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französische Sprache [* 2] im Elsaß zur ausschließlichen Herrschaft zu bringen und die deutsche auszumerzen. Unter der Regierung des zweiten Kaiserreichs gelang dieser Versuch zum Teil durch die Unterstützung, die der katholische Klerus dabei leistete. Dennoch hielten die Elsässer in der Wissenschaft und in der Dichtung die deutsche Muttersprache mit wahrhaft erstaunenswerter Zähigkeit fest, und selbst die litterarischen Vereine bedienten sich bis auf die neueste Zeit häufig des Deutschen bei ihren Publikationen.
Nachmals konnte freilich zuweilen die Bemerkung gemacht werden, daß diese Eigentümlichkeit der Deutsch-Franzosen im Elsaß wenig Bedeutung für politische und nationale Gesinnung habe. Während des deutsch-französischen Kriegs 1870/71 bezeugten die Elsässer bei jeder Gelegenheit ihre Sympathien für Frankreich. Im Frankfurter Frieden wurden die in den Präliminarien zu Versailles [* 3] bestimmten Grenzen [* 4] für die Abtretung des Elsaß und Deutsch-Lothringens nicht unbedeutend berichtigt. Im Kanton [* 5] Brie an der luxemburgischen Grenze galt es, eine Anzahl wirklich deutscher Gemeinden zu gewinnen; deshalb wurden noch außer Belfort [* 6] im Süden von den französisch redenden Kantonen Giromagny, Fontaine, Delle noch weitere 385 qkm mit 25,000 Einw. zurückgegeben, so daß der bei Frankreich gebliebene Teil des Sundgaues im ganzen 660,7 qkm mit 55,000 Menschen beträgt.
Elsaß als deutsches Reichsland.
Die Verschmelzung Elsaß-Lothringens mit Deutschland [* 7] war durch die eigentümliche Stellung, in die es zu dem neuen Deutschen Reiche gebracht wurde, nicht wenig erschwert. Der Bundesrat beschloß nämlich, Elsaß-Lothringen [* 8] für ein Reichsland zu erklären, über welches das Reich selbst der Träger [* 9] der Souveränität war, und dessen Landesgesetzgebung dem Bundesrat und dem Reichstag zufiel. Doch verlangte der Bundesrat für einige Jahre die Diktatur, welche ihm auch vom Reichstag bis zum bewilligt wurde.
Hierauf wurde das Reichsland nach Abberufung des Generalgouverneurs Grafen Bismarck-Bohlen und des Zivilkommissars Kühlwetter nach dem Muster einer preußischen Provinz organisiert. Am ward der bisherige Oberpräsident von Hessen-Nassau, [* 10] v. Möller, zum Oberpräsidenten mit dem Sitz in Straßburg [* 11] ernannt, ihm ein Kollegium unter dem Titel »kaiserlicher Rat von Elsaß-Lothringen« beigegeben und im Reichskanzleramt eine besondere Abteilung für die Reichslande unter dem Unterstaatssekretär Herzog gebildet.
Die drei alten Departements wurden in Regierungsbezirke verwandelt, diese wieder in 22 Kreise [* 12] eingeteilt und die Bildung von Kreis- u. Bezirkstagen angeordnet. Die Bevölkerung [* 13] verhielt sich der deutschen Verwaltung gegenüber teils gleichgültig, teils feindlich. Die Gebildeten sehnten die Rückkehr der französischen Herrschaft herbei, besonders die katholische Geistlichkeit ward die heftigste Gegnerin Deutschlands, [* 14] seitdem durch Einführung der allgemeinen Schulpflicht durch Beseitigung der Schulbrüder und Schulschwestern aus den Elementarschulen und durch den Erlaß eines Unterrichtsgesetzes die Macht des Klerus über die Schule auch in Elsaß-Lothringen gebrochen worden war, gleichzeitig in Frankreich aber die Klerikalen zur Herrschaft zu gelangen Aussicht hatten.
Unter dem Terrorismus des Klerus und der Gebildeten, der durch öffentliche und geheime Mittel (so durch die Flugblätter der Elsässer Liga) ausgeübt ward, wurde bewirkt, daß die Wohlthaten der neuen Verwaltung, die bedeutenden Entschädigungen für Kriegsverluste, die Verringerung der Steuerlast, die Verbesserung des Post-, Telegraphen- und Eisenbahnwesens, die Abschaffung des Tabaksmonopols u. dgl., gar nicht gewürdigt wurden, dagegen manche notwendige Belästigungen die heftigsten Klagen hervorriefen, so besonders die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht und die Ausführung der Optionsangelegenheit.
Auf Grund des Frankfurter Friedensvertrags forderte die Regierung 1872 die Bevölkerung auf, sich bis 1. Okt. zu erklären, ob sie Franzosen sein wollten. Dies erklärten nun 160,000, aber nur 50,000 wanderten nach Frankreich aus; die übrigen, darunter viele Unerwachsene, beanspruchten die Vorrechte der Fremden, also Befreiung von der Dienstpflicht, ohne ihren Wohnsitz verlassen zu müssen. Dies wollte natürlich die Regierung nicht gelten lassen; sie behandelte die trotz der Option Zurückbleibenden als Deutsche [* 15] und verfolgte mit Strenge alle, die ohne Option sich der Militärpflicht entzogen und dann ohne Erlaubnis nach Elsaß-Lothringen zurückkehrten.
Die großen Verdienste, die sich die Regierung durch die Organisation der höhern Schulen und die Errichtung einer Universität in Straßburg erwarb, fanden selbst bei den Liberalen keinen Beifall, weil die französische Sprache in den Schulen teils abgeschafft, teils beschränkt wurde. Ja, in den größern Städten machte sich die Opposition am schärfsten bemerkbar: in Straßburg mußte der Bürgermeister Lauth abgesetzt und acht Tage später der Gemeinderat suspendiert werden, weil sie der Regierung offen opponierten.
Ähnliches geschah später in Metz [* 16] und Kolmar. [* 17] Von den im August 1873 gewählten Kreis- und Bezirksräten verweigerten so viele den Eid der Treue, den sie dem Kaiser leisten sollten, daß von 22 Kreistagen nur 14, von den 3 Bezirkstagen nur einer beschlußfähig war und eröffnet werden konnte. So kam es, daß bei den ersten Reichstagswahlen 10 Ultramontane und 5 liberale Protestler gewählt wurden. Die 15 elsässischen Deputierten erhoben bei ihrem Eintritt in den Reichstag feierlichen Protest gegen die Annexion, und die Protestler nahmen an den Verhandlungen nicht mehr teil.
Eine gemäßigtere Haltung zeigten die Kreis- und die Bezirksräte, welche im Sommer 1874 gewählt waren und ruhig und sachgemäß die Geschäfte erledigten. Die Errichtung eines Provinziallandtags konnte man den Elsässern zwar noch nicht zugestehen, doch verordnete der Kaiser daß je zehn Delegierte der drei Bezirkstage zu einem beratenden Landesausschuß zusammentreten sollten. Dieser trat zu seiner ersten Session zusammen, beriet das Budget für 1876 sorgfältig durch und nahm in seiner zweiten Session die Regierungsvorlage an, wonach alle Gesetze, die der Landesausschuß genehmigt habe, fortan vom Kaiser nur unter Zustimmung des Bundesrats verkündet werden sollten; der Reichstag sollte nur zugezogen werden, wenn Regierung und Landesausschuß sich nicht verständigen könnten. Der Reichstag stimmte dem Gesetz bei.
Der Umschwung in der Stimmung der Bevölkerung zeigte sich bei den beiden Besuchen des Kaisers im September 1876 in Weißenburg [* 18] und Wörth [* 19] und im Mai 1877 in Straßburg und Metz, ferner aber in der Bildung einer neuen Partei, der sogen. Autonomsten, deren Organ das von Schneegans redigierte »Elsässer Journal« war, und die als letztes Ziel die Regierung des Landes durch das Land selbst im Auge [* 20] hatten. Bei den zweiten Reichstagswahlen eroberten die Autonomsten schon sämtliche unterelsässische Wahlkreise; die Ultramontanen behielten 6, die Protestler 4. ¶
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Die Wirkung dieses Auftretens einer selbständigen elsässischen Partei war, daß durch das Gesetz vom die Einsetzung eines Statthalters, eines Ministeriums und eines Staatsrats bestimmt, das Wahlgesetz für den Landesausschuß verändert und dessen Befugnisse erweitert wurden. Oberpräsident v. Möller legte infolgedessen sein Amt nieder, und Feldmarschall v. Manteuffel übernahm als Statthalter die Regierung des Reichslandes. An die Spitze des Ministeriums trat als Staatssekretär der bisherige Vertreter der elsässischen Angelegenheiten in Berlin, [* 22] Herzog, der jedoch im Sommer 1880 ausschied, da er das Einlenken des Statthalters gegenüber den Ultramontanen mißbilligte. Er hatte den bisherigen Staatssekretär des deutschen Reichsamtes des Innern, Hofmann, zum Nachfolger.
Bei den Neuwahlen für den Landesausschuß im Herbst 1879 erlangten die Autonomsten wieder die Majorität, blieben aber an Einfluß weit hinter den Ultramontanen zurück, denen der Statthalter durch Wiedereröffnung des Zillisheimer Seminars entgegenkam. Während Möller an den Verwaltungsgrundsätzen des preußischen Beamtentums festgehalten hatte und rein sachlich nach dem Gesetz verfahren war, befolgte Manteuffel die französische Praxis, die Konsequenzen der Gesetze durch Berücksichtigung besonderer Fälle zu mildern und hierdurch besonders die Sympathien der höhern Stände, der sogen. »Notabeln«, zu gewinnen.
Ja, er trug sogar kein Bedenken, diesen Notabeln zuliebe deutsche Beamte zu bestrafen, was in den altdeutschen Kreisen große Unzufriedenheit erweckte. Er erntete dafür einen Dank der Bevölkerung in Schmeicheleien und Huldigungen, die ihm bei seinen Reisen im Lande dargebracht wurden. Auch befleißigte sich der Landesausschuß im ganzen einer sachlichen Haltung bei der Beratung des Landesbudgets und der sonstigen Regierungsvorlagen. Aber der Statthalter steigerte durch sein Entgegenkommen in vielen Dingen, namentlich in der Schul- und Optantenfrage, nur die Ansprüche des Klerus und der Notabeln.
Als er sich daher genötigt sah, die Agenturen der französischen Versicherungsgesellschaften aufzuheben, einige Preßorgane zu unterdrücken, durch ein Reichsgesetz den Gebrauch der französischen Sprache im Landesausschuß zu verbieten und eine Anzahl Optanten, welche nach Elsaß-Lothringen zurückgekehrt waren, ohne sich der Wehrpflicht zu unterziehen, auszuweisen, reizte er die maßgebenden Kreise so gegen sich auf, daß diese bei den Reichstagswahlen auf das heftigste gegen das herrschende System agitierten, bei den Neuwahlen 1881 die Autonomistenpartei wieder verschwand und ebenso. 1884 nur Klerikale und Protestler gewählt wurden.
Auch die wiederholten Erklärungen Manteuffels, daß, solange Elsaß-Lothringen nicht reichstreu wähle, von der Verleihung einer selbständigen Verfassung keine Rede sein könne, thaten keine Wirkung, wie die Wahlen von 1884 bewiesen. Einen Fortschritt in der Verschmelzung Elsaß-Lothringens mit dem Reich hatte das seit 1879 herrschende Regiment also nicht aufzuweisen; die Beamten und die eingewanderten Deutschen aber waren verbittert und entmutigt. Manteuffel starb in Karlsbad. An seiner Stelle wurde Fürst Hohenlohe-Schillingsfürst, bisher Botschafter in Paris, [* 23] zum Statthalter ernannt, der am sein Amt antrat und, ohne förmlich mit der Politik seines Vorgängers zu brechen, doch von dem persönlichen Eingreifen in die Verwaltung absah. - Über die Geschichte des Bezirks Lothringen s. d.
Vgl. Schöpflin, Alsatia illustrata (Kolm. 1751-1761, 2 Bde.);
Strobel und Engelmann, Vaterländische Geschichte des Elsaß (Straßb. 1840-49, 6 Bde.);
Spach, Histoire de la basse Alsace et de la ville de Strasbourg (das. 1860);
Derselbe, Moderne Kulturzustände im Elsaß (das. 1873-74, 3 Bde.);
Derselbe, Biographies alsaciennes (das. 1863-71, 3 Bde.);
Lorenz und Scherer, Geschichte des Elsaß (3. Aufl., Berl. 1885);
kürzere Darstellungen der Geschichte des Elsaß von Glöckler (Freiburg [* 24] 1876) und Rathgeber (2. Aufl., Straßb. 1882);
Baquol-Ristelhuber, Dictionnaire du Haut- et du Bas-Rhin (3. Aufl., das. 1865);
Mitscher, Elsaß-Lothringen unter deutscher Verwaltung (Berl. 1875);
Du Prel, Die deutsche Verwaltung in Elsaß-Lothringen 1870-79 (Straßb. 1879 ff.);
die publizistischen Schriften von Schneegans, Grad u. a.; M. Hertz, Deutsche Sage im Elsaß (Stuttg. 1872);
v. Löher, Aus Natur und Geschichte von Elsaß-Lothringen (Leipz. 1871);
Noë, Elsaß-Lothringen, Naturansichten und Lebensbilder (Glog. 1872);
Kraus, Kunst und Altertum in Elsaß-Lothringen (Straßb. 1876-84, 2 Bde.);
Woltmann, Geschichte der deutschen Kunst im Elsaß (Leipz. 1875);
Schmidt, Histoire littéraire de l'Alsace (15. und 16. Jahrh., Par. 1879, 2 Bde.);
»Alsatia; Beiträge zur elsässischen Geschichte, Sage, Litteratur etc.« (hrsg. von Aug. Stöber, Mülhaus. 1853-68; neue Folge, Kolm. 1872-85);
im Anschluß hieran das »Jahrbuch für Geschichte, Sprache und Litteratur Elsaß-Lothringens« (1885 ff.);
»Alemannia; Zeitschrift für Sprache, Litteratur und Volkskunde des Elsaß« (hrsg. von Birlinger, Bonn [* 25] 1871 ff.).