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systematische Übersicht aller
Wissenschaften enthält, hat d'Alembert verfaßt; dagegen rühren nicht bloß sämtliche auf
Technik und
Gewerbe bezügliche, sondern auch einige philosophische, ja selbst viele physikalische und chemische
Artikel von
Diderot
her, dessen schlagfertige Polyhistorie ihm erlaubte, überall einzuspringen, wo das Werk von einem der zahlreichen
Mitarbeiter, zu denen außer dem zweiten
Vater desselben, d'Alembert, die klangvollsten
Namen und geistreichsten
Köpfe
Frankreichs zählten, im
Stiche gelassen wurde.
Seine Grundansicht über die
Weltordnung legte er in der
Schrift
»Interprétation de la nature« (1754) nieder, in welcher er
nach Bekämpfung der teleologischen
Ansichten zu einem
System, einer Art Atomenlehre, gelangt, welches voll
von
Widersprüchen und Inkonsequenzen ist. Am klarsten und offensten entwickelt er seine
Ansichten in den bereits 1769 verfaßten,
aber erst 1831 im vierten
Bande der
»Mémoires« erschienenen, philosophisch am gründlichsten durchgebildeten
Schriften:
»Entretien
entre d'Alembert et Diderot«
und »Le
[* 2] rève de d'Alembert«.
Seine Theorien über das Theater, [* 3] welches er dem abstrakten klassischen Regelzwang und der Unnatur entreißen und zur Wirklichkeit und Natürlichkeit zurückführen wollte, bethätigte er praktisch in seinen beiden Dramen: »Le fils naturel« (1757) und »Le père de famille« (1758). Diese beiden Stücke (übersetzt von Lessing, 1760), die weniger freie Dichtungen als Musterbeispiele sein sollten und die wegen ihrer Rührseligkeit und pedantischen Moral vollständig durchfielen, inaugurierten das sogen. bürgerliche Drama; sie fanden übrigens in Deutschland [* 4] mehr Nachahmung als in Frankreich.
Von der Vielseitigkeit Diderots
legen ein vortreffliches
Zeugnis ab die
»Salons«,
Berichte über die
Ausstellungen der
Pariser
Akademie von 1765 bis 1767, in denen er in liebenswürdiger, geistreicher Plauderei die Naturwahrheit
als Hauptforderung aufstellt; auch für diese Art der Kunstkritik kann Diderot
als Begründer gelten. Die
Mehrzahl seiner
Erzählungen
und
Romane ist außer den »Bijoux indiscrets« (1748),
einem unsaubern und faden Produkt, erst nach seinem Tod gedruckt worden. Von diesen ist am schwächsten »Jacques le fataliste«, besser trotz des zum Teil empörenden Naturalismus der Roman »La Religieuse«, am berühmtesten aber »Le neveu de Rameau«, der zuerst in Deutschland durch Goethes Übersetzung (1805) bekannt wurde, dann zurückübersetzt und erst 1821 nach dem Original gedruckt wurde, ein köstliches Spiegelbild der Genußsucht und Blasiertheit der Zeit mit bewunderungswürdiger Kunst der Zeichnung und Darstellung.
Wahre
Perlen liebenswürdigen
Humors und geistreichen Erzählungstalents sind die kleinen Genrebilder, die er mit dem
Namen
»Petits papiers« bezeichnete; sie legen
Zeugnis ab von dem vortrefflichen
Charakter Diderots
, seiner natürlichen Herzensgüte,
seinem
Freimut und seiner Liebenswürdigkeit. Diese
Eigenschaften halfen ihm die vielen Widerwärtigkeiten und erbitterten
Kämpfe ertragen, die er sein ganzes
Leben hindurch zu bestehen hatte.
Schon 1743 hatte er gegen den
Willen
seines
Vaters aus
Liebe ein armes Mädchen geheiratet, das aber durch Beschränktheit und Bigotterie sich den
Gatten bald entfremdete,
besonders als nach
Geburt mehrerer
Kinder die drückendsten Nahrungssorgen auf ihm lasteten. Diderot
fiel bald darauf in
die
Netze einer berüchtigten, herzlosen
Kokette,
Madame de Puisieux, die ihn zehn Jahre lang aufs schmählichste betrogen und
ausgesogen hat.
Dann
schloß er eine enge
Verbindung mit der geist- und gemütvollen
Sophie Volland, welche bis an deren Lebensende dauerte.
Die zahlreichen
Briefe, welche Diderot
seiner Freundin schrieb, sind für die Kenntnis der innern Beziehungen
jener geistig bewegten Zeit sowie für das Verständnis der ganzen Persönlichkeit Diderots
von der größten Wichtigkeit.
Der pekuniäre
Gewinn aus seinen
Schriften, selbst aus der »Encyclopédie«, war nur ein geringer, und
er dachte schon daran, seine
Bibliothek zu verkaufen, um seine Tochter aussteuern zu können, als seine
enthusiastische Bewunderin, die
Kaiserin
Katharina I. von Rußland, ihn auf edle, schonende Art seinen Verlegenheiten entriß:
sie kaufte ihm seine
Bibliothek für 15,000
Livres ab mit der
Bedingung, dieselbe, solange er lebe, zu behalten und für 1000
Livres
jährlichen
Gehalt zu verwalten, und ließ ihm den
Gehalt auf 50 Jahre vorausbezahlen;
dann lud sie ihn nach Petersburg [* 5] ein und lebte mit ihm einen Winter hindurch in vertraulichem Umgang, bis seine durch das rauhe Klima [* 6] noch mehr geschwächte Gesundheit die Rückkehr in die Heimat verlangte.
Eine Einladung
Friedrichs d. Gr., über
Berlin
[* 7] zu reisen, schlug
er aus und reiste über
Holland; seine
Eindrücke über Land und Leute legte er in der
Schrift
»Voyage de
Hollande« nieder. Nach
Paris
[* 8] zurückgekehrt und bis an sein Lebensende unermüdlich thätig, starb er, wie er gelebt hatte,
als
Philosoph und wurde in der
Kirche St.-Roch begraben. Diderot
war, nach
Goethes
Urteil, ein Schriftsteller,
der mehr die Absicht hatte, die
Freunde des Alten zu beunruhigen und eine
Revolution zu veranlassen, als ein neues Gebäude
zu errichten.
Nach allen Richtungen anregend, ist er nach keiner erschöpfend; er selbst hat von sich gesagt, daß er nur »Seiten« schreiben könne. Ohne in Journale zu schreiben, war er der erste Journalist seiner Zeit, ein Virtuose des Wortes in Rede und Schrift, der die Lebendigkeit des Gesprächs, in welchem er Meister war, in seine Schriftstellerei übertrug und daher die Form des Briefs oder des Dialogs jeder andern vorzog. Fast alle seine Schriften sind Gelegenheitsschriften, entweder an bestimmte Personen gerichtet, oder durch solche veranlaßt, selbst seine philosophischen.
Sein Stil gewinnt dadurch einen Zauber, den Goethe »hinreißend« nennt; auch seine tiefsinnigsten metaphysischen Abhandlungen, wie sein »Gespräch mit d'Alembert« und des letztern »Traum«, hat er durch Klarheit und Schwung zu rhetorischen Kunstwerken geformt. Als Philosoph hat er eine Reihe von Metamorphosen durchgemacht, die ihn vom Theismus zum Deismus, von diesem zum Atheismus und Materialismus führten. Wenigstens legt er in jenen Schriften, welche den reifsten Ausdruck seiner metaphysischen Überzeugungen darbieten, aller Materie Empfindung bei und verklärt sie dadurch selbst zu geistiger Natur. An die Stelle der Monaden des Leibniz setzt er Atome, in welchen, wie in jenen schlummernde Vorstellungen, so gebundene Empfindungen liegen. Dieselben werden bewußt im animalischen Organismus; aus den Empfindungen aber erwächst das Denken. Sein Atheismus beschränkt sich auf die Bemerkung gegen die Annahme eines persönlichen Gottes: dieselbe bedenke nicht, daß das große musikalische Instrument, welches wir Welt nennen, sich selbst spiele. Dagegen erkennt er in dem Naturgesetz und in der Wahrheit, Schönheit und Güte die Gottheit. - Seine Werke sind so zahlreich und so weit zerstreut worden, daß auch jetzt noch keine vollständige Ausgabe vorliegt; die beste und vollständigste ist von Assézat und Tourneux herausgegeben (1875 bis 1877, 20 Bde.). Seine philosophischen Schriften erschienen zuerst Amsterdam [* 9] 1772, 6 Bde., in lückenhafter ¶
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Gestalt und mit Fremdem vermischt. Seine litterarische Korrespondenz mit Grimm erschien 1829-31, 16 Bde., und 1878, 10 Bde.;
seine Korrespondenz mit Sophie Volland ist enthalten in den »Mémoires, correspondance et ouvrages inédits« (1841, 2 Bde.).
Seine einzige Tochter, Madame de Vandeul, hat »Mémoires pour servir à l'histoire de la vie et des ouvrages
de Diderot«
(1830) herausgegeben (abgedruckt an der Spitze der »Ouvrages inédits«).
Vgl. Fr. Raumer, Diderot
und seine Werke (Berl. 1843);
Rosenkranz, Diderots Leben und Werke (Leipz. 1866, 2 Bde.);
Sainte-Beuve, Portraits littéraires, Bd. 1 (neue Ausg., Par. 1869);
Hettner, Geschichte der französischen Litteratur im 18. Jahrhundert (4. Aufl., Braunschw. 1881);
Avezac-Lavigne, Diderot et la société du baron Holbach (Par. 1875);
J. ^[John] Morley, Diderot and the Encyclopaedists (Lond. 1878, 2 Bde.);
E. Scherer, Diderot, étude (Par. 1880).