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Revolution und der Anarchie. Denn die Versammlung, in welcher das Verfahren des Königs den radikalen Elementen wieder das Übergewicht verschaffte, konnte sich nicht ohne weiteres von ihrem Rechtsboden, der Reichsverfassung, verdrängen lassen und mußte versuchen, die gefaßten Beschlüsse auch ohne und gegen den König von Preußen [* 2] durchzuführen. Am 4. Mai forderte sie die gesamte Nation, Volk und Regierungen, auf, die beschlossene Verfassung des Deutschen Reichs zur Geltung zu bringen. Sie entfesselte damit eine Bewegung, deren sich die Republikaner und Revolutionäre mit ungeduldiger Begierde bemächtigten, und die der Versammlung selbst bald über den Kopf wuchs und ihre Auflösung herbeiführte.
Die Bewegung begann in der Pfalz, wo eine große Volksversammlung in Kaiserslautern [* 3] 1. Mai bayrischen Regierung den Gehorsam aufkündigte, weil sie die Reichsverfassung anzuerkennen sich weigerte, und einen Landesverteidigungsausschuß einsetzte; zu gleicher Zeit kam es in Dresden [* 4] zu einem Aufstand, vor dem der König und seine Minister auf den Königstein flüchteten. Nach mehrtägigen Barrikadenkämpfen ward mit Hilfe preußischer Bataillone die Erhebung in Dresden 9. Mai unterdrückt.
Indes trotz dieser Niederlage an Einer Stelle griff die Bewegung weiter und weiter: in Hessen, [* 5] Baden, [* 6] am Rhein, in Frankfurt, [* 7] in Württemberg [* 8] und Franken forderte man in stürmischen Volksversammlungen schleunigste Bewaffnung und Organisation zur Durchführung der Reichsverfassung. In mehreren rheinischen Städten kam es zu gewaltsamen Konflikten mit dem Militär und zu offener Gehorsamsverweigerung der eingezogenen Landwehr. Zum vollen Durchbruch aber kam die neue Revolution indem seit langem unterwühlten Baden, obwohl Großherzog und Regierung die Reichsverfassung mit zuerst und unumwunden anerkannt hatten. In Freiburg [* 9] und Rastatt [* 10] brachen die Soldaten 11. Mai offene Meuterei aus und verbündeten sich mit den Bürgerwehren; eine Empörung der Garnison in Karlsruhe [* 11] 14. Mai zwang den Großherzog mit den Behörden zur Flucht, und das ganze Land unterwarf sich nun dem republikanischen Landesausschuß, welcher 17. Mai mit der revolutionären Regierung der Pfalz ein Schutz u. Trutzbündnis abschloß. Die Bewegung verpflanzte sich schon in bedrohlicher Weise nach Württemberg.
Die Reichsgewalt war dem gegenüber ohnmächtig. Am 10. Mai hatte das
Ministerium
Gagern seine Entlassung genommen und der
Reichsverweser 16. Mai ein
neues durch ein Mitglied der äußersten
Rechten, den preußischen
Justizrat
Grävell, gebildet, welches
beim
Parlament nicht den geringsten Einfluß hatte und daher die
Auflösung der Versammlung beschleunigte. Diese selbst trug
durch ihre radikalen Beschlüsse nach
Kräften bei. Am 10. Mai nahm sie einen energischen
Protest gegen
Preußens
[* 12] »Reichsfriede
nsbruch«
in
Sachsen
[* 13] an; ein Beschluß vom 12. verlangte die Verpflichtung der gesamten bewaffneten Macht
Deutschlands
[* 14] auf die
Reichsverfassung. Am 14. Mai rief darauf die
Berliner
[* 15]
Regierung die preußischen Abgeordneten ab, am 21. folgte ihr
Sachsen,
am 23.
Hannover,
[* 16] und am 20. zeigte der Rest der erbkaiserlichen
Partei, 90 Mitglieder,
Gagern an der
Spitze, seinen
Austritt an.
Da sich inzwischen in der
Nähe
Frankfurts Truppenmassen zusammenzogen und die Anwesenheit in
Stuttgart
[* 17] der
Revolution in
Württemberg möglicherweise zum
Sieg verhalf, so beschloß das
Parlament 30. Mai, seine nächste
Sitzung 4. Juni
Stuttgart
abzuhalten.
Dort trat die Versammlung, noch 104 Mitglieder zählend (Rumpfparlament), 6. Juni unter Löwes Vorsitz wieder zusammen, setzte zum Zweck der Durchführung der Reichsverfassung eine Reichsregentschaft ein, welche aus fünf Mitgliedern, Raveaux, K. Vogt, H. Simon, Schüler und Becher, [* 18] bestand, stellte 16. Juni die Bewegungen in Baden und der Pfalz unter den Schutz des Deutschen Reichs und forderte von der württembergischen Regierung Truppen zur Ausführung ihrer Beschlüsse.
Der Minister Römer, [* 19] in die Mitte gestellt zwischen eine hoffnungslose Revolution und die Pflichten gegen das eigne Land, lehnte dies Ansinnen ab, forderte von der Versammlung ihre Verlegung in einen andern Staat und verhinderte 18. Juni ihren Zusammentritt durch militärische Gewalt. Zu einer fernern Sitzung kam es nicht mehr, und so endete in kläglicher Ohnmacht die erste deutsche Nationalversammlung, auf welche das deutsche Volk die höchsten Hoffnungen gesetzt hatte.
Obwohl nicht ohne Schuld an dem Scheitern ihres Werkes, lebte diese Versammlung, welche die besten Geister der Nation vereinigt hatte, dennoch als eine große und rühmliche Erinnerung im Volk fort, an welcher es sich während der nun folgenden Mißregierung trösten und erheben konnte; und auch ihre Arbeit war nicht vergeblich: die Reichsverfassung von 1849 blieb das Ideal der deutschen Einheitsbestrebungen und das Muster, auf das die Zukunft mit Glück zurückgreifen konnte.
Wiederherstellung des Bundestags.
Inzwischen war es den preußischen und Reichstruppen gelungen, den Aufruhr in der Pfalz und in Baden zu dämpfen, in letzterm Land allerdings nicht ohne blutige Kämpfe, in welchen sich aber die Überlegenheit der preußischen Armee bewährte. Als Friedrich Wilhelm IV. Sachsen durch seine in Dresden geleistete Hilfe gerettet hatte und sich anschickte, den bedrängten süddeutschen Fürsten Hilfe zu bringen, unternahm er es, früherer Verheißungen eingedenk, die Herstellung der deutschen Einheit unter Preußens Führung auf dem Weg freier Zustimmung der deutschen Regierungen, auch Österreichs, zu erreichen.
Eine Proklamation an das Volk vom 15. Mai enthielt die Grundzüge der beabsichtigten preußischen Union: die zu vereinbarende Verfassung werde eine einheitliche Exekutive und freiheitliche Institutionen, gesichert durch eine gesetzgebende Volksvertretung, errichten;
die Reichsverfassung sollte ihr zu Grunde gelegt, mit Österreich [* 20] ein besonderes Bundesverhältnis vereinbart werden.
Ein in diesem Sinn abgefaßter Entwurf war dem Dreikönigsbündnis zu Grunde gelegt, welches Preußen, Sachsen und Hannover 26. Mai auf ein Jahr abschlossen. Die erbkaiserliche Partei des Frankfurter Parlaments war geneigt, den Entwurf zu unterstützen; auf einer Versammlung zu Gotha [* 21] (26. Juni) sprachen sich 130 von 148 Mitgliedern für die neue Verfassung aus. Bis zum September schlossen sich 21 deutsche Staaten dem Dreikönigsbündnis an, 5 andre zeigten sich geneigt. Nur Bayern [* 22] und Württemberg weigerten sich entschieden, der preußischen Union beizutreten, und fanden hierbei jetzt einen mächtigen Rückhalt an Österreich, dessen Bedrängnis in Ungarn [* 23] Friedrich Wilhelm nicht durch rasches Handeln ausgebeutet hatte, und das nun nach Unterdrückung der ungarischen Insurrektion mit russischer Hilfe sofort die Wiederherstellung des alten Bundestags in Angriff nahm. Ja, Preußen bahnte ihm selbst hierzu die Wege, indem es mit Österreich das sogen. Interim schloß, einen Vertrag zur Einsetzung einer provisorischen Bundesgewalt, die durch je zwei Bevollmächtigte beider Staaten bis in Frankfurt ausgeübt werden sollte. In die Hand [* 24] dieser Gewalt ¶
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legte der Reichsverweser 20. Dez. sein längst ohnmächtiges, für die preußische Unionspolitik aber immerhin störendes Amt nieder. Als der Verwaltungsrat der Union 19. Okt. die Wahlen für das Volkshaus auf ausschrieb und dann den künftigen Reichstag zum 20. März nach Erfurt [* 26] berief, wogegen Österreich sofort protestierte, nahmen Sachsen und Hannover an diesen Akten schon nicht mehr teil, weil ihre Voraussetzung der Vereinigung aller deutschen Staaten durch Bayerns und Württembergs Weigerung nicht erfüllt sei, sagten sich im Februar 1850 ganz vom Dreikönigsbündnis los und schlossen mit den süddeutschen Königreichen das Vierkönigsbündnis ab, in welchem ein neuer Verfassungsentwurf mit einer Volksvertretung von 300 durch die Kammern der Einzelstaaten zu wählenden Mitgliedern aufgestellt wurde. Österreich erklärte sich bereit, dem Bund beizutreten, wenn ihm der Eintritt mit dem ganzen Umfang seiner Staaten ermöglicht würde.
Die zaudernde, schwächliche Politik der Regierung zu Berlin, [* 27] wo sich zwei Parteien, zwischen denen der König schwankte, bekämpften, indem die eine die Unionspolitik bis an die Grenze des Möglichen verfocht, die andre die Union als ein Gewächs der Revolutionszeit verabscheute, mußte ihre Gegner immer mehr ermutigen. Zwar wurde das Erfurter Parlament mit einer entschieden unionistischen Rede des Generals v. Radowitz eröffnet, und die Majorität desselben nahm 17. April den Verfassungsentwurf des Dreikönigsbündnisses mit Verzicht auf jede Einzelberatung an, setzte aber dadurch die unentschlossene preußische Regierung in solche Verlegenheit, daß dieselbe das Parlament 29. April plötzlich vertagte, um es nicht wieder zusammenzuberufen.
Als Österreich hierauf sämtliche Mitglieder des Deutschen Bundes einlud, zum 10. Mai ihre Gesandten nach Frankfurt zu schicken, antwortete Preußen mit der Berufung der Unionsfürsten nach Berlin, und die Kleinstaaten folgten fast alle seinem Ruf, während die vier Könige, ferner Dänemark, [* 28] die Niederlande [* 29] und die beiden Hessen die österreichische Partei ergriffen. Die Unionsfürsten wurden aber den ganzen Sommer hindurch mit leeren Verhandlungen hingehalten und ihnen der Rücktritt von der Union förmlich nahegelegt.
Einer nach dem andern benutzte diese Freiheit, um sich dem Frankfurter Kongreß anzuschließen oder Beziehungen zu ihm anzuknüpfen, um so mehr, da derselbe energisch vorging, sich für den alten nur suspendierten, nicht aufgehobenen Bundestag erklärte und als solcher unter Vorbehalt des demnächstigen Eintritts der wenigen Staaten, welche noch zur Union hielten, seine Sitzungen unter dem Vorsitz Österreichs wieder eröffnete. Er bekam sofort Gelegenheit, seine Macht der preußischen Unionspolitik gegenüber zu erproben.
Der Kurfürst von Hessen hatte mit Hassenpflugs Hilfe die Verfassung von 1831 zu stürzen versucht, war aber bei dem einmütigen, entschlossenen Widerstand des Landes 12. Sept. nach Frankfurt entflohen und rief nun hier die Hilfe des Bundes an. Er erwirkte auch 21. Sept. einen ihm günstigen Bundesbeschluß. Auf einer Zusammenkunft des Kaisers von Österreich mit den Königen von Bayern und Württemberg in Bregenz [* 30] (10.-14. Okt. 1850) wurde verabredet, in Kurhessen von Bundes wegen zu intervenieren und das Land durch ein österreichisch-bayrisches Heer besetzen zu lassen. Am 25. Okt. beschloß der Bund die Intervention, und 1. Nov. überschritt das Exekutionsheer die kurhessische Grenze. Zu gleicher Zeit ratifizierte der Bund den Frieden mit Dänemark, den Preußen, nachdem der Krieg 1849 von neuem ausgebrochen, aber bereits 10. Juli d. J. durch einen Waffenstillstand beendet worden war, zu Berlin abgeschlossen hatte; man überließ die Herzogtümer nicht bloß ihrem Schicksal, sondern erwog auch bereits eine Bundesexekution, um sie dem Verlangen der europäischen Mächte gemäß zur Unterwerfung unter Dänemark zu zwingen.
Preußen schien zu mannhafter Verteidigung seiner Unionspolitik entschlossen: am 26. Sept. war Radowitz, die Seele derselben, zum Minister des Auswärtigen ernannt worden, und preußische Truppen rückten in Kurhessen ein und besetzten die vertragsmäßigen Etappenstraßen. Angesichts des drohenden Konflikts wendeten sich beide Mächte, Österreich und Preußen, an Rußland. Kaiser Franz Joseph begab sich selbst zu einer Zusammenkunft mit Kaiser Nikolaus nach Warschau [* 31] (26.-28. Okt. 1850), Friedrich Wilhelm schickte seinen Ministerpräsidenten, den Grafen Brandenburg, [* 32] dahin.
Der hochmütige Zar, der sich berufen glaubte, die Revolution in ganz Europa [* 33] bis zur Wurzel [* 34] auszurotten, stellte sich entschieden auf die Seite Österreichs. Friedrich Wilhelm wurde nun wieder schwankend. Die Armee wurde zwar 6. Nov. mobil gemacht, aber Radowitz entlassen und durch Manteuffel ersetzt. Dieser erbot sich zur Befolgung der Bundesbeschlüsse betreffs Kurhessens und Schleswig-Holsteins und verlangte nur noch freie Verhandlung über die Verfassungsfrage.
Aber Schwarzenberg forderte die sofortige Anerkennung des Bundestags und Auflösung der Union, also bedingungslose Unterwerfung. Schon kam es in Kurhessen bei Bronnzell 8. Nov. zwischen preußischen und Bundestruppen zu einer Plänkelei. Aber da die Mobilmachung erhebliche Schäden im preußischen Heerwesen aufgedeckt hatte, wagte der König keinen Krieg und zog die demütige Unterwerfung unter Österreichs Bedingungen vor. Am 29. Nov. unterzeichnete Manteuffel den Olmützer Vertrag, welcher Preußen den Verzicht auf sein Unionsprojekt und auf die mit Baden, Anhalt, [* 35] Mecklenburg [* 36] und Braunschweig [* 37] abgeschlossenen Militärkonventionen, die Räumung von Baden und Hessen und die Rückführung der schleswig-holsteinischen Armee hinter die Eider durch preußisch-österreichische Kommissare auferlegte; die deutsche Verfassungsfrage sollte auf freien Ministerkonferenzen verhandelt werden.
Ende November kehrten der Kurfürst und Hassenpflug unter dem Schutz der Exekution nach Kassel [* 38] zurück und schalteten nach Beseitigung der Verfassung von 1831 nach Willkür und Laune im Land. Am trafen die österreichisch-preußischen Kommissare in Kiel [* 39] ein, lösten die schleswig-holsteinische Landesversammlung und das Heer auf und überlieferten das Land wehrlos den Dänen. Die zur Beratung der Verfassungsfrage berufenen freien Dresdener Konferenzen wurden eröffnet, brachten aber bei dem hochmütigen Verhalten Österreichs, das auch nicht die geringste Konzession zu machen gewillt war, nach monatelangen Verhandlungen (bis nur einen Stoß Protokolle zu stande, die als »schätzbares Material« für die deutsche Frage in das Bundesarchiv wanderten. Schon Ende März 1851 forderte Preußen die Staaten der Union auf, gleich ihm selbst den alten Bundestag wieder zu beschicken.
Unter dem Schutz des alten Bundestags, der am eine Bundeszentralkommission einsetzte, welche die Aufgabe hatte, die bestehenden ¶