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richtig beurteilen will. Seit war ihnen die Wahl nur zwischen der Abhängigkeit von Spanien [* 2] und der von Frankreich gelassen. Das letztere erhielt im Westfälischen Frieden genau diejenigen Rechte und Besitzungen, welche Österreich [* 3] unmittelbar vor Ausbruch des Kriegs den Spaniern abgetreten hatte. Der günstigste Fall für die Entwickelung des Elsaß wäre eingetreten, wenn sich Herzog Bernhard von Weimar, [* 4] wie er beabsichtigte, in dem Grenzland eine selbständige fürstliche Gewalt zu schaffen vermocht hätte. Aber was mit französischem Geld und französischer Unterstützung gewonnen war, sollte auch den Franzosen zu gute kommen. Bernhards Tod lieferte das Elsaß in die militärische Gewalt der Franzosen.
Elsaß unter französischer Herrschaft.
Die Rechte der Reichsstände im Elsaß waren durch den Westfälischen Frieden allerdings besonders anerkannt und wahrgenommen worden. Allein die Art und Weise, wie von seiten Frankreichs der Westfälische Friede ausgelegt wurde, gestattete eine Ausdehnung [* 5] der Oberhoheit der französischen Krone selbst über die Reichsstädte, in welchen Frankreich durch jenen Frieden eigentlich nur die bis dahin von den Habsburgern geübten Vogteirechte erhielt. Die Eroberungen, welche die Franzosen seit dem Westfälischen Frieden im Elsaß machten, waren vorherrschend administrativer Natur.
Hierbei wurden sie von einheimischen Elsässern bestens unterstützt. Auch das Beginnen der Reunionskammern Ludwigs XIV. machte im Elsaß nicht jenen abstoßenden und empörenden Eindruck, den man sonst und bis auf den heutigen Tag davon empfand. Das Hereinziehen der verschiedenen kleinen Herrschaften unter das herrschende Gesetz von Frankreich erschien den minder begünstigten Ständen des alten zerrissenen Reichslandes als ein wesentlicher Fortschritt. Auch in Straßburg [* 6] machten sich seit dem Abschluß des Westfälischen Friedens viele hervorragende Personen mit dem Gedanken vertraut, daß die Stadt früher oder später unter die Schutzhoheit der französischen Krone kommen werde. Der einzige Mann, welcher im Elsaß, durch Jahresgehalt und regelmäßige Dotationen gewonnen, offen für das Interesse Frankreichs wirkte, war der Bischof Franz Egon von Fürstenberg (s. Fürstenberg 2), welcher jedoch in dem protestantischen Straßburg gar keinen Einfluß besaß.
Mehr als 100 Jahre hindurch änderte die französische Herrschaft im Elsaß an den nationalen Verhältnissen des Landes nichts. In gewisser Art kam der deutsche Charakter des Volkes gerade im 17. und 18. Jahrh. litterarisch und wissenschaftlich erst recht zur Geltung. Innige Beziehungen zwischen Deutschland [* 7] und der entrissenen Mark blieben auf dem geistigen Gebiet bis zur französischen Revolution bestehen. Von Straßburg war Philipp Jakob Spener ausgegangen, dessen Richtung auf das praktische Christentum im Elsaß immer einheimisch gewesen und schon in Tauler, in Kaisersberg und in den Straßburger Reformatoren hervorgetreten war.
Die Universität in Straßburg gelangte unter der französischen Regierung ebenfalls zur vollen Blüte [* 8] und zu großem Ansehen. Besonders waren es Juristen, Historiker und Philologen, welche eine große Anziehungskraft ausübten: Johannes Schilter, Jeremias Oberlin und Johann Scherz, Johann Daniel Schöpflin, Schweighäuser. Goethes Aufenthalt in Straßburg fällt gleichzeitig mit demjenigen Herders in die Jahre 1770 und 1771. Inzwischen waren die Franzosen auf dem politischen und ökonomischen Gebiet desto thätiger, die Einheit der Interessen der deutschen Provinz mit denen des französischen Reichs herzustellen.
Industrie und Handel wurden gehoben. Der Tabaksbau, wohl schon seit 1620 im Elsaß begonnen, wurde durch die französische Regierung eine Quelle [* 9] des Landeswohlstands. Auch die Weinproduktion, welche im Beginn der französischen Herrschaft unter dem Druck der neuen Staatsgrenzen litt, hob sich im Lauf des 18. Jahrh. bedeutend. In den Städten waren zwar die alten Verfassungen unangetastet geblieben, doch gewöhnte man allmählich die Bevölkerung [* 10] an den Einfluß der französischen Administration.
Die Regierung ernannte die sogen. Prätoren, welche mit den konservativen Stadträten zwar meist im Streit lagen, aber doch energisch für Verbesserung der Zustände wirkten. Gewaltig waren aber die Änderungen in den konfessionellen Verhältnissen des Landes. Schon unter Ludwig XIV. wurden die abscheulichsten Gewaltmaßregeln zur Katholisierung der Bevölkerung in Anwendung gebracht, daher überwog seit der Mitte des 18. Jahrh. in Straßburg das katholische Element.
Beim Ausbruch der Revolution in Paris [* 11] war das Land konservativ und partikularistisch gesinnt. Erst nachdem durch die Beschlüsse der französischen Nationalversammlung vom die alten städtischen Einrichtungen beseitigt worden waren, gelangten in Straßburg die Franzosenfreunde zur Regierung. Die Elsässer traten damals mit Begeisterung für die Ideen der konstitutionellen Monarchie ein und bewährten auch ihren konstitutionellen Patriotismus gegenüber den einrückenden Heeren Österreichs und Preußens [* 12] 1792. Seit dem Februar 1793 stand das Elsaß unter der Diktatur von Konventskommissaren, denen sich deutsche Jakobiner, wie Eulogius Schneider, zur Verfügung gestellt hatten.
Allein das deutsche Jakobinertum war den Franzosen verdächtig. Der Straßburger Maire Monet aus Savoyen machte den Vorschlag, alle deutsch sprechenden Elsässer zu deportieren und das Land an französische Sansculotten zu verteilen. Der Sturz Robespierres und seiner Parteigenossen in Paris brachte indessen dem Elsaß ruhigere Tage, und in den folgenden Jahren wuchsen die Sympathien für Frankreich in einer erstaunlichen Weise. Teils die Errungenschaften der Revolution, teils die militärische Schule unter Napoleon I. brachten den Bruch des Elsaß mit seiner deutschen Vergangenheit zum Abschluß.
Wichtig für die Territorialverhältnisse des Elsaß war die Annexion der Stadt Mülhausen [* 13] (1798), die, obwohl sie die französische Oberherrschaft anerkannte, doch eine selbständige Republik im Bund mit den Schweizern geblieben war. In der großen Armee Napoleons spielten viele Elsässer eine hervorragende Rolle. Kellermann, Kléber und Rapp waren Elsässer. Als nach der Schlacht bei Leipzig [* 14] die verbündeten Armeen den Rhein überschritten und österreichische Truppen in den letzten Tagen des Dezembers 1813 das obere Elsaß besetzten, während Wittgensteins russisches Korps durch Niederelsaß zog, war die Gesinnung der Städte und der Landbevölkerung eine sehr feindselige.
Der in den siegreichen deutschen Armeen aufgekommene Gedanke, das Elsaß dem Deutschen Reich zurückzugewinnen, wurde von der Diplomatie vereitelt. Die französischen Departements des Ober- und Niederrheins, von Präfekten regiert, entsprachen ziemlich genau den Grenzen [* 15] des alten Sundgaues und Nordgaues. Nur Landau [* 16] kam durch den zweiten Pariser Frieden an Bayern. [* 17] Unter den Präfekten des Niederrheins bewahrt man dem Marquis von Lezay-Marnesia (s. d.) das beste Andenken.
Seit der Restauration machten alle französischen Regierungen gleichmäßig den Versuch, die ¶
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französische Sprache [* 19] im Elsaß zur ausschließlichen Herrschaft zu bringen und die deutsche auszumerzen. Unter der Regierung des zweiten Kaiserreichs gelang dieser Versuch zum Teil durch die Unterstützung, die der katholische Klerus dabei leistete. Dennoch hielten die Elsässer in der Wissenschaft und in der Dichtung die deutsche Muttersprache mit wahrhaft erstaunenswerter Zähigkeit fest, und selbst die litterarischen Vereine bedienten sich bis auf die neueste Zeit häufig des Deutschen bei ihren Publikationen.
Nachmals konnte freilich zuweilen die Bemerkung gemacht werden, daß diese Eigentümlichkeit der Deutsch-Franzosen im Elsaß wenig Bedeutung für politische und nationale Gesinnung habe. Während des deutsch-französischen Kriegs 1870/71 bezeugten die Elsässer bei jeder Gelegenheit ihre Sympathien für Frankreich. Im Frankfurter Frieden wurden die in den Präliminarien zu Versailles [* 20] bestimmten Grenzen für die Abtretung des Elsaß und Deutsch-Lothringens nicht unbedeutend berichtigt. Im Kanton [* 21] Brie an der luxemburgischen Grenze galt es, eine Anzahl wirklich deutscher Gemeinden zu gewinnen; deshalb wurden noch außer Belfort [* 22] im Süden von den französisch redenden Kantonen Giromagny, Fontaine, Delle noch weitere 385 qkm mit 25,000 Einw. zurückgegeben, so daß der bei Frankreich gebliebene Teil des Sundgaues im ganzen 660,7 qkm mit 55,000 Menschen beträgt.
Elsaß als deutsches Reichsland.
Die Verschmelzung Elsaß-Lothringens mit Deutschland war durch die eigentümliche Stellung, in die es zu dem neuen Deutschen Reiche gebracht wurde, nicht wenig erschwert. Der Bundesrat beschloß nämlich, Elsaß-Lothringen [* 23] für ein Reichsland zu erklären, über welches das Reich selbst der Träger [* 24] der Souveränität war, und dessen Landesgesetzgebung dem Bundesrat und dem Reichstag zufiel. Doch verlangte der Bundesrat für einige Jahre die Diktatur, welche ihm auch vom Reichstag bis zum bewilligt wurde.
Hierauf wurde das Reichsland nach Abberufung des Generalgouverneurs Grafen Bismarck-Bohlen und des Zivilkommissars Kühlwetter nach dem Muster einer preußischen Provinz organisiert. Am ward der bisherige Oberpräsident von Hessen-Nassau, [* 25] v. Möller, zum Oberpräsidenten mit dem Sitz in Straßburg ernannt, ihm ein Kollegium unter dem Titel »kaiserlicher Rat von Elsaß-Lothringen« beigegeben und im Reichskanzleramt eine besondere Abteilung für die Reichslande unter dem Unterstaatssekretär Herzog gebildet.
Die drei alten Departements wurden in Regierungsbezirke verwandelt, diese wieder in 22 Kreise [* 26] eingeteilt und die Bildung von Kreis- u. Bezirkstagen angeordnet. Die Bevölkerung verhielt sich der deutschen Verwaltung gegenüber teils gleichgültig, teils feindlich. Die Gebildeten sehnten die Rückkehr der französischen Herrschaft herbei, besonders die katholische Geistlichkeit ward die heftigste Gegnerin Deutschlands, [* 27] seitdem durch Einführung der allgemeinen Schulpflicht durch Beseitigung der Schulbrüder und Schulschwestern aus den Elementarschulen und durch den Erlaß eines Unterrichtsgesetzes die Macht des Klerus über die Schule auch in Elsaß-Lothringen gebrochen worden war, gleichzeitig in Frankreich aber die Klerikalen zur Herrschaft zu gelangen Aussicht hatten.
Unter dem Terrorismus des Klerus und der Gebildeten, der durch öffentliche und geheime Mittel (so durch die Flugblätter der Elsässer Liga) ausgeübt ward, wurde bewirkt, daß die Wohlthaten der neuen Verwaltung, die bedeutenden Entschädigungen für Kriegsverluste, die Verringerung der Steuerlast, die Verbesserung des Post-, Telegraphen- und Eisenbahnwesens, die Abschaffung des Tabaksmonopols u. dgl., gar nicht gewürdigt wurden, dagegen manche notwendige Belästigungen die heftigsten Klagen hervorriefen, so besonders die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht und die Ausführung der Optionsangelegenheit.
Auf Grund des Frankfurter Friedensvertrags forderte die Regierung 1872 die Bevölkerung auf, sich bis 1. Okt. zu erklären, ob sie Franzosen sein wollten. Dies erklärten nun 160,000, aber nur 50,000 wanderten nach Frankreich aus; die übrigen, darunter viele Unerwachsene, beanspruchten die Vorrechte der Fremden, also Befreiung von der Dienstpflicht, ohne ihren Wohnsitz verlassen zu müssen. Dies wollte natürlich die Regierung nicht gelten lassen; sie behandelte die trotz der Option Zurückbleibenden als Deutsche [* 28] und verfolgte mit Strenge alle, die ohne Option sich der Militärpflicht entzogen und dann ohne Erlaubnis nach Elsaß-Lothringen zurückkehrten.
Die großen Verdienste, die sich die Regierung durch die Organisation der höhern Schulen und die Errichtung einer Universität in Straßburg erwarb, fanden selbst bei den Liberalen keinen Beifall, weil die französische Sprache in den Schulen teils abgeschafft, teils beschränkt wurde. Ja, in den größern Städten machte sich die Opposition am schärfsten bemerkbar: in Straßburg mußte der Bürgermeister Lauth abgesetzt und acht Tage später der Gemeinderat suspendiert werden, weil sie der Regierung offen opponierten.
Ähnliches geschah später in Metz [* 29] und Kolmar. [* 30] Von den im August 1873 gewählten Kreis- und Bezirksräten verweigerten so viele den Eid der Treue, den sie dem Kaiser leisten sollten, daß von 22 Kreistagen nur 14, von den 3 Bezirkstagen nur einer beschlußfähig war und eröffnet werden konnte. So kam es, daß bei den ersten Reichstagswahlen 10 Ultramontane und 5 liberale Protestler gewählt wurden. Die 15 elsässischen Deputierten erhoben bei ihrem Eintritt in den Reichstag feierlichen Protest gegen die Annexion, und die Protestler nahmen an den Verhandlungen nicht mehr teil.
Eine gemäßigtere Haltung zeigten die Kreis- und die Bezirksräte, welche im Sommer 1874 gewählt waren und ruhig und sachgemäß die Geschäfte erledigten. Die Errichtung eines Provinziallandtags konnte man den Elsässern zwar noch nicht zugestehen, doch verordnete der Kaiser daß je zehn Delegierte der drei Bezirkstage zu einem beratenden Landesausschuß zusammentreten sollten. Dieser trat zu seiner ersten Session zusammen, beriet das Budget für 1876 sorgfältig durch und nahm in seiner zweiten Session die Regierungsvorlage an, wonach alle Gesetze, die der Landesausschuß genehmigt habe, fortan vom Kaiser nur unter Zustimmung des Bundesrats verkündet werden sollten; der Reichstag sollte nur zugezogen werden, wenn Regierung und Landesausschuß sich nicht verständigen könnten. Der Reichstag stimmte dem Gesetz bei.
Der Umschwung in der Stimmung der Bevölkerung zeigte sich bei den beiden Besuchen des Kaisers im September 1876 in Weißenburg [* 31] und Wörth [* 32] und im Mai 1877 in Straßburg und Metz, ferner aber in der Bildung einer neuen Partei, der sogen. Autonomsten, deren Organ das von Schneegans redigierte »Elsässer Journal« war, und die als letztes Ziel die Regierung des Landes durch das Land selbst im Auge [* 33] hatten. Bei den zweiten Reichstagswahlen eroberten die Autonomsten schon sämtliche unterelsässische Wahlkreise; die Ultramontanen behielten 6, die Protestler 4. ¶