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isländischen Priesters Sämundr inn Frodhi (1056-1133) sei; dies glaubte er nun im Codex regius zu finden. Lange galt Sämundr unbestritten als Verfasser, später schrieb man ihm wenigstens die Sammlung und die Urheberschaft der Prosa zu. Jetzt ist wohl allgemein anerkannt, daß er nichts mit unsern Liedern zu thun hat (vgl. Möbius in Zachers »Zeitschrift für deutsche Philologie«, I, 399 ff.). Nicht einmal der Name Edda ist authentisch für die Lieder; doch paßt seine Bedeutung für ihren Inhalt zu treffend, als daß man ihn ausmerzen sollte.
Zum Unterschied von Snorris erst um 1230 entstandener, größtenteils Prosa enthaltender Edda gebraucht man für sie die Ausdrücke ältere, poetische oder Lieder-Edda. Die Gedichte nun, die vermöge ihrer alten Überlieferung hierher gehören, sind, 33 an der Zahl, mehr oder minder vollständig und ursprünglich; nur in der Hälfte und zwar meist in den sagenhistorischen Liedern finden sich eingeschobene Prosastücke des Sammlers, die teils dunkle Stellen erläutern, teils Lücken der poetischen Darstellung ergänzen, teils den sachlichen Zusammenhang mehrerer Lieder geben sollen.
Zwei Stücke (Sinfjötlalok, »Tod des Sinfiotli«, und Niflungadráp, »Untergang der Nibelungen«) stehen selbständig. Die Lieder sind sämtlich in allitterierenden Versen und Strophen, teils im kvidhuháttr, teils im ljódhaháttr (s. Isländische Verskunst), abgefaßt. Ihrem Inhalt nach behandeln sie entweder die nordische Mythologie oder Heldensage und zwar in episch-erzählender oder dramatisch-didaktischer Darstellung. Die mythischen Lieder sind folgende: Völuspá (»Offenbarung der Seherin«),
gibt eine Übersicht der heidnischen Weltanschauung;
Vafthrúdhnismál, erzählt die Reise Odins unter Gangrads Gestalt zu dem Riesen Vafthrudnir und den Wettstreit beider in der Religionsweisheit;
Grímnismál, erzählt, wie Odin als Grimnir bei dem König Geiroddr den Zustand der Welt und sein eignes Wesen offenbart;
För Skírnis (»Skirners Fahrt«),
wie Skirner, Freys Diener, für seinen Gebieter um die Riesentochter Gerdr freit;
Hárbardsljódh (»Harbards Lied«),
wie Thor auf seiner Reise mit Harbard, dem Fährmann, Streit anfängt;
Hýmiskvidha, erzählt die Sage vom Riesen Hymir, welchem Thor und Tyr den Kessel abgenommen, in dem von Ögir das Bier für die Götter gebraut wurde;
Ögisdrekka (»Der Trank bei Ögir«) oder Lokasenna (»Lokes Streit«),
auch Lokaglepsa (»Lokes Biß«),
wie Loke an einem Gastmahl bei Ögir die Asen lästerte;
Thrymskvidha oder Hamarsheimt (»Die Wiedererlangung des Hammers«),
wie Thor und Loke dem Riesen Thrymr den Hammer [* 2] Thors wieder nehmen;
Vegtamskvidha (»Wanderers Lied«),
wie Odin als Vegtamr in der Unterwelt die Zauberin nötigt, ihm Baldrs Tod zu weissagen;
Alvísmál (»Des Allwissenden Lied«) handelt von Synonymen der himmlischen, irdischen und unterirdischen Wesen in der Dichtersprache;
Rígsthula oder Rigsmál, erzählt die Entstehung der drei sozialen Stände durch Heimdall, der unter dem Namen Rigr die Welt durchwandert;
Hyndluljódh, mit dem in der Tradition die Völuspá hin skamma (die kürzere Völuspa) zusammengewachsen ist, berichtet, wie die Zauberin Hyndla, um den Erbschaftsstreit zwischen Angantyr und Ottar zu schlichten, die Abstammung der Helden von den Göttern beweist.
Außer diesen elf hat man früher allgemein auch einige nur in Papierhandschriften überlieferte Lieder mythischen Inhalts zur Edda gerechnet. Aber von dem einen, dem Forspjallsljódh oder Hrafnagaldr Odhins (trübe Träume und dunkle Ahnungen der Asen vor Baldrs Tod), hat Bugge nachgewiesen, daß es ein Kunstprodukt des 17. Jahrh. und gemacht ist als Einleitung zur Vegtamskvidha, die selbst auch interpoliert wurde. Jener Einleitung dürfte der Name Forspjallsljódh, dieser erweiterten Vegtamskvidha der Name Hrafnagaldr (oder Hrævagaldr, »Totenzauberlied«?) gehören.
Zwei andre: Grógaldr (worin der Geist der gestorbenen Zauberin Groa ihrem Sohn kräftige Zaubersprüche mitteilt) und Fjölsvinnsmál (unter dem Namen Fiölsvidr kommt der Held Svipdagr zur Burg seiner Geliebten Menglöd, der Wächter wehrt den Eingang; lange Unterredung beider, bis Menglöd herbeieilt), sind philosophische Gedichte des spätern gelehrten Mittelalters. Bugge freilich faßt sie als Teile eines noch in dänisch-schwedischer Nachdichtung erhaltenen Volksliedes, der Svendalsvise, auf und bezeichnet sie demnach als Svipdagsmál I und II. Neuerdings hat dies Bergmann (»Vielgewandts Sprüche und Groas Zaubersang«, Straßb. 1874) bekämpft (vgl. auch Kölbing in »Germania«, [* 3] Bd. 19, 359 ff.). Ebensowenig dürfen die Sólarljódh zur Edda gerechnet werden, die aus christlicher Zeit, aber kaum von Sämund herrühren und die christliche Mythologie mit altheidnischen Bildern ausschmücken.
Den Hauptteil der Edda machen die sagenhistorischen Lieder aus, von denen jedoch nur vier ihren Stoff der heimisch-nordischen Sage entnehmen: drei Lieder von Helgi (s. d.) und der Grottasöngr (die Frieden mahlenden Riesenmägde prophezeien dem Frodi nahen Untergang). Die Völundarkvidha zeigt die nordische Gestaltung der gemeingermanischen Sage vom Schmied Wieland. Sämtliche übrigen Lieder behandeln die deutsche Siegfried- (nord. Sigurdhr) und Nibelungensage, die in früher Zeit (etwa im 6. Jahrh.) im Norden [* 4] bekannt wurde und sich in den Liedern reiner erhielt, während sie im deutschen Stammland in lebhafter Entwickelung blieb.
Man unterscheidet zunächst drei Sigurdlieder (Sigurdarkvidhur Fáfnisbana). Im ersten läßt sich
Sigurd
von seinem Oheim Gripir sein
Schicksal vorhersagen (daher besser Grípisspá, »Gripirs Prophezeiung«).
Im zweiten wird dem
Sigurd vom
Zwerg Regin der Ursprung des
Horts erzählt und er angestachelt, den Hort
hüter
Fafnir zu töten;
doch rächt
Sigurd erst den
Tod seines
Vaters (besser Reginsmál). Darauf berichten die Fáfnismál erst von der
Tötung
Fafnirs und Regins und
Sigurds Besitznahme von dem
Schatz, die Sigrdrífumál
Sigurds Zusammentreffen, Unterhaltung und Verlobung
mit Brynhild (Sigrdrifa als
Walküre), bis das eigentliche (dritte) Sigurdlied uns erzählt, wie
Sigurd an Giukis (deutsch
Gibich)
Hof
[* 5] kommt, sich mit
Gudrun vermählt und Gunnar und Brynhild zusammenbringt, wie dann Brynhild sich
durch Ermordung
Sigurds rächt, aber ihm freiwillig in den
Tod folgt.
Die Mordgeschichte nebst den nähern Umständen danach liegt noch in einem Liedfragment vor, dem sogen. Brot [* 6] af Sigurdharkvidhu (auch Brynhildarkvidhu). Die Helreidh Brynhildar beschreibt Brynhilds Fahrt in die Unterwelt. Drei Gudhrunarkvidhur schildernden gewaltigen Schmerz und die Klage Gudruns um Sigurd, wie sie dazu gebracht wird, sich mit Atli zu vermählen, und wie sie, der Untreue beschuldigt, sich durch den Kesselfang vom Verdacht reinigt. Die beiden Atlilieder (Atlakvidha und Atlamál in groenlensku ^[grœnlensku]) zeigen schon durch ihre Form relativ späte Entstehung; sie erzählen (das zweite ausführlicher) Einladung, Fahrt und Tod der Nibelungen bei Atli (Etzel) und Gudruns Rache. Zwei andre Lieder führen uns in die Ermanarichsage. Ermanarich hat seine Frau Swanhilde ¶
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(Gudruns Tochter) töten lassen; Gudrun mahnt ihre Söhne zur Rache und zählt dabei alles erfahrene Leid auf (Gudhrúnarhvöt). Die Brüder erschlagen auf dem Weg zu Ermanarich ihren Stiefbruder und vollführen die Rache, aber auch sie selbst fallen in rühmlichem Kampf. Noch ist ein Lied übrig, der Oddrúnargrátr: Oddrun, Atlis Schwester, war Gunnars Geliebte;
doch vor Brynhild muß sie zurücktreten.
Auch nach deren Tod widersetzt sich Atli der Verbindung, die Liebende muß Gunnar im Schlangenturm sterben lassen. Früher rechnete man noch ein nur in Papierhandschrift des 18. Jahrh. enthaltenes Lied zu diesem Teil der den Gunnarsslagr (wie der gefesselte Gunnar im Schlangenturm durch Harfenspiel die Schlangen [* 8] von sich scheucht); doch ist dies jetzt als Produkt des vorigen Jahrhunderts erwiesen (s. Pfeiffers »Germania«, Bd. 13, S. 72, 284). Ein Produkt eigner Art sind endlich die Hávamál (»Sprüche des Hohen«, d. h. Odins), ein Gedicht von wesentlich gnomisch-didaktischem Inhalt, in dem sich um einen ursprünglichen Kern (die Loddfáfnismál) eine Fülle von Sprüchen verwandter Art angeschlossen haben (vgl. Müllenhoff, Deutsche [* 9] Altertumskunde, Bd. 5, Abt. 1, S. 250, Berl. 1883).
Authentisch haftet der Name Edda an jenem berühmten Lehrbuch altnordischer Kunstpoesie, an der jüngern oder prosaischen oder Snorra-Edda, die 1628 Arngrim Jonson ebenfalls nach jahrhundertelanger Vergessenheit wieder auffand; die unterscheidenden Epitheta finden sich jedoch erst, seit jene Volkslieder auch Edda genannt wurden. Sie wurde von dem Isländer Snorri Sturluson (s. d.) um 1230 verfaßt, bez. zusammengestellt; doch ist in der Folge diesem ursprünglichen Buch manches hinzugefügt worden.
Sie liegt uns in drei Haupthandschriften vor, von denen die Upsalasche von ca. 1300 den Namen Edda führt; ob Snorri ihn selbst gegeben, ist ungewiß. Es sind zu unterscheiden: a) Die Gylfaginning, eine euhemeristische Darstellung der nordgermanischen Mythologie in einem Wechselgespräch zwischen dem mythischen Schwedenkönig Gylfi und den drei Asen Har, Jafnhar und Thridi. Daran schließen sich in geringerm Umfang die Bragaroedhur ^[Bragarœdhur], worin der Dichtergott Bragi manches von den Thaten und Schicksalen der Götter erzählt.
Dieser Teil ist von einem Vor- und Nachwort (For- und Eptirmáli) eingeschlossen. b) Die Skaldskaparmál, welche die formale Seite der Dichtkunst zum Gegenstand haben, also eine Poetik für die Skalden. Da sind zunächst die kenningar oder poetischen Umschreibungen aufgezählt, dann die ókend heiti oder die in der gewöhnlichen Sprache [* 10] veralteten Ausdrücke, endlich die fornöfn oder Ersatznamen, Umschreibungen für Eigennamen. Alle Regeln sind mit Beispielen aus der ältern Skaldenpoesie belegt und dabei ca. 70 Skalden genannt. c) Háttatal (auch Háttalykill), ein Lobgedicht des Snorri auf König Hakon von Norwegen [* 11] (gest. 1263) und den Jarl Skuli, das aus 102 Strophen besteht, deren jede eine besondere Versart repräsentiert. Das ganze Gedicht wird durch einen weitläufigen Kommentar erläutert, welcher somit eine Art von skaldischer Metrik bildet (Ausgabe von Th. Möbius, Halle [* 12] 1879-81). Der zweite und dritte Teil der Snorra-Edda werden auch unter dem Namen Skálda zusammengefaßt.
Von allem bisher Genannten galt Snorri schon um 1300 als Verfasser, doch ist sicher schon Vor- und Nachwort des ersten Teils nicht von ihm. Wieviel ihm sonst zuzuschreiben, ist Streitfrage. In dem Codex Wormianus aus dem 14. Jahrh. sind noch ein paar grammatische Traktate angehängt, die aber durchaus nicht in die Edda gehören. Das Verhältnis der jüngern zur ältern Edda ist nun folgendes: Die Sammlung der Lieder nebst der ergänzenden Prosa kannte Snorri noch nicht, und doch gibt er in Gylfaginning eine Paraphrase fast aller mythischen Lieder mit wörtlicher Anführung vieler Strophen und in den Skaldskaparmál eine Übersicht der Sigurd- und Nibelungensage (um zu erklären, wie der umschreibende Ausdruck otrgjöld [»Otterbuße«] Bezeichnung für Gold [* 13] wurde). Er entnahm dies unmittelbar aus der mündlichen Tradition; möglich, daß auch einzelnes schon aufgezeichnet war.
[Ausgaben und Übersetzungen.]
Die ältere Edda wurde zuerst vollständig herausgegeben von der arnamagnäanischen Kommission mit lateinischer Übersetzung, Kommentar, Glossaren und Finn Magnusens »Mythologischem Lexikon« (Kopenh. 1787-1828, 3 Bde.), von Rask (Stockh. 1818), von Munch (Christiania [* 14] 1847); nächstdem sind die deutschen Ausgaben von Lüning (Zür. 1859, mit Glossar, Grammatik, Mythologie, Anmerkungen) und Möbius (Leipz. 1860) zu erwähnen. Trotz wiederholter Lesung der Handschriften blieb aber doch noch vieles unsicher; ihre abschließende Ausnutzung dürfte erst durch Sophus Bugge gegeben sein, dessen Ausgabe (Christiania 1867) für jede Eddaforschung Grundlage sein muß. Auf Bugge beruhen Grundtvigs Handausgabe (Kopenh. 1868, 2. Aufl. 1874) und die kritische Ausgabe von K. Hildebrand (Paderb. 1876). Sämtliche Lieder der Edda haben jetzt auch Aufnahme gefunden in Vigfussons »Corpus poeticum boreale« (Oxf. 1883, 2 Bde.). Durch Herausgabe einzelner Teile und Lieder haben sich verdient gemacht: Resenius (1665, Völuspá und Hávamál), v. d. Hagen [* 15] (Berl. 1812),
die Brüder Grimm (das. 1815, die Heldenlieder) und Bergmann (1838-79). Ein kritisch gereinigter Text der Völuspá mit ausführlichem Kommentar findet sich jetzt auch in Müllenhoffs »Deutscher Altertumskunde«, Bd. 5, Abt. 1 (Berl. 1883). Übersetzungen sind vorhanden: dänisch von Finn Magnusen (Kopenh. 1821-23, 4 Bde. mit Kommentar), Hjort (das. 1860-1865), Winkel [* 16] Horn (das. 1869), Möller (das. 1871);
englisch von Thorpe (1866) u. R. B. Anderson (Chicago 1879);
schwedisch von Afzelius (1818), Gödecke (Stockh. 1877);
französisch von Mlle. R. du Puget (2. Ausg., Par. 1865), de Laveleye (Brüssel [* 17] 1866);
spanisch von D. A. de los Rios (Madr. 1857);
deutsch von Gräter (1789), v. d. Hagen (Berl. 1814), Studach (Nürnb. 1829), Ettmüller (Zür. 1837, nur einzelne Teile), Ad. Holtzmann (Leipz. 1873), B. Wenzel (das. 1877) und Simrock (Stuttg. 1851, 8. Aufl. 1882), ohne Zweifel die beste, obschon gründliche Revision nötig wäre.
Vollständige Ausgaben der jüngern Edda besitzen wir von Resenius (Kopenh. 1665), Rask (Stockh. 1818), Sveinbjörn Egilsson (Reykjawik 1848-49) und Thorleifr Jonsson (Kopenh. 1875). Noch unvollendet ist die große kritische Ausgabe durch die arnamagnäanische Kommission (Kopenh. 1848-80, Bd. 1-3, I). Die für die Sagengeschichte wichtigen Teile sind mit der Völsungasaga und dem Nornagests tháttr herausgegeben von Edda Wilken (Paderb. 1877). Übersetzungen: deutsch von Rühs (Berl. 1812), Majer (Leipz. 1818), Simrock (Gylfaginning und Bragaroedhur ^[Bragarœdhur] vollständig, aus der Skálda nur ein paar Auszüge);
dänisch von Nyerup (Kopenh. 1808).
Vgl. Köppen, Litterarische Einleitung in die nordische Mythologie (Berl. 1837);
Grimm, Geschichte der deutschen Sprache (4. Aufl., Leipz. 1880, 2 Bde.);
Möbius, Catalogus librorum islandorum et norvegicorum aetatis ¶