblühte. Da konnte, was indes als glänzendes Gestirn am südlichen Himmel [* 6] Europas aufgegangen, auch nach England seine wärmenden und verklärenden Strahlen werfen, da wirkte das neubelebte, aus Schutt und Asche emporgestiegene klassische Altertum auch auf den Geist englischer Männer.
Der warme Hauch der Renaissance brach schnell das Eis, [* 7] das seit Chaucer auf der litterarischen Thätigkeit gelastet hatte: wenige Dezennien nach der Thronbesteigung der Tudors beginnt die goldene Zeit, als deren unerreichten Höhepunkt der Engländer die Ära der Elisabeth betrachtet. Unter Heinrich VIII. freilich sind die Dichter wenig zahlreich und keineswegs originell, da sie italienischen Mustern mehr oder minder sklavisch nachgehen. Sein Hofpoet (seit jener Zeit blieb das Amt des Poet laureate ständige Hofcharge) John Skelton (gest. 1529) schlug indessen einen freiern und natürlichern Ton an als seine in Allegorie und Schwulst befangenen Vorgänger.
Mehr noch förderte Henry Howard, Graf von Surrey (gest. 1546), die Poesie, indem er den ungereimten fünffüßigen Iambus (blank-verse), den er in seiner Übersetzung des zweiten und vierten Buches der »Äneide« anwendete, nach England verpflanzte, wo diese Form von den großen Dichtern der Zeit Elisabeths angenommen und seitdem niemals aufgegeben wurde. Bedeutsam für seine Stellung zur Antike ist die Wahl seines Originals; als selbständiger Dichter eignet er sich den Ton petrarchischer Lyrik an, der in eigentümlicher Zartheit aus seinen »Songs and sonnets« erklingt.
Dem Sonett ist es eigen, daß es, einmal angestimmt, sirenengleich zur Nachfolge lockt, und so ahmten auch in England zahlreiche Dichter das italienische Reimgetön nach, vor allen Surreys Freund Thomas Wyatt (1503-42), der in dieser Form, doch auch in Liedern und Epigrammen italienische Muster nachbildet, dabei aber häufig in die Concettimanier verfällt. Aus dem Schluß der Reformationszeit besitzen wir ein wunderliches Werk, das unter dem Titel: »Mirrour for magistrates« eine umfangreiche Sammlung einzelner Gedichte enthält, welche berühmte und zugleich unglückliche Personen der englischen Geschichte feiern. Die Idee ging von Thomas Sackville, Lord Buckhurst (1527-1608), aus; am meisten haben zu dem Werk in seiner anfänglichen Gestalt beigesteuert ein Geistlicher, Baldwyne, und ein Jurist, Ferrers. Der Wert der historischen Bilder, die durch einen allegorischen Rahmen zusammengehalten werden, ist jedoch von seiten der Ästhetik nicht hoch anzuschlagen.
In das Reformationszeitalter fallen auch die ersten wichtigern Gestaltungen des englischen Dramas, insofern jetzt die bisher aufgeführten rohen Mirakelstücke in sogen. Moralitäten umgewandelt wurden, die bereits Tendenz und Personifikation verraten. Denn wie das moderne Theater [* 8] überhaupt, ist auch das englische kirchlicher Abkunft. Nachrichten von den ältesten englischen Mysterien gehen bis zu Anfang des 12. Jahrh. zurück. Die Stücke führten den Namen Miracle-plays, häufiger noch den volksmäßigen der Pageants.
Die meisten der in den Sammlungen altenglischer Mirakelspiele enthaltenen Dichtungen gehören einer Zeit an, in welcher sich bereits der Übergang der dramatischen Vorstellungen aus den kirchlichen Kreisen in weltliche zum großen Teil vollzogen hatte. Der Inhalt der erwähnten »Moralitäten« (Moral-plays) veranschaulicht durch Personifikation abstrakter Begriffe zumeist ethische und religiöse Lehren. [* 9] Im Lauf der Zeit verliert sich das allegorische Element: immer freier werden die heiligen Stoffe behandelt, possenhafte Einschiebsel werden immer häufiger angebracht.
Nicht nur in Skeltons »Magnificence« ist bereits die Allegorie durch witzige Beziehungen auf Zeitereignisse unterbrochen, auch in dem Moral-Play »Hicke-Scorner« aus dem Anfang des 16. Jahrh. hat das weltliche Element bereits die entschiedene Oberhand gewonnen, die allegorischen Bestandteile sind zurückgetreten, eine sehr realistische Darstellung des Wüstlingslebens der Zeit bildet den eigentlichen Inhalt. Bedeutender als die Beiträge Skeltons zum englischen Theater waren die des protestantischen Bischofs Bale (gest. 1563), der mehrere Mirakelspiele verfaßte, die sämtlich Aufklärung des Volkes über das päpstliche Unwesen und die Grundlehren der Reformation bezweckten. Der ursprüngliche Charakter des englischen Dramas mußte indessen immer mehr verblassen, seit es bei den Großen des Königreichs Mode ward, Schauspielertruppen im ¶
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Sold zu haben. König Heinrich VII. hatte deren zwei, Heinrich VIII. drei; auch reiche Lords und sogar einzelne Klöster nahmen Schauspielerbanden auf längere oder kürzere Zeit in ihre Dienste. [* 11] Der veränderten Sphäre entsprechend, suchte der witzige John Heywood (gest. 1565) das Schauspiel durch die Anwendung einer neuen Form, der sogen. Interludes, umzugestalten, die, ähnlich den Fastnachtsspielen des 16. Jahrh., derb komische Szenen des Volkslebens darstellen.
Aus diesen Zwischenspielen, in denen die [* 10] Figur des altenglischen Volksnarren Clown eine immer bedeutsamere Stellung gewann, hat sich das eigentliche Lustspiel entwickelt. Der Verfasser einer der ältesten bekannten Komödien (»Ralph Royster Doyster«, Schilderung der Liebesmißgeschicke eines Londoner Gecken) war Nicolas Udall (gest. 1557). Nicht volle zehn Jahre später ward die erste regelmäßige Tragödie in England und zwar im Temple zu London [* 12] aufgeführt.
Sie war vermutlich das Werk zweier Autoren und führt den Doppeltitel: »Gorboduc« und »Ferrex and Porrex«. Die ersten drei Akte sollen von Thomas Norton (gest. 1584), die zwei letzten von Lord Buckhurst herrühren. Die Dichtung, zwischen deren einzelnen Akten ein die Geschichte moralisierender Chor auftritt, ist besonders dadurch von Wichtigkeit, daß in ihr der Blankvers zum erstenmal (seitdem war es regelmäßig in England der Fall) in der dramatischen Gattung Anwendung fand.
Auf diesen Grundlagen baute sich nun die glänzende Litteratur des Zeitalters der Elisabeth auf Nahmen Surrey und Wyatt mit der italienischen Form auch ihre Entartung und die gesuchten Wendungen des fremden Stils auf, so haftete an den letztern das Heer ihrer Nachahmer, und bis in Shakespeares Dramen spürt man das Wohlgefallen an den Concetti. Die Jagd nach Wortspiel und Witz wurde Manier, die am Hof [* 13] willig Aufnahme fand, und für diesen Hof schuf John Lilly seinen »Euphues« (1580),
der nun zum Gesetzbuch des schwülstigen Hoftons wurde. Dazu kam eine neue Art des Romans, die das gebildete Europa [* 14] in Entzücken versetzte: Tassos »Aminta«, Guarinis »Pastor fido«, Montemayors »Diana«, und wie die auf romanischem Boden fröhlich emporschießenden Schäferromane alle hießen, reizten auch die germanischen Völker zur bewundernden Nachahmung. Auch England zollte der bukolischen Poesie seinen Tribut. Nach der »Diana« verfaßte Sir Philip Sidney (gest. 1586) den Roman »Arcadia«, und Edmund Spenser (gest. 1599) folgte ihm mit seinem »Shepherd's calendar«, wie er auch unter der Zahl der Sonettisten (Daniel, Constable, Drayton, Shakespeare) als Stern erster Größe glänzt.
Spensers Hauptbedeutung liegt indessen nicht in diesen Konzessionen an den Zeitgeschmack, sondern in seiner umfangreichen epischen Dichtung »The faery queen«, in der er sich sprachlich wie formell über die Masse der zeitgenössischen Poeten erhebt. Freilich darf nicht verschwiegen werden, daß er auch hier vieles seinem italienischen Vorbild, dem Ariost, verdankt, und daß das Werk bei aller Üppigkeit der Phantasie, bei allem Reiz der Schilderung unter eintöniger Allegorie leidet. In gleicher arkadischer und petrarchischer Richtung wirkten viele Dichter geringern Ranges, unter denen nur Sir Walter Raleigh (gest. 1618), als Historiker und Lyriker gleich achtbar, Michael Drayton (gest. 1641), Thomas Nash (gestorben um 1600), der Satiriker John Donne (gest. 1631) und der volkstümliche John Taylor (gest. 1654) erwähnt seien. Was das Drama der Epoche anlangt, so hatte der glänzende Erfolg, den die Tragödie »Ferrex and Porrex« gewonnen, zahlreiche Gelehrte zum Nacheifern angelockt. Die Renaissance ließ es nicht unberührt. Von 1559 bis 1566 erschien eine Serie von Übersetzungen der Trauerspiele des Seneca. Nach seinem Vorbild und den Regeln des Aristoteles wollten der gelehrte Sidney, die Gräfin Pembroke, dann die Dichter Samuel Daniel (gest. 1619) und Samuel Brandon (»Vertuous Octavia«) die Bühne in eine Szene der Klassizität umschaffen, zum Glück ohne Erfolg. Im J. 1568 ward eine von fünf Gentlemen der Rechtsschule des Inner-Temple verfaßte Tragödie: »Tancred and Gismund«, aufgeführt; 1587 folgten »The misfortunes of Arthur« von Thomas Hughes. Seit 1576 besaß London im Blackfriars-Theater ein stehendes Theater, das Schauspielerwesen erfreute sich der besondern Gunst der Königin und ihres Nachfolgers, und beide, besonders aber Elisabeth, wurden daher von den gleichzeitigen dramatischen Dichtern mit überschwenglichen Verherrlichungen bedacht. Der oben genannte John Lilly (gest. 1600) verfaßte eine ganze Reihe von Hofkomödien, indem er sich zuerst unter den englischen Dramatikern der Prosa bediente. Gleichzeitig wandte sich eine Anzahl gelehrter Poeten der Veredelung des Volksschauspiels zu und versuchte dem letztern, ohne seine Eigentümlichkeiten zu verwischen, die Früchte gründlicher Studien des klassischen Altertums zu gute kommen zu lassen. Dahin gehören George Peele (gestorben um 1598), Thomas Kyd (»Spanish tragedy«),
vor allen der talentreiche, aber in wüstem Leben verkümmerte Robert Greene (gest. 1592) und der geniale Christopher Marlowe (1562-93), der, eine Art von Grabbe-Natur, in der Behandlung greuelreicher Stoffe eine seltene Energie der Leidenschaft offenbarte. Diese waren unter einer Menge unbekannter und ungenannter Bühnenschriftsteller die wichtigsten Vorläufer William Shakespeares (1564-1616). Die Bedeutung dieses eminenten Geistes, des größten Dramatikers aller Zeiten, hier in wenige Zeilen zusammenfassen zu wollen, wäre ein vergebliches Bemühen; wir verweisen daher auf den ihn betreffenden Spezialartikel.
Von seinen Zeitgenossen und Nachfolgern kam ihm keiner als Dramatiker nur entfernt gleich, weder Ben Jonson (1574-1637), ein hochbegabter und origineller Dichter, der teils steife Trauerspiele aus der Römerzeit, teils die häuslichen Sitten seiner Landsleute in Lustspielen schilderte oder auch Maskenspiele für den Hof verfaßte, noch das geistreiche Zwillingsgestirn Beaumont (1586-1615) und Fletcher (1576-1625), welches von der Sonne [* 15] Shakespeares seinen Glanz entlehnte, aber auch viele Flecke der Sittenlosigkeit zeigte, noch G. Chapman (gest. 1634), Thom. Dekker (gestorben um 1641), Ph. Massinger (1584-1640), einer der besten Dramatiker, dessen Lustspiel »New way to pay old debts« noch heute auf dem englischen Repertoire steht, noch endlich John Webster (gestorben um 1625), der im Gräßlichen exzellierte, Th. Middleton (gest. 1627), John Marston, ein dramatischer Juvenal (gest. 1634), der unermüdliche Thomas Heywood (gestorben nach 1640) oder der zärtliche und pathetische, aber oft sehr schlüpfrige John Ford (gest. 1639) und James Shirley (gest. 1666). Die größte Epoche des englischen Dramas, die mit dem glänzenden Aufschwung des englischen Lebens unter Elisabeth ihren Anfang genommen, endete unter dem schlimmen Regiment der Stuarts, und die starre Tyrannei des religiösen Fanatismus der Puritaner drohte alle Kunst und Poesie auf Englands Boden auszurotten. Anfangs lieferten die ungeschlachten ¶