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wenigstens ein Teil des über Nacht gebildeten Grundeises wieder geschmolzen werden, und es sind daher unbeschattete Plätze, welche die Bildung des gewöhnlichen Eises durch unbehinderte Ausstrahlung begünstigen, der Bildung des Grundeises ungünstig. Das an die Oberfläche gestiegene Grundeis, welches mit der Strömung geht, nennt man Treibeis; es unterscheidet sich durch bröckelige Beschaffenheit und Gehalt an Steinen etc. leicht von dem an der Oberfläche gebildeten Eis. In Polargegenden heißt alles in Bewegung befindliche Eis Treibeis und, wenn es zu großen Massen zusammengehäuft ist, Packeis.
Durch Übereinanderschieben von Eisschollen gebildete Eismassen nennt man im Sibirischen Meer Torossen, sie erreichen eine Höhe von 25 m. Die Eisberge entstehen durch Abbrechen der in das Meer vorgeschobenen Gletscherfüße (der Gletscher »kalbt«); sie sind blendend weiß wie Kreide, [* 2] auf frischer Bruchfläche glänzend grün oder blau. Sie erreichen eine Höhe von 100 m bei einer Länge und Breite [* 3] von mehreren Kilometern, zeigen oft sehr bizarre Formen, ragen aber nur mit 1/8-1/9 ihrer Masse aus dem Wasser hervor. Ändert sich durch Abschmelzen der Schwerpunkt [* 4] dieser gewaltigen Massen, so wenden sie sich oft und können dadurch den Schiffen verderblich werden. Sie treiben weit in den Atlantischen Ozean hinein, schmelzen allmählich, erreichen aber nicht selten 36° nördl. Br. Litteratur s. Wasser.
Technische Verwendung des Eises.
Eis findet mannigfache Verwendung in der Technik, besonders in der Bierbrauerei, [* 5] bei der Darstellung von Spiritus [* 6] und Paraffin, [* 7] bei der Gewinnung von Glaubersalz, in Sennereien und Milchwirtschaften, in Konditoreien zur Darstellung von Gefrornem, zum Kühlen von Getränken, zu Kältemischungen, im Haushalt, zur Konservierung von Fleisch und Fleischwaren beim Transport und in Schlachthäusern, zur Kühlung der Eisenbahnwagen im Sommer und der Wohnungen in den Tropen etc. In neuerer Zeit hat man Eismaschinen benutzt, um im Sommer Eisbahnen für Schlittschuhläufer herzustellen.
In der Chirurgie ist das Eis ein sehr wirksames Mittel bei Blutungen, vorzüglich nach Verletzungen und chirurgischen Operationen, wo es entweder in fester Form oder zunächst zum Abkühlen von Wasser benutzt wird. Im erstern Fall wird es klein geschlagen, in eine Schweinsblase oder in einen Gummibeutel gefüllt und dieser an den leidenden Teil gelegt, oder man bildet, wenn man das Eis in Höhlen des Körpers bringen will, daraus glatte Stücke, die zur Größe der Höhlung passen müssen.
Wasser, welches durch Eis gekühlt worden ist, wird nach denselben Grundsätzen und Regeln angewendet, die für den Gebrauch kalter Bähungen (s. Bähung) überhaupt gelten. Bei innern Krankheiten wird das Eis gleichfalls und zwar ähnlich wie in der Chirurgie sehr häufig angewendet, namentlich bei Entzündungen und Blutungen innerer Organe, z. B. bei Gehirnentzündungen, Blutandrang nach dem Kopf (Eisblase), bei Magenblutungen (Verschlucken kleiner Eisstückchen) etc.
Behufs der Bergung des Eises bearbeitet man die Eisdecke des Flusses oder des Sees nach Hinwegräumung des Schnees zunächst mit dem Eishobel, einem wagenartigen Gestell, welches vorn auf einem Schlitten, hinten auf Rädern ruht und in der Mitte des Rahmens ein die ganze Breite desselben einnehmendes, gegen die Langseiten schräg stehendes Hobeleisen besitzt, welches die Oberfläche des Eises vollkommen ebnet. Darauf kommt der Eispflug zur Anwendung, welcher aus einer Anzahl an dem Grindel a [* 1] (Fig. 1) befestigter Stahlblätter besteht, die mit ihren meißelförmigen Kanten Furchen in das Eis schneiden.
Um den Grindel herum läßt sich nach links und rechts der Markierer b schwingen, der, in der schon gezogenen Furche laufend, das Einhalten von geraden Linien mit dem Pflug [* 8] möglich macht. Mit der Arbeit des Eisschneidens wird bei einer Dicke des Eises von 22-25 cm begonnen. Mit einem leichten Pflug werden zuerst Furchen von 25-30 mm Tiefe so eingerissen, daß Tafeln von 60×90 cm entstehen. Dann folgen Eispflüge mit tiefern Stahlblättern, welche die Furchen so weit vertiefen, daß gerade genug Eis übrigbleibt, um ein »raft« (Floß) von ca. 110 Tafeln zusammenzuhalten.
Nun wird ein solches Eisfloß mit Hilfe einer schweren Eisenstange, deren unteres Ende zu einem scharfen Meißel [* 9] geformt ist (Eismeißel), von der Eisdecke losgetrennt und mit Hilfe von Haken ans Ufer gezogen, wo dann mit dreizinkigen Gabeln die einzelnen Tafeln abgetrennt werden. Auch die Dampfkraft wird zum Schneiden der Eistafeln benutzt. Der durch Dampfkraft bewegte Eispflug besteht aus einem zweiräderigen Karren, [* 10] der durch einen Arbeiter geführt wird, und dessen Achse ein großes Kreissägeblatt trägt, welches bei der Umdrehung das Eis durchschneidet. Die Achse der Säge [* 11] dreht sich lose in den Naben der Räder und trägt eine Rolle, über welche sich ein rasch bewegtes Seil schlingt, das die Säge in Thätigkeit setzt. Um die Reibung [* 12] des Seils auf der Rolle zu vergrößern, bringt man über der erwähnten Rolle noch eine zweite an und schlingt das Seil so über dieselben, daß die Richtung des Vorschiebens des Eispflugs mit der Bewegungsrich-
[* 1] ^[Abb.: Fig. 1. Eispflug.]
[* 1] ^[Abb.: Fig. 2 und 3. Dampfeispflug.
Fig. 2. Grundriß.
Fig. 3. Vorderansicht.] ¶
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tung des Seils zusammenfällt. Das endlose Seil wird von einer Lokomobile [* 14] aus in Bewegung gesetzt und über vier Leitrollen so geführt, daß es ein Rechteck bildet. Die vier Leitrollen bilden die Eckpunkte des Rechtecks und liegen in Ständern, welche sich auf dem Eis leicht verschieben und durch Belasten mit Eisstücken festlegen lassen. Wird der Pflug an irgend einer Stelle eingeschaltet, so wird er durch das Seil nicht nur in Thätigkeit gesetzt, sondern auch nach einer geraden Linie geführt.
Durch Verschiebung der Eckpunkte des Rechtecks kann man immer neue Rechtecke bilden, deren Seiten mit den frühern parallel sind, und deren aufeinander senkrecht stehende Seiten die Längs- und Querschnitte darstellen, nach welchen das Eis in Platten zerlegt wird. [* 13] Fig. 2 und 3 zeigen das Prinzip eines solchen Eispflugs: a ist das Gestell, durch welches der Arbeiter den Pflug lenkt, b Räder, c Kreissäge, d Rolle auf der Achse der Säge, e zweite Rolle, f das Seil. Die Eistafeln werden auf schiefenen Ebenen mit Dampfkraft vom Ufer in die Eishäuser transportiert, dort regelmäßig aufgestapelt und, wenn das Lager [* 15] gefüllt ist, unter hermetisch verschlossenen Thüren bis zur Verschiffung aufbewahrt.
Der Eishandel ist am großartigsten in Boston [* 16] und New York entwickelt, 1799 ging die erste Schiffsladung Eis von New York nach Charleston; der eigentliche Schöpfer des Eishandels ist aber Tudor in Boston, welcher 1805 ein mit Eis beladenes Schiff [* 17] nach Martinique sandte und seit 1833 auch nach Ostindien [* 18] zu exportieren begann. Gegenwärtig versendet man Eis nach den Südstaaten der Union, nach Mexiko, [* 19] Westindien, [* 20] Mittelamerika, Südamerika, [* 21] Ostindien, Ceylon, [* 22] China, [* 23] Japan und Australien, [* 24] nach dem Guineabusen und der Kapstadt, [* 25] selbst nach Sizilien [* 26] und Ägypten. [* 27] In Europa [* 28] versendet Norwegen [* 29] Eis nach England, Frankreich, Hamburg, [* 30] Holland und Spanien. [* 31] Triest [* 32] versendet Eis nach Ägypten, Korfu [* 33] und Zante; die Schweiz [* 34] von Davos, Wallis und Grindelwald nach Frankreich; von den oberbayrischen Seen kommt bisweilen Eis nach Norddeutschland.
Die Aufbewahrung des Eises erfordert Räume, welche durch schlechte Wärmeleiter von der Umgebung getrennt sind und eine vollkommene Ableitung des Schmelzwassers gestatten, weil dieses, in das Isolierungsmaterial eindringend, die schlechten Wärmeleiter in gute verwandelt. Früher bevorzugte man zur Aufbewahrung Gruben und Keller. Diese Räume bieten aber in unserm Klima [* 35] niemals eine Wintertemperatur und können daher der isolierenden Doppelwände nicht entbehren.
Ihr Bau ist kostspielig, das Holzwerk geht schnell in ihnen zu Grunde, das Schmelzwasser ist meist schwierig abzuleiten, und oft sind sie dem Eindringen des Grundwassers ausgesetzt, welches viel Eis zum Schmelzen bringt, das Material der Doppelwandungen durchnäßt und unwirksam macht. Praktischer sind die Eishäuser, welche am besten eine nördliche Lage erhalten und durch Pflanzungen beschattet oder mit hellfarbigen Stroh- oder Rohrdächern versehen werden. Man erbaut sie mit doppelten, übereinander greifenden, dicht genagelten Bretterwänden, die ringsum einen 1 m weiten Zwischenraum bilden, welchen man mit aufgemauerten Torfstücken, deren Fugen durch Sägespäne gedichtet werden, auch mit trockner Gerberlohe, Hobelspänen, Heu, Stroh, Häcksel, Reisschalen etc. ausfüllt.
Der Boden erhält eine etwa 0,66 m starke Schicht Torf. Der Eingang befindet sich an der Nordseite mit Doppelthür und Strohmatratze. Das Schmelzwasser wird sorgfältig abgeleitet, ohne daß durch die Leitung Luft eindringen darf. Für den Eishandel in größern Städten erbaut man vorteilhaft sehr große Häuser, weil sich das Eis in diesen erheblich besser hält als bei der Verteilung auf mehrere kleine Räume. In gut eingerichteten Eishäusern beträgt der jährliche Schmelzverlust wohl nicht mehr als 20-25 Proz. In gelinden Wintern kann man statt des Eises auch wohl Schnee [* 36] aufspeichern, wenn man ihn mit Wasser benetzt und zu etwa kubikfußgroßen Stücken zusammenpreßt.
Zum Aufbewahren des Eises im Haus dienen Eisschränke, durchaus doppelwandige Behälter, inwendig mit Zink ausgeschlagen und mit einer besondern Abteilung für das Eis versehen. Den Raum zwischen den Doppelwänden füllt man mit Haar, [* 37] Wolle, Baumwolle, [* 38] Spreu, Häcksel, Infusorienerde, Schlackenwolle etc. Bei einem Eisschrank mit 2,3 qm innerer Fläche und 0,222 cbm Inhalt, dazu mit einem Eisbehälter, welcher 16 kg Eis faßt, gestalten sich die Beziehungen der Lufttemperatur zu der Temperatur im Innern des Apparats und dem täglichen Eisverbrauch wie folgt:
Temperatur der Luft | 15° | 19° | 22.5° | 26° | 30° |
Temperatur im Eisschrank | 5.5° | 6.9° | 8.3° | 9.6° | 11.1° |
Eisverbrauch in 24 Stunden | 4.8 | 6 | 7.2 | 8.4 | 9.6 kg |
Nimmt man 22,5° als mittlere Temperatur der sechs warmen Monate an, so würde also ein solcher Eisschrank während dieser Zeit 1300 kg Eis verbrauchen. Rechnet man dazu täglich 2,5 kg Eis für die abzukühlenden Speisen, das Öffnen der Thür etc., so würde der Gesamtverbrauch 1750 kg betragen. Stellt man dagegen diesen Schrank [* 39] in einen nur 15° warmen Keller, so reduziert sich der Eisverbrauch auf 1200 kg. Das Schmelzwasser fließt durch ein Rohr ab, welches den Eintritt von Luft in den Schrank nicht gestattet. Will man eine Flasche [* 40] schnell durch Eis kühlen, so darf man sie nicht bloß mit Eisstücken umgeben, sondern man stellt sie in ein Gefäß [* 41] mit Wasser, in welches Eisstücke geworfen sind. Zur Kühlung des Biers dient vielfach ein Schlangenrohr, welches in einem mit Eis und Wasser gefüllten Kasten liegt, an dem einen Ende mit dem auf dem Kasten ruhenden Faß [* 42] verbunden ist und am andern den Ablaßhahn trägt. Litteratur s. am Schluß.
Bereitung von künstlichem Eis. Eismaschinen etc.
Künstliches Eis kann dargestellt werden, indem man durch irgend einen Prozeß schnell eine große Menge Wärme [* 43] zur Bindung bringt. Hierzu eignet sich 1) die Verflüssigung eines festen Körpers mittels einer Flüssigkeit (Lösen von Salzen) oder mittels eines andern festen Körpers (Kochsalz mit Schnee);
2) die Verdunstung eines sehr flüchtigen Körpers (Äther: flüssiges Ammoniak);
3) die Ausdehnung [* 44] komprimierter Gase. [* 45] Die Kälteerzeugung nach der ersten Methode wird mit den Kältemischungen, die nach den beiden letzten Methoden mit Hilfe der sogen. Eismaschinen ausgeführt.
Die Eismaschinen, welche die zweite Methode der Kälteerzeugung repräsentieren, werden mit Äther, Methyläther, flüssiger schwefliger Säure oder flüssigem Ammoniak betrieben und sind so eingerichtet, daß die Flüssigkeit in einem Teil des Apparats verdampft und dabei Kälte erzeugt, der Dampf [* 46] der Flüssigkeit aber in einem andern Teil des Apparats durch Abkühlung wieder verdichtet wird, so daß sie ohne Verlust einen beständigen Kreislauf [* 47] beschreibt. Von diesen Maschinen sind die Ammoniakmaschinen von Carré am verbreitetsten. Die intermittierenden Maschinen dieser Art für kleinern Betrieb sind sehr einfach konstruiert. A [* 13] (Fig. 4 u. 5) ist ein starker, luftdicht schließender Kessel aus Schmiedeeisen, gefüllt mit sehr konzentrierter wässeriger Ammoniakflüssigkeit. Zur ¶