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Straßenaufstand 18. März, der in gewisser Beziehung siegreich blieb, die schwankende Haltung des Königs und die Schwäche der preußischen Behörden raubten der Regierung Preußens [* 2] gerade in dem Augenblick die notwendige Autorität und Kraft, [* 3] wo sie an die Spitze der deutschen Bewegung hätte treten müssen. Erst jetzt erteilte der König seine Zustimmung zu der Berufung einer preußischen Nationalversammlung, welche dem Staat eine liberale Verfassung geben sollte.
Dieselbe trat 22. Mai zusammen, beriet das ganze Jahr hindurch, stürzte ein Ministerium nach dem andern und untergrub das Ansehen der Regierung im eignen Lande durch Einmischung in die Verwaltung. Zugleich steigerte sie den Haß des Königs gegen den Liberalismus durch anmaßende Eingriffe in seine Rechte und machte ihn auch der deutschen Bewegung abgeneigt, kurz lähmte Preußens Aktion nach außen so, daß man in Frankfurt [* 4] sich bald jeder Rücksicht auf den im Grunde doch unerschütterten und im Besitz wirklich bedeutender Machtmittel befindlichen Staat überhoben glaubte.
Am 30. März war nämlich in Frankfurt das Vorparlament unter Mittermaiers Vorsitz zusammengetreten. Es bestand aus über 500 Mitgliedern, darunter 141 Preußen, [* 5] 84 Darmstädter, 75 Badenser, aber nur 2 Österreicher. Statt sich auf das Notwendigste zu beschränken, da es eine wirklich berechtigte Volksvertretung doch nicht war, und mit den Regierungen die Grundlagen der Reichsverfassung und die Berufung der Nationalversammlung zu vereinbaren, faßte es eine Anzahl schwer ausführbarer Resolutionen, wie Aufnahme Schleswigs in den Deutschen Bund, Sühnung des an Polen begangenen Unrechts, Proklamation der Volkssouveränität u. dgl., und ließ sich mit den Republikanern Hecker und Struve auf eine heftige Debatte über die Vorzüge der Republik ein; als diese sich geschlagen sahen, suchten sie durch eine gewaltsame Schilderhebung im badischen Oberland ihr Ziel zu erreichen, die aber 20. April bei Kandern sofort unterdrückt wurde.
Schließlich übertrug das Vorparlament mit Zustimmung der Regierungen seine Aufgabe einem Fünfzigerausschuß, der am 7. April mit der Vorbereitung der Wahlen für die Nationalversammlung begann; in allen Ländern des bisherigen deutschen Bundesgebiets, außerdem in der Provinz Preußen sollten durch allgemeine Wahlen die Deputierten (je einer auf 50,000 Seelen) gewählt werden. Während eine Kommission der 17 Vertrauensmänner einen Verfassungsentwurf ausarbeitete, der ein erbliches, unverantwortliches Reichsoberhaupt, verantwortliche Minister und Einheit in Wehr- und Rechtsverfassung, Diplomatie und Verwaltung verlangte, fanden die Wahlen statt, von denen einige slawische Bezirke Österreichs sich ausschlossen.
Die Eröffnung der ersten deutschen Nationalversammlung, die 586 Mitglieder zählte, erfolgte 18. Mai der Paulskirche zu Frankfurt a. M. Heinrich v. Gagern wurde zum Präsidenten, Soiron zum Vizepräsidenten gewählt. Es war eine Reihe der trefflichsten Männer hier vereinigt, darunter die bedeutendsten Gelehrten (an 100) Deutschlands. [* 6] Aber die mangelnde politische Schulung machte sich in einer allzu idealistischen Geringschätzung der praktischen Verhältnisse und der staatlichen Faktoren, mit denen man zu rechnen hatte, geltend.
Die augenblickliche Schwäche und Unthätigkeit der Regierungen verleitete die Versammlung, sich, als lediglich aus dem Volkswillen hervorgegangen, für souverän zu halten und jede Mitwirkung der Regierungen bei der Schaffung der neuen Reichsverfassung auszuschließen; übrigens konnte sie sich selbst nicht einmal über einen Verfassungsentwurf als Grundlage einigen. Ein Zentral- und Vermittelungsorgan für die Verständigung mit den Regierungen wurde nicht geschaffen, vielmehr 27. Mai auf Antrag Wernhers der souveräne Standpunkt der Nationalversammlung dahin präzisiert, daß den Bestimmungen der künftigen deutschen Verfassung prinzipiell der Vorrang vor widersprechenden Bestimmungen einzelner Landesverfassungen gebühre.
Nur die äußerste Rechte, die Konservativen (Partei Milani) unter der Führung von Radowitz und Vincke, verlangte die Vereinbarung der Verfassung mit den Einzelregierungen und die Beschränkung der Versammlung auf diese eine Aufgabe. Das rechte Zentrum (Kasinopartei, Bassermann, Mathy, Beckerath, Dahlmann, Heckscher, Simson, Welcker, Schmerling u. a.) wollte zwar Rücksichten auf die Staaten nehmen, hielt aber prinzipiell an der Souveränität der Versammlung fest, noch mehr das linke Zentrum (Württemberger Hof) [* 7] und die gemäßigte Linke.
Die Linke endlich (Deutscher Hof) forderte Volkssouveränität mit allgemeinem Wahlrecht, ausschließliche Überlassung der gesetzgebenden Gewalt an die Volksvertretung, eine verantwortliche, auf bestimmte Zeit gewählte Vollziehungsbehörde und Berechtigung jedes Einzelstaats, sich nach eigner Wahl als demokratischer Freistaat oder als demokratische Monarchie zu konstituieren; sie neigte also entschieden zur Republik hin, deren revolutionärste Prinzipien die äußerste Linke ganz offen bekannte.
Als sich das Bedürfnis nach einer provisorischen Exekutive, einer Zentralgewalt, dennoch herausstellte, wählte man nicht, wie Dahlmann vorschlug, gemeinsam mit den Regierungen drei Vertrauensmänner, sondern auf Betrieb des Österreichers Schmerling 29. Juni einen Reichsverweser in der Person des persönlich sehr populären Erzherzogs Johann von Österreich. [* 8] Obwohl sich Preußen durch diese Wahl nicht verletzt zeigte, war sie doch um so unkluger, als Österreich damals durch innere Wirren so in Anspruch genommen war, daß es dem Reichsverweser und dem Parlament gar keinen Machtrückhalt hätte gewähren können, selbst wenn es gewollt hätte.
Auf Österreich, das ohnmächtig war, nahm die Frankfurter Versammlung zu viel Rücksicht, auf Preußen, dessen man nicht entbehren konnte, gar keine. Erzherzog Johann traf 11. Juli Frankfurt ein, löste 12. Juli gemäß Parlamentsbeschluß den Bundestag auf und bildete ein Reichsministerium, das unter dem Vorsitz des Fürsten von Leiningen aus Schmerling für Inneres und Äußeres, dem preußischen General v. Peucker für Kriegswesen, dem Hamburger Advokaten Heckscher für die Justiz, Beckerath für die Finanzen und Duckwitz aus Bremen [* 9] für Handel bestand.
Der preußische Antrag, neben dieser Zentralgewalt die Bevollmächtigten der einzelnen Staaten zu einem Rat zu vereinigen, der die organische Verbindung der Reichsregierung mit denen der Staaten herstelle, wurde abgelehnt. Dagegen erließ das Reichsministerium direkte Befehle an die letztern, wie z. B. den der allgemeinen Huldigung für den Reichsverweser durch die Landestruppen, der in Österreich ganz unbeachtet blieb, in Preußen aber einen Armeebefehl des Königs vom 21. Juli zur Folge hatte, in welchem derselbe seine Zustimmung zur Wahl des Reichsverwesers aussprach. Weitere Konflikte in dieser Frage wurden übrigens vermieden, indem sich die Nationalversammlung nun endlich der Beratung der Verfassung und zwar zunächst des von Dahlmann, R. v. Mohl und Mühlfeld ausgearbeiteten Entwurfs der ¶
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»Grundrechte des deutschen Volkes« zuwendete. Die Debatten über diese theoretischen Paragraphen waren eingehend, teilweise gediegen und mitunter heftig, zogen sich aber endlos hin und wurden durch eine wichtige Frage der auswärtigen Politik unterbrochen.
Das Parlament und die Zentralgewalt hatten den Versuch gemacht, Deutschland [* 11] dem Ausland gegenüber als einen einheitlichen Staat zu repräsentieren. Aber ihre Bevollmächtigten hatten an den Höfen der Großmächte ebensowenig eine förmliche Anerkennung erlangen können wie die neue schwarz-rot-goldene Kriegs- und Handelsflagge. Dennoch beanspruchten sie, auch in der äußern Politik die höchste Instanz für die deutschen Staaten zu bilden. Als die Erhebung Schleswig-Holsteins gegen Dänemark [* 12] im März 1848 wegen ungenügender Streitkräfte zu scheitern drohte, hatte der Bundestag Preußen damit beauftragt, die Unabhängigkeit der Herzogtümer zu schützen, und Friedrich Wilhelm war auch bereitwillig darauf eingegangen. Im Verein mit den Schleswig-Holsteinern schlugen die Preußen unter Wrangel 23. April die Dänen bei Schleswig [* 13] und rückten im Mai in Jütland ein.
Die Nationalversammlung faßte 2. Juni die Resolution, daß energische Maßregeln getroffen werden müßten, um den Krieg zu Ende zu führen und beim Friedensschluß die Rechte der Herzogtümer und die Ehre Deutschlands zu wahren. Am 1. Aug. befahl der Reichsverweser den Marsch eines beträchtlichen süddeutschen Heers nach dem Kriegsschauplatz. Die energische Intervention Englands und Rußlands zu gunsten Dänemarks jedoch, die Lähmung des preußischen Handels durch die dänische Blockade, gegen welche Deutschland ohne Kriegsflotte wehrlos war, und die geheime Abneigung Friedrich Wilhelms gegen die Schleswig-Holsteiner, welche er für Rebellen gegen ihren rechtmäßigen König hielt, bewogen die preußische Regierung, 26. Aug., ohne die Genehmigung der Reichsregierung vorzubehalten, den Waffenstillstand von Malmö [* 14] mit Dänemark auf sieben Monate abzuschließen, der alle Beschlüsse der provisorischen Regierung von Schleswig-Holstein [* 15] für ungültig erklärte und eine halb von Dänemark, halb von Preußen ernannte gemeinschaftliche Regierung einsetzte.
Die Nachricht hiervon rief in Frankfurt allgemeine Entrüstung hervor. Der Antrag der Rechten, in anbetracht der Zwangslage Preußens den Waffenstillstand dennoch zu genehmigen, wurde bei der ersten Verhandlung der schleswig-holsteinischen Angelegenheit 5. Sept. abgelehnt. Als aber nun das Reichsministerium zurücktrat und ein neues zu bilden nicht gelang, genehmigte die Majorität der Versammlung bei einer zweiten Verhandlung 16. Sept. den Vertrag vorbehaltlich einiger Modifikationen.
Inzwischen hatte die äußerste Linke die Volksmassen, die in Frankfurt zusammengeströmt waren, durch agitatorische Reden gegen die Versammlung aufgereizt. Eine große Volksversammlung auf der Pfingstweide 17. Sept. erklärte die 258 Abgeordneten, welche für den Vertrag gestimmt hatten, für Verräter des Volkes, der deutschen Freiheit und Ehre. Am 18. Sept. war die Nationalversammlung selbst ernstlich bedroht; ein allgemeiner Aufstand war organisiert und Barrikaden erbaut.
Österreichisches und preußisches Militär schützte die Paulskirche, nahm die Barrikaden und trieb das Volk auseinander; dagegen fielen zwei Abgeordnete, General v. Auerswald und Fürst Lichnowski, der Volkswut zum Opfer. Die Republikaner versuchten nun an andern Orten Erhebungen des Volkes zu veranlassen. Struve machte einen Einfall von Basel [* 16] in das Badische und proklamierte die Republik, indes wurde er rasch vertrieben, und auch sonst blieben die Bewegungen erfolglos.
Die Majorität der Versammlung erkannte jedoch nun, daß sie mit den Regierungen engere Fühlung suchen und die Beratung der Verfassung rasch zu Ende führen müsse, um den radikalen Wühlereien nicht so viel Spielraum zu gönnen. Am 20. Okt. wurde die Beratung der Grundrechte vorläufig abgebrochen und mit der Beratung über den Verfassungsentwurf begonnen, welchen der Verfassungsausschuß 8. Okt. vorgelegt hatte. Derselbe wurde in den Hauptpunkten angenommen: die Reichsgewalt erhielt die ausschließliche Vertretung Deutschlands nach außen, die Verfügung über die ganze Heeresmacht und das Recht der Gesetzgebung auf allen Gebieten der materiellen Entwickelung, des Handels und Verkehrs.
Eine besondere Tragweite hatte die Bestimmung des Entwurfs, daß jeder deutsche Staat, der mit nichtdeutschen Territorien verbunden sei, dieselben nur in Personalunion besitzen dürfe. Dieselbe war gegen Österreich gerichtet, dessen Regierung nach den Siegen [* 17] Radetzkys in Italien [* 18] und nach der Einnahme Wiens durch Windischgrätz (31. Okt.) die habsburgischen Lande durch eine Gesamtstaatsverfassung enger zu vereinigen strebte und ihre Geringschätzung der Frankfurter Versammlung und ihre Absicht, sich nicht durch deren Verfassung binden zu lassen, in schroffster Weise dadurch kundgab, daß sie zwei Abgeordnete derselben, die in Wien [* 19] hatten Frieden stiften sollen, verhaften und den einen, Robert Blum, den gefeierten Führer der Linken, 9. Nov. erschießen ließ. Der österreichische Ministerpräsident erhob sogar 27. Nov. in seinem Regierungsprogramm den Anspruch, daß die Stellung Österreichs zu D. erst dann geregelt werde, wenn ersteres zu neuen, festen Formen gelangt sei, bis dahin aber Österreich seinen Bundespflichten treulich nachkommen, also nicht ausscheiden werde; er verlangte also unbedingte Unterordnung der deutschen unter die österreichischen Interessen. Der Gegensatz Österreichs zu den Zielen der Nationalversammlung war damit so deutlich ausgesprochen, daß Schmerling 17. Dez. das Präsidium des Reichsministeriums niederlegte. Dasselbe übernahm Heinrich v. Gagern, an dessen Stelle als Präsident der Nationalversammlung der bisherige Vizepräsident, Simson, trat.
Mit entschiedener Offenheit trat Gagern 18. Dez. mit seinem Programm (der sogen. kleindeutschen Partei) vor die Versammlung, das die Trennung Österreichs von Deutschland und die Regelung der Verhältnisse beider zu einander durch eine zu vereinbarende Bundesakte als den einzigen Weg zur Rettung des Bundesstaats bezeichnete. Hiermit erleichterte er jedoch Österreich und seinen Anhängern ihre Stellung, indem sie, anstatt selbst Vorschläge zu einer bundesstaatlichen Verfassung mit Gesamtösterreich machen zu müssen, die sich sofort als unmöglich erwiesen hätten, nun mit einer negativen Kritik und Opposition sich begnügen durften, wobei sich ihnen Ultramontane und Radikale bereitwilligst anschlossen.
Die österreichische Regierung protestierte 28. Dez. formell gegen das Gagernsche Programm und erklärte, daß die deutsche Verfassungsfrage nur gelöst werden könne auf dem Weg der Verständigung mit den deutschen Regierungen, unter welchen die kaiserliche den ersten Platz einnehme. Dazu kam, daß die liberalen Anhänger Preußens durch den Bruch der preußischen Regierung mit der dortigen Nationalversammlung, die Berufung des konservativen Ministeriums Brandenburg [* 20] und die Oktroyierung einer Verfassung (5. Dez.) mißtrauisch gemacht worden waren. Daher wurde Gagern die ¶