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Dies Verfahren erregte in Deutschland [* 2] allgemeine Entrüstung, da man Bismarcks eigentliche Absichten nicht begriff. Indem das preußische Abgeordnetenhaus jede Verständigung mit der Regierung über die schleswig-holsteinische Frage grundsätzlich ablehnte, die geforderten Geldmittel verweigerte und die Resolution faßte, einer solchen deutsche Interessen preisgebenden Politik mit allen gesetzlichen Mitteln entgegentreten zu wollen, beraubte es Bismarck der Gelegenheit, das Haus über seine Pläne aufzuklären.
Man glaubte nicht anders, als daß Österreich [* 3] und Preußen [* 4] ihr Verfahren von 1850-51 wiederholen würden und die Bundestruppen nur beiseite schöben, um die Herzogtümer wie damals wehrlos an Dänemark [* 5] auszuliefern. Der Sechsunddreißiger-Ausschuß forderte geradezu zum Kriege gegen Österreich und Preußen auf, um sie an diesem Verrat zu hindern. Daß Bismarck sich auf den Boden des Londoner Protokolls stellte, um den Mächten jeden Vorwand zur Intervention zu benehmen, daß er die schwerfällige Bundesexekution beseitigte, um die Dinge zu einer raschen Entscheidung zu bringen und vor allem einen allgemeinen Krieg zu verhüten, ahnten wenige. Denn niemand hielt es für möglich, daß Dänemark im Vertrauen auf fremde Hilfe so hartnäckig sein würde, selbst die Novemberverfassung nicht ändern zu wollen.
Auch der glückliche Fortgang des schleswig-holsteinischen Kriegs, die Eroberung der Düppeler Schanzen (18. April) und die Besetzung eines großen Teils von Jütland, besänftigte die erzürnten Gemüter nicht ganz. Erst als auf der Londoner Konferenz, wo auch der Deutsche [* 6] Bund durch einen besondern Gesandten, Beust, vertreten war, Dänemark alle Vermittelungsvorschläge hartnäckig zurückwies und die deutschen Mächte sich vom Londoner Protokoll lossagten und gänzliche Trennung der Herzogtümer und Einsetzung des Herzogs von Augustenburg forderten, schwand das Mißtrauen im Volk gegen die geheimen Pläne der Großmächte. Am 1. Aug. kamen bereits die Friedenspräliminarien mit Dänemark und 30. Okt. der Wiener Friede zu stande, in welchem Dänemark beide Herzogtümer nebst Lauenburg [* 7] gemeinsam an Österreich und Preußen abtrat; die Herzogtümer übernahmen eine Quote der dänischen Staatsschuld (29 Mill. Reichsthaler) und sollten den beiden Mächten für die Erstattung der Kriegskosten haften.
Daß die Mächte sich die Erstattung ihrer Kosten vorbehielten, daß besonders Preußen von dem neuzubegründenden Mittelstaat gewisse Zugeständnisse für seine militärische und maritime Machtstellung verlangte, erschien selbstverständlich, und Preußen würde in einem großen Teil des Volkes, welcher sich für das immerhin zweifelhafte Erbrecht des Augustenburgers nur deshalb erwärmt hatte, weil es der einzige Rechtsboden für die vollständige Losreißung der Herzogtümer von Dänemark zu sein schien, jetzt, nachdem dieses Ziel auf anderm Weg erreicht war, auch für seine weiter gehenden Annexionspläne Sympathien gefunden haben, wenn nicht der Verfassungskonflikt noch immer bestanden hätte.
Das Abgeordnetenhaus gefiel sich in einer kleinlichen Opposition gegen Bismarcks so erfolgreiche auswärtige Politik, die Regierung anderseits mochte sich auch nicht zum kleinsten Zugeständnis in der Militärfrage verstehen. Die heftigsten Gegner der preußischen Forderungen auf gewisse Oberhoheitsrechte in Schleswig-Holstein [* 8] waren die Mittelstaaten, einmal, weil ein solches Verhältnis eines deutschen Staats zu Preußen ein gefährliches Präjudiz abgegeben und die Unionspolitik wieder ins Leben gerufen hätte, dann, weil sie in ihrem Selbstbewußtsein durch die Beiseiteschiebung der Bundesexekution und die Ende 1864 von den Mächten geforderte und auch erzwungene Räumung Holsteins von seiten der sächsischen und hannöverschen Exekutionstruppen auf das empfindlichste gekränkt waren.
Eine offene Opposition gegen Preußen wagten die Mittelstaaten 1864 noch nicht, denn gerade damals bedrohte sie Preußen mit Auflösung des Zollvereins, wenn sie bei ihrer Opposition gegen den französischen Handelsvertrag beharrten, und zwang sie zur Unterwerfung. Überdies hatten sie sich noch nicht mit Österreich verständigt. Aber auf ihren Antrieb geschah es, daß der Augustenburger die preußischen Forderungen, die Bismarck ihm in einer persönlichen Unterredung vorlegte, anzunehmen sich weigerte.
Bismarck faßte nun die Erwerbung der Herzogtümer für Preußen ernstlich ins Auge: [* 9] eine Adresse von preußischen Konservativen und eine andre von schleswig-holsteinischen Prälaten und Rittern verlangten einen möglichst engen Anschluß an Preußen. Die Ansprüche des Großherzogs von Oldenburg [* 10] wurden gegen die augustenburgischen ins Gefecht geführt, und ein Gutachten der preußischen Kronjuristen erklärte die letztern überhaupt für unberechtigt, da die frühere Verzichtleistung des Vaters des Herzogs Friedrich noch zu Recht bestehe, daß also König Christian IX. der berechtigte Erbe gewesen und durch den Wiener Frieden die beiden Mächte in dessen Recht eingetreten seien.
Zwar erhoben sich nicht bloß die Mittelstaaten gegen diese Deduktion, auch die Bevölkerung [* 11] Schleswig-Holsteins sprach sich in überwiegender Majorität für die Selbständigkeit des Landes aus, und der deutsche Liberalismus, der im Sechsunddreißiger-Ausschuß sein Organ hatte, forderte vor allem Berufung der schleswig-holsteinischen Stände, um das unveräußerliche Recht der Selbstbestimmung den Schleswig-Holsteinern zu wahren. Indes das Wichtigste für Preußen war die Auseinandersetzung mit dem Mitbesitzer Österreich, und so spitzte sich die schleswig-holsteinische Frage ebenso wie die deutsche zu einer Machtfrage zwischen den beiden Großmächten zu.
Österreich erkannte allmählich, daß es einen Fehler begangen hatte, als es sich in der schleswig-holsteinischen Frage von den deutschen Mittel- und Kleinstaaten, die es eben noch unter seiner Hegemonie hatte vereinigen wollen, trennte und aus Rücksicht auf seine Stellung als europäische Großmacht sich der preußischen Politik anschloß. Der Besitz Schleswig-Holsteins war ihm wertlos, ein territoriales Äquivalent von Preußen nicht zu erlangen, und die von diesem angebotene Allianz und Garantie seiner Besitzungen glaubte es entbehren zu können.
Nachdem Graf Rechberg Ende Oktober 1864 durch einen Militär, Mensdorff-Pouilly, ersetzt worden war, suchte dieser sich durch Begünstigung des Augustenburgers mit den Mittelstaaten zu verständigen und die Entscheidung in der Frage dem Bund in die Hände zu spielen. Am schlug Österreich in Berlin [* 12] vor, die Lande nunmehr thatsächlich dem Herzog Friedrich als dem bestlegitimierten Prätendenten zu übergeben und die Entscheidung über die übrigen Rechtsansprüche dem bundesmäßigen Austrägalgericht zu überweisen. Preußen lehnte das ab. Anderseits wies Österreich die in einer preußischen Note vom zusammengefaßten Bedingungen zurück, unter welchen Preußen allein die Errichtung eines selbständigen holsteinischen Staats gestatten wollte. Nicht ohne Zuthun Österreichs beschloß der Bundestag ¶
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mit neun gegen sechs Stimmen, daß dem Herzog von Augustenburg die Verwaltung des Landes übertragen werden solle.
Das Kondominat der beiden Mächte gestaltete sich immer unhaltbarer. Die beiden Zivilkommissare, der preußische, v. Zedlitz, und der österreichische, v. Halbhuber, gerieten bald in Differenzen, da dieser die augustenburgischen Agitationen und Demonstrationen begünstigte oder wenigstens duldete, der preußische darin eine Präjudizierung der preußischen Rechte erblickte. Gleichzeitig ging Preußen entschlossen vor, um seine Interessen in Schleswig-Holstein energisch zu wahren.
Eine Kabinettsorder verfügte die Verlegung der preußischen Ostsee-Flottenstation von Danzig [* 14] nach Kiel, [* 15] und Bismarck erklärte bei der Begründung einer Kreditforderung von 6 Mill. Thlr. für die Befestigung des Kieler Hafens im Abgeordnetenhaus, das sie natürlich ablehnte, 5. April, daß Preußen im Besitz des Kieler Hafens sei und in demselben zu bleiben gedenke. Die Spannung zwischen Preußen und Österreich wurde immer schärfer. Während ersteres in Holstein einige augustenburgische Agitatoren unter nachdrücklichem Protest des österreichischen Zivilkommissars unschädlich machte, stellten 27. Juli Bayern, [* 16] Sachsen [* 17] und Hessen-Darmstadt am Bunde den Antrag, daß eine frei gewählte Vertretung der Herzogtümer berufen und gehört, zugleich Einleitung zur Einverleibung Schleswigs in den Bund getroffen werden solle. Stimmte Österreich diesem Antrag zu, so war der Krieg erklärt. Indes es fühlte sich noch nicht genügend vorbereitet, und so verständigten sich beide Monarchen, Franz Joseph und Wilhelm I., noch einmal in der von Bismarck mit Graf Blome abgeschlossenen Konvention von Gastein dahin, daß, vorbehaltlich der gemeinsamen Rechte, Preußen die Regierung Schleswigs, Österreich die Holsteins übernehmen, ersteres den Kieler Hafen, das Mitbesatzungsrecht in Rendsburg, [* 18] Militäretappen, Post und Telegraphenrouten in Holstein erhalten und Lauenburg gegen Zahlung von 2½ Mill. dän. Reichsthaler an den König von Preußen fallen sollte.
Diese Konvention, welche den Bundestag ganz außer acht ließ, rief wieder zahlreiche Proteste der schleswig-holsteinischen Bevölkerung, einzelner deutscher Landtage und des deutschen Abgeordnetentags, der sich 1. Okt. in Frankfurt [* 19] versammelte, gegen die Vergewaltigung des Volksrechts hervor. Das Verhältnis der beiden Mächte in den Herzogtümern besserte sich keineswegs. Der preußische Gouverneur v. Manteuffel in Schleswig [* 20] führte ein strenges Regiment und schritt rücksichtslos gegen den Augustenburger und seine Anhänger ein, der österreichische, v. Gablenz, in Holstein machte sich durch Nachgiebigkeit gegen die Volksstimmung populär.
Die Beschwerden Bismarcks über die Begünstigung des Herzogs Friedrich durch Österreich, welches damit den Voraussetzungen des Wiener Friedens und des Gasteiner Vertrags zuwiderhandle, wurden vom Wiener Kabinett in gereiztem Ton zurückgewiesen. Anfang 1866 wurde die Kriegsfrage sowohl in Berlin als in Wien [* 21] ernstlich in Erwägung gezogen, und im Februar begannen die militärischen Vorbereitungen und Beratungen. Bismarck hatte sich auf einer Zusammenkunft mit Napoleon III. in Biarritz (Oktober 1865) vergewissert, daß Frankreich vorläufig eine zuwartende Haltung beobachten werde, und diese sich noch dadurch gesichert, daß er mit Italien, [* 22] das den General Govone nach Berlin geschickt, ein Bündnis schloß, welches demselben den Besitz Venetiens versprach. Österreich wandte sich dagegen den Mittel- und Kleinstaaten zu und nahm seinen natürlichen Platz an der Spitze der deutschen Territorien gegenüber den Unionsbestrebungen ein; zugleich schuf es sich durch Sistierung der Februarverfassung (September 1865) freie Hand im Innern.
In Deutschland gänzlich isoliert, in seinem Innern durch den Verfassungskonflikt und die scheinbare entschiedene Abneigung des Volkes gegen einen Krieg gelähmt, schien Preußen nachgeben oder unterliegen zu müssen. Am richtete Graf Mensdorff eine vertrauliche Note an die befreundeten deutschen Höfe, in welcher er die Absicht kundgab, die schleswig-holsteinische Sache dem Bund anheimzugeben und eine bestimmte Anfrage an Preußen über seine Politik zu richten, und sein Vertrauen aussprach, daß, im Fall die preußische Antwort nicht befriedigend ausfalle, die deutschen Staaten Österreichs Maßregeln unterstützen würden.
Bismarck erwiderte diesen Schritt mit einer Anfrage an die deutschen Regierungen (24. März), ob und in welchem Maß Preußen im Fall eines österreichischen Angriffs auf ihre Unterstützung rechnen dürfe, und mit der Ankündigung eines zeitgemäßen Bundesreformvorschlags. Die Antworten der Regierungen lauteten ablehnend oder ausweichend. Dennoch erfolgte der angekündigte Reformantrag im Bundestag 9. April und zwar dahin, »hohe Bundesversammlung wolle beschließen, eine aus direkten Wahlen und allgemeinem Stimmrecht der ganzen Nation hervorgehende Versammlung auf einen noch zu bestimmenden Tag einzuberufen, um die Vorlagen der Regierungen über eine Reform der Bundesverfassung entgegenzunehmen und zu beraten, bis zum Zusammentritt derselben aber durch Verständigung der Regierungen untereinander diese Vorlagen festzustellen«.
Hatte Bismarck von diesem Schritt einen Umschwung der öffentlichen Meinung erwartet, so täuschte er sich allerdings. Die Stimmung des Volkes in den meisten Ländern Deutschlands [* 23] war zwar einem »Bruderkrieg«, wie man den bevorstehenden Entscheidungskampf zwischen Preußen und Österreich um die Herrschaft in Deutschland nannte, abgeneigt, aber darum nicht weniger antipreußisch, und die meisten sahen in Bismarcks Antrag nur eine neue List, um Deutschland dem preußischen Militärdespotismus zu unterwerfen.
Die Unterhandlungen zwischen den beiden Mächten über eine gleichzeitige Abrüstung hatten keinen Erfolg, da Österreich dieselbe in Italien verweigerte und die Lösung der schleswig-holsteinischen Frage zwar unter möglichster Berücksichtigung der preußischen Ansprüche, aber nur innerhalb des bestehenden Bundesrechts anbot. So schritten denn beide Teile Anfang Mai zu allgemeiner Mobilmachung ihrer Streitkräfte, und auch in den Mittelstaaten wurde eifrig gerüstet.
Der Beschluß der mittelstaatlichen Konferenz zu Bamberg [* 24] (14. Mai), auf gegenseitige Abrüstung hinzuwirken, blieb erfolglos, da einige dieser Staaten, wie Sachsen und Hannover, [* 25] mit den Rüstungen [* 26] selbst angefangen hatten. Auch ein Vermittelungsversuch Frankreichs, Englands und Rußlands, die 28. Mai zu einer Konferenz der Mächte nach Paris [* 27] einluden, scheiterte an der Forderung Österreichs (1. Juni), daß es sich auf derselben um keine Territorialveränderung, vor allem nicht um die Abtretung Venetiens, handeln dürfe.
An demselben Tag that Österreich in Frankfurt den letzten entscheidenden Schritt, welcher den Krieg unvermeidlich machte: es gab die Entscheidung der schleswig-holsteinischen Frage dem Bund anheim, sicherte im voraus dem Spruch desselben seine bereitwilligste Anerkennung zu und teilte mit, daß der ¶