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Dennoch erkannten die österreichischen und mittelstaatlichen Politiker, daß Preußen [* 2] in Bismarck einen energischen, kühnen Staatsmann besaß, von dem man das Schlimmste befürchten mußte, und sie faßten daher den Plan, um Österreich [* 3] seine Stellung an der Spitze Deutschlands [* 4] zu retten und die Mittel- und Kleinstaaten vor einer preußischen Union zu bewahren, Preußen, solange es noch durch den Verfassungskonflikt gelähmt war, mit einer großdeutschen Bundesreform zuvorzukommen. Am trat auf Österreichs Einladung der deutsche Fürstentag unter Vorsitz des Kaisers von Österreich in Frankfurt [* 5] a. M. zur Beratung des von Schmerling verfaßten österreichischen Bundesreformprojekts zusammen.
Was bisher den Männern des Volkes und den Kabinetten mißlungen war, sollte hier durch den persönlichen Meinungsaustausch der Fürsten zu stande gebracht werden; es schien unmöglich, daß eine so ungewöhnliche Versammlung, welche in der Nation hochgespannte Erwartungen erregte, resultatlos auseinander gehen konnte. In der That erschienen fast alle deutschen Fürsten und Vertreter der Freien Städte; aber es fehlte der König von Preußen, welcher selbst eine persönliche Einladung Franz Josephs im Bad [* 6] Gastein (2. Aug.) ablehnend beantwortet hatte. Das österreichische Reformprojekt, welches den Fürsten in Frankfurt vorgelegt wurde, schlug vor, die Leitung der Bundesangelegenheiten mit erweiterter Befugnis einem Direktorium zu übertragen, welches aus dem Kaiser von Österreich, dem König von Preußen, dem von Bayern [* 7] und zwei andern alternierenden Fürsten bestehen sollte; ihm zur Seite sollte die Bundesversammlung der Vertreter der Regierungen stehen und in beiden Verhandlungen Österreich zur formellen Leitung der Geschäfte den Vorsitz führen; alle drei Jahre würde eine aus 300 Mitgliedern der Landtage bestehende Bundesdelegiertenversammlung zur Beratung und Beschlußfassung über die ihr vorzulegenden Gesetzvorlagen zusammentreten und deren Beschlüsse dann einem Fürstenrat zu freier Verständigung unterbreitet werden. Auch ein Bundesgericht war vorgeschlagen. In geheimen Sitzungen unter persönlicher Leitung des Kaisers Franz Joseph ward der Entwurf bis 1. Sept. durchberaten und in manchen Punkten verbessert; ein Krieg des Bundes zu gunsten eines Bundesstaats, welcher außerhalb des Bundesgebiets Besitzungen hat, sollte nur mit Zweidrittelmajorität beschlossen werden dürfen, besagte die endgültige Fassung und kam damit dem Interesse Österreichs schon weit genug entgegen.
Das Bundesreformprojekt wurde schließlich fast mit Stimmeneinheit angenommen, aber die Zustimmung Preußens [* 8] trotz einer Kollektiveinladung des Fürstentags an König Wilhelm nicht erreicht. In einem Bericht des preußischen Ministeriums vom 15. Sept. unterwarf Bismarck die österreichische Bundesreform einer scharfen Kritik, in welcher schließlich nochmals betont wurde, daß eine Bürgschaft dafür, daß Preußen nicht fremden Interessen geopfert werde, nur in einer aus direkter Beteiligung der ganzen Nation hervorgegangenen Nationalvertretung liege, da die Interessen und Wünsche des preußischen Volkes wesentlich und unzertrennlich identisch mit denen des deutschen Volkes seien.
Das war auch das Urteil des deutschen Abgeordnetentags, welcher, aus liberalen Mitgliedern der deutschen Landtage bestehend, sich gleichzeitig mit dem Fürstentag 21. und 22. Aug. in Frankfurt versammelte und bei aller Anerkennung der Tendenz des österreichischen Entwurfs denselben doch nicht für genügend erachten konnte. Aber eine Verständigung zwischen Bismarck und den Vertretern der Nation war unmöglich, solange der preußische Verfassungskonflikt nicht beendigt wurde, wozu bei der Hartnäckigkeit beider Teile keine Aussicht war. So war das Verdienst Preußens nur ein negatives; es hatte die österreichische Bundesreform verhindert, die nur ein Scheinwesen geschaffen hätte, und durch seinen erfolgreichen Widerspruch von neuem klar dargelegt, daß die deutsche Frage im Grund eine Machtfrage zwischen Österreich und Preußen war. Seine eignen positiven Vorschläge wurden aber von der Nation nicht ernst genommen, und die Entfremdung zwischen der preußischen Regierung und den eifrigsten Vertretern der deutschen Einheitsidee wurde durch die schleswig-holsteinische Frage vergrößert, die Ende 1863 durch den Tod des dänischen Königs Friedrich VII. wieder brennend wurde.
Die schleswig-holsteinische Frage und der deutsche Entscheidungskampf.
In Dänemark [* 9] hatte die eiderdänische Partei eben eine neue Verfassung zu stande gebracht, welche Holstein und Lauenburg [* 10] ihre Selbständigkeit ließ, Schleswig [* 11] aber völlig in den dänischen Staat einverleibte, und damit sowohl die alten Rechte auf die Vereinigung der Herzogtümer als die völkerrechtlichen Verpflichtungen Dänemarks verletzt, als der Tod des Königs Friedrich VII. (15. Nov.) den Prinzen von Glücksburg, Christian IX., auf Grund des Londoner Protokolls von 1852 auf den Thron [* 12] rief. Da dieser sich vom Kopenhagener Pöbel zur Bestätigung der Gesamtstaatsverfassung bewegen ließ, so weigerten sich die Stände und Einwohner der Herzogtümer, ihn als Landesherrn anzuerkennen, und proklamierten den Prinzen Friedrich von Augustenburg als ihren Herzog, dessen Thronfolge zugleich die ersehnte Trennung von Dänemark herbeiführte. Auch in Deutschland [* 13] erklärte sich die öffentliche Stimme allgemein für ihn; mehrere Volksvertretungen drangen auf seine Anerkennung, Sachsen [* 14] beantragte 28. Nov. beim Bundestag die Lossagung vom Londoner Protokoll, welches der Bund übrigens niemals anerkannt hatte, und 21. Dez. versammelten sich in Frankfurt 500 Abgeordnete aus allen Parteien, klein- und großdeutsche, sprachen sich für die gänzliche Trennung der Herzogtümer von Dänemark durch Anerkennung Friedrichs VIII. aus und setzten den Sechsunddreißiger-Ausschuß ein, um mit allen Mitteln hierfür zu agitieren. Indes die beiden Vormächte Österreich und Preußen schlossen sich dieser Bewegung nicht an, weil sie an das Londoner Protokoll gebunden waren und die Mächte, namentlich England, nicht zur Unterstützung Dänemarks zwingen wollten. Sie beharrten dabei, daß man sich mit dem Einspruch gegen die Novemberverfassung und mit der auf Grund desselben schon beschlossenen Bundesexekution begnügen müsse. Sie setzten auch ihren Willen 7. Dez. beim Bunde durch, und Ende Dezember rückten sächsische und hannöversche Truppen in Holstein ein, welches die Dänen ohne Widerstand räumten. Als sich jedoch der Bund weigerte, sich dem Standpunkt der Großmächte anzuschließen und bloß die Aufhebung der Novemberverfassung von Dänemark zu fordern, erklärten Österreich und Preußen, daß sie fortan die Geltendmachung der deutschen Rechte in ihre eigne Hand [* 15] nähmen. Trotz des Protestes der Bundestagsmajorität richteten sie Ende Januar an Dänemark die Aufforderung, die Novemberverfassung für Schleswig außer Kraft [* 16] zu setzen, und als dieselbe erfolglos blieb, ließen sie ohne Verständigung mit den Bundesexekutionskommissaren ihre Truppen in Holstein einrücken und 1. Febr. die schleswigsche Grenze überschreiten. ¶
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Dies Verfahren erregte in Deutschland allgemeine Entrüstung, da man Bismarcks eigentliche Absichten nicht begriff. Indem das preußische Abgeordnetenhaus jede Verständigung mit der Regierung über die schleswig-holsteinische Frage grundsätzlich ablehnte, die geforderten Geldmittel verweigerte und die Resolution faßte, einer solchen deutsche Interessen preisgebenden Politik mit allen gesetzlichen Mitteln entgegentreten zu wollen, beraubte es Bismarck der Gelegenheit, das Haus über seine Pläne aufzuklären.
Man glaubte nicht anders, als daß Österreich und Preußen ihr Verfahren von 1850-51 wiederholen würden und die Bundestruppen nur beiseite schöben, um die Herzogtümer wie damals wehrlos an Dänemark auszuliefern. Der Sechsunddreißiger-Ausschuß forderte geradezu zum Kriege gegen Österreich und Preußen auf, um sie an diesem Verrat zu hindern. Daß Bismarck sich auf den Boden des Londoner Protokolls stellte, um den Mächten jeden Vorwand zur Intervention zu benehmen, daß er die schwerfällige Bundesexekution beseitigte, um die Dinge zu einer raschen Entscheidung zu bringen und vor allem einen allgemeinen Krieg zu verhüten, ahnten wenige. Denn niemand hielt es für möglich, daß Dänemark im Vertrauen auf fremde Hilfe so hartnäckig sein würde, selbst die Novemberverfassung nicht ändern zu wollen.
Auch der glückliche Fortgang des schleswig-holsteinischen Kriegs, die Eroberung der Düppeler Schanzen (18. April) und die Besetzung eines großen Teils von Jütland, besänftigte die erzürnten Gemüter nicht ganz. Erst als auf der Londoner Konferenz, wo auch der Deutsche [* 18] Bund durch einen besondern Gesandten, Beust, vertreten war, Dänemark alle Vermittelungsvorschläge hartnäckig zurückwies und die deutschen Mächte sich vom Londoner Protokoll lossagten und gänzliche Trennung der Herzogtümer und Einsetzung des Herzogs von Augustenburg forderten, schwand das Mißtrauen im Volk gegen die geheimen Pläne der Großmächte. Am 1. Aug. kamen bereits die Friedenspräliminarien mit Dänemark und 30. Okt. der Wiener Friede zu stande, in welchem Dänemark beide Herzogtümer nebst Lauenburg gemeinsam an Österreich und Preußen abtrat; die Herzogtümer übernahmen eine Quote der dänischen Staatsschuld (29 Mill. Reichsthaler) und sollten den beiden Mächten für die Erstattung der Kriegskosten haften.
Daß die Mächte sich die Erstattung ihrer Kosten vorbehielten, daß besonders Preußen von dem neuzubegründenden Mittelstaat gewisse Zugeständnisse für seine militärische und maritime Machtstellung verlangte, erschien selbstverständlich, und Preußen würde in einem großen Teil des Volkes, welcher sich für das immerhin zweifelhafte Erbrecht des Augustenburgers nur deshalb erwärmt hatte, weil es der einzige Rechtsboden für die vollständige Losreißung der Herzogtümer von Dänemark zu sein schien, jetzt, nachdem dieses Ziel auf anderm Weg erreicht war, auch für seine weiter gehenden Annexionspläne Sympathien gefunden haben, wenn nicht der Verfassungskonflikt noch immer bestanden hätte.
Das Abgeordnetenhaus gefiel sich in einer kleinlichen Opposition gegen Bismarcks so erfolgreiche auswärtige Politik, die Regierung anderseits mochte sich auch nicht zum kleinsten Zugeständnis in der Militärfrage verstehen. Die heftigsten Gegner der preußischen Forderungen auf gewisse Oberhoheitsrechte in Schleswig-Holstein [* 19] waren die Mittelstaaten, einmal, weil ein solches Verhältnis eines deutschen Staats zu Preußen ein gefährliches Präjudiz abgegeben und die Unionspolitik wieder ins Leben gerufen hätte, dann, weil sie in ihrem Selbstbewußtsein durch die Beiseiteschiebung der Bundesexekution und die Ende 1864 von den Mächten geforderte und auch erzwungene Räumung Holsteins von seiten der sächsischen und hannöverschen Exekutionstruppen auf das empfindlichste gekränkt waren.
Eine offene Opposition gegen Preußen wagten die Mittelstaaten 1864 noch nicht, denn gerade damals bedrohte sie Preußen mit Auflösung des Zollvereins, wenn sie bei ihrer Opposition gegen den französischen Handelsvertrag beharrten, und zwang sie zur Unterwerfung. Überdies hatten sie sich noch nicht mit Österreich verständigt. Aber auf ihren Antrieb geschah es, daß der Augustenburger die preußischen Forderungen, die Bismarck ihm in einer persönlichen Unterredung vorlegte, anzunehmen sich weigerte.
Bismarck faßte nun die Erwerbung der Herzogtümer für Preußen ernstlich ins Auge: [* 20] eine Adresse von preußischen Konservativen und eine andre von schleswig-holsteinischen Prälaten und Rittern verlangten einen möglichst engen Anschluß an Preußen. Die Ansprüche des Großherzogs von Oldenburg [* 21] wurden gegen die augustenburgischen ins Gefecht geführt, und ein Gutachten der preußischen Kronjuristen erklärte die letztern überhaupt für unberechtigt, da die frühere Verzichtleistung des Vaters des Herzogs Friedrich noch zu Recht bestehe, daß also König Christian IX. der berechtigte Erbe gewesen und durch den Wiener Frieden die beiden Mächte in dessen Recht eingetreten seien.
Zwar erhoben sich nicht bloß die Mittelstaaten gegen diese Deduktion, auch die Bevölkerung [* 22] Schleswig-Holsteins sprach sich in überwiegender Majorität für die Selbständigkeit des Landes aus, und der deutsche Liberalismus, der im Sechsunddreißiger-Ausschuß sein Organ hatte, forderte vor allem Berufung der schleswig-holsteinischen Stände, um das unveräußerliche Recht der Selbstbestimmung den Schleswig-Holsteinern zu wahren. Indes das Wichtigste für Preußen war die Auseinandersetzung mit dem Mitbesitzer Österreich, und so spitzte sich die schleswig-holsteinische Frage ebenso wie die deutsche zu einer Machtfrage zwischen den beiden Großmächten zu.
Österreich erkannte allmählich, daß es einen Fehler begangen hatte, als es sich in der schleswig-holsteinischen Frage von den deutschen Mittel- und Kleinstaaten, die es eben noch unter seiner Hegemonie hatte vereinigen wollen, trennte und aus Rücksicht auf seine Stellung als europäische Großmacht sich der preußischen Politik anschloß. Der Besitz Schleswig-Holsteins war ihm wertlos, ein territoriales Äquivalent von Preußen nicht zu erlangen, und die von diesem angebotene Allianz und Garantie seiner Besitzungen glaubte es entbehren zu können.
Nachdem Graf Rechberg Ende Oktober 1864 durch einen Militär, Mensdorff-Pouilly, ersetzt worden war, suchte dieser sich durch Begünstigung des Augustenburgers mit den Mittelstaaten zu verständigen und die Entscheidung in der Frage dem Bund in die Hände zu spielen. Am schlug Österreich in Berlin [* 23] vor, die Lande nunmehr thatsächlich dem Herzog Friedrich als dem bestlegitimierten Prätendenten zu übergeben und die Entscheidung über die übrigen Rechtsansprüche dem bundesmäßigen Austrägalgericht zu überweisen. Preußen lehnte das ab. Anderseits wies Österreich die in einer preußischen Note vom zusammengefaßten Bedingungen zurück, unter welchen Preußen allein die Errichtung eines selbständigen holsteinischen Staats gestatten wollte. Nicht ohne Zuthun Österreichs beschloß der Bundestag ¶