Außer den beschriebenen sind noch eine große Anzahl elektrischer
Eisenbahnen im In- und
Ausland teils fertig gestellt, teils
im
Bau begriffen. Die Vorzüge des elektrischen Bahnbetriebs sind kurzgefaßt etwa folgende: Der zum
Betrieb erforderliche
Motor
(Dampf- oder
Luftmaschine) befindet sich nicht auf dem
Wagen und braucht somit nicht als tote
Last
beständig mitgeschleppt zu werden. Hierdurch wird der
Wagen leichter und kann auch selbst leichter gebaut werden. Es genügt
demnach wieder eine geringere Betriebskraft, wie auch der Bahnunterbau
(Schienen,
Schwellen,
Brücken
[* 4] etc.)
wieder entsprechend leichter sein kann.
Die elektrische Betriebsmaschine im
Wagen besitzt gegen ihre Leistung nur ein verhältnismäßig sehr geringes
Gewicht, kann
direkt in jedem
Wagen angebracht werden und führt keine
Gefahr oder irgend welche Unbequemlichkeit herbei. Das geringe Wagengewicht
gestattet ein leichtes und rasches
Anhalten und
Bremsen
[* 5] des
Wagens. Die Verwendung von stationären
Dampfmaschinen
[* 6] bietet ferner den Vorteil, daß nicht allein die Kesselheizung, sondern auch die Dampfverwendung eine vorteilhaftere ist
und besonders günstig erscheint, wenn von einer größern Dampfkraft der Betrieb der Stromerzeugungsmaschine abgezweigt
wird.
Kann man aber eine vorhandene Wasserkraft benutzen, welche durchaus nicht in der nächsten
Nähe der
Bahn
zu liegen braucht, so kann man durch Vermittelung der
Elektrizität,
[* 7] ohne Aufwand von Brennmaterial,
Bahnen betreiben, wie
dies auf keine andre
Weise möglich ist. Es ist hierin ein weiterer und ganz besonderer Vorzug des elektrischen Bahnbetriebs
zu suchen. Bei zweigeleisigen
Bahnenkann dieselbe stromerzeugende
dynamoelektrische Maschine beide Geleise
mit
Kraft
[* 8] versorgen. Daß bei passender Einrichtung auf demselben Geleise zwei oder mehrere
Wagen zu
Zügen kombiniert werden
oder mit
Intervallen hintereinander fahren können, wurde bereits erwähnt.
Endlich ergibt sich aus dem Wegfall der rauchenden
Lokomotive ein nicht zu unterschätzender Vorzug des elektrischen Betriebes, der ihn namentlich für
Stadtbahnen und Grubenbahnen vorzugsweise geeignet erscheinen läßt.
[* 9]Kraftübertragung, die
Fortpflanzung mechanischer
Arbeit auf größere
Entfernung mittels des elektrischen
Stroms, unterscheidet sich von den in der
Mechanik sonst gebräuchlichen
Transmissionen hauptsächlich dadurch, daß sie die
mechanische
Energie nicht als solche weiterführt, sondern dieselbe zunächst in elektrische umwandelt und von der Erzeugungsstelle
mittels Drahtleitung zur Verwendungsstelle fortpflanzt, wo dann die Zurückverwandlung von elektrischer
Energie in mechanische vor sich geht.
Als
Mittel zur Umwandlung von mechanischer
Energie in elektrische und umgekehrt dienen die elektrischen
Kraftmaschinen (magnet-
oder dynamoelektrische
Maschinen). Verbindet man zwei derartige Stromerreger durch eine Leitung und setzt einen derselben
durch irgend welche mechanische Triebkraft, z. B.Dampf- oder Wasserkraft, in
Bewegung, so wird der von
ihm erzeugte
Strom die zweite
Maschine
[* 16] durchlaufen und ebenfalls in
Bewegung setzen, doch so, daß beide
Maschinen sich in entgegengesetztem
Sinn drehen.
Die
Bewegung der zweiten
Maschinekann nun wieder zu technischen Arbeitsleistungen nutzbar gemacht werden, wobei die mechanische
Arbeit, welche die stromerzeugende oder primäre
Maschine von dem
Motor abnimmt, nach Abzug der unvermeidlichen
Energieverluste in der stromempfangenden oder sekundären
Maschine wiedererhalten wird.
Die e. K. zeichnet sich vor jeder andern
Transmission
[* 17] vorteilhaft durch ihre geringe Abhängigkeit von der
Entfernung aus,
da man theoretisch die Verbindungsleitung
zwischen der primären und sekundärenMaschine beliebig groß wählen kann, während
Transmissionen andrer
Art immer nur auf beschränkte
Abstände verwendbar sind. In der
Praxis erleidet nun freilich die Wirkungsweite der elektrischen
Kraftübertragung eine erhebliche Einschränkung, weil die in
Frage kommenden elektrischen
Größen thatsächlich nicht bis
ins Unendliche steigerungsfähig sind, sondern innerhalb gewisser durch die Unvollkommenheit unsrer technischen
Hilfsmittel gebotener
Grenzen
[* 18] gehalten werden müssen.
Der in der primären
Maschine erzeugte
Strom hat zunächst den
Widerstand des gesamten Stromkreises, also die beiden Maschinenwiderstände
und den
Widerstand der Verbindungsleitung, zu überwinden und bedarf hierzu einer gewissen
MengeEnergie, welche vorab geliefert
werden muß, ehe von einer äußern Arbeitsleistung der sekundären
Maschine die
Rede sein kann. Die
Arbeit,
welche der
Strom bei der Überwindung dieses
Widerstandes leistet, erzeugt keine
Bewegung, sondern setzt sich nach einem bekanntenGrundgesetz der
Mechanik in
Wärme
[* 19] um und geht als solche für die technische Verwertung verloren.
Bezeichnet man die in der primären
Maschine erzeugte elektrische
Arbeit mit A1 ^[A1], die in der sekundären
Maschine zurückverwandelte mit A2 ^[A2] und den Energieverlust durch Erwärmung des Stromleiters, die sogen.
Stromwärme, mit S, so ist A1 ^[A1] = A2 ^[A2] + S, woraus sich der elektrische
Nutzeffekt der
Kraftübertragung = ^[img]
ergibt. Für die
Praxis kommt jedoch nicht der elektrische, sondern der mechanische
Nutzeffekt in Betracht,
d. h. das
Verhältnis der von der primären
Maschine aufgenommenen
Arbeit des
Motors zu der nützlichen Arbeitsleistung der sekundären
Maschine; derselbe ist bedeutend niedriger, weil auch die
Maschinen durch Zapfenreibung, Luftwiderstand u. dgl.
zu Verlusten
Anlaß geben, die in jeder
Maschine bis zu 20 Proz. betragen. Ein mechanischer
Nutzeffekt von 50 Proz.
ist deshalb bei einer elektrischen
Kraftübertragung schon als ein günstiges Ergebnis zu
¶
mehr
bezeichnen, obwohl derselbe nicht unter allen Umständen ausreichen dürfte, um die Rentabilität einer solchen Einrichtung
außer Frage zu stellen.
Für jede elektrische Kraftübertragung entspricht eine bestimmte Belastung der sekundären Maschine, d. h. eine bestimmte Arbeitsleistung derselben
bei jeder Umdrehung, auch einer bestimmten Stromstärke, welche durch Schwankungen in der Geschwindigkeit der Maschinen
nicht verändert werden kann. Nach dem Ohmschen Gesetz ist aber die Stromstärke direkt proportional der elektromotorischen
Kraft und umgekehrt proportional dem Leitungswiderstand. Wächst dieser letztere, wie es bei zunehmender Leitungslänge
der Fall ist, so muß man, um die gleiche Stromstärke zu erzielen, auch die elektromotorische Kraft in demselben Verhältnis
steigern, mit andern Worten, man muß, um große Entfernungen zu überwinden, mit beträchtlichen Spannungen
arbeiten.
Hochgespannte Elektrizität läßt sich aber erfahrungsmäßig schlecht isolieren; die gewöhnlichen Isolationsmittel reichen
schon bei Spannungen von einigen TausendVolt, wie sie bei den Kraftübertragungsversuchen der letzten Jahre, namentlich denjenigen
von Deprez, erzeugt wurden, kaum noch aus; eine weitere Steigerung würde auf das Isolationsmaterial und
die Maschinen entschieden nachteilig wirken. Ein ferneres erhebliches Bedenken gegen die Erzeugung noch höherer Spannungen
liegt in dem Umstand begründet, daß der menschliche Organismus die Wirkungen derselben nicht auszuhalten vermag.
Die bei der elektrischen Beleuchtung
[* 21] zur Anwendung kommenden geringern Spannungen haben schon mehrere Menschenleben
zum Opfer verlangt; es läßt sich also mit Bestimmtheit annehmen, daß die hochgespannten Ströme der elektrischen Kraftübertragung
auf große Entfernungen noch weit gefährlicher sind und jeden Menschen vernichten, der durch Unkenntnis oder Fahrlässigkeit
seinen Körper in ihren Weg einschaltet. Will man dagegen die hohen Spannungen durch Verringerung des Leitungswiderstandes
vermeiden, etwa indem man dicke Drähte von gutem Leitungsvermögen anwendet, so wachsen dadurch wieder die Anlagekosten der
elektrischen Kraftübertragung in solchem Maß, daß ihre Benutzung nicht mehr rentabel erscheint.
Aus dem Gesagten geht hervor, daß die Aussichten für die auf elektrische Kraftübertragungauf weite Entfernungen (mehr als 50 km) vorläufig
nicht sehr günstig sind, vielmehr ihre Anwendung sich zunächst auf solche Fälle beschränken dürfte, wo außergewöhnlich
billige Triebkräfte, wie Wasserfälle u. dgl., auf mäßige Entfernungen fortzuleiten sind. Alle darüber hinausgehenden Projekte
erscheinen fürs erste noch nicht lebensfähig. So hat man bereits an die Verwendung der im Rheinfall, in den Niagarafällen
etc. verloren gehenden ungeheuern Arbeitskräfte gedacht und beispielsweise berechnet, daß
sich die ganze Kraft der Niagarafälle in einem einzigen Telegraphendraht werde nach New York leiten lassen, falls es gelingen
sollte, diesen Draht
[* 22] genügend zu isolieren.
Bei den in Frage kommenden außerordentlich hohen Spannungen ist aber eine solche Voraussetzung als vollständig
illusorisch zu betrachten. Ein andres Projekt schlägt vor, die Steinkohlen in der Nähe ihrer Lagerplätze unter riesigen Dampfkesseln
zu verbrennen und die erzeugte Kraft auf elektrischem Weg im Land zu verbreiten, wodurch einerseits die Kohlentransporte erspart
und anderseits die Fabrikstädte von dem schädlichen Kohlendunst befreit würden.
Auch dieser kühne Gedanke scheint bis jetzt nicht mehr Aussicht auf Verwirklichung zu haben als der vorige,
mit welchem er dieselbe durch unsre gegenwärtigen technischen Hilfsmittel nicht
realisierbare Voraussetzung gemein hat,
daß sich die Leitungen, welche zur Übertragung der Arbeitskraft dienen sollen, genügend werden isolieren lassen. Von diesen
ins Große gehenden Projekten abgesehen, hat die elektrische Kraftübertragung bereits recht befriedigende
praktische Ergebnisse geliefert.
Dahin gehören die elektrischen Eisenbahnen (s. d.) und der elektrische Aufzug
[* 23] (s. Aufzüge).
[* 24] Große Wichtigkeit für den Bergbau
[* 25] dürfte der Betrieb von Gesteinsbohrmaschinen
[* 26] mittels dynamoelektrischer Maschinen erlangen. Bisher war man genötigt, die
Bohrmaschinen
[* 27] entweder mit der Hand
[* 28] zu betreiben, oder in der Grube, dem Tunnel
[* 29] etc. Arbeitsmaschinen aufzustellen,
welche durch komprimierte Luft oder Wasserdruck betrieben wurden und die Anbringung von Luftbehältern oder Wasserleitungen
nötig machten, mithin viel Platz für sich in Anspruch nahmen, während die elektrische Kraftübertragung mit
ihren dünnen und schmiegsamen Leitungen und kompendiösen Maschinen den vorhandenen Raum nicht merklich einengt
und überall angebracht werden kann.
Daß endlich auch das Kleingewerbe von der elektrischen Kraftübertragung Nutzen ziehen kann, wenn Einrichtungen getroffen
werden, welche die Abgabe der zum Betrieb von Bewegungsmaschinen erforderlichen geringen Kraftmengen von
einer Zentralstelle aus auf elektrischem Weg ermöglichen, ist mehrfach praktisch dargethan worden; ja, es scheint, als ob
diese Art der elektrischen Kraftübertragung die meiste Aussicht auf baldige Einführung in die Industrie habe, da sie nicht
bloß an die Isolation der Leitungen keine zu hohen Anforderungen stellt, sondern auch hinsichtlich der
Rentabilität bessere Ergebnisse verspricht als die immerhin kostspielige Übertragung größerer Arbeitskräfte auf beträchtliche
Entfernungen.