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französischen und Rheinweinen und Champagner. Allerdings ist die Trunksucht noch immer ein Laster des gemeinen Volkes (früher war sie es auch der höhern Klassen); man muß indes zugestehen, daß dem »Trinkteufel« in jüngster Zeit sehr ernsthaft von Teetotalern und Mäßigkeitsfreunden zugesetzt worden ist, und daß die fortschreitende Bildung unter der arbeitenden Klasse sowie die häufigere Gelegenheiten geistiger Beschäftigung und nutzbringender Unterhaltung dieses anerkannte Übel wohl mit der Zeit in engere Grenzen [* 2] zurückdrängen werden.
Ein Freund der Leibesübungen und Wettkämpfe ist der Engländer unbedingt. Beliebt und allgemein verbreitet sind das Thorballspiel (Cricket), Fußball und Rudern. Auch die »edle« Boxkunst hat ihre Liebhaber (wenn auch ernste Wettboxkämpfe jetzt durch das Gesetz verpönt sind), und das Ringen wird namentlich in den Grafschaften Cumberland, Lancashire und Devonshire gepflegt. Vereine für die Pflege von Leibesübungen findet man allenthalben; ferner gibt es 28 Jachtklubs. 279 Meuten mit 16,136 Hunden dienen dem Vergnügen der Jagdliebhaber. Pferderennen zählen unter die populärsten Volksbelustigungen.
Man hat dem Engländer oft Gemüt abgesprochen, aber gewiß mit Unrecht. Zurückhaltend, ja kalt beim ersten Begegnen, ist er wahrer und zuverlässiger Freundschaft fähig. Hoch entwickelt ist bei ihm der Sinn für die Häuslichkeit, und sein Heim (home) stattet er mit allen erdenklichen Bequemlichkeiten (comforts) aus. Ebenso ausgesprochen ist bei ihm die Liebe zur Natur. Sie offenbart sich in den Parken, die alle Städte zieren, in den mit künstlerischem Auge [* 3] angelegten Gärten der Wohlhabenden, in der Anhänglichkeit an das Landleben.
Wahrheitsliebe, Gerechtigkeitssinn und Selbständigkeit des Charakters, vereinigt mit Unternehmungsgeist und Zähigkeit, sind Grundzüge des englischen Charakters. Ein religiöser, frommer Sinn, der sich keineswegs in bloßen Äußerlichkeiten, wie in der Sonntagsfeier, offenbart, beeinflußt auch das gewöhnliche Leben und äußert sich in zahllosen Werken der Barmherzigkeit. Allerdings, wo persönliche Würde und Wahrheitsliebe so hoch geachtet werden, da muß auch die Zahl der Heuchler eine große sein. Freilich hängen in einem handeltreibenden Land gar viele an materiellem Gewinn, aber daß auch höhere Bestrebungen fruchtbaren Boden finden, wird dadurch bewiesen, daß England in der Wissenschaft und in der Litteratur kaum von einem andern Volk übertroffen wird. Selbst in der Kunst hat England Gutes geleistet, wenn es sich auch in Kunstsinn und Geschmack mit andern, begünstigtern Ländern nicht messen kann.
Hoch entwickelt ist der Nationalstolz, der gar manchmal in Hochmut und Übermut ausartet. Dabei deckt aber kein Volk schonungsloser seine eignen Mängel auf, wobei ihm jedoch das Urteil fremder Nationen, denen es überhaupt die Fähigkeit abspricht, über englische Zustände sich ein richtiges Urteil zu bilden, gleichgültig ist. Bedachtsam in der Rede und nur ausnahmsweise durch seine Gefühle zu Gewaltthaten hingerissen, hält der Engländer fest an alten Gewohnheiten und Bräuchen.
Hat er aber deren Schädlichkeit eingesehen, dann schreitet er unverzüglich an die Änderung des Bestehenden. Dabei handelt er aber keineswegs nach weitgehenden, logisch ausgebauten und allgemeinen Theorien angepaßten Plänen, sondern er begnügt sich mit dem Zunächstliegenden. Dieses eben schützt ihn vor Überstürzung, und schließlich führt es doch schneller und sicherer zum angestrebten Ziel als plötzlichere, mehr in die Tiefe gehende Umwälzungen.
Ackerbau.
Ackerbau und Viehzucht [* 4] bilden auch in England trotz der verhältnismäßig bedeutenden Entwickelung der Industrie einen der wichtigsten Erwerbszweige, wenn auch die Zahl der Feldarbeiter von Jahr zu Jahr abnimmt. Daß dies der Fall ist, beweisen die Resultate der Volkszählungen. Im J. 1861 beschäftigten sich 1,924,110 mit der Landwirtschaft, 1871: 1,559,027, 1881 nur 1,353,488 Personen. Aus diesen Zahlen indes den Schluß zu ziehen, daß der Boden Altenglands jetzt weniger sorgfältig ausgebeutet wird als in frühern Jahren, ist durchaus unzulässig.
Hauptgründe der Abnahme in der Zahl der Feldarbeiter sind die Einführung von landwirtschaftlichen Maschinen und die Ausdehnung [* 5] der Viehzucht, die eine Folge der massenhaften Zufuhr von Getreide [* 6] aus Amerika [* 7] ist. Da nun außer Korn neuerdings auch noch Fleisch und Vieh zur Einfuhr kommen, so ist es begreiflich, daß der englische Landwirt einen harten Stand hat, namentlich wenn Viehseuchen unter Rindern und Schafen und Mißernten dazutreten. Diese Umstände erklären genügend den herrschenden Notstand, welchem die Grundherren dadurch Rechnung getragen haben, daß sie freiwillig die Pacht um 10-20 Proz. herabsetzten.
Auch die Gesetzgebung hat versucht, den Pachtern dadurch behilflich zu sein, daß sie den Gutsherrn zwingt, bei Kündigung für gemachte und noch nicht ausgenutzte Ameliorationen einen billigen Schadenersatz zu gewähren. Damit soll indes keineswegs gesagt sein, daß die Verteilung des Grundbesitzes in England und Wales dem Volkswohlstand am zuträglichsten sei. Ausgedehnte Strecken befinden sich in Toter Hand, während der Großgrundbesitz wesentlich aus Fideikommissen (entailed estates) besteht, deren Inhaber nicht frei über ihr Eigentum disponieren können.
Wirkliche Bauern (yeomen) findet man nur in einzelnen Gegenden. Der Landwirt in England ist in der Regel Pachter und dabei noch selten Leaseholder, der seines Landes auf eine Reihe von Jahren hinaus sicher ist. Allerdings hat er unter obwaltenden Umständen eine Kündigung kaum zu befürchten, da Hunderte von Pachtgütern (farms) den Gutsherren anheimgefallen sind, die sie durch Verwalter (bailiffs) bewirtschaften lassen. Die Feldarbeiter wohnen meist in kleinen Häuschen (cottages) mit Gemüsegärten.
Vielfach wird dem Arbeiter ein Feld gegen billige Miete überlassen. Der Arbeitslohn ist in vielen Teilen Englands sehr mäßig (12 bis 15 Mk. pro Woche, ohne Kost, aber mit einigen Nebenvorteilen). Im J. 1872 gab es in England 486,012 Pachter, von welchen 171,714 weniger als 2 Hektar bebauten. Die durchschnittliche Größe der Pachtgüter war 23 Hektar. 1885 aber zahlte man 561,350. Farms von einer Durchschnittsgröße von 24 Hektar. (Über die Verteilung des Grundbesitzes s. Großbritannien.) [* 8]
In landwirtschaftlicher Beziehung wird England gewöhnlich in sechs
Bezirke geteilt. Der nördliche
Bezirk leidet zwar an rauhem
Klima
[* 9] und späten
Ernten, zeichnet sich aber durch vorzügliche Bewirtschaftung aus. Im westlichen
Bezirk,
welcher sich vom
Mersey bis zum
Avon in Somersetshire erstreckt, bilden
Milchwirtschaft und Obstbau die wichtigste Beschäftigung.
Im Binnenbezirk (Midland) halten
Ackerbau und
Viehzucht sich so ziemlich das
Gleichgewicht.
[* 10] Im O. herrscht Kornbau
vor, aber
auch
Schaf- und Rindviehzucht sind von Bedeutung. Im S. wird ausgedehnte Schafzucht getrieben und namentlich
in der
Nähe der Hauptstadt viel
Gemüse (auch
Obst) gebaut. Im
SW. sind
Ackerbau mit
Gemüse- und Obstbau und
Milchwirtschaft vereinigt,
und die
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Wirtschaftsmethode hat in vielen Punkten Ähnlichkeit [* 12] mit der von den alten Römern befolgten. In Wales herrscht Viehzucht vor.
Unter den verschiedenen Wirtschaftsmethoden sind die Koppelwirtschaft (Gras auf zwei, fünf oder mehr Jahre, dann Weizen und Gemüse), die Dreifelderwirtschaft (grüne Frucht oder Brache zwischen je zwei Körnersaaten) und Fruchtwechselwirtschaft am gebräuchlichsten. Die einzelnen Felder werden häufig durch Hecken mit zahlreichen Bäumen getrennt, was zwar der Gegend ein liebliches Aussehen gibt, aber dem Ackerbau nicht gerade förderlich ist. Ochsen werden nur im westlichen England vor den Pflug [* 13] gespannt.
Maschinen, einschließlich Dampfpflüge, sind jetzt allgemein eingeführt, und an ihrer Vervollkommnung wird fortwährend gearbeitet. Unter allen Getreidearten ist der Weizen die wichtigste. Er wird namentlich in den südöstlichen Grafschaften angebaut und liefert einen Ertrag von 58 hl pro Hektar. Gerste [* 14] wird in Wales und dem nordöstlichen England teilweise noch als Brotfrucht verwandt. Hafer [* 15] kommt mehr im N. als im S. vor. Roggen ist selten. Auch Kartoffeln werden nur in beschränktem Maß angebaut und gedeihen am besten in Cheshire und Lancashire, wo 4-5 Ton. pro Hektar erzielt werden.
Unter den übrigen Feldfrüchten sind die weißen und schwedischen Rüben (Turnips) sowie im allgemeinen die als Viehfutter gebauten Pflanzen (Klee, Esparsette) die wichtigsten. Runkelrüben werden fast nur in Suffolk gebaut, wo (in Lavenham) eine Rübenzuckerfabrik besteht. Erbsen und Bohnen gehören zu den gewöhnlichsten Feldfrüchten. Obstbau ist im W. und SW. am ausgedehntesten, beschränkt sich aber meistens auf Äpfel, Birnen, Kirschen und Pflaumen, da die feinern Obstsorten einer größern Sommerhitze bedürfen, als ihnen in der Regel in England zu teil wird, während der milde Winter es erlaubt, viele Bäume des Südens im Freien zu ziehen, welche auf dem Festland unter gleicher Breite [* 16] in Häusern überwintert werden müssen.
Vorzügliches Obst jeder Art und vorzüglichster Qualität liefern indes die zahlreichen Treibhäuser. Weintrauben reifen in der Breite Londons auch im Freien. Unter den Handelspflanzen nimmt Hopfen [* 17] den vornehmsten Rang ein. Man baut ihn namentlich in Kent, Surrey, Sussex, Herefordshire und Hampshire. Von andern Kulturpflanzen erwähnen wir den Flachs, den Raps (namentlich in Yorkshire und Lincolnshire für Ölbereitung, im S. als Futter für Schafe), [* 18] Safflor (bei Saffron Walden in Essex), Koriander, Kümmel und Kardendisteln (in Essex), Krapp und Waid (in Surrey und Kent), Senf (bei Wisbeach), Fenchel (in Derbyshire) etc.
Über die Verteilung des Bodens von England und Wales nach Kulturarten gibt folgende Tabelle Aufschluß:
Kulturarten | Tausende von Hektaren 1872 | 1885 | Prozente 1872 | 1885 |
---|---|---|---|---|
Korn und Hülsenfrüchte | 3293 | 2841 | 21.85 | 18.85 |
Rüben, Gemüse, Kartoffeln etc. | 1180 | 3208 | 7.83 | 21.29 |
Flachs | 6 | 1 | 0.04 | 0.01 |
Hopfen | 25 | 29 | 0.17 | 0.19 |
Klee und Gras | 1292 | 1243 | 8.57 | 8.25 |
Brachland | 251 | 217 | 1.67 | 1.44 |
Wiesen | 4663 | 6079 | 30.94 | 40.34 |
Wald | 588 | 635 | 3.90 | 4.21 |
Heide, Unland etc. | 3772 | 817 | 25.03 | 5.42 |
Zusammen: | 15070 | 15070 | 100 | 100 |
Diese Zusammenstellung zeigt recht deutlich, wie sehr die Viehzucht auf Kosten des Landbaues zugenommen hat; sie beweist aber auch, daß große Strecken Heidelandes der Landwirtschaft gewonnen sind.
Viehzucht.
Die Viehzucht Englands hat einen hohen Grad der Vervollkommnung erreicht. Man züchtet dieselben Tiere wie auf dem Kontinent. Unter den Pferden stehen die Rennpferde (race horses) obenan, welche in gerader Linie von Arabern, Persern und Berbern abstammen und vielfach zur Veredelung der andern Rassen benutzt werden. Der große Schlag von schwarzen Pferden, welche in Northamptonshire und Leicestershire gezüchtet werden, stammt ursprünglich aus Flandern; die Füchse von Cleveland werden besonders als Wagen- und Reitpferde geschätzt.
Suffolk sowohl als Clydesdale in Schottland liefern kleine, aber ausdauernde Ackerpferde, Wales Ponies. Der während der letzten Jahre entstandenen Pferdenot ist durch Einfuhr zahlreicher normännischer Pferde [* 19] (aus Frankreich) abgeholfen worden. Von Rindern unterscheidet man vier Hauptrassen. Die Rinder [* 20] von Devonshire, mit Hörnern mittlerer Länge, sind rotbraun, haben kurzes, krauses Haar [* 21] und dicke Haut. [* 22] Sie liefern gutes Fleisch, eignen sich aber weniger zur Milchwirtschaft.
Die Rinder von Hereford, Gloucestershire und Sussex stammen von ihnen ab. Die Kurzhörner (shorthorns) von Holderneß, Teeswater und Northumberland liefern vorzügliches Fleisch und reichliche Milch. Die Rinder von Lancashire, mit ungewöhnlich langen Hörnern, sollen ursprünglich aus Irland stammen. Die Rinder von Suffolk stammen von denjenigen Galloways ab, haben gar keine Hörner, sind meist schwarz oder gefleckt, liefern vorzügliches Fleisch und wenig, aber gute Milch.
Die beste Butter kommt aus Cambridge, Suffolk, Yorkshire, Somerset, Gloucester, Devon [* 23] und Oxford. [* 24] Die großen, runden, 10-40 kg schweren Käse kommen aus Cheshire und Gloucester; Stilton, der beste Käse Englands, aus Leicester. [* 25] Bei der Schafzucht wird weniger auf die Erzeugung von guter Wolle als von gutem Fleisch gesehen. Man unterscheidet langwollige Schafe, ohne Hörner, und kurzwollige Schafe. Erstere züchtet man namentlich in Teeswater, Lincoln und Leicester. Zu letztern gehören die Schafe der Downs im S. und die Heideschafe mit schwarzen, die Bergschafe mit schwarzbraunen Gesichtern im N. Die Schweine [* 26] von Berkshire, Gloucester, Hereford und Rudgwick sind groß, die von Suffolk klein. Die besten Schinken liefern Yorkshire und Westmoreland, den besten Speck Wilts, Hants und Berks. Ziegen sind selten, dagegen Federvieh überall verbreitet. Berühmt sind die Hühner [* 27] von Dorking, Sussex und Berks, die Gänse aus den Fens von Lincoln und die Truthähne aus Norfolk und Suffolk. Die Bienenzucht [* 28] ist nur unbedeutend. Der Viehstand war:
1868 | 1872 | 1879 | 1885 | |
---|---|---|---|---|
Acker- u. Zuchtpferde | - | 1080814 | 1237098 | 1220497 |
Rindvieh | 4372054 | 4504399 | 4772755 | 5421960 |
Schafe | 23599284 | 20779048 | 21318982 | 19577437 |
Schweine | 2168925 | 2585829 | 1963838 | 2252396 |
Mit Fischfang beschäftigten sich 1881: 29,696 Personen, und infolge der für den Schutz der Fischereien erlassenen Gesetze hat sich der Ertrag während der letzten Jahre bedeutend gehoben. Unter den Flußfischen nehmen die Forellen den ersten Rang ein. Yarmouth ist der wichtigste Hafen für den englischen Heringsfang; Makrelen kommen namentlich an den südlichen und südöstlichen Küsten vor; der Pilchard (ein delikater, der Sardelle ähnlicher Fisch) findet sich ¶