mehr
den Eigentümlichkeiten der Bakchosreligion. Geopfert wurden besonders Böcke und Stiere: Böcke, wenn nicht als Feinde des Weinstocks, so doch das Sinnliche im D. andeutend;
Stiere, weil Dionysos [* 2] selbst als Stier (Symbol der Zeugungskraft) gedacht wurde, hierin dem Osiris [* 3] vergleichbar, dem Dionysos auch in der Jahreszeit gleicht, in welche beider Hauptfeste fallen, sowie in seinem halbchthonischen Wesen.
Bei den fröhlichen Festen war stets der Phallos (s. d.), bei der trieterischen Winterfeier dagegen die mystische Kiste (s. Cista), mit der Schlange [* 4] (aus feuchtem Grund stammend) und allerlei geheimnisvollen Heiligtümern versehen, das Symbol des Gottes. Unter den Kultusgesängen ist der charakteristisch dionysische der Dithyrambos (s. d.), an welchen sich der Ursprung des Dramas knüpft. Von den Dionysosfesten (Dionysien) waren von fröhlicher und gemäßigt orgiastischer Art die attischen.
Bei den kleinen oder ländlichen Dionysien, welche von Gau zu Gau im Monat Poseideon (Dezember) beim Herannahen der Weinlese mit Prozessionen, Schmäusen, Gesängen, Schauspielen etc. gefeiert wurden, war eine besondere Ergötzlichkeit das Schlauchspringen (Askolia). Man opferte einen Bock, [* 5] verfertigte aus der Haut [* 6] einen Schlauch, füllte diesen mit Wein, machte ihn außen mit Öl schlüpfrig und versuchte dann mit einem Bein darauf zu hüpfen. Wer herunterfiel, wurde ausgelacht, wer sich oben zu halten wußte, als Sieger begrüßt.
Die Haloen (das Tennenfest) wurden ebenfalls im Monat Poseideon (Januar) nach beendigter Weinlese als ein Dankfest zu Ehren der Demeter [* 7] und des Dionysos zugleich begangen. Die Lenäen (das Kelterfest) wurden in Athen [* 8] im Monat Gamelion (Januar) gefeiert und verbreiteten sich auch nach den ionischen Kolonien in Kleinasien. Der Mittelpunkt des Festes wie des Dionysoskultus überhaupt war das sogen. Lenäon im Stadtquartier Limnä zu Athen. Man genoß an den Lenäen den ersten Most, hielt einen großen Schmaus, wozu das Fleisch auf Staatskosten geliefert wurde, zog in feierlicher Prozession unter allerlei Scherzen und Neckereien durch die Stadt und wohnte den mimischen Aufführungen bei. Um dieselbe Zeit wanderten wohl die Frauen nach dem Parnaß zur trieterischen Feier (s. oben).
Die Anthesterien
wurden am 11., 12. und 13. des
Monats
Anthesterion
(Februar) drei
Tage lang als ein Trinkfest gefeiert. Am ersten
Tag (Pithoigia, »Faßöffnung«) kosteten
Herren und Sklaven durcheinander den neuen
Wein; am zweiten (Choes, »Kannenfest«)
trank man beim Schmaus unter Posaunenschall um die
Wette; am dritten
Tag (Chytroi, »Töpfe«) weihte man dem
Hermes
[* 9] als Totenführer
Töpfe mit gekochten
Hülsenfrüchten und feierte
Persephones
Auferstehung und Wiedervereinigung mit dem Gott sowie des letztern
Vermählung mit der Basilissa, d. h. der Gemahlin des Archon
Basileus, des
Erben der priesterlichen
Gewalt
des
Königs; zugleich deutete man das junge Jahr durch Bekränzung dreijähriger
Knaben an. Die großen oder städtischen
Dionysien
wurden im
Monat
Elaphebolion (März) als Frühlingsfest unter Beteiligung aller
Gaue begangen.
Man geleitete das alte, von Eleutherä gekommene Bild des Gottes aus dem Lenäon nach einem kleinen Tempel [* 10] auf dem Kerameikos. Knaben- und Männerchöre ließen den Dithyrambos erschallen; bekränzt mit Weinlaub und in den seltsamsten Verkleidungen jauchzte man dem Gott entgegen, und von allen Seiten strömten Gäste zu, denen Athen nun das Höchste griechischen Genusses bot. Zwei Tage waren dramatischen Spielen gewidmet; neue Komödien, Tragödien, Satyrspiele wurden mit glänzendem Aufwand in Szene gesetzt, und Preisverteilungen an die Sieger beschlossen das Fest.
Das pentaeterische Fest zu Brauron in Attika wurde ebenfalls mit ausgelassenen Lustbarkeiten gefeiert und von den Athenern von Staats wegen durch eine Gesandtschaft beschickt. Die Oschophorien wurden als Vorfeier der Weinlese im Monat Pyanepsion (Oktober) begangen und waren, dem Dionysos und der Athene [* 11] gewidmet, angeblich von Theseus bei seiner Rückkehr von Kreta gestiftet. Eine Prozession zog vom Heiligtum des Dionysos nach dem der Athene im Phaleron; dann fanden Wettläufe der Epheben statt.
Einen ganz andern Charakter als die bisher genannten Feste hatten die Trieterien oder Mänadenfeste (s. oben). Ihren Ursprung führt die Sage auf den thrakischen Orpheus [* 12] zurück, in Kleinasien verschmolzen die gleichartigen Mysterien der Kybele [* 13] mit ihnen. In Griechenland [* 14] fand dieser Kult, teilweise schon mit phrygischer Färbung, vornehmlich in Böotien und Phokis Beifall; aber auch im Peloponnes (zu Paträ mit seinem noch jetzt bedeutenden Wein- und Korinthenhandel, zu Taygetos mit seinem reichen Weinbau) und auf den Inseln war man demselben eifrig ergeben.
Noch zu erwähnen sind endlich die bacchischen Religionsvereine, welche als geschlossene Gesellschaften mit eigentümlichen Gebräuchen und Lehren [* 15] zur Zeit des Peloponnesischen Kriegs in Athen auftraten, hier durch die verführerische Mysterienform bald großen Anklang fanden und sich dann, besonders zur Zeit Alexanders d. Gr., weiter verbreiteten. Sie fußten vornehmlich in der oben angeführten orphischen Mystik, enthielten sich der Fleischspeisen und hatten besondere Sühngebräuche und heilige Schriften.
Ihre Verwandtschaft mit den kleinasiatischen Korporationen der Kybelediener ist unverkennbar. Auch Schwärmerei und fleischliche Ausschweifungen blieben ihnen nicht fremd; namentlich machte sich diese in Italien [* 16] geltend, wo die orphisch-bacchische Mystik vorzüglich in Lukanien, Apulien und Etrurien Eingang gefunden hatte. Von Etrurien verbreitete sich letztere nach Latium und Rom, [* 17] wo man bis dahin nur die den städtischen Dionysien Athens entsprechenden Liberalien zu Ehren des Liber (s. d.), eines alten Feldgottes, gefeiert hatte (17. März). Jetzt kamen die berüchtigten Bacchanalien in Aufnahme, ein Gemisch der wild orgiastischen und mysteriösen Bacchusfeier. In der Nähe Roms war der Hain der Stimula (d. h. der Semele) der Mittelpunkt, wo sich die Teilnehmer zur nächtlichen Feier versammelten.
Die Aufnahme geschah nach zehntägiger Kasteiung und vorhergehenden Waschungen. Anfangs wurden bloß Frauen zugelassen, später ließ man Jünglinge zu und verübte in den nächtlichen Orgien die größten Unsittlichkeiten. Lange blieb dies verborgen, weil jeder, von dem man Verrat fürchtete, heimlich aus dem Wege geschafft wurde. Endlich ward durch ein Mädchen, dessen Geliebter gegen ihren Willen in den Bund gezogen war, das Geheimnis verraten (Livius, 39, 8 ff.). Im J. 186 v. Chr. wurden in ganz Italien die Bacchanalien durch das noch auf einer Erztafel in Wien [* 18] vorhandene Senatus consultum de bacchanalibus (»Corpus inscriptionum latinarum«, Bd. 1, Nr. 196) untersagt, Priester und Priesterinnen in Verhaft genommen und hingerichtet. Freilich wurden dann einheimische Kulte (z. B. der Bona Dea) zu Ausschweifungen gemißbraucht. Der Bacchusdienst als Staatskult dauerte noch unter Valens (366 n. Chr.) fort.
Die ältesten bildlichen Darstellungen des Dionysos waren nicht einfache Hermen, welche vielmehr späterer Zeit angehören. Aber wie in diesen erscheint Dionysos ¶
mehr
anfangs nur in reiferm Alter, in stattlicher Gestalt und mit Bart und langem Haar, [* 20] dessen Locken auf Brust und Nacken herabwallen. Diesen Typus hält auch die spätere Kunst noch fest; ihn repräsentiert am besten die unter dem Namen des Sardanapal bekannte Statue im Vatikan, [* 21] vielleicht auch die schöne Bronzebüste des Museums zu Neapel, [* 22] welche man früher fälschlich Platon benannte. Erst in Perikleischer Zeit trat eine jugendliche Auffassung des Dionysos in den Vordergrund, die im Zeitalter des Praxiteles die herrschende wurde, eine Gestaltung, bei der die weich ineinander fließenden Körperformen die halb weibische Natur des Gottes ankündigen und die Züge des Gesichts ein eigentümliches Gemisch seliger Berauschung und unbestimmter, dunkler Sehnsucht zeigen.
Der Körper ist hier in der Regel ganz nackt; in den Händen hält der Gott gewöhnlich den Thyrsos [* 23] und den Becher, [* 24] oft auch eine Traube. Seine Stellung ist meist bequem angelehnt oder gelagert, selten thronend; auf Gemmen [* 25] und Vasenbildern, seltener auf Reliefs sieht man ihn wandelnd mit wankenden Schritten, oder auf seinen Lieblingstieren reitend oder auf dem Wagen von ihnen gezogen dargestellt, mit einem Satyr [* 26] als Stütze (so in der vatikanischen Gruppe, [* 19] Fig. 2), oder umgeben von dem lustigen Schwarm der Satyrn [* 27] und Mänaden.
Seine sonstigen Attribute sind die Rebe, der üppige, kühlende Epheu, der Lorbeer, die Fichte [* 28] oder Pinie und der Asphodelos; von Tieren der Löwe, Tiger, Panther, Esel, zuweilen auch Delphin und Schlange. Besondere Hervorhebung unter diesen Attributen verdient der begeisternde Lorbeer, welcher (wie auch manches Obige) zeigt, wie dieser Gott, ursprünglich nur Halbgott (bei Homer Felddämon, der nie im Olymp erscheint), mit großem Erfolg sich neben ältern Göttern geltend machte, so daß schließlich Apollon [* 29] sein Heiligtum (in Delphi) und sein Orakel mit ihm teilt. Zu den schönsten Darstellungen des jugendlichen Dionysos zählen die beiden Marmorköpfe des kapitolinischen und des Leidener [* 30] Museums.
Zahlreiche Kunstwerke verherrlichen seine Thaten und Schicksale; auf dem Lysikrates-Denkmal wird sein Triumph über frevlerische Seeräuber, auf Vasen [* 31] und Reliefs die Bestrafung des Pentheus und Lykurgos, die Einkehr bei Ikarios [* 19] (Fig. 3), besonders häufig aber sein Zusammentreffen mit Ariadne, die Hochzeitsfeier auf Naxos und der festliche Zug beider in der Umgebung des enthusiastisch schwärmenden Thiasos dargestellt, letzteres ein Lieblingsgegenstand römischer Sarkophage und Wandbilder.
Vgl. Ribbeck, Anfänge und Entwickelung des Dionysoskultus in Attika (Kiel [* 32] 1869);
Aug. Mommsen, Heortologie (Leipz. 1864);
Gilbert, Die Festzeit der attischen Dionysien (Götting. 1872);
Lüders, Die dionysischen Künstler (Berl. 1873);
Brown, The great Dionysiak myth (Lond. 1877-78, 2 Bde.);
Rapp, Beziehungen des Dionysoskultus zu Thrakien (Stuttg. 1882);
Roscher, Lexikon der griechischen und römischen Mythologie, S. 1029 ff. (Leipz. 1885).
[* 19] ^[Abb.: Fig. 2. Jugendlicher Dionysos (Rom, Vatikan).]
^[Abb.: Fig. 3. Bärtiger Dionysos (aus dem Relief: Einkehr des Dionysos bei Ikarios. Paris, [* 33] Louvre).]